# 6/13

zu den Entwürfen der Gesetze zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz (BT-Drs. 17/11701 und 17/11703)

 

Schriftliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 22. April 2013


Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich bedanke mich für die Einladung zur Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 22. April 2013 und nehme zur Sache wie folgt Stellung:

I. Die Selbstverwaltung der Justiz im Grundgesetz

Die Aufnahme der Selbstverwaltung ins Grundgesetz ist grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch muss auch eine selbstverwaltete Justiz das Rechtsstaatsgebot und das Demokratieprinzip beachten. Eine von parlamentarischem Einfluss freie Justizverwaltung widerspricht dem Kerngehalt des Demokratieprinzips des Grundgesetzes und kann deshalb auch durch Verfassungsänderung nicht vorgesehen werden. Dem wird eine Lösung nicht gerecht, die eine Justizverwaltung ausschließlich durch Richter und Staatsanwälte vorsieht. Die richterliche Unabhängigkeit erstreckt sich nicht auf Aufgaben der Justizverwaltung.

Vorgeschlagen wird eine Justizverwaltung ausschließlich durch Richter und Staatsanwälte (Art. 92 Abs. 2 Satz 1 a.E. GG-E). Eine solche autarke Justizverwaltung widerspricht der gegenwärtigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Demokratieprinzip, weil sie keine ausreichende Rück-kopplung von Verwaltungsentscheidungen an das Volk als Träger der Staatsgewalt vorsieht. Hierfür bedarf es zumindest der Mitwirkung von Personen, die vom Parlament gewählt werden. Dies wird für die Richterwahl (Art. 98 GG-E) und im Gesetzentwurf zur institutionellen Unabhängigkeit allerdings zum Teil anerkannt, wenn auch Art. 92 Abs. 2 Satz 1 GG-E im Widerspruch dazu die Verwaltung der Justiz nur durch Richter und Staatsanwälte ohne Beteiligung parlamentarisch entsandter Personen vorsieht.

Auch für die Justizverwaltung gilt, dass nach Art. 20 GG alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht und die Ausübung von Staatsgewalt, wozu auch die Justizverwaltung selbst zählt, der demokratischen Legitimation bedarf. Mit dieser Anforderung ist eine autarke, und damit sich aus sich selbst heraus legitimierende Justiz unvereinbar. Soweit es die Vergabe der Richterämter betrifft, versteht sich dies ohne weiteres von selbst. Es gilt indes auch für alle anderen Maßnahmen der Justizverwaltung und ist nicht mit Blick auf die Unabhängigkeit der Justiz verzichtbar. Die Justizverwaltung ist Verwaltung, nicht Rechtsprechung. Sie gewährleistet das Funktionieren der Rechtsprechung und sichert – idealerweise – institutionell, dass die Rechtsprechung tatsächlich in voller richterlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird. Gleichwohl erstreckt sich die richterliche Unabhängigkeit nicht auf die Aufgaben der Justizverwaltung.


II. Die Rolle der Staatsanwaltschaft

Es entspricht auch der Auffassung des Deutschen Richterbundes (DRB), dass die Staatsanwälte in ein System der Selbstverwaltung einzubinden sind. Dies ist aber von der Frage zu trennen, ob sie zugleich volle „richterliche“ Unabhängigkeit erlangen können.


1. Die Einbeziehung der Staatsanwälte in die Selbstverwaltung der Justiz (Art. 92 Abs. 2 Satz 1 a.E. GG-E)

Verfassungsrecht steht der Einbindung der Staatsanwälte in ein System der Selbstverwaltung der Justiz nicht entgegen.

