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Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Kinder können nur dann effektiv vor sexualisierter Gewalt geschützt werden, wenn das Risiko von Entdeckung und Verfolgung für die Täter spürbar steigt und auf den Schutz der Kinder sowie die Verfolgung der Täter gerichtete Instrumente zusammenwirken. Insoweit begrüßt der Deutsche Richterbund, dass sich der Gesetzentwurf nicht nur auf Änderungen im Bereich des Strafrechts beschränkt, sondern mit einem ganzen Bündel gesetzgeberischer Maßnahmen den Versuch unternimmt, den Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt zu verbessern.

Allein die beabsichtigten Strafverschärfungen, die sexualisierte Gewalt gegen Kinder und auch die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornographischer Schriften bereits im Grundtatbestand als Verbrechen einstufen, vermögen den Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder nicht zu verbessern. Denn Strafandrohungen allein entfalten erfahrungsgemäß wenig Abschreckungswirkung.  Darüber hinaus dürfte die pauschale Einstufung der Straftatbestände der Kinderpornographie als Verbrechen zu Wertungswidersprüchen innerhalb des Sanktionsgefüges führen. Hinzu kommt, dass diese Anhebung des Strafrahmens in der Praxis eine massive Mehrbelastung der ohnehin überlasteten Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Folge haben wird, ohne dass dem Gesetzesentwurf eine beabsichtigte Aufstockung personeller und sachlicher Ressourcen zu entnehmen wäre.

Soweit der Entwurf den Ermittlungsbehörden weitergehende Ermittlungsbefugnisse im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und im Bereich der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornographischer Schriften an die Hand gibt, ist dies zu begrüßen. Der Deutsche Richterbund bedauert jedoch insbesondere, dass eine rechtssichere Umsetzung von Mindestspeicherfristen für Verkehrsdaten noch immer nicht erfolgt ist. Damit fehlt in der Praxis ein ganz entscheidendes Ermittlungsinstrument, um Fälle von Kinderpornographie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder rasch aufzuklären bzw. gar zu verhindern.

Letztendlich kann nur eine adäquate sachliche wie personelle Ausstattung unter anderem von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten den Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern effektiv gewährleisten.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

I. Änderungen im Strafgesetzbuch

1. Begriffliche Neufassung: „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder“

Gegenstand des Entwurfs ist unter anderem eine begriffliche Neufassung der bisherigen Straftatbestände des sexuellen Missbrauchs von Kindern als sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Mit dieser begrifflichen Neufassung soll das Unrecht der vorgenannten Straftaten klarer umschrieben und zugleich einer Bagatellisierung entgegengewirkt werden. Sexuelle Handlungen an Kindern sollen unmissverständlich als „sexualisierte Gewalt“ gebrandmarkt werden. Der Entwurf betont, dass mit der Änderung der Begrifflichkeit keine Inhaltsänderung einhergeht. Der Tatbestand soll - wie nach bisheriger Rechtslage - auch dann verwirklicht sein, wenn Gewalt weder angewandt noch mit der Anwendung von Gewalt gedroht wird.

Die gesetzgeberische Intention, mit diesem neuen Tatbestandsmerkmal den Eindruck eines rechtlich zulässigen „Gebrauchs“ von Kindern entgegenzuwirken, ist ausdrücklich zu begrüßen. Gleichwohl sind durch die Verwendung des in verschiedenen Vorschriften genutzten und von der jahrzehntelangen Rechtsprechung jeweils konturierten Gewaltbegriffs Probleme zu befürchten. Überdies wäre es nicht konsequent, den Begriff des „sexuellen Missbrauchs“ in den §§ 174 bis 174c StGB beizubehalten.

