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In den konkreten Normenkontrollverfahren 2 BvL 6/17, 2 BvL 7/17 und 2 BvL 8/17 - Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Köln vom 3. Mai 2017 - 3 K 3913/14, 3 K 6173/14 und 3 K 7038/15 -

nimmt der Deutsche Richterbund gemäß § 27a BVerfGG wie folgt Stellung:

 

1. Der Deutsche Richterbund begrüßt die vom Verwaltungsgericht Köln beschlossenen Vorlagen zur Überprüfung der Amtsangemessenheit der Alimentation bezogen auf die kinderbezogenen Bestandteile der Besoldung für das dritte und weitere Kinder der Besoldungsgruppe R 2 für die Jahre 2013 bis 2015 in Nordrhein-Westfalen.

Der Deutsche Richterbund teilt die Auffassung der vorlegenden Kammer des Verwaltungsgerichts Köln, dass die den Klägern für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Dezember 2015 jeweils gewährte Besoldung verfassungswidrig zu niedrig war. Die Kammer hat mit überzeugender Begründung unter Zugrundelegung des vom Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 30. März 1977 (2 BvR 1039/75 u. a.), vom 22. März 1990 (2 BvL 1/86) und vom 24. November 1998 (2 BvL 26/91 u. a.) entwickelten Maßstabs festgestellt, dass der kinderbezogene Bestandteil der Besoldung bei Richtern und Staatsanwälten mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern in den Jahren 2013, 2014 und 2015 hinter dem um 15 Prozent erhöhten sozialhilferechtlichen Bedarf des dritten bzw. vierten Kindes zurückbleibt. Dabei hat die Kammer im Grundsatz in zutreffender Weise den verfassungsrechtlichen Maßstab und die darauf beruhende Berechnung des sozialhilferechtlichen Bedarfs des dritten bzw. vierten Kindes für den streitgegenständlichen Zeitraum weiterentwickelt und den Änderungen im Sozialhilferecht angepasst.

 

2. Soweit das Verwaltungsgericht Köln bei der Ermittlung des durchschnittlichen Mehrbetrags, den ein Richter / Staatsanwalt für das dritte und jedes weitere Kind gegenüber einem Richter / Staatsanwalt mit zwei Kindern erhält, die Einkommensdifferenz pauschaliert berechnet und offen gelassen hat, ob bei der Berechnung des Nettoeinkommens der Richter / Staatsanwälte die Aufwendungen für eine Krankheitskostenversicherung einkommensmindernd in Abzug zu bringen sind, ist dies für die vorliegenden Sachverhalte nachvollziehbar und konsequent, da in allen drei den Vorlageverfahren zugrundeliegenden Fällen auch schon ohne Abzug der Kosten einer Krankheitskostenversicherung die Nettoeinkommensdifferenz zwischen Richtern / Staatsanwälten mit zwei Kindern und drei bzw. vier Kindern nicht 115 Prozent des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs erreichen würde.

Die bislang noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage, ob die Kosten einer Krankheitskostenversicherung bei der Ermittlung des Nettoeinkommens abzuziehen sind, bedarf aber dringend der verfassungsgerichtlichen Klärung, da diese bei abweichender Beurteilung einzelner Berechnungsparameter jederzeit entscheidungserheblich werden kann und sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass sowohl Bund als auch die Länder im Rahmen der Besoldungsgesetzgebung regelmäßig die Besoldung nicht entsprechend den gesamtwirtschaftlichen Verhältnissen angepasst haben und die Besoldung daher regelmäßig nicht der herausragenden Qualifikation, dem Ansehen des Amtes in der Gesellschaft, der Beanspruchung und Verantwortung des Amtsinhabers entspricht, sondern sich vielfach nur an der Grenze zur verfassungswidrigen Unteralimentation orientiert. Anderenfalls droht im Rahmen der pauschalierten Betrachtung eine Verzerrung der Vergleichsgrundlagen, welche im Rahmen der Besoldungsgesetzgebung regelmäßig zum Nachteil der Richter / Staatsanwälte führt.

Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, dass im Rahmen der vorzunehmenden Vergleichsberechnungen bei der Ermittlung des verfügbaren Nettoeinkommens die Kosten einer Krankheitskostenversicherung für den betroffenen Richter / Staatsanwalt und die berücksichtigungsfähigen Familienmitglieder in Abzug zu bringen sind. Dies folgt schon daraus, dass seit dem 1. Januar 2009 gemäß § 193 Abs. 3 VVG die allgemeine Pflicht zum Abschluss einer Krankheitskostenversicherung besteht, deren Kosten Richter / Staatsanwälte regelmäßig aus ihren Nettobezügen aufbringen müssen (so wohl auch schon der erkennende Senat im Beschluss vom 17. November 2015, 2 BvR 19/09 u.a.), zumal in Nordrhein-Westfalen – wie im Bund und in den anderen Bundesländern auch – die Krankheitskosten bei Richtern / Staatsanwälten nach dem jeweiligen Beihilfesystem nur anteilig übernommen werden.