Das Demokratieprinzip besagt, dass das Volk als Ursprung und Träger einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt haben muss. Jedes amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter bedarf danach der demokratischen Legitimation. Die demokratische Legitimation wird in funktionell-institutioneller, personell-organisatorischer und sachlich-inhaltlicher Weise vermittelt, wobei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets ein bestimmtes Legitimationsniveau erforderlich ist, d.h. nicht die Form der demokratischen Legitimation entscheidet, sondern ihre Effektivität (BVerfGE 83, 60 <72>; 93, 37 <67>; 109, 59 <87>). Die funktionell-institutionelle Legitimation beruht auf einer grundgesetzlichen Aufgabenzuweisung, die personell-organisatorische auf eine vom einzelnen Amtswalter lückenlos auf das Volk zurückführbare Legitimationskette und schließlich die sachlich-inhaltliche auf der Ableitung der Handlungen der Staatsorgane aus dem Willen des Volkes. Im Bereich der Exekutive ist naturgemäß die sachlich-inhaltliche Legitimation von großer Bedeutung. Sie wird durch Weisungsrechte übergeordneter Behörden gegenüber nachgeordneten charakterisiert, die ihrerseits die Grundlage dafür bilden, dass die Verwaltungsspitze – die Regierung – die parlamentarische Verantwortung für den Inhalt des exekutiven Handelns übernehmen kann und muss. Im Unterschied hierzu ist die sachlich-inhaltliche Legitimation der rechtsprechenden Gewalt durch das verfassungsrechtliche Gebot der richterlichen Unabhängigkeit weitestgehend aufgehoben. An dessen Stelle tritt die personell-organisatorische Legitimation, an die deshalb gegenüber der Exekutive herausgehobene Anforderungen zu stellen sind, sowie die strikte Gesetzesbindung. Der Gesetzentwurf des DRB gewährleistet die personell-organisatorische Legitimation durch die Bildung des Justizwahlausschusses und des Justizverwaltungsrates, jeweils mit dem Erfordernis der doppelten Mehrheit.

Werden nun die Staatsanwälte in dieses System eingebunden, profitieren auch sie von einer verbesserten personell-organisatorischen Legitimation. Dies kompensiert den Verlust der durch das externe Weisungsrecht vermittelten sachlich-inhaltlichen Legitimation. Dies zeigt ein Blick auf die Bedeutung dieses Legitimationsstrangs für die Arbeit der Staatsanwälte. Zuvor ist aber festzustellen, dass im Entwurf des DRB mit der Einbeziehung der Staatsanwälte das externe Weisungsrecht als solches nicht entfällt, es wird nur einem anderen Träger, nämlich dem Justizverwaltungsrat übertragen, der seinerseits über eine für exekutives Handeln ausreichende demokratische Legitimation verfügt. Zur Reichweite des externen Weisungsrechts – und damit zur Frage, in welchem Umfang es demokratische Legitimation in sachlich-inhaltlicher Weise vermitteln kann – darf nicht übersehen werden, dass der Anwendungsbereich von § 147 GVG beschränkt ist. Es findet seine Grenzen einerseits im Legalitätsprinzip (§ 152 StPO), andererseits dort, wo die vom Staatsanwalt zu treffende Entscheidung von seinem unmittelbaren Eindruck abhängen und schließlich dort, wo die Weisung justizfremden oder sachwidrigen Erwägungen folgt. Richtschnur ist, dass der Staatsanwalt nur den Rechtswillen, nicht den politischen Machtwillen des Staates zu vertreten hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 146 GVG Rn. 5). Es kann offen bleiben, inwieweit dies den Staatsanwalt aus dem Bereich der Exekutive herausrückt und der Judikative annähert. Jedenfalls zeigt es, dass für sachlich-inhaltliche Einflussnahme im Einzelfall wenig und für politische Einflussnahme kein Raum verbleibt – außer durch Änderung der staatsanwaltlichen Geschäftsverteilung. Der einzig wesentliche Grund für das Weisungsrecht und die sachlich-inhaltliche Legitimation ist, dass der Staat als Träger des Gewalt- wie des Strafmonopols die Möglichkeit besitzen muss, dafür zu sorgen, dass Straftaten verfolgt werden. Diese Funktion ist aber auch dann erfüllt, wenn das Weisungsrecht, wie vorgesehen, einem anderen Träger übertragen wird, dessen demokratisches Legitimationsniveau nicht hinter dem des Ministers zurückbleibt.

Die Teilnahme nicht unabhängiger Staatsanwälte an der Verwaltung unabhängiger Richter beeinträchtigt nicht deren richterliche Unabhängigkeit. Mit der Einbeziehung der Staatsanwälte in die Selbstverwaltung ist die richterliche Unabhängigkeit nicht stärker gefährdet als durch eine ministerielle Justizverwaltung.

Der Staatsanwalt als Mitglied der Justizverwaltung übt in dieser Eigenschaft nicht aber in seiner Eigenschaft als Staatsanwalt die Dienstaufsicht über Richter aus. Ein Verstoß gegen den in § 151 Satz 2 GVG normierten Gewaltenteilungsgrundsatz ist darin nicht zu sehen.