 

2. Neugestaltung der §§ 176 ff. des Strafgesetzbuches

a) Aufspaltung des bisherigen Straftatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern, § 176 StGB

Die mit dem Entwurf einhergehende Aufspaltung des bisherigen Straftatbestandes des sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) in drei Straftatbestände (§ 176 StGB-E: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder; § 176a StGB-E: Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind; § 176b: Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder) leistet einen Beitrag dazu, den Deliktsbereich klarer und leichter verständlich zu regeln. Die bisherige Fassung des § 176 StGB ist aufgrund der zahlreichen Gesetzesnovellen der vergangenen Jahre zunehmend unübersichtlich geworden. Zugleich sieht der Entwurf eine angemessene Abstufung der Strafrahmen vor, die dem unterschiedlichen Unrechtsgehalt der verschiedenen Tathandlungen Rechnung trägt.

b) Anhebung des Strafrahmens bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder mit Körperkontakt und ausnahmslose Einstufung als Verbrechen,  § 176 Abs. 1 StGB-E

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder mit Körperkontakt soll nach dem Referentenentwurf künftig stets als Verbrechen geahndet werden, § 176 Abs. 1 StGB-E. Auf diese Weise soll ein „klares Signal“ gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder gesetzt werden und eine Kennzeichnung als „schweres Unrecht“ erfolgen. Eine Einstellung entsprechender Verfahren nach den §§ 153,153a StPO wird damit ausgeschlossen.

Gleichwohl bestehen Zweifel, ob das in der Begründung des Entwurfs ausgegebene Ziel mit dieser Maßnahme erreicht werden kann.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder war und ist seit jeher fraglos schweres Unrecht. Daher dürfte es nicht erforderlich sein, das Unrecht solcher Taten symbolisch bzw. mit Signalwirkung im Wege einer Strafrahmenerhöhung zu verdeutlichen. Bereits das geltende Regelungsregime (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren) lässt genügend Raum für tat- und schuldangemessene Strafen. Da in Verfahren wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder zumeist mehrere Taten Gegenstand des Tatvorwurfs sind, können im Wege der Gesamtstrafenbildung ohnehin Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren verhängt werden.

Der Spielraum für tat- und schuldangemessene Entscheidungen wird durch die Neufassung des § 176 Abs. 1 StGB-E mit nicht unerheblichen Folgen für die Praxis beschnitten.

Ist die Schwelle zur sexuellen Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB nur knapp überschritten – was unter anderem schon bei einmaligen Berührungen oberhalb der Kleidung, gegebenenfalls auch bei „einfachen“ Küssen der Fall sein kann – kann es im Einzelfall, etwa bei einem nicht vorbestraften, geständigen und einsichtigen Täter, der sich bereits in therapeutische Behandlung begeben hat, im Einzelfall angezeigt sein, nicht sogleich eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu verhängen.

Die intendierte Anhebung des Strafrahmens und die Hochstufung zum Verbrechen verbaut ferner die Möglichkeit, im Strafbefehlswege zu verfahren. In der Praxis kommt es durchaus vor, dass seitens der Nebenklage ein Interesse daran besteht, auf die Durchführung einer Hauptverhandlung zu verzichten. Grund hierfür kann unter anderem die psychische Verfassung von Opferzeuginnen und Opferzeugen sein; häufig droht eine Sekundärviktimisierung mit teils schwerwiegenden Folgen. Ist in solchen Fällen überdies die Beweislage schwierig und die Schwelle zur sexuellen Handlung im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB nur knapp überschritten, bietet es sich aus staatsanwaltschaftlicher Sicht an, in Abstimmung mit den Verfahrensbeteiligten auf die Durchführung einer Hauptverhandlung zu verzichten und den Erlass eines Strafbefehls mit geeigneten Auflagen (u.a. Durchführung einer Sexualtherapie, Geldauflage etc.) zu beantragen.

Der Deutsche Richterbund hält es daher für sinnvoll, ähnlich dem bisherigen § 176a Abs. 4 StGB einen ermäßigten Strafrahmen für minder schwere Fälle vorzusehen.

Einstellungen nach § 153a StPO erfolgen in diesem Deliktsbereich – wenn überhaupt – ohnehin nur in höchst seltenen und atypischen Fallkonstellationen. Einstellungen nach § 153 StPO dürften in der Praxis nahezu überhaupt nicht vorkommen.

Jedenfalls führt die Hochstufung zu einem Verbrechenstatbestand zu einer nicht unerheblichen Mehrbelastung der Staatsanwaltschaften und der Jugendschutzgerichte, da in jedem Falle die Durchführung einer Hauptverhandlung erforderlich ist.

