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Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt grundsätzlich das gesetzgeberische Vorhaben, ein neues Stammgesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten einzuführen. In der Tat dürfte die geltende Rechtslage, wonach Straftaten, die aus Verbänden heraus begangen werden, gegenüber dem Verband ausschließlich durch eine Geldbuße nach dem OWiG geahndet werden können, in Teilen nicht mehr ausreichend und zeitgemäß sein. Das geplante Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (VerSanG-E) schafft insoweit Abhilfe, indem es unter anderem das Sanktionsspektrum erweitert und differenzierte Möglichkeiten staatsanwaltschaftlicher bzw. gerichtlicher Verfahrenseinstellungen nach dem Opportunitätsprinzip vorsieht. Die Strafjustiz erlangt dadurch mehr Spielraum und Flexibilität, um effektiv und angemessen auf Fehlverhalten zu reagieren. Darüber hinaus trägt der Gesetzentwurf der gestiegenen Bedeutung der unternehmensinternen Compliance Rechnung, indem er zahlreiche Anreize für die Selbstreinigung innerhalb eines Unternehmens schafft.

Gegen das geplante Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten bestehen ungeachtet des prinzipiell begrüßenswerten Ansatzes in Ansehung der gegenwärtigen Ausstattung der Strafjustiz ganz erhebliche Bedenken. Diese Bedenken rühren insbesondere aus der Einführung des Legalitätsprinzips.

Die Einführung des Legalitätsprinzips wird in der beabsichtigten Form zu einem massiven Zuwachs an aufwändigen Verfahren bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten führen, der mit den derzeit zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht einmal ansatzweise so zu bewältigen sein wird, wie sich der Reformgesetzgeber dies vorstellt. Immerhin ist in den Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften mit einer Steigerung der Verfahrenszahlen um bis zu 50% zu rechnen, da Wirtschaftsverfahren regelmäßig mit Verbandssanktionsverfahren einhergehen werden.

Wenn man die Zielsetzungen des Gesetzentwurfes erreichen will, dann muss die Personalsituation in der Justiz, aber auch die Ausstattung der Polizei und der Steuerfahndung – und zwar nicht nur im Personalbereich, sondern auch im Hinblick auf IT-Forensik, wirtschaftliche Sachverständige, Auswertung von Unternehmensdaten etc. – ganz erheblich aufgestockt und verbessert werden. Die Ermittlungsbehörden sind für die Umsetzung dieses Gesetzes bislang nicht ausreichend ausgestattet: Es fehlen Ressourcen und Expertise zu spezifisch ökonomischen Fragestellungen.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

Das geplante Regelungsregime bedarf aus Sicht des Deutschen Richterbundes – sieht man von der äußerst kritisch gesehenen Einführung des Legalitätsprinzips ab – in materieller Hinsicht punktuell der Präzisierung und Klarstellung.

 

Zu einzelnen Regelungen

1. Nach § 14 VerSanG-E können die Gerichte bei einer großen Zahl von Geschädigten neben der Verhängung einer Verbandssanktion die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung anordnen. Die gerichtliche Ermessensausübung hat sich der Entwurfsbegründung zufolge an dem Zweck der Vorschrift zu orientieren, nämlich die durch die Verbandstat Geschädigten zu informieren. Zugleich heißt es in der Begründung des Entwurfs, eine Veröffentlichung sei regelmäßig etwa dann nicht mehr erforderlich, wenn das Verfahren bereits Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in den Medien gewesen sei.

In Wirtschaftsstrafverfahren mit einem größeren Kreis von Geschädigten ist eine umfangreiche Medienberichterstattung jedoch der Regelfall. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes dürfte die in § 14 VerSanG-E vorgesehene Regelung daher entbehrlich sein.

Bedenken bestehen auch gegen den unbestimmten Rechtsbegriff der „großen Zahl“.