2. Die „richterliche“ Unabhängigkeit der Staatsanwälte (Art. 97 Abs. 1 GG-E)

Es ist mindestens zweifelhaft, ob den Staatsanwälten durch eine Grundgesetzänderung die volle richterliche Unabhängigkeit eingeräumt werden kann, weil hier die Grenzen des Rechtsstaatsprinzips tangiert werden. In der Aufgabenwahrnehmung des Staatsanwalts drückt sich das Gewalt- und Strafmonopol einschließlich des Strafverfolgungsmonopols des Staates aus.  Eine vollständige richterliche Unabhängigkeit der Staatsanwälte würde bedeuten, dass auf das staatliche Strafverfolgungsmonopol verzichtet werden müsste, die Entscheidung der Strafverfolgung in den Grenzen der Unabhängigkeit durch den zuständigen Staatsanwalt getroffen wird.

Wesentlicher Grund für die Abwesenheit der richterlichen Unabhängigkeit bei Staatsanwälten ist weniger der Umstand, dass ihr eingreifendes Handeln der demokratischen Legitimation in sachlich-inhaltlicher Form bedarf, denn soweit ihre Maßnahmen tatsächlich eingreifenden Charakter haben, unterliegen sie dem Richtervorbehalt oder können gerichtlich überprüft werden. Angesichts des beschränkten Anwendungsbereichs des die demokratische Legitimation in sachlich-inhaltlicher Form gewährleistenden (externen – mit Einschränkungen auch des internen) Weisungsrechts ist sein Ziel nicht, die durch das Legalitätsprinzip veranlasste Tätigkeit des Staatsanwalts zu bremsen, sondern dessen Einschreiten auf der Grundlage des Legalitätsprinzips zu gewährleisten. Der Staat ist der Träger des Gewalt- wie des Strafmonopols, einschließlich des Strafverfolgungsmonopols. Deshalb ist er verpflichtet, in diesem Rahmen auch tätig zu werden. Diese Aufgabe kann – was unmittelbar verständlich sein dürfte – nicht einzelnen Amtsträgern zur grundsätzlich eigenverantwortlichen Tätigkeit übertragen werden. Insoweit unterscheidet sich die Situation des Staatsanwalts auch von der des Richters. Die Wahrnehmung der Rechtsprechungsfunktion des Richters setzt einerseits die Anrufung durch einen Interessierten voraus. Der Richter kann ihr nicht entgehen, solange der Interessierte nicht durch eine neuerliche Erklärung auf die Ausübung der rechtsprechenden Gewalt verzichtet. Dagegen mag für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige als Auslöser zwar die Regel sein. Sobald Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht einer verfolgbaren Straftat begründen, ist der Staatsanwalt jedoch auch von Amts wegen zum Tätigwerden verpflichtet. Erzwingen kann die Strafverfolgung nur der Verletzte, und auch das nur im Falle einer Ablehnung der Anklage mangels hinreichenden Tatverdachts (Klageerzwingungsverfahren, § 172 Abs. 2 StPO). Die Verfahrenseinstellung aus Opportunitätserwägungen (§§ 153 ff. StPO) kann selbst der Verletzte nicht angreifen. Deshalb bedarf es zwingend einer effektiven Kontrolle, dass das staatliche Strafverfolgungsmonopol auch tatsächlich ausgeübt wird. Als Preis für die vollständige richterliche Unabhängigkeit der Staatsanwälte würde sonst auf das staatliche Strafverfolgungsmonopol verzichtet werden müssen. Auch wenn der EuGH die Weisungsgebundenheit der Verwaltung nicht zwingend als Ausfluss des Demokratiegebotes ansieht (Urt.v.9.März 2010 – C 518-07), erscheint es zweckmäßig, die Staatsanwälte nicht mit der gleichen Unabhängigkeit wie Gerichte auszustatten.

 

III. Statusrecht

Nach den Entwürfen soll es nur noch einen „Richterstatus“ geben, das bisherige „Richterverhältnis auf Lebenszeit“. Die Richterverhältnisse auf Zeit, kraft Auftrags und auf Probe entfallen. Zudem soll es nur noch ein einheitliches „Richteramt“ geben. Beides sind Fragen, die von einer Selbstverwaltung der Justiz unabhängig zu sehen und deshalb grundsätzlich in einer Diskussion über die Modelle einer Selbstverwaltung nicht zu behandeln sind. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die Abschaffung des Richterverhältnisses auf Probe für den richterlichen Nachwuchs mittelfristig nachteilige Folgen haben würde.