Ob das Ziel des Entwurfs, das die Taten kennzeichnende Unrecht möge sich verstärkt in den verhängten Strafen widerspiegeln, durch die Anhebung des Strafrahmens erreicht werden kann, ist aus Sicht des Deutschen Richterbundes ohnehin ungewiss. Zumeist handelt es sich bei Jugendschutzverfahren um hochkomplexe Verfahren; dies gilt sowohl für die Feststellung der Schuld als auch für die Strafzumessung im Einzelfall. Eine pauschale Strafverschärfung dürfte insoweit nicht die gesetzgeberisch gewollte Abhilfe schaffen.

c) Ausnahmetatbestand in Fällen einvernehmlich sexueller Handlungen zwischen annähernd gleichaltrigen Personen, § 176 Abs. 2 StGB-E

Der Deutsche Richterbund begrüßt, dass der Entwurf in § 176 Absatz 2 StGB-E die Möglichkeit einräumt, in Fällen einvernehmlicher sexuelle Handlungen zwischen annähernd gleichaltrigen Personen von einer Strafe im Einzelfall abzusehen.

Wie der Entwurf zutreffend hervorhebt, ist es für das ungestörte Durchlaufen der einzelnen Entwicklungsphasen von Kindern bzw. Jugendlichen von Bedeutung, einen Freiraum sexueller Selbsterprobung mit annähernd Gleichaltrigen zu haben. Mit einer Bestrafung solcher Fälle ginge die Kriminalisierung von Handlungen einher, die für die sexuelle Entwicklung wichtig sind. Damit kommt der Entwurf einer Empfehlung der Reformkommission zum Sexualstrafrecht nach und stellt mit einer Regelung im Strafgesetzbuch sicher, dass jugendliche Personen nicht wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder bestraft werden müssen, sofern zwischen Täter und Opfer lediglich ein geringer Altersunterschied besteht.

d) Anhebung des Strafrahmens bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt und Einführung einer neuen Versuchsstrafbarkeit für das Einwirken auf ein Kind, § 176a Abs. 1, 2 StGB-E, § 176a Abs. 3 Satz 2 StGB-E

Die Anhebung des Strafrahmens bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind in § 176a Abs. 1, 2 StGB-E von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren (so der geltende § 176 Abs. 4 StGB) auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren ist in Ansehung der Hochstufung der sexualisierten Gewalt gegen Kinder mit Körperkontakt als Verbrechen (§ 176 StGB-E) folgerichtig, um das Strafrahmengefüge zu wahren und das Unrecht der jeweiligen Tat angemessen abzubilden.

Ferner soll es dem Entwurf zufolge künftig strafbar sein, wenn ein Täter den Versuch unternimmt, auf ein Kind mittels eines pornographischen Inhalts oder durch entsprechendes Reden einzuwirken, sofern und soweit die Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind, § 176a Abs. 3 Satz 2 StGB-E.

Mit dieser Regelung schließt der Entwurf eine nach geltendem Recht (§ 176 Abs. 6 Satz 1 StGB) bestehende Lücke und weitet die Strafbarkeit – wie schon jüngst beim Cybergrooming – auf „Scheinkind-Konstellationen“ aus. Der Deutsche Richterbund begrüßt dies ausdrücklich.

Es mag in diesen Konstellationen zwar nicht zu einer konkreten Gefährdung des zu schützenden Rechtsgutes kommen. Dies ist der Rechtsfigur des untauglichen Versuchs jedoch immanent. In § 23 Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber eine Grundentscheidung für die Strafbarkeit des untauglichen Versuches getroffen. Es ist nicht einzusehen, weswegen dies nicht uneingeschränkt auch in dem besonders sensiblen Bereich der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern gelten soll.

