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Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu den Referentenentwürfen von Rechtsverordnungen zur Einführung der elektronischen Akte im Strafverfahren

 

A. Tenor der Stellungnahme

Die auf die §§ 32 StPO gestützten Rechtsverordnungen regeln wichtige Voraussetzungen für die gesetzlich ab 2026 angeordnete elektronische Aktenführung im Strafverfahren.

Bedenken bestehen insbesondere dagegen, dass die Entwürfe (jedenfalls nach deren Begründung) eine Trennung zwischen einem polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Bereich herbeiführen, die mit der geltenden Rechtslage – insbesondere dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Ermittlungsverfahrens – nicht vereinbar ist. Außerdem erschwert sie eine medienbruchfreie Kommunikation zwischen Justiz und Polizei und wird zu einer nicht hinnehmbaren Mehrbelastung der Staatsanwaltschaften führen. Dies stellt den Nutzen der elektronischen Aktenführung insgesamt in Frage.

 

B. Bewertung im Einzelnen

Die Rechtsverordnungen auf den Rechtsgrundlagen in den §§ 32 StPO sind wichtige Voraussetzungen der gesetzlich ab 2026 angeordneten elektronischen Aktenführung im Strafverfahren. Gegen die vorgesehenen Regelungen bestehen aus Sicht des Deutschen Richterbundes folgende Bedenken:

1. Die Verordnungsentwürfe (vgl. etwa § 1 BStrafAktFV-E; § 1 StrafAktÜbV-E; DokErstÜbV-E unter A.) führen – jedenfalls nach deren Begründung – eine Trennung zwischen einem polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Bereich herbei, die mit der geltenden Rechtslage,  insbesondere dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Ermittlungsverfahrens,  nicht vereinbar ist. Außerdem erschwert sie eine medienbruchfreie Kommunikation zwischen Justiz und Polizei und wird zu einer nicht hinnehmbaren Mehrbelastung der Staatsanwaltschaften führen, was den Nutzen der elektronischen Aktenführung insgesamt in Frage stellt. Der Deutsche Richterbund regt daher dringend an, die geplanten Regelungen zu überdenken:

Die genannten Regelungsentwürfe betreffen die „elektronisch geführten Strafverfahrensakten der Staatsanwaltschaften, der Finanzbehörden in Ermittlungsverfahren nach § 386 Abs. 2 AO und der Gerichte“. Daraus soll nach der Begründung der Verordnungsentwürfe folgen, dass vom Anwendungsbereich der Verordnung Ermittlungsvorgänge der Polizei- und der übrigen Steuerfahndungsbehörden ausgenommen seien. Demgegenüber differenziert § 32 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht danach, ob die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft selbst oder einer Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft (§ 152 GVG) eingeleitet werden noch schließt die Regelung eine Bearbeitung der Strafakte durch Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft aus. Vielmehr werden mit der Eröffnung des Anwendungsbereichs der StPO ab dem 1. Januar 2026 die Strafakten insgesamt elektronisch zu führen sein. Aus der Aktenführungsbefugnis der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren folgt nicht, dass bei den Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft keine Aktenbearbeitung stattfinden würde. Vielmehr umfasst die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, die Ermittlungspersonen anzuweisen, die Strafakten nach den Vorgaben des sachleitenden Staatsanwalts oder der sachleitenden Staatsanwältin vorzubereiten und zu strukturieren. Davon geht zu Recht auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs aus (vgl.
BT-Drs. 18/9416, S. 44).

Im Gegensatz dazu würden die geplanten Regelungen dazu führen, dass Staatsanwaltschaften mit ihren Ermittlungspersonen zukünftig keine Akten mehr, sondern nur noch elektronische Einzeldokumente oder Papierdokumente austauschen könnten. Mangels entsprechender Regelungen in den Verordnungsentwürfen ist unklar, in welcher Ordnung oder Struktur die Einzeldokumente – statt wie bisher als geordnete Ermittlungsakte – übersandt werden sollen. Wenn die Verordnungsentwürfe dazu führen, dass eine geordnete Ermittlungsakte regelmäßig erst bei der Staatsanwaltschaft angelegt werden muss, führt dies zu einer nicht gerechtfertigten Mehrbelastung der Staatsanwaltschaften.

Die in den Verordnungsentwürfen gegebene Begründung, dass Ermittlungsvorgänge sowohl repressive als auch gefahrenabwehrrechtliche Gegenstände betreffen könnten, die anderen Zwecken als strafprozessuale Verfahrensakten dienten, und dass polizeiliche Vorgänge somit weiterhin in den polizeieigenen elektronischen Systemen oder auch in Papierform geführt würden, überzeugt nicht. Die Abgrenzung hat – wie bisher – nach der einschlägigen Rechtsgrundlage für die jeweilige polizeiliche Maßnahme zu erfolgen. Sobald der Anwendungsbereich der StPO eröffnet ist (repressive Maßnahme), handelt es sich um Vorgänge im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, die den §§ 32 ff. StPO unterfallen.

2. § 2 Abs. 2 Satz 6 BStrafAktFV-E normiert die fortlaufende Nummerierung des Repräsentats. Aus der Regelung ergibt sich nicht eindeutig, worauf sich die Pflicht zur fortlaufenden Nummerierung bezieht. Der Richterbund regt  an klarzustellen, dass die Strafakte auch in (gesondert zu nummerierende) Teilakten untergliedert werden kann. In der Praxis werden neben der Hauptakte zumindest eine Vorakte, ein Vollstreckungs- und Kostenheft sowie eine Handakte angelegt. In komplexen Verfahren wird die Hauptakte zudem häufig in weitere Teilakten untergliedert (z.B. im Wege einer täter- oder tatortorientierten Strukturierung). Vor diesem Hintergrund ist eine fortlaufende Nummerierung des Repräsentats über die einzelnen Teilakten hinweg nicht sinnvoll.

3. Wir regen außerdem an klarzustellen, dass das Verbot der inhaltlichen Veränderung elektronischer Dokumente sowie sonstiger Dateien und Informationen (§ 3 Abs. 1 BStrafAktFV-E) erst gilt, wenn die Akte abschließend paginiert wurde. Insbesondere in komplexen Verfahren ist es notwendig, die Ermittlungsakte wegen der notwendigen komplexen Aktenstruktur zunächst ohne feste Paginierung anzulegen.

4. Der Begriff der "Kopie" in § 3 Abs. 3 StrafAktÜbV-E ist unklar. Denn die bei der abgebenden Stelle verbleibende Akte dürfte im weiteren Verfahren nicht fortgeschrieben werden, stellt also keine Kopie der abgegebenen Akte dar.

5. Der Deutsche Richterbund regt an, die technischen und organisatorischen Maßnahmen im Sinne von § 32f Abs. 4 StPO zum Schutz des Akteninhalts vor unbefugter Kenntnisnahme Dritter bei der Akteneinsicht präziser zu regeln. Insbesondere ist unklar, ob die Kenntlichmachung auf jeder Seite zu erfolgen hat, oder nur einmalig.

6. Wir weisen darauf hin, dass die Entwürfe – entgegen der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (BT-Drs. 18/9416, S. 67) – keine Regelungen zu Verschlusssachen enthalten.