Die Regelungen zum Richterstatus sind in weiten Bereichen unklar. Der Gesetzentwurf verwendet etablierte Begriffe wie „Status“ und „Amt“ mit anderem Sinn, ohne darauf hinzuweisen, und fügt die Begriffe „Funktion“ und „Mitglied“ ohne klare inhaltliche Abgrenzung hinzu. Es wird nicht deutlich, ob das Amt im dienstrechtlichen Sinne noch an einem bestimmten Gericht besteht.

Der Wegfall des Proberichterstatus‘ ist zwar im Ansatz konsequent, weil Proberichter nicht über die volle richterliche Unabhängigkeit verfügen. Auch würde der Wegfall des Proberichterstatus‘ den teilweise zu beobachtenden Missbrauch der nicht vollständig unabhängigen Proberichter als personalwirtschaftliche „Einsatzreserve“ entgegenwirken. Jedoch vernachlässigt die Abschaffung des Proberichterstatus’ das unabweisbare Bedürfnis nach Ausbildung und Erprobung des richterlichen und staatsanwaltlichen Nachwuchses, bevor verantwortet werden kann, ihm das Amt auf Lebenszeit zu übertragen. Kann dieses Bedürfnis nicht im Proberichterstatus befriedigt werden, dürfte ein neues System der „Richterassistenz/Richterausbildung“ geschaffen werden, das in vorhersehbarer Weise für die Betroffenen mit erheblichen statusrechtlichen und vor allem besoldungsrechtlichen Nachteilen verbunden sein würde.

 

IV. Dienstaufsicht

Der politischen Akzeptanz einer selbstverwalteten Justiz wird es abträglich sein, wenn keine klaren und effizienten Regelungen zur Dienstaufsicht bestehen. Die „oberste Dienstaufsicht“ soll dem Justizrat übertragen werden. Ob es eine „untere Dienstaufsicht“ gibt und wer sie ausübt, bleibt offen. Sie liegt jedenfalls nicht mehr bei den Präsidenten der Gerichte.

Für die Dienstaufsicht wird der Justizrat als oberste Dienstbehörde bestimmt (§ 21k GVG-E). Eine untergeordnete Dienstbehörde wird nicht ausdrücklich bestimmt. Laut Begründung soll der Präsident keine Dienstaufsicht mehr ausüben (S. 64). Es spricht einiges dafür, dass sie durch die Präsidien ausgeübt werden soll. Gerade an kleineren Gerichten (bis 9 Richter) sind jedoch alle Richter zugleich Mitglieder des Präsidiums, was eine effiziente Ausübung der Dienstaufsicht ausschließen dürfte. Der Akzeptanz einer Selbstverwaltung der Justiz wird es abträglich sein, wenn keine klaren und effizienten Regelungen zur Dienstaufsicht bestehen. Die Beibehaltung einer gestuften Dienstaufsicht, wie sie jetzt besteht, erlaubt ein frühzeitiges Reagieren auf unsachgemäßes Verhalten außerhalb dienstrechtlicher und disziplinarischer Maßnahmen.


V. Selbstverwaltungsstruktur

Die Struktur der Justizverwaltung könnte unzureichend demokratisch legitimiert sein und erscheint schwerfällig: Sie wird von Organen geprägt, die  nach ihrer Zusammensetzung nicht unbedingt über die nötigen Kenntnisse zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen und drittens eine Größe haben, die effizientes Arbeiten kaum ermöglicht. Im Vordergrund der Regelungen steht die Befassung mit Personalfragen, andere Angelegenheiten der Gerichtsverwaltung (Liegenschaften, Beschaffung, EDV, Aktenführung, Aus- und Fortbildung) finden kaum Widerhall.


1. Der Richterwahlausschuss (Art. 95 Abs. 2 Satz 1, 2, Art. 98 Abs. 4 Satz 1, 2 GG-E)

Die Besetzung und die Entscheidungen des Richterwahlausschusses sind im Hinblick auf das Demokratieprinzip problematisch. Über die Einstellung von Richtern entscheidet ein Richterwahlausschuss von 15 Personen mit einfacher Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder. Zehn der Mitglieder werden durch den Landtag, und zwar von den Fraktionen, „entsandt“ und fünf von den Richtern und Staatsanwälten gewählt. Es ist bewusst kein Mehrheitsverhältnis geregelt, so dass die Möglichkeit besteht, dass eine Entscheidung mit Mehrheit der richterlichen Mitglieder getroffen wird. Das widerspricht den Anforderungen des Demokratieprinzips jedenfalls dann, wenn mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Entscheidung mit doppelter Mehrheit verlangt wird – der Mehrheit der Mitglieder des Gremiums, die ihrerseits mehrheitlich von unmittelbar demokratisch legitimierten Mitgliedern getragen wird.