Der Referentenentwurf weist in der Begründung zutreffend darauf hin, dass der Täter durch die Kontaktaufnahme den subjektiven Tatbestand vollständig erfüllt und bereits kriminelle Energie zum Ausdruck gebracht hat, die als strafwürdig anzusehen ist. Vor diesem Hintergrund ist es für die Beurteilung des Täterverhaltens nicht ausschlaggebend, wer sich hinter seinem digitalen Gegenüber tatsächlich verbirgt. Denn letztlich ist dies nur vom Zufall abhängig.

e) Streichung der bisherigen Regelung für minder schwere Fälle beim Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern

In der Entwurfsfassung des § 176c StGB-E (schwere sexualisierte Gewalt gegen Kinder), welcher sämtliche Tathandlungen umfasst, die bislang als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in § 176a StGB geregelt waren, ist eine Regelung für minder schwere Fälle (bislang § 176a Abs. 4 StGB) nicht mehr enthalten. Der Entwurfsbegründung zufolge soll dadurch sichergestellt werden, dass sich das besonders schwere Unrecht der Tat stärker als bisher im Strafmaß widerspiegelt; in Ansehung des in der Qualifikation vertypten Unrechts sei es nicht unangemessen, die Regelung für minder schwere Fälle zu streichen.

Der Deutsche Richterbund spricht sich dafür aus, auch in der neuen Vorschrift des § 176c StGB-E eine Regelung für minder schwere Fälle vorzusehen. In der Praxis kommt es trotz des in der Qualifikation vertypten Unrechts immer wieder zu Fallkonstellationen, in denen das Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle deutlich abweicht. In den Gesetzesmaterialien zu § 176a StGB sind solche Fälle beispielhaft benannt worden und § 176a Abs. 4 StGB hat sich in der Rechtsanwendung bewährt.

f) Verschärfung der Strafrahmen der Straftatbestände der Kinderpornographie, § 184b StGB

Der Entwurf schlägt vor, sowohl das Verbreiten als auch den Besitz und die Besitzverschaffung von kinderpornographischen Inhalten als Verbrechen auszugestalten. Damit soll stärker als bisher die Schwere des Vorwurfs herausgestellt sowie eine dieser Schwere angemessene Sanktionierung sichergestellt werden. Aus Sicht der Entwurfsverfasser erscheint es geboten, Mindest- und Höchstmaß der Strafe anzuheben, um das Maß des verwirklichten Unrechts sowie der Schuld adäquater abzubilden. Zugleich soll hiervon eine für potentielle Täter abschreckende, negativ generalpräventive Wirkung ausgehen. Da eine Einstellung von Verfahren aus Opportunitätsgründen   (§§ 153, 153a StPO) nicht mehr in Betracht komme und stets eine Hauptverhandlung durchzuführen sein werde, erzeuge die Einstufung als Verbrechen zusätzlich eine spezialpräventive Wirkung.

Der Deutsche Richterbund steht einer pauschalen Einstufung von Tathandlungen nach § 184b StGB als Verbrechen kritisch gegenüber. Zum einen stehen Wertungswidersprüche zu befürchten (a), zum anderen dürfte die Praxis der Strafverfolgung im Bereich Kinderpornographie massiv erschwert werden (b). Das gesetzgeberische Ziel einer Abschreckung potentieller Täter wird durch die intendierte Strafverschärfung allein nicht erreicht werden können (c).

(a) Wertungswidersprüche

Die Bandbreite kinderpornographischer Inhalte ist groß. Sie reicht von heimlich hergestellten Bildern der Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes von Kindern sowie dem Posieren sogar bekleideter Kinder bis hin zu Darstellungen schwerster sexualisierter Gewalt gegen Kinder.

Etwa bei Darstellungen sexueller Handlungen zwischen Kindern sowie Abbildungen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern wie oralem, vaginalem und analem Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Säuglingen sowie von Gewalttätigkeiten gegen Kinder im Rahmen der Vornahme sexueller Handlungen besteht ein hoher Schutzbedarf und eine besonders gefährliche Anreiz- und Nachahmungswirkung. Für solche Fälle wird es nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, etwa bei Wiederholungstätern, angemessen sein, eine höhere Strafe als drei Jahre Freiheitsstrafe zu verhängen.

Der Deutsche Richterbund befürwortet daher die Anhebung des bisherigen Höchstmaßes der Strafe sowohl für das Verbreiten als auch den Besitz und die Besitzverschaffung von kinderpornographischen Inhalten. Zudem begrüßt der Deutsche Richterbund, dass der Qualifikationsstraftatbestand für die Fälle, in denen der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande bestimmte kinderpornographische Inhalte verbreitet, deutlich angehoben wird (von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren auf Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis 15 Jahren, § 184b Abs. 2 StGB-E).

