#9/21

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Entwurf einer Formulierungshilfe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz -

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Die Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern zählt zu den wichtigsten gesellschaftspolitischen Herausforderungen unserer Zeit. Der Schutz von Kindern vor einer Beeinträchtigung ihrer Gesamtentwicklung durch  sexuelle Handlungen zählt zu denjenigen herausragenden Rechtsgütern, die in besonderer Weise Gegenstand der staatlichen Wächterverantwortung sind.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Deutsche Richterbund die Gesetzesinitiative zur Änderung des Strafgesetzbuches und zur Einführung eines Straftatbestandes, der den Umgang mit sogenannten Missbrauchsanleitungen umfasst, ausdrücklich.

Die Gesetzesinitiative schließt mit der Einfügung von § 176e StGB-E eine Regelungslücke und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes besteht lediglich mit Blick auf die Strafandrohung Anpassungsbedarf.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass bei Beschuldigten sogenannte Missbrauchsanleitungen aufgefunden werden. Diese Anleitungen beschreiben unter anderem, wie sexueller Missbrauch von und sexuelle Gewalt an Kindern angebahnt, durchgeführt oder verschleiert werden kann.

Die Entwurfsbegründung betont zutreffend die Gefahr, dass der Umgang mit solchen Anleitungen die Hemmschwelle potentieller Täter herabsenkt und den Wunsch hervorruft beziehungsweise verstärkt, sexuellen Missbrauch von Kindern zu begehen. Der Deutsche Richterbund teilt die Einschätzung, dass derartige Inhalte zugleich eine Störung des öffentlichen Friedens darstellen, da sie ungeachtet einer regelmäßig verwendeten menschenverachtenden Sprache Kinder zu Objekten sexueller Wünsche herabwürdigen.

Sofern solche Missbrauchsanleitungen – was regelmäßig der Fall ist – keine kinderpornographischen Bildaufnahmen enthalten, sind Besitz und Verbreitung solcher Anleitungen nach derzeit geltender Rechtslage dennoch nicht vollumfänglich strafbar.

§ 184b StGB stellt den Umgang mit Missbrauchsanleitungen lediglich mit Blick auf deren Verbreitung beziehungsweise deren öffentliches Zugänglichmachen unter Strafe, sofern klar erkennbar nur ein fiktives Geschehen wiedergegeben wird. Die §§ 176 ff. StGB erfassen die Verbreitung und den Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern auch unter Berücksichtigung der Teilnahmeregelungen nicht. Regelmäßig fehlt es mit Blick auf § 27 StGB an der akzessorischen Haupttat sowie an dem doppelten Gehilfenvorsatz. Im Übrigen ist der sexuelle Missbrauch von Kindern nicht im Katalog des § 126 Abs. 1 StGB enthalten, weswegen § 130a StGB nicht einschlägig ist.

Obwohl die Gefahr besteht, dass pädophil veranlagte Personen durch Missbrauchsanleitungen zum Realmissbrauch animiert werden, sind nach der geltenden Rechtslage bei Beschuldigten aufgefundene Asservate wieder an diese herauszugeben, wenn sich lediglich Missbrauchsanleitungen auf den sichergestellten Datenträgern befinden.

Der Formulierungsvorschlag schließt die bestehende Regelungslücke, indem der dreizehnte Abschnitt des Strafgesetzbuches um ein abstraktes Gefährdungsdelikt ergänzt wird, welches auch Taten umfasst, die dem tatsächlichen Missbrauch weit vorgelagert sind. Damit leistet die Gesetzesinitiative einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern.

§ 176e Abs. 1 StGB-E erfasst Inhalte, die geeignet sind, als Anleitung zu einer in den §§ 176 bis 176d StGB genannten rechtswidrigen Taten zu dienen und darüber hinaus auch dazu bestimmt ist, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken eine solche Tat zu begehen.

Zusätzlich werden nach § 176e Abs. 2 StGB-E an sich „neutrale“ Inhalte erfasst, sofern sie geeignet sind, als Anleitung zu einer Tat nach den §§ 176 bis 176d StGB zu dienen, und sofern sie mit dem Ziel in Umlauf gebracht werden, die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, eine solche Tat zu begehen.

Die Entwurfsbegründung nennt als Beispiel für einen solchen „neutralen“ Inhalt eine medizinische Abhandlung über die Geschlechtsorgane eines Kindes (Entwurfsbegründung Seite 6).

Der Deutsche Richterbund regt an, die in § 176e Abs. 1 und Abs. 2 StGB-E vorgesehenen Strafrahmen einer Prüfung zu unterziehen.

Die Verbreitung beziehungsweise das öffentliche Zugänglichmachen von Inhalten, die explizit auf die Beschreibung von Missbrauchshandlungen ausgerichtet sind (§ 176e Abs. 1 StGB-E), dürften in ihrer Wirkung deutlich gefährlicher sein als „neutrale“ Inhalte, die von potentiellen Tätern zweckentfremdet werden (§ 176e Abs. 2 StGB-E). Dennoch ist für § 176e Abs. 1 und Abs. 2 StGB-E ein identischer Strafrahmen vorgesehen.

In diesem Zusammenhang bietet es sich an, für § 176e Abs. 1 StGB-E auf den Strafrahmen des § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB zurückzugreifen, der für die Verbreitung beziehungsweise das öffentliche Zugänglichmachen von Missbrauchsanleitungen als fiktive kinderpornographische Inhalte einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Auf diese Weise könnten Wertungswidersprüche zwischen der aktuellen und künftigen Rechtslage vermieden werden. Zugleich würde dem erhöhten Unrechtsgehalt Rechnung getragen.

§ 176e Abs. 3 StGB-E stellt das Abrufen beziehungsweise den Besitz oder das Zugänglichmachen eines Inhalts nach § 176e Abs. 1 StGB-E unter Strafe und sieht hierfür Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes dürfte mit Blick auf die Strafandrohung des § 176e Abs. 3 StGB-E zwischen Abruf und Besitz einerseits und der Drittbesitzverschaffung beziehungsweise Drittzugänglichmachung andererseits zu differenzieren sein. Der Entwurfsbegründung ist darin zuzustimmen, dass die Verbreitung und das der Öffentlichkeit Zugänglichmachen – geregelt in § 176e Abs. 1 StGB-E – grundsätzlich ein höheres Gefährdungspotential aufweisen als der Abruf und Besitz von Missbrauchsanleitungen (Entwurfsbegründung Seite 6).

Gleichwohl gilt dies nicht ohne weiteres für die Drittbesitzverschaffung. Wird ein Inhalt in einem Chat gepostet, so gilt dies nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Drittbesitzverschaffung. Die Erfahrungen aus der Strafverfolgungspraxis zeigen, dass sich die Teilnehmerzahl in solchen Chats durchaus im drei- oder vierstelligen Bereich bewegen können, wodurch ebenfalls ein ganz erhebliches Gefährdungspotential besteht.

Aus diesem Grunde wäre es zielführend, Drittbesitzverschaffung und Drittzugänglichmachung nicht in § 176e Abs. 3 StGB-E unter Strafe zu stellen, sondern diese Tatbegehungsweise in § 176e Abs. 1 StGB-E mit der erhöhten Strafandrohung zu erfassen.