Nach § 21a Abs. 4 GVG-E entscheidet ein Richterwahlausschuss über den Eintritt in die Landesjustiz und damit über die Ernennung zum Richter (§ 21a Abs. 2 GVG-E) oder Staatsanwalt (§ 21n Satz 1 GVG-E). Er besteht aus 10 vom Parlament bestimmten Mitgliedern und 5 Richtern und Staatsanwälten, die von diesen gewählt werden. Weil nur noch das Richterverhältnis auf Lebenszeit bestehen bleibt (§ 8 DRiG-E) und alle Richterämter einheitlich sein sollen (Art. 92 Abs. 1 Satz 2 GG-E), erschöpft sich seine Tätigkeit in der Einstellung des Richters am Beginn seiner beruflichen Tätigkeit. Mit der Versetzung an ein anderes Gericht, der Übertragung einer Rechtssprechungsfunktion an einem Obergericht, befasst er sich nicht. Dies gehört zur Zuständigkeit des Justizrats.

Nach § 21a Abs. 4 Satz 2 GVG-E (und Art. 98 Abs. 4 Satz 2 GG-E) gehören dem Richterwahlausschuss zehn vom Parlament entsandte Personen an. Nach § 21a Abs. 4 Satz 3 GVG-E werden diese jedoch nicht vom Plenum gewählt, sondern von den Fraktionen entsandt. Dies widerspricht der eigenen verfassungsrechtlichen Bestimmung, weil die Fraktionen nicht „die gesetzgebende Körperschaft des Landes“ sind. Auf welche Weise die Fraktionen die Mitglieder des Richterwahlausschusses bestimmen, ist gesetzlich nicht geregelt. Insbesondere kommt eine Delegation der Auswahl an einen Fraktionsausschuss oder gar an den Fraktionsvorsitzenden allein in Betracht. Diese Möglichkeiten entwerten die demokratische Legitimation der so entsandten Mitglieder ganz erheblich.

Es ist nicht sichergestellt, dass die Entscheidungen des Richterwahlausschusses über eine ausreichende demokratische Legitimation verfügen. Der Richterwahlausschuss trifft mit der Einstellung eines Richters eine ganz wesentliche Entscheidung, denn der Richter wird fortan auf Lebenszeit Staatsgewalt in sachlicher und persönlicher Unabhängigkeit ausüben. Weil die richterliche Unabhängigkeit jede Form von Weisungsrecht ausschließt und damit eine demokratische Legitimation richterlichen Handelns in sachlich-inhaltlicher Hinsicht nur rudimentär vorhanden ist, kommt der demokratischen Legitimation in personell-organisatorischer Weise ein besonderes Gewicht zu. Das Richteramt muss von einem Entscheidungsträger oder Gremium vergeben werden, das für sich in Anspruch nehmen kann, den Mehrheitswillen des Volkes zu repräsentieren. Dafür genügt es nach der Rechtsprechung des BVerfG derzeit nicht, dass das Gremium mehrheitlich aus Abgeordneten besteht. Vielmehr müssen sie auch mehrheitlich die Entscheidung tragen. Der Gesetzentwurf über die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz, sieht aber keine doppelte Mehrheit vor, so dass eine Richterernennung mit den Stimmen der richterlichen Mitglieder und 3 parlamentarischer Mitglieder zustande kommen kann, obwohl die Mehrheit von 7 Parlamentariern dagegen stimmte. Dies ist im Hinblick auf das Demokratieprinzip verfassungsrechtlich zumindest problematisch.


2. Justizrat

Der für die überörtliche Justizverwaltung zu bildende Justizrat erscheint für seine Tätigkeit nicht ausreichend demokratisch legitimiert. Eine Verantwortung des Handelns gegenüber dem Parlament ist nicht vorgesehen. Er ist mit 30 hauptamtlich Beschäftigten zzgl. eigenem Verwaltungsunterbau selbst in großen Bundesländern überdimensioniert. Die Aufgabenzuweisung beschränkt sich auf die Entscheidung in Personalfragen, Anmeldung des Haushalts und Zuweisung der Ressourcen an die Gerichte. Viele Aufgaben der überörtlichen Justizverwaltung (EDV, Geschäftsorganisation, Beschaffung, Liegenschaften, Aus- und Fortbildung …) sind nicht geregelt.