Die vorgenannten Inhalte sind in ihrem Unrechtsgehalt indes nicht mit heimlich hergestellten Bildern der Genitalien von Kindern oder dem Posieren bekleideter Kinder vergleichbar. Für den Besitz lediglich eines einzelnen solchen Bildes dürfte es bei einem nicht vorbestraften Täter durchaus tat- und schuldangemessen sein, mit einer Sanktion zu reagieren, die deutlich unter einem Jahr Freiheitsstrafe liegt. Aus diesem Grunde stehen Wertungswidersprüche zu befürchten.

Dies gilt umso mehr, wenn man die Strafrahmen anderer Delikte zum Vergleich heranzieht. Eine undifferenzierte Einstufung von Tathandlungen nach § 184b StGB als Verbrechen hätte etwa zur Folge, dass für den Besitz eines einzelnen kinderpornographischen Bildes, welches das Posieren eines bekleideten Kindes zum Gegenstand hat, dieselbe Mindeststrafe gelten würde wie im Falle der sexualisierten Gewalt gegen ein Kind mit Körperkontakt (§ 176 StGB-E). Die Mindeststrafen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder ohne Körperkontakt mit dem Kind (§ 176a Abs. 1 StGB-E: Freiheitsstrafe von sechs Monaten) und für die Vorbereitung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder (§ 176b Abs. 1 StGB-E: Freiheitsstrafe von drei Monaten) lägen im Grundtatbestand deutlich unter der Mindeststrafandrohung für den Besitz eines einzelnen kinderpornographischen Bildes, obwohl die Täter bei diesen zum Vergleich herangezogenen Straftatbeständen mit den Betroffenen bereits in Interaktion getreten und die Tatfolgen regelmäßig deutlich schwerwiegender sind. Auch im Hinblick auf Straftatbestände wie etwa die gefährliche Körperverletzung (Mindeststrafe: sechs Monate Freiheitsstrafe) oder die Misshandlung von Schutzbefohlenen (ebenfalls Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe) werden Wertungswidersprüche deutlich.

(b) Massive Mehrbelastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten

Die mit dem Entwurf intendierte ausnahmslose Ausgestaltung der Straftatbestände des Verbreitens, des Besitzes und der Besitzverschaffung von Kinderpornographie als Verbrechen würde zu einer massiven Mehrbelastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten führen, die mit der gegenwärtigen Personalausstattung nicht ansatzweise zu bewältigen sein dürfte.

Einstellungen aus Gründen der Opportunität (§§ 153, 153a StPO) wären selbst dann nicht mehr möglich, wenn als Tatvorwurf lediglich der Besitz eines einzelnen kinderpornographischen Bildes – etwa einer Aufnahme des unbekleideten Gesäßes eines Kindes – im Raum steht. Der Entwurf führt zutreffend aus, dass die Fallzahlen für die Delikte der Kinderpornographie enorm gestiegen sind. Für das Jahr 2019 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik einen Zuwachs der bundesweiten Fallzahlen um rund 65 % gegenüber dem Vorjahr aus. Massenverfahren gegen Teilnehmer von WhatsApp-Gruppen, bei denen diese Teilnehmer unerwünscht und ohne vorherige Ankündigung durch einen anderen Teilnehmer kinderpornographische Inhalte übersandt bekommen, bringen einen enormen Ermittlungsaufwand auf Seiten der Staatsanwaltschaften wie auch der Polizei mit sich.

Um die enormen Fallzahlen und umfangreichen Massenverfahren bewältigen zu können, sind die Staatsanwaltschaften in der gegenwärtigen Praxis darauf angewiesen, bereits im Ermittlungsverfahren schwerwiegende Fälle von weniger schwerwiegenden Fällen zu unterscheiden. Im Einzelfall kann es dabei geboten sein, Verfahren nach Erfüllung geeigneter Auflagen (Sexualtherapie, Geldauflagen zugunsten von Opferschutzeinrichtungen etc.) einzustellen oder im Strafbefehlswege zu verfahren. Der Wegfall dieser Option ließe sich allenfalls durch einen deutlich spürbaren Stellenzuwachs näherungsweise ausgleichen. Darüber hinaus ist zwangsläufig eine Überlastung der Schöffengerichte zu erwarten.