Die zur Schließung der nach Gewährung von Beihilfe verbleibenden Lücke notwendigen Kosten für eine – in der Regel private – Krankheitskostenversicherung stellt auch eine erhebliche monatliche Belastung für den Richter / Staatsanwalt dar, die das faktisch zur Verfügung stehende Nettoeinkommen signifikant reduziert. Da der Richter / Staatsanwalt grundsätzlich für jedes Kind jeweils gesondert Versicherungsbeiträge zu entrichten hat, steigt die Belastung bei Richtern / Staatsanwälten mit mehr als zwei Kindern in besonderer Weise, was bei der Prüfung der Amtsangemessenheit der Alimentation Berücksichtigung finden muss (so auch Stuttmann, NVwZ 2016, 184, 186 f.). Demgegenüber sind bei Grundsicherungsleistungsempfängern grundsätzlich der Ehepartner und die Kinder beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert. Demzufolge muss der Empfänger von Grundsicherungsleistungen aus den ihm gewährten Leistungen keine Krankheitskostenversicherungsbeiträge bei vollem Krankheitskostenschutz tragen.

Wenn aber bei sozialhilfeberechtigten Familien auch mit mehr als zwei Kindern der betragsmäßig bedeutsame Bedarf der Krankheitskostenversicherung gedeckt wird, ohne im Regelsatz enthalten zu sein, und auch im Übrigen nicht in die Bedarfsberechnung einfließt, müssen zur Wahrung der Vergleichbarkeit der Beurteilungsgrundlagen die Kosten für die Krankheitskostenversicherung beihilfeberechtigter Richter / Staatsanwälte in die Vergleichsbetrachtung einbezogen und bei der Ermittlung des tatsächlich zur Verfügung stehenden Nettoeinkommens berücksichtigt werden.

Praktische Gesichtspunkte stehen der Berücksichtigung der Krankheitskostenversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des verfassungsrechtlich relevanten Nettoeinkommens nicht entgegen. Auch wenn aufgrund des bestehenden Wettbewerbs privater Krankenversicherungen und aufgrund von individuellen Faktoren bei der versicherten Person die Beiträge der Krankheitskostenversicherung unterschiedlich ausfallen können, kann im Rahmen einer pauschalierten Durchschnittsbetrachtung ein zu berücksichtigender üblicher Monatsbeitrag ohne besonderen Aufwand durch Auskunft beim Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. oder durch Auskunft gesetzlicher Krankenversicherungen, die über ausreichendes statistisches Material verfügen, ermittelt werden.

 

3. Die vorlegende Kammer des Verwaltungsgerichts Köln hat im Hinblick auf die grundlegenden Änderungen im Sozialhilferecht die Berechnung des spezifischen Bedarfs von Kindern in Abweichung von der Entscheidung des erkennenden Senats vom 24. November 1998 (2 BvL 26/91 u. a.) angepasst. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass bei Kindern und Jugendlichen spezifische Mehrbedarfe vorliegen, die nicht im Regelsatz enthalten sind. Soweit die Kammer jedoch davon ausgeht, dass dieser spezifische (Mehr-) Bedarf nicht mehr pauschal durch Gewährung eines Zuschlags von 20 Prozent des Durchschnittsregelsatzes zur Abgeltung einmaliger Leistung ermittelt werden kann, sondern nach der zum 1. Januar 2011 erfolgten Neuregelung des Sozialhilferechts als zusätzlicher wesentlicher Bedarf die Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 34 SGB XII zu berücksichtigen sind, ist dem im Grundsatz zuzustimmen. Die Kammer hat von den in § 34 SGB XII erfassten Bedarfen jedoch lediglich die Bedarfe für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten, für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf und die Bedarfe zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft als berücksichtigungsfähig anerkannt. Demgegenüber könnten – so die Kammer – die Bedarfe für Schülerbeförderung gemäß § 34 Abs. 4 SGB XII, für Lernförderung gemäß § 34 Abs. 5 SGB XII und für die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung gemäß § 34 Abs. 6 SGB XII im Rahmen des typisierten sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs unberücksichtigt bleiben, da diese nicht regelhaft bei allen Kindern und Jugendlichen anfielen, sondern nur ein kleiner Teil aus der Gruppe der Sozialhilfeempfänger hiervon betroffen sei.

Der Deutsche Richterbund begrüßt die grundsätzliche Anerkennung eines spezifischen Mehrbedarfs bei Kindern und Jugendlichen. Dabei sind aber sämtliche der in § 34 SGB XII bzw. § 28 SGB II erfassten Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft anzuerkennen und zu berücksichtigen. Anders als das Verwaltungsgericht in seinen Vorlagebeschlüssen ausführt, existiert eine erhebliche Zahl von Leistungsempfängern, die auch bezogen auf die Bedarfe Schülerbeförderung, Lernförderung und Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung Leistungen erhält, die es verfassungsrechtlich gebietet, diese bei der Ermittlung des Gesamtbedarfs zu berücksichtigen.

 

4. Nach Auffassung des Deutschen Richterbundes sind die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts – unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsauffassung –  dahingehend zu beantworten, dass die im Tenor der am 3. Mai 2017 in den Verfahren 3 K 3913/14, 3 K 6173/14 und 3 K 7038/15 verkündeten Beschlüsse genannten Gesetze mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar sind.