Der Justizrat soll aus 30 Personen bestehen (§ 21d Abs. 1 GVG-E). 20 von ihnen wählen die Richter und Staatsanwälten aus ihrer Mitte. Sie werden zugleich mit der Wahl von ihren übrigen Aufgaben freigestellt (§ 21 Abs. 5 GVG-E). Die übrigen 10 werden vom Landtag gewählt, gehören aber nicht der Legislative oder der Exekutive an.

Nach der Vorstellung der Entwurfsverfasser soll der Justizrat grundsätzlich die überörtlichen Angelegenheiten der Verwaltung aller Gerichte des Landes wahrnehmen (Begründung, S. 60 zu § 21k GVG-E). Diese Vorstellung hat nur unvollkommen Niederschlag im Entwurf gefunden. Der Aufgabenkatalog des Justizrats in § 21k Ziff. 1 bis 9 GVG-E beinhaltet gerade keine Allzuständigkeit als oberste Landesbehörde der Justizverwaltung, wie sie etwa in § 15 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs des DRB enthalten ist.  Die Bezeichnung als „oberste Dienstbehörde“ in § 21k Satz 1 Ziff. 4 GVG-E betrifft allein die Ausübung der Dienstaufsicht und der Disziplinarbefugnisse. Überhaupt umfasst der Aufgabenkatalog fast ausschließlich Personalentscheidungen, lässt aber andere Fragen (Standortfragen, Liegenschaften, Beschaffung, EDV, Aktenführung, Abordnungen, Aus- und Fortbildung) unberücksichtigt. Es fehlen daher zentrale Befugnisse, die derzeit die Justizministerien wahrnehmen oder von ihnen delegiert werden. So fehlt etwa eine ausdrückliche Ermächtigung zu fiskalischem Handeln (Kauf oder Anmietung von Räumlichkeiten, Beschaffung von Arbeitsmitteln, Einstellung von Angestellten). Nach § 21k Satz 1 Ziff. 7 GVG-E weist der Justizrat die „finanziellen und sächlichen Ressourcen an die einzelnen Gerichte“ zu, jedoch bleibt die Zuweisung von Ressourcen durch den Justizrat an sich selbst ungeregelt. Woher der Justizrat die von ihm benötigten Mittel erhält, bleibt daher unklar. Aus dem gleichen Grund ist es systematisch zweifelhaft, wenn die Entwurfsbegründung zu § 21k GVG-E davon ausgeht, dass auch beim Justizrat ohne Erwähnung im Gesetz Beamte und Angestellte eingesetzt werden können. § 21k Satz 1 Ziff. 5 GVG-E erlaubt die Ernennung von Beamten „der Landesjustiz“, die nach § 21a Abs. 2 GVG-E „aus Gerichten“ besteht und damit die Selbstverwaltungsorgane nicht umfasst.

Der Justizrat dürfte für die Erfüllung seiner Aufgaben nicht ausreichend demokratisch legitimiert sein, denn nur 1/3 der Mitglieder wird vom Landesparlament gewählt. An die demokratische Legitimation des Justizrates sind hohe Anforderungen zu stellen, weil er auch in Personalfragen entscheidet, soweit nicht der Richterwahlausschuss entscheidet, insb. über Versetzungen, die oberste Dienstaufsicht und Entlassungen (§ 21k Nr. 3-7 GVG-E). Zudem fehlt auch hier das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für nur teilweise demokratisch legitimierte Gremien erforderliche Prinzip der Entscheidungsfindung mit doppelter Mehrheit. Mehrheitserfordernisse sind gar nicht geregelt, sondern nur die Anforderungen an die Beschlussfähigkeit (§ 21d Abs. 3 Satz 2 GVG-E). Zugleich offenbart dieses Gremium eine weitere strukturelle Schwäche des gewählten Ein-Säulen-Modells. Es muss „Parlamentarier“ in die eigentliche Verwaltungstätigkeit einbeziehen. Damit wird die angestrebte institutionelle Absicherung der Gewaltenteilung nicht erreicht, sondern der Einfluss der Exekutive durch einen der Legislative ersetzt. Auch wenn das Parlament als Träger der ersten Gewalt nicht in seiner Gesamtheit in die (Justiz-)Verwaltung einbezogen wird, entsteht dadurch eine neue Form der Gewaltenvermischung, deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz gegenwärtig nicht abschließend beurteilt werden kann. Dieses Problem stellt sich im Zwei-Säulen-Modell des DRB dagegen nicht, weil die Parlamentarier dort nur an der Bildung und Kontrolle der Justizverwaltung beteiligt sind, also genau mit jenen Funktionen betraut sind, die ihnen auch gegenüber der ministerialen Exekutive zustehen (müssen).