Zudem dürfte die Kooperationsbereitschaft seitens der Tatverdächtigen sowie der Verteidigung reduziert sein, wenn ein Verbrechen Gegenstand des Tatvorwurfs ist. Auch dadurch wird die Strafverfolgung in der Praxis erschwert. Unter Umständen ist überdies mit einer längeren Verfahrensdauer zu rechnen, wenn Tatverdächtige nicht mehr dazu bereit sind, Passwörter für sichergestellte Datenträger zur Verfügung zu stellen und dadurch die Auswertung verzögert wird.

Die Neufassung in Gestalt des § 184b StGB-E hätte ferner zur Folge, dass zwischen der Strafandrohung für die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornographischer Inhalte (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf bzw. bis zu zehn Jahren) sowie derjenigen für die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz jugendpornographischer Inhalte (Freiheitsstrafe bis zu zwei bzw. bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) eine immense Differenz bestünde.

Die Abgrenzung zwischen Kinder- und Jugendpornographie ist in der Praxis mitunter äußerst schwierig. Klafft die Strafandrohung, insbesondere im Mindestmaß, derart stark auseinander, ist mit einem intensiven Ringen um die Qualifizierung von inkriminierten Inhalten zu rechnen. In der Praxis dürfte es nicht selten zur Notwendigkeit von Altersbegutachtungen kommen, was wiederum zu Verfahrensverzögerungen und zu einer Steigerung der Verfahrenskosten führen würde.

(c) Zweifel an der intendierten Abschreckungswirkung

Im Übrigen ist eine mit der Strafrahmenerhöhung erhoffte gesteigerte Abschreckungswirkung nicht zu erwarten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die künftige Mindeststrafe von einem Jahr einen potentiellen Täter von der Begehung etwa der in § 184b Abs. 1 StGB-E genannten Tathandlungen abhalten wird, der die Tat bei der bisher möglichen Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe noch begangen hätte.

Die Verbreitung, der Besitz sowie die Besitzverschaffung von Kinderpornographie können aus Sicht des Deutschen Richterbundes vielmehr nur dann nachhaltig und effektiv aufgeklärt und verhindert werden, wenn sie auch strafrechtlich wirksam verfolgt werden können. Dafür bietet es sich neben der dringend gebotenen Verbesserung der Ausstattung der Strafjustiz mit Personal- und Sachmitteln an, die Ressourcen der Strafjustiz durch das Beibehalten bewährter Möglichkeiten einer zügigen Verfahrenserledigung in dafür geeigneten Verfahren zu schonen.

 

II. Erweiterung der strafprozessualen Ermittlungsmöglichkeiten und Erweiterung des Untersuchungshaftgrundes der Schwerkriminalität

Der Entwurf sieht vor, die Katalogdaten der Telekommunikationsüberwachung, der Onlinedurchsuchung sowie der Erhebung von Verkehrsdaten in moderatem Maße zu erweitern. Damit soll eine effektive Strafverfolgung im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder sowie der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornographischer Inhalte ermöglicht werden. Ziel ist es, das Entdeckungsrisiko zu erhöhen und den Anreiz zu beseitigen, in abgeschotteten Foren kinderpornographische Inhalte auszutauschen.

Der Deutsche Richterbund begrüßt diese Erweiterung der strafprozessualen Ermittlungsmöglichkeiten ausdrücklich. Damit werden die bestehenden Ermittlungsbefugnisse gezielt und sinnvoll ergänzt. Insoweit leistet der Entwurf einen wertvollen Beitrag zur Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit.

In diesem Zusammenhang wäre es aus Sicht des Deutschen Richterbundes auch geboten, die Mindestspeicherfristen für Verkehrsdaten in der Praxis umzusetzen. Ohne eine anwendbare Regelung zu Mindestspeicherfristen ist die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ganz erheblich erschwert.