Die Entwurfsbegründung zählt zwar zahlreiche Stellen auf, an denen der Begriff der „großen Zahl“ im Strafgesetzbuch Erwähnung findet. Diese Aufzählung ist für die Auslegung von § 14 VerSanG-E indes wenig erhellend und trägt nicht zu der erforderlichen Rechtsklarheit bei. Unklar bleibt dem Gesetzentwurf zufolge auch, wer die Veröffentlichung vorzunehmen hat.

2. § 17 VerSanG‐E sieht eine Milderung der Verbandssanktionen vor, wenn der Verband „wesentlich dazu beigetragen“ hat, die Verbandstat aufzuklären, er „ununterbrochen und uneingeschränkt“ mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet, eine interne Untersuchung durchführt und deren Ergebnisse einschließlich „wesentlicher Dokumente“ und des Abschlussberichts zur Verfügung stellt. In diesem Fall kann die Höchstgrenze der Verbandssanktion auf die Hälfte gemindert werden und auch die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung des Verbandes entfällt (§ 18 VerSanG‐E).

Mit dieser Regelung vermittelt der Reformgesetzgeber zwar den Anschein, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund des Legalitätsprinzips ermittelt. De facto werden aber auf diese Weise ganz erhebliche Anreize zur Privatisierung der Ermittlungen gesetzt und der Staatsanwaltschaft wird zum Ende der internen Untersuchung nur noch ein schwerlich kontrollierbares Ergebnis dieser internen Untersuchung übermittelt. Ob und inwiefern es sich bei den übergebenen Dokumenten um „wesentliche Dokumente“ handelt (§ 17 Abs. 1 Nr. 4 VerSanG-E) wird im Rahmen der Ermittlungen kaum noch zu klären sein.

Ebenso kritisch wird gesehen, dass für die Sanktionsmilderung bereits die „ununterbrochene und uneingeschränkte Zusammenarbeit“ genügen soll. Die Entwurfsbegründung lässt weitestgehend offen, wie sich der Reformgesetzgeber die nähere Ausgestaltung in der Praxis vorstellt, insbesondere ob insoweit die Qualität der Zusammenarbeit entscheidend ist oder es lediglich auf die Quantität ankommen soll.

3. Eine Voraussetzung für die Sanktionsmilderung ist, dass ein mit internen Untersuchungen beauftragter Dritter nicht zugleich Verteidiger des Verbandes ist (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E). Laut Entwurfsbegründung mindere die Verbindung von verbandsinternen Untersuchungen und Unternehmensverteidigung die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse der internen Untersuchungen und führe zu Konflikten mit dem Strafverteidigungsmandat. Demgegenüber sichere die funktionale Trennung dem jeweiligen Untersuchungsführer eine größere Eigenständigkeit gegenüber der Unternehmensverteidigung. Die Entwurfsbegründung schließt es jedoch explizit nicht aus, eine Person als Verteidiger des Verbandes zu beauftragen, die der Kanzlei angehört, welche die verbandsinterne Untersuchung durchgeführt hat, sofern die Person nicht selbst an den Internal Investigations mitgewirkt hat.

Diese Einschränkung wird sich praktisch schwer durchsetzen und überprüfen lassen. Wenn z.B. Verteidigung und interne Untersuchung in derselben Kanzlei in Auftrag gegeben werden, ist es nur schwer vorstellbar, dass und welche organisatorischen Maßnahmen zu einer strikten Trennung der Aufgabenbereiche beitragen sollen.

4. Die Sanktionsmilderung bei verbandsinternen Untersuchungen soll ferner nur gewährt werden, wenn die Grundsätze eines fairen Verfahrens beachtet werden. Dazu zählt nach § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG‐E, dass „Mitarbeiter“ vor der Befragung darüber belehrt werden, dass ihre Angaben in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 a) VerSanG‐E), „Befragte“ einen Rechtsanwalt oder ein Mitglied des Betriebsrates hinzuziehen können und „Befragten“ ein Recht zur Auskunftsverweigerung auf solche Fragen zusteht, bei deren Beantwortung sie sich oder einen Angehörigen der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen können (§ 17 Abs. 1 Nr. 5 b) und c) VerSanG‐E).

Der Deutsche Richterbund begrüßt diese Ausweitung der Selbstbelastungsfreiheit auf arbeitsrechtliche Befragungen im Rahmen interner Untersuchungen, da sie etwaigen Verwertungsproblemen vorbeugt. Sie ist auch folgerichtig. Denn es wäre nicht nachvollziehbar, wenn Verbänden die Milderungen nach § 18 VerSanG‐E zugutekämen, ohne dass die Ergebnisse interner Untersuchungen verwertbar wären.

Indes besteht aus Sicht des Deutschen Richterbundes bei einzelnen Formulierungen dieser Gesetzespassage Klarstellungsbedarf.

Es sollte konkretisiert werden, ob und gegebenenfalls welche Auswirkungen die voneinander abweichenden Formulierungen in § 17 Abs. 1 Nr. 5 a) VerSanG-E – dort ist von „Mitarbeitern“ die Rede – und § 17 Abs. 1 Nr. 5 b) und c) VerSanG-E – dort heißt es „Befragte“ – haben sollen. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, wer vor der Befragung worauf hinzuweisen ist. Etwaige Verwertungsprobleme könnten etwa dadurch vermieden werden, dass alle Befragten darauf hingewiesen würden, dass Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden könnten.

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, § 17 Abs. 1 Nr. 5 VerSanG-E dahingehend zu ergänzen, dass bei der Befragung von gesetzlichen Vertretern zusätzlich auf das in § 33 VerSanG-E vorgesehene Auskunftsverweigerungsrecht hingewiesen wird. Sofern ein solcher Hinweis im Rahmen der verbandsinternen Untersuchungen nicht in entsprechender Weise erfolgte, könnte dies späteren Verwertungsproblemen den Boden bereiten.

5. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VerSanG-E kann das Gericht das Vorliegen eines besonders schweren Falles feststellen. Ein besonders schwerer Fall soll in der Regel vorliegen, wenn in der Verbandstat besondere gegen den Verband sprechende Umstände zum Ausdruck kommen und unter anderem eine Verbandstat der Leitungsperson vorliegt, die im Mindestmaß mit einer erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist, sofern weitere Voraussetzungen vorliegen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VerSanG-E).

Die Formulierung in § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VerSanG-E ist wenig verständlich. Erst ein Blick in die Entwurfsbegründung zeigt, dass der Reformgesetzgeber damit auf Fälle abzielt, in denen in der gegenständlichen Tat „eine verfestigte Struktur oder Organisation beziehungsweise ein verfestigtes Geschäftsgebaren zum Ausdruck kommt“. Es wäre aus Sicht des Deutschen Richterbundes wünschenswert, den Gesetzwortlaut an die gesetzgeberische Intention anzupassen, um Auslegungsschwierigkeiten in der Praxis vorzubeugen.

6. Gemäß § 38 VerSanG‐E kann die Strafverfolgungsbehörde ein Verfahren im Hinblick auf eine künftig zu erwartende Sanktionierung des Verbandes im Ausland vorläufig einstellen.

Der Deutsche Richterbund hält es in diesen Fallkonstellationen für erforderlich, die vorläufige Einstellung mit einer Verjährungsunterbrechung oder einer Verjährungshemmung zu verbinden. Denn deutsche Strafverfolgungsbehörden haben auf die Dauer der Ermittlungen im Ausland keinen Einfluss. Mitunter können sich solche, im Ausland geführte Ermittlungen über Jahre erstrecken, ohne dass Zeitpunkt und Ergebnis ihres Abschlusses mit hinreichender Sicherheit absehbar wären. In diesem Zusammenhang schafft auch die Informationspflicht des jeweiligen Verbandes gemäß § 38 Abs. 2 VerSanG‐E keine Abhilfe. Es steht daher zu befürchten, dass derlei Verfahren nur deshalb wiederaufgenommen werden müssten, weil anderenfalls die Verjährung in Deutschland droht, oder aber dass in Ansehung der potentiellen Dauer von im Ausland geführten Verfahren von vornherein von der Einstellungsmöglichkeit gemäß § 38 VerSanG-E kein Gebrauch gemacht wird.

 

Massive Mehrbelastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten

1. Die mit dem Gesetzentwurf einhergehende Einführung des Legalitätsprinzips wird zu einem massiven Zuwachs an aufwändigen Verfahren bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten führen.

Der bei den Staatsanwaltschaften zu erwartende Mehraufwand bei den Ermittlungen dürfte in keinem Verhältnis zu dem Aufwand stehen, der in Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen Unternehmen gemäß §§ 30, 130 OWiG zu betreiben ist. Diese Problematik kann anhand zweier Bereiche exemplarisch demonstriert werden, bei denen sich überdies zugleich die Frage aufdrängt, ob und inwiefern die Einleitung eines Verfahrens überhaupt sinnvoll ist.

Bei Umsatzsteuerkarussellen oder Umsatzsteuerbetrugsketten wäre nach der neuen Rechtslage zunächst einmal gegen nahezu jedes Unternehmen der Kette ein Verfahren einzuleiten. Denn die Zuständigkeit für die Steuererklärung liegt bei der Leitungsebene und damit dem Kreis der Täter aus § 2 Abs. 1 VerSanG-E. In der Praxis ist aber die Verhängung einer Verbandsgeldbuße bei zahlreichen Kettengliedern – sieht man von wenigen Ausnahmen ab, etwa bei involvierten Banken oder Finanzdienstleistern – nicht zielführend. Entweder handelt es sich um Scheinunternehmen, das Leitungspersonal sitzt im Ausland oder aber es ist regelmäßig kein Zugriff mehr auf entsprechende Gelder bzw. Vermögenswerte möglich. Die Taterträge werden regelmäßig zeitnah auf ausländische Finanzplätze abverfügt und legales Geschäft fehlt in vielen Fällen. Oft ist die Insolvenz die Folge des Zugriffs. Es drängt sich für diesen Bereich, aber auch für andere Insolvenzstraftaten, unmittelbar auf, dass mit Verbandssanktionen kein effektiver Mehrwert verbunden ist, da das Unternehmen ohnehin aufgelöst wird und eine zugriffsfähige Geldmasse in den seltensten Fällen, wenn überhaupt, existiert. Die Folge wäre dann das Absehen von der Verfolgung gemäß § 39 VerSanG-E.

Auch bei Ermittlungen in Cum-Ex-Geschäften wäre unter Geltung des Legalitätsprinzips gegen zahllose Kettenglieder, die in die Lieferung der Aktien eingebunden waren, Ermittlungsverfahren einzuleiten, ohne dass das Ermittlungsergebnis dies am Ende rechtfertigen würde. Ohne dass dieser Kreis der Unternehmen zu denjenigen Personen zählt, die das Cum-Ex-Geschäft strukturieren, sind sie zu Verschleierungszwecken eingesetzt und verdienen marginal an den entsprechenden Geschäften. Die Folge wären sehr aufwändige Rechtshilfeersuchen, die mit einem ganz erheblichen Ermittlungsaufwand einhergehen, um die Verantwortlichkeit des Verbandes zu bestimmen. Häufig sind an diesen Geschäften nur wenige Leitungspersonen beteiligt, so dass Ermittlungen zum Compliance-System erforderlich sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E).

Wie bei den Staatsanwaltschaften wird auch bei den Gerichten ein erheblicher Personalmehrbedarf entstehen. Sollen Verbandsmitarbeiter und Verband gleichermaßen belangt werden, entsteht zwangsläufig zusätzlicher Verhandlungsaufwand. Neben der Tat eines einzelnen Angeklagten gilt es, Geschäftspraktiken und Verflechtungen innerhalb des gesamten Verbandes aufzuklären, um die jeweilige Verantwortlichkeit zu erhellen und den Boden für Entscheidungen über angemessene Sanktionen oder aber für Opportunitätsentscheidungen zu bereiten. 

2. Ein zentrales Anliegen des Reformgesetzgebers ist es, rechtssichere Anreize für Investitionen in Compliance-Maßnahmen zu schaffen. Bei der Bemessung einer Verbandsgeldsanktion soll strafschärfend und strafmildernd berücksichtigt werden, ob und auf welche Weise ein Verband Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten getroffen hat (§ 15 Abs. 3 Nr. 6 und Nr. 7 VerSanG-E). Statt eine Verbandsgeldsanktion zu verhängen, kann das Gericht auch eine Verwarnung aussprechen und die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion vorbehalten (§§ 10, 11 VerSanG-E). In diesem Zuge können einem Verband Weisungen auferlegt werden, um der Begehung von Verbandstaten entgegenzuwirken. In Betracht kommen insbesondere Weisungen zur Einführung von Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten, etwa zur Einführung oder Fortentwicklung von Compliance‐Prozessen. Damit ist die Frage, ob ein geeignetes Compliance-System vorlag oder im Laufe der Ermittlungen oder während der Dauer der Vorbehaltszeit errichtet wird, von entscheidender Bedeutung.

Eine derartige Qualitätsprüfung eines Compliance-Systems ist – zumindest bei Konzernen, bei denen auch tatsächlich ein Compliance-System vorhanden ist – sehr aufwändig und bedarf einer besonderen Sachkunde, die weder bei den Staatsanwaltschaften noch bei den sonstigen Ermittlungsbehörden oder den Gerichten vorgehalten wird. Wenn die gesetzgeberischen Ziele erreicht werden sollen, ist der Aufbau der entsprechenden Sachkunde innerhalb der Strafjustiz von zentraler Bedeutung.

Ferner werden in solchen Verfahren regelmäßig Sachverständige hinzuzuziehen sein. Die hierfür in Betracht kommenden Sachverständigen sind in der Regel bei den großen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften zu finden und in der Praxis oftmals nicht dazu bereit, zu den JVEG-Sätzen – welche sich von den marktüblichen Stundensätzen um den Faktor 3-5 unterscheiden – tätig zu werden. Jedenfalls dürfte mit ganz erheblichen Sachverständigenkosten zu rechnen sein, die nur im Falle einer Verurteilung und noch vorhandener Solvenz des sanktionierten Verbandes nicht von der Staatskasse zu tragen sein werden. Die dadurch zu erwartenden Mehrkosten sind als Vollzugskosten einzupreisen.

3. Die zusätzlichen Belastungen bleiben freilich nicht auf das operative Tagesgeschäft beschränkt. Auch in puncto Fortbildung wird ein ganz erheblicher Mehrbedarf bestehen, damit Staatsanwälte wie Richter entsprechende Berührungsängste verlieren, wenn Fragen rund um Compliance-Systeme schon bei der Einleitung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG) oder in späteren Verfahrensstadien die Wirksamkeit von Compliance-Maßnahmen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG; § 15 Abs. 3 Nr. 6 und Nr. 7 VerSanG-E: Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten) oder Fragen der Ausfallhaftung wegen Einflussnahme (§ 7 VerSanG-E), der Rechtsnachfolge (§ 6 VerSanG-E) und damit genuin handels- (Übernahme wesentlicher Wirtschaftsgüter i.S.v. § 7 Abs. 1 VerSanG-E), gesellschafts- (vgl. §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E; § 15 Abs. 3 Nr. 6 und Nr.7 VerSanG-E: Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten), konzern- (z. B. bestimmender Einfluss i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E) und umwandlungsrechtliche Fragestellungen (z. B. § 6 VerSanG-E) bzw. restrukturierungsrechtliche Fragestellungen (z. B. im Zusammenhang mit der Ausfallhaftung gem. § 7 VerSanG-E) zu beurteilen werden haben. Dieser Fortbildungsbedarf wird absehbar von den fachlich entsprechend geeigneten Kolleginnen und Kollegen auf Seiten der Justiz zu tragen sein, die ohnehin schon operativ völlig überlastet sein werden.

4. Der Deutsche Richterbund hält die Einschätzung des Reformgesetzgebers, der zu erwartende Mehraufwand würde dadurch relativiert, dass der neue Tatbestand der Verbandsverantwortlichkeit (§ 3 VerSanG-E) an strafbares Verhalten anknüpfte, bei dem die Strafverfolgungsbehörden auch bisher schon strafrechtliche Ermittlungen durchgeführt hätten, für vage und deutlich zu optimistisch.

Ermittlungsumfang und Ermittlungsaufwand werden sich infolge der gänzlichen Novellierung des Verfahrens bei gleichzeitiger Geltung des Legalitätsprinzips erheblich steigern. Unter Umständen sind Ermittlungen in gänzlich unterschiedlicher Weise und mit zahlreichen, sich gegenseitig möglicherweise sogar behindernden Ermittlungsmaßnahmen zu führen. Um Beweismittel zu sichern, wäre die Staatsanwaltschaft künftig dazu angehalten, Ermittlungen gegen den Verband mit Ermittlungen gegen Verbandsverantwortliche zu flankieren, selbst wenn die Tatvorwürfe gegen diese Verbandsverantwortlichen in der Relation nur von geringem Gewicht sind. Selbst in Bagatellfällen würde die Ermittlungsarbeit dadurch unnötig verkompliziert. Ferner decken sich die Ermittlungen, ob Sanktionen gegen ein Unternehmen erforderlich und welche Sanktionen angemessen sind, gerade nicht mit den strafrechtlichen Ermittlungen gegen Beschuldigte.

Zwar sieht der Entwurf – dies ist ausdrücklich zu begrüßen – zahlreiche Möglichkeiten vor, nach dem Opportunitätsprinzip zu verfahren (z. B. §§ 36 f. VerSanG-E). Dies allein vermag aber die grundsätzlichen Bedenken gegen die Einführung des Legalitätsprinzips jedoch nicht zu beseitigen.

Es hat sich in der Vergangenheit bewährt, dass die erfahrenen staatsanwaltschaftlichen Dezernenten in den Fällen, in denen es erfolgversprechend ist, entscheiden, ein entsprechendes Verfahren einzuleiten oder die justiziellen Ressourcen gezielt für aussichtsreiche Fälle einzusetzen. Die unterschiedslose Pflicht zur Einleitung wird insbesondere in den Wirtschaftsabteilungen der Staatsanwaltschaften zwangsläufig zu einem massiven Zuwachs an Ermittlungsverfahren und besonderer Ermittlungsarbeit führen, der nicht durch die bisherigen Ermittlungen bereits abgebildet wird. Sie wird häufiger als bisher nur zu wenig erfreulichen Ergebnissen führen, während die Ressourcen für – im strafrechtlichen Sinn – lohnenswerte Ermittlungen weiter verknappt werden.

Um den Zuwachs an Verfahren und Ermittlungen adäquat bewältigen zu können, bietet es sich neben der dringend gebotenen Verbesserung der Ausstattung der Strafjustiz mit Personal- und Sachmitteln an, die Ressourcen der Strafjustiz durch zusätzliche Möglichkeiten der zügigen Verfahrenserledigung zu schonen. Beispielsweise könnte erwogen werden, die im Rahmen des Strafbefehlsverfahren festzusetzenden Rechtsfolgen dergestalt zu erweitern, dass bei Vergehen Freiheitsstrafen zur Bewährung auch bis zur Höhe von zwei Jahren bei Verfahren vor dem Amts- und Landgericht verhängt werden können, wenn – wie bisher auch – ein Verteidiger beteiligt ist (vgl. § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO).

 

Folgerungen für die Ausstattung der Strafjustiz mit Personal- und Sachmitteln

Bei der derzeitigen personellen und sachlichen Ausstattung ist stark anzuzweifeln, dass das neue Verbandssanktionsrecht effektiv zur Anwendung gelangt. Das Legalitätsprinzip droht leer zu laufen, mit der Folge, dass es mehr als fraglich ist, ob die erhoffte Wirkung eintreten wird: Mag die angedrohte Sanktion noch so hoch sein, eine abschreckende Wirkung wird nur dann eintreten, wenn die Entdeckungs- und Aufklärungswahrscheinlichkeit hoch ist.

Dies dürfte aber bei der derzeitigen personellen Ausstattung der Staatsanwaltschaften, die selbst in großen Wirtschaftsabteilungen mit einer vergleichsweise geringen Zahl von Dezernenten bei Großverfahren einer Vielzahl von spezialisierten Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern gegenüberstehen, oft nicht der Fall sein. Bereits jetzt erfordert die Führung von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen die Verantwortlichen großer Wirtschaftsunternehmen den Einsatz hochgradig spezialisierten Personals bei Staatsanwaltschaften und Gerichten mit profunden wirtschafts(straf-)rechtlichen Spezialkenntnissen. Mit der geplanten Neuregelung droht – das schon in der Vergangenheit häufig beklagte – Wissens- und Erfahrungsgefälle zwischen Verteidigung und Justiz vertieft zu werden.

Die wirksame Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität setzt gerade in der Anfangszeit den Aufbau eines entsprechenden Personalbestandes voraus, um den Mehrbedarf an Ermittlungen und die Bestimmung der angemessenen Unternehmenssanktion aufzufangen. Spezialisierte Kolleginnen und Kollegen müssen in verstärktem Maß für die Justiz rekrutiert bzw. hier entsprechend aus- und fortgebildet werden.

Auch die Zahl der Wirtschaftsreferenten wird aufgestockt werden müssen, um die vom Reformgesetzgeber gewünschten Ermittlungen führen zu können. Denn das Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten verlangt unter anderem die Beurteilung der Wirksamkeit von Compliance-Systemen, wozu die Vertreterinnen und Vertreter der Justiz, von seltenen Ausnahmen abgesehen, nach dem heutigen Stand gar nicht in der Lage sind, so dass sie in der Praxis – notgedrungen – regelmäßig auf die Einschätzung von Anwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften angewiesen sind.

Die personellen Ressourcen, die auf Seiten der IT-Fahnder notwendig sind, um den Verfahrens- und Auswertungszuwachs zu bewältigen, sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Schon jetzt muss vielfach extern auf IT-Sachverständige zurückgegriffen werden, weil die Auswertung durch die Polizei oder die Steuerfahndung sonst Monate, teilweise Jahre dauern würde. Der Reformgesetzgeber muss daher, wenn er die selbst gesteckten Ziele erreichen will, auf Seiten der IT-Ausstattung massiv personelle Ressourcen und vor allem auch Sachmittel (ausreichende Zahl von ständig verfügbaren Auswerteplätzen, Lizenzen für Auswerteprogramme, Serverkapazitäten etc.) aufbauen.

Der Deutsche Richterbund fordert daher, dass der Gesetzgeber den Vollzugsaufwand des VerSanG für die Gerichte und Staatsanwaltschaften möglichst konkret beziffert und die Kostenfolgen transparent darlegt. Zudem gilt es sicherzustellen, dass die laut Entwurfsbegründung „nicht quantifizierbaren Mehreinnahmen der Staatskasse“ aus den künftig zu erwartenden Sanktionsverfahren auch der Justiz zugutekommen. Denn es ist die Justiz, die einen Großteil der aus dem Gesetz erwachsenden Mehrbelastungen zu tragen haben wird.