Schließlich fehlt es an der erforderlichen sachlich-inhaltlichen Legitimation in Form einer permanenten – wenn auch mittelbaren – parlamentarischen Verantwortlichkeit des Gremiums. Seine Mitglieder werden nach § 21d Abs. 2 Satz 5 GVG-E auf vier Jahre gewählt. Eine Abwahlmöglichkeit während dieses Zeitraums ist nicht vorgesehen. Der Justizrat ist offenbar auch nicht den Weisungen eines demokratisch legitimierten Amtsträgers unterworfen. Auch eine Verantwortlichkeit in Form von Informations- oder Vorhalterechten des Parlaments gibt es in dem Entwurf nicht. Die Informationspflicht des Justizrates gegenüber der Öffentlichkeit nach § 21d Abs. 4 Satz 4 GVG-E kann diese Funktion schon deswegen nicht erfüllen, weil danach nur über „Entscheidungen“ informiert werden muss, nicht dagegen über Entscheidungsgrundlagen, Absichten etc. Im DRB-Entwurf sind dagegen mehrere solche Pflichten enthalten (§§ 15 Abs. 3 und 5, 19 Abs. 2 Satz 1 LJSvG-E).

Seine Zusammensetzung aus 30 Personen macht den Justizrat zu einem personalintensiven und schwerfälligen Gremium. Der Entwurfsbegründung nach soll der Justizrat für die (gesamte) überörtliche Justizverwaltung zuständig sein. Zwar sollen im Justizrat „sämtliche überörtlichen Personal- und Sachmittelfragen gegebenenfalls unter dem Einsatz von Arbeitsgruppen bearbeitet werden können“ (Begründung, S. 49). Der Einsatz von Arbeitsgruppen könnte jedoch nur der Vorbereitung von Entscheidungen dienen, denn die Entscheidung selbst wäre weiterhin durch den Justizrat zu treffen (§ 21d Abs. 4 Satz 2 zur Beschlussfassung).

Die Wahl in den Justizrat kann für den Betroffenen sehr nachteilig sein, denn es ist nicht die Rückkehr in die bisherige Stelle vorgesehen, was sich gerade in Flächenländern als erheblicher Nachteil erweisen kann. Eine kaum nachvollziehbare Ungleichbehandlung ergibt sich im Übrigen daraus, dass der Verlust des konkreten Amtes durch Eintritt in den Justizrat nach § 21d Abs. 5 GVG-E nur „richterliche Mitglieder“ betrifft. Dabei handelt es sich um die nach § 21d Abs. 2 Satz 2 GVG-E von den Richtern und Staatsanwälten gewählten Mitglieder des Justizrates, nicht aber um andere Richter und Staatsanwälte, die zu den vom Parlament zu wählenden zehn weiteren „Personen“ gehören (vgl. S. 50 des Entwurfs oben).


3. Präsidium

Die Präsidien sind nach dem Gesetzentwurf das maßgebliche Entscheidungs- und Verwaltungsgremium in einer selbstverwalteten Justiz. Die in dem Entwurf angelegte Rotation der Mitglieder durch die Begrenzung der Wiederwahlmöglichkeit wirkt der Ansammlung von Herrschaftswissen entgegen. Gleichzeitig birgt dies die Gefahr einer Entprofessionalisierung der Gerichtsverwaltung; der Einfluss der Geschäftsleiter wird gestärkt.

Die Präsidien werden in begrenztem Umfang vergrößert (§ 21b Abs. 2 GVG-E). Die Mitglieder werden für 4 Jahre gewählt (§ 21b Abs. 4 Satz 1, 2 GVG-E). Es ist nur die einmalige unmittelbare Wiederwahl zulässig (§ 21b Abs. 3 Satz 2 GVG-E).