In der Praxis kommt es immer wieder zu Fallkonstellation, in denen die Ermittlung von Tatverdächtigen infolge der fehlenden Möglichkeit, die IP-Adresse auszulesen und den Anschlussinhaber festzustellen, massiv verzögert wird. Nur beispielhaft sind Fälle zu nennen, in denen Täter sexualisierte Gewalt gegen Kinder verüben, filmen und die Videoaufnahmen in einschlägigen Foren einstellen. Die Ermittlungsbehörden sind in solchen Fällen mitunter auf andere, sehr personal- und zeitaufwändige Ermittlungsmaßnahmen wie Öffentlichkeits- und Schulfahndungen angewiesen. Der damit einhergehende Zeitverzug wiegt in Fällen andauernder sexualisierter Gewalt gegen Kinder besonders schwer.

Darüber hinaus sieht der Entwurf vor, den Katalog der gemäß § 112 Abs. 3 StPO als Schwerkriminalität eingestuften Delikte um den neu gefassten Straftatbestand der schweren sexualisierten Gewalt gegen Kinder (§ 176c StGB-E) und den Tatbestand der sexualisierten Gewalt gegen Kinder mit Todesfolge (§ 176d StGB-E) zu erweitern.

Der Deutsche Richterbund stimmt mit der Entwurfsbegründung darin überein, dass mit der Aufnahme dieser Tatbestände eine angemessene Erweiterung des Katalogs des § 112 Abs. 3 StPO erfolgt. Diese Tatbestände fügen sich aufgrund ihres Unrechtsgehalts sowie der absehbaren Tatfolgen für die Verletzten in die Reihe der bislang in dem Katalog enthaltenen Straftatbestände ein.

Die Ergänzung von § 112 Abs. 3 StPO dürfte dazu führen, dass der in der Praxis teilweise nötige Rückgriff auf den subsidiären Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO), dessen Feststellung mit Unsicherheiten verbunden sein kann, aufgrund der herabgesetzten Anforderungen an die Annahme von Flucht- und Verdunklungsgefahr künftig nicht mehr erforderlich sein wird.

 

III. Anpassungen im Bundeszentralregistergesetz

Die Regelungen für die Aufnahme von Eintragungen auch geringfügiger Verurteilungen betreffend sexualisierte Gewalt gegen Kinder in Führungszeugnisse ist seit jeher ein wichtiger Baustein für einen verbesserten Schutz von Kindern.

Der Deutsche Richterbund begrüßt ausdrücklich, dass der Entwurf diesen Ansatz fortführt, indem nunmehr die Frist zur Aufnahme von Eintragungen auch geringfügiger Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten, die sich gegen Kinder und Jugendliche richten, von unter einem Jahr Freiheitsstrafe in ein erweitertes Führungszeugnis von drei auf zehn Jahre deutlich verlängert und die Mindesttilgungsfrist für diese Verurteilungen verdoppelt werden.

Betroffene Stellen erhalten damit umfassendere Informationen, um Personen, die wegen Straftaten zum Nachteil von Minderjährigen verurteilt worden sind, von einem beruflichen oder ehrenamtlichen Umgang mit Minderjährigen, etwa der Beaufsichtigung, Betreuung oder Erziehung von Kindern und Jugendlichen, fernzuhalten. Die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen durch engen und unbeaufsichtigten Kontakt mit verurteilten Sexualstraftätern ist im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes unbedingt zu vermeiden.

 

IV. Neuregelungen im familiengerichtlichen Verfahren

Die Regelungen von spezifischen Qualitätsanforderungen an Familienrichterinnen und Familienrichter waren schon mehrfach Gegenstand verschiedener Gesetzesvorhaben (zuletzt Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – BT-Drs. 19/8568). Die verschiedenen Gesetzesvorhaben folgen der einstimmigen Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestages vom 7. Juli 2016, wonach es weiterhin notwendig ist, die Qualitätsanforderungen an die Familienrichterinnen und Familienrichter zu erhöhen. In dieser Beschlussempfehlung, und das wird häufig übersehen, ist bereits konstatiert worden, dass sich in der Praxis eine Vielzahl qualifizierter und sehr engagierter Familienrichterinnen und Familienrichter findet.

Die Umsetzung dieses Ansatzes wird – zutreffend – in die Zuständigkeit der Präsidien der jeweiligen Gerichte gegeben. Denn es heißt weiter in der zuvor erwähnten Beschlussempfehlung:

„Die Präsidien der Gerichte sollten daher sensibilisiert werden, möglichst nur solchen Richterinnen und Richtern ein familienrechtliches Dezernat zuzuweisen, die über belegbare Kenntnisse des materiellen Familienrechts und des Familienverfahrensrechts sowie der damit verbundenen Querschnittskompetenzen im kommunikativen und analytischen-diagnostischen Bereich verfügen oder diese zumindest alsbald erwerben. Zumindest sollte für Familienrichterinnen und –richter eine längere Zeit der Berufserfahrung vorgegeben werden.“

Das vorliegende Gesetzesvorhaben favorisiert als Lösungsansatz eine Änderung des GVG, insbesondere des § 23 b GVG mit einer Normierung von Qualifikationsanforderungen für Familienrichter. Eine Änderung des GVG durch Aufnahme spezifischer Eignungsvoraussetzungen scheint nach Auffassung des Deutschen Richterbundes nicht geboten. Als Argument für die Notwendigkeit einer solchen Änderung wird immer wieder, so auch in diesem Gesetzesvorhaben, die spezifische Regelung für Richter in Insolvenzsachen gem. § 22 VI GVG genannt.

Jedem erfahrenen Praktiker aber ist bewusst, dass sich die hohen Erwartungen, die mit der Einführung dieser Regelung verbunden waren, in der Praxis gerade nicht erfüllt haben.

Hinzu kommt, dass jede juristische Sparte versucht und versuchen wird, für sich eine Sonderregelung im GVG zu erreichen. Die Einführung einer Sonderregelung für das Familienrecht lässt aber andere wichtige juristische Bereiche und damit das Große und Ganze außer Acht. So sollten etwa auch Betreuungsrichter, die stets sehr grundrechtssensible Entscheidungen treffen müssen, oder die Mitglieder eines Schwurgerichts über besondere Kompetenzen verfügen. Jedes Präsidium eines Gerichts weiß dies, gerade weil es in diesen Bereichen zu den gravierendsten Strafen und damit verbundenen Grundrechtseingriffen kommen kann.

Aus der Praxis kann nur bestätigt werden, dass die Präsidien so sensibel sind, dies bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Auch diese Entscheidungen sind Teil der richterlichen Unabhängigkeit. Sie sollten nicht durch immer neue Vorgaben im GVG eingeschränkt werden.

Hinzu kommt, dass seit einigen Jahren festzustellen ist, dass Richterinnen und Richter das erweiterte Fortbildungsangebot – gerade im Kindschaftsrecht – mehr und mehr annehmen. Nach der Erfahrung der Praxis sind gerade Familienrichterinnen und Familienrichter zur Fortbildung bereit.

Ob durch die geplante Änderung des GVG Qualitätssteigerungen erreicht und etwaige Defizite behoben werden können, erscheint mehr als fraglich. Gerade mit dieser Kompetenzfrage hat sich – unter besonderer Berücksichtigung der kindlichen Anhörung – bereits vor etlichen Jahren das BVerfG befasst. In seiner Entscheidung vom 5.11.1980 ist unter anderem zu lesen: „Das Problem der kindgerechten Anhörung kann danach letztlich nicht vom Gesetzgeber gelöst werden. Es ist vielmehr die schwere Aufgabe des Familienrichters, die Anhörung möglichst weitgehend entsprechend den individuellen Verhältnissen zu gestalten.“ (BVerfGE 55, 171, 181 – NJW 1981, 217). Dem kann nur zugestimmt werden.

In Bezug auf die Änderungen betreffend die Verfahrensbeistände gemäß §§ 158 FamFG bestehen keine Bedenken. Auch die Regelung des § 159 FamFG kann wie vorgesehen geändert werden. Hier werden im Wesentlichen die bereits vom Bundesverfassungsgericht gemachten Vorgaben aufgenommen.

Schließlich bestehen auch keine Bedenken – im geplanten Umfang – von einer Übertragung auf den Einzelrichter beim Oberlandesgericht abzusehen. 

 

V. Qualifikationsanforderungen an Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte

In Bezug auf die Qualifikationsanforderungen wird auf die Ausführungen unter Punkt IV. verwiesen.