Das Präsidium erhält eine umfassende Zuständigkeit für die Angelegenheiten der Gerichtsverwaltung (§ 21g Abs. 1 Satz 1 GVG-E). Es kann diese Aufgaben auf den Präsidenten bis auf die gesetzlich geregelten Ausnahmen (§ 21g Abs. 1 Satz 3 GVG-E) übertragen. Unklar ist, ob das Präsidium auch die Dienstaufsicht über das richterliche Personal ausübt. Die Begründung zu § 21k GVG-E (S. 60) sagt nur, dass der Justizrat die oberste Dienstaufsicht ausübt.

Die Begrenzung der Wiederwahl zum Präsidium zeugt von einem Misstrauen in die eigenen Regulierungskräfte. Aus Angst vor dem Entstehen von Herrschaftswissen in der Verwaltung befassen sich viele Personen mit den Verwaltungsaufgaben. Das verhindert eine Spezialisierung und Professionalisierung der Gerichtsverwaltung und birgt die Gefahr, dass sich das Herrschaftswissen beim Geschäftsleiter ansammelt, der das Präsidium u.U. leiten und lenken kann.

Für die nichtrichterlichen Mitarbeiter der Gerichte hat die umfassende Zuständigkeit der Präsidien für alle Verwaltungsangelegenheiten einschließlich der Personalsachen verbunden mit der häufigen Rotation der Mitglieder des Präsidiums die gravierende Folge, dass innerhalb einer überschaubaren Zeit ein gläserner Mitarbeiter entsteht.


4. Präsident

Jedes – auch noch so kleine – Gericht erhält einen Präsidenten auf Zeit. Er vertritt das Gericht nach außen und ist Ausführungsorgan des Präsidiums. Die kurze Amtszeit von 4 Jahren und der Ausschluss einer unmittelbaren Wiederwahl bergen den Verlust von Erfahrungswissen und führen zu einer Schwächung der Außenvertretung der Gerichte.

Der Präsident wird von den Richtern des Gerichts für 4 Jahre gewählt, wobei eine unmittelbare Wiederwahl ausgeschlossen ist (§ 21c Abs. 2 Satz 2 GVG-E).

Die Stellung des Präsidenten ist schwach, er vertritt das Gericht nach außen und ist Ausführungsorgan des Präsidiums. Einen eigenen Verantwortungsbereich hat der Präsidenten nicht, er bereitet die Entscheidungen des Präsidiums (z.B. bei der Erstellung eines Haushaltsentwurfs) vor, die Entscheidungskompetenz hat aber stets das Präsidium (§ 21g Abs. 1 GVG-E). Wesentlicher Nachteil eines solchen Ansatzes ist der Verlust von Erfahrungswissen. Die Funktion des Präsidenten beschränkt sich bei einer solchen Regelung schnell auf einen „Frühstücksdirektor“, der im Wesentlichen die Repräsentation des Gerichts nach außen wahrnimmt.


5. Gesprächsgremien

Darüber hinaus sieht der Entwurf drei weitere Gremien ohne Aufgabenzuweisung vor, die Richterversammlung, die Gerichtsversammlung und die Versammlung der Gerichtsbarkeit. Die Institutionalisierung dieser Art von Dienstbesprechungen bedient den Vorbehalt, dass eine selbstverwaltete Justiz sich überwiegend mit sich selbst beschäftigen würde. Ein Be-dürfnis nach gesetzlicher Regelung besteht nicht.

Die Richterversammlung dient der Kommunikation der Richter untereinander, die Gerichtsversammlung der Kommunikation zwischen Richtern und nichtrichterlichem Personal. Die Gerichtsversammlung muss einmal jährlich einberufen werden.

Die Versammlung der Gerichtsbarkeit aus allen Gerichtspräsidenten soll der Information des Justizrates dienen. Die Effizienz der Versammlung ist indes zweifelhaft. In großen Gerichtsbarkeiten (OGB) schon mittelgroßer Länder besteht dieses Gremium schnell aus 50 Personen und mehr. Sie werden mehr Energie auf die Selbstorganisation ihrer Arbeit verwenden müssen, zumal sich die Zusammensetzung dieses Gremiums ständig ändert. Die Erwartung, dass die Einrichtung dieses Gremiums dazu führen werde, bisher informelle Kommunikationsstrukturen zu formalisieren, dürfte sich kaum verwirklichen.

 

gez. Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes