#6/21

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund begrüßt den Gesetzentwurf zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften in seiner Gesamtheit ausdrücklich.

Das Recht des Ermittlungsverfahrens wird durch das Reformvorhaben punktuell modernisiert. Der Gesetzentwurf schließt Regelungslücken und räumt den Ermittlungsbehörden in moderatem Umfang weiterreichende Ermittlungsbefugnisse ein. Die Nachsteuerungen im Recht der Vermögensabschöpfung beruhen auf Erfahrungen der Praxis und enthalten zahlreiche, für die Gerichte und Staatsanwaltschaften gewinnbringende Klarstellungen. Dasselbe gilt für die weiteren, zahlreichen Anpassungen der Strafprozessordnung. Darüber hinaus wird der Zeugen- und Opferschutz gezielt verstärkt. Insgesamt ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass bei dem Reformvorhaben Anregungen aus der Praxis Berücksichtigung gefunden haben.

Der Deutsche Richterbund sieht lediglich punktuell Optimierungsbedarf. Etwa sollte das Rechtsinstitut des Zustellungsbevollmächtigten in seiner bestehenden Form beibehalten werden. Eine moderate Erweiterung der Kompetenzen der Ermittlungsbehörden bei der Durchsuchung zur Nachtzeit wäre wünschenswert. Im Bereich des Rechts der Vermögensabschöpfung besteht aus Sicht des Deutschen Richterbundes – wenn auch nur in geringem Umfang – Nachbesserungsbedarf.

Ausweislich der Entwurfsbegründung besteht das übergeordnete Anliegen des Entwurfes darin, das Strafverfahren weiter an die sich ständig wandelnden gesellschaftlichen und technischen Rahmenbedingungen anzupassen. Der Deutsche Richterbund weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Handlungsbedarf nicht nur bei den gesetzlichen Regelungen, sondern vielmehr und ganz besonders bei der technischen Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften besteht. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat die noch immer bestehenden Defizite in der technischen Ausstattung der Justiz offengelegt. Diese Defizite gilt es umgehend zu beheben.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

I. Fortentwicklung des Rechts des Ermittlungsverfahrens

1. Schaffung einer Befugnis zur automatischen Kennzeichenerfassung im öffentlichen Verkehrsraum zu Fahndungszwecken  (§ 163g StPO-E)

Der Fahndungseinsatz von automatischen Kennzeichenlesesystemen ist in der Strafprozessordnung bislang nicht ausdrücklich geregelt. Diese Regelungslücke soll durch § 163g StPO-E geschlossen werden. Dieses Fahndungsinstrument dient neben der Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten in bestimmten Konstellationen auch zur Ermittlung der Identität des Beschuldigten.

Der Einsatz des neuen Fahndungsinstruments soll auf Straftaten von erheblicher Bedeutung beschränkt bleiben, wobei die Vorschrift keinen Katalog und auch keine Verweisung auf einen Katalog enthält. Der Wortlaut orientiert sich vielmehr an der Formulierung in §§ 98a bzw. 163e StPO, sodass davon auszugehen ist, dass hierunter Straftaten fallen, die dem mittleren Kriminalitätsbereich zuzurechnen sind, den Rechtsfrieden empfindlich stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich beeinträchtigen. Ausgeschlossen wären zunächst lediglich Bagatelldelikte. Die Anwendung der Norm bei allen anderen Straftaten wäre demgegenüber der Abwägung im Einzelfall zugänglich.

Der Deutsche Richterbund begrüßt die Ausgestaltung von § 163g-E StPO ausdrücklich, denn das zusätzliche Fahndungsinstrument kann nur dann praktische Wirkung entfalten, wenn es auch auf eine breite Anzahl von Fällen Anwendung findet.

Bei der § 163g StPO-E aufgreifenden Änderung des § 101 StPO handelt es sich um eine erforderliche Folgeänderung.

2.  Erweiterung der Befugnis zur Postbeschlagnahme um ein Auskunftsverlangen gegenüber Postdienstleistern (§ 99 Abs. 2 StPO-E)

§ 99 Absatz 2 StPO-E schließt eine wichtige Regelungslücke für Fälle, in denen sich die Postsendung nicht mehr im Gewahrsam des Postdienstleisters befindet. Inhaltlich greift der Gesetzentwurf damit eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu dieser Problematik auf. Der Bundesgerichtshof hatte festgestellt, dass § 99 StPO in seiner gegenwärtigen Fassung keine ausreichende Rechtsgrundlage für ein solches Auskunftsverlangen darstellt. Gleichzeitig normiert § 99 Abs. 2 StPO-E den Auskunftsanspruch, der auch bislang bereits als Minus zur Postbeschlagnahme anerkannt war, wenn sich die Sendung im Gewahrsam des Postdienstleisters befand.

Insgesamt trägt § 99 Abs. 2 StPO-E der großen Bedeutung des Online-Handels mit inkriminierten Gegenständen Rechnung und ist aus Sicht des Deutschen Richterbundes zu begrüßen.

§ 100 StPO-E stellt eine notwendige Folgeänderung dar.

3.  Änderung des Rechts des Zustellungsbevollmächtigten (§ 132 StPO-E)

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes besteht ein praktisches Bedürfnis für die Beibehaltung des § 132 StPO in seiner bisherigen Form.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Korrektur von im schriftlichen Verfahren (Strafbefehlsweg) ergangenen Entscheidungen über das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zwanglos möglich ist.

Den personellen Anwendungsbereich des § 132 StPO nunmehr als Reaktion auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu beschränken, ist vor diesem Hintergrund weder erforderlich noch geboten. Durch die im Entwurf vorgesehene Änderung dürfte die Durchführung von Strafverfahren in der Praxis nicht unerheblich erschwert werden.

Es ist zwar zutreffend, dass Zustellungsmöglichkeiten und effektive Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen innerhalb der Europäischen Union bzw. im Schengen-Gebiet gewährleistet sind.

Grundvoraussetzung, um eine Zustellung bewirken und einem Strafverfahren Fortgang geben zu können, ist jedoch, dass der Beschuldigte seine tatsächliche Anschrift im Schengen-Gebiet angegeben hat.

Dies kann allerdings ad hoc nicht durch die örtliche Polizeidienststelle überprüft werden. Direkte Zugriffsmöglichkeiten auf Auskunftssysteme oder gar Melderegister anderer Staaten bestehen nicht. Im Übrigen haben auch nicht alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bzw. des Schengen-Gebietes ein Meldesystem, welches mit dem der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar ist. Die Anschrift im Ausweisdokument bietet keine Gewähr für Aktualität. Es wird deshalb im Wesentlichen auf die Auskunft des Betroffenen ankommen.

Wenn der Beschuldigte eine falsche Anschrift benennt, also auf frischer Tat betroffen nur vorgibt, über einen festen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union bzw. des Schengen-Gebietes zu verfügen, müsste er dem Gesetzentwurf zufolge keinen Zustellungsbevollmächtigten benennen.

Allenfalls käme – insoweit ist aus Sicht der Praxis ein Fortschritt gegenüber der Fassung des § 132 StPO-E nach Maßgabe des Referentenentwurfs zu verzeichnen – eine Sicherheitsleistung in Betracht.

Da vor Ort auf der Polizeidienststelle keine Überprüfung der Angaben des Beschuldigten erfolgen kann, würde er – sofern eine Sicherheitsleistung im konkreten Falle ausscheidet – schlicht entlassen werden. Im weiteren Verlauf erfolgte dann zunächst ein vergeblicher Zustellungsversuch an die gegebenenfalls falsche Anschrift im Ausland. Dann würde versucht werden, im Rechtshilfewege die tatsächliche Anschrift zu ermitteln, und ob dieser Versuch erfolgreich sein wird, hängt nicht zuletzt vom Meldesystem des jeweiligen Staates ab. Inzwischen sind diverse Monate verstrichen, in denen das Verfahren längst im Strafbefehlswege hätte abgeschlossen werden können.

Aus den genannten Gründen spricht sich der Deutsche Richterbund dafür aus, § 132 StPO in seiner bisherigen Fassung beizubehalten.

4.  Vereinheitlichung des Begriffes der Nachtzeit im Recht der Wohnungsdurchsuchung (§ 104 Abs. 3 StPO-E) und weiterer Änderungsbedarf

Die Änderung vereinheitlicht den Begriff der Nachtzeit und ist aufgrund der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angezeigt, welches die Nachtzeit im Rahmen einer Entscheidung über den richterlichen Bereitschaftsdienst bereits entsprechend definierte.

Die Anpassung steht auch im Einklang mit der Festlegung in den allermeisten Gerichtsbezirken, wonach ein richterlicher Bereitschaftsdienst in den Stunden zwischen 21 Uhr und 6 Uhr nicht eingerichtet ist und Anordnungen in diesem Zeitraum ohnehin nur erfolgen, wenn Gefahr im Verzug vorliegt. Anderenfalls könnte der staatsanwaltschaftliche Bereitschaftsdienst die Anordnung nämlich nicht treffen.

Die Änderung ist im Ergebnis zu begrüßen, weil sie der Vereinfachung und der Vereinheitlichung dient.

Der Deutsche Richterbund spricht sich ferner dafür aus, die Möglichkeiten zur Durchsuchung zur Nachtzeit gemäß § 104 StPO in moderater Form zu erweitern beziehungsweise zumindest zu präzisieren.

Bei der Ermittlung von Straftaten, die überwiegend durch die Nutzung von Computern begangen werden – etwa im Bereich der Kinderpornographie und des Kindesmissbrauchs – stehen die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig vor dem Problem, dass die Täter ihre Geräte mittels Verschlüsselungstechnologie vor dem Zugriff Dritter schützen und diese häufig nachts ihren kriminellen Aktivitäten nachgehen. Verschlüsselt sichergestellte Datenträger können jedoch zumeist nur entsperrt werden, wenn der Beschuldigte mitwirkt. Ist dies nicht der Fall, kann eine digitalforensische Auswertung nicht durchgeführt werden. Etwaig auf den Datenträgern dokumentierte Missbrauchshandlungen bleiben so häufig unentdeckt. Die Ermittlungsbehörden sollten daher in die Lage versetzt werden, auf die Beweismittel des Beschuldigten zu einem Zeitpunkt zuzugreifen, zu dem er die Datenträger in Benutzung hat und diese sich in unverschlüsseltem Zustand befinden.

Vor diesem Hintergrund wäre es aus Sicht der Praxis wünschenswert, wenn der Gesetzgeber durch eine Ergänzung von § 104 StPO klarstellen würde, dass Durchsuchungen zur Nachtzeit zulässig sind, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat zur Nachtzeit begangen wird, sofern andere Ermittlungsmöglichkeiten keine Erfolgsaussicht haben oder zeitlich erheblich aufwendiger sind beziehungsweise schlechtere oder nicht für eine schnelle Ermittlung erforderliche und ausreichende Erkenntnisse erwarten lassen.

5.  Schaffung einer Zurückstellungsmöglichkeit der Benachrichtigung des Beschuldigten bei der Beschlagnahme (§ 95a StPO-E) und Folgeänderungen in § 110 StPO

Mit § 95a StPO-E soll es ermöglicht werden, bei einer richterlichen Beschlagnahme eines Gegenstandes, der sich im Gewahrsam einer nichtbeschuldigten Person befindet, die Benachrichtigung des Beschuldigten zurückzustellen, um sonstige verdeckt geführte Ermittlungsmaßnahmen nicht zu gefährden.

Damit greift der Reformgesetzgeber ein wichtiges Anliegen der Ermittlungspraxis, insbesondere beim Zugriff auf elektronische Beweismittel, auf. Nach der gegenwärtigen Rechtslage und Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind von einer Beschlagnahme betroffene Personen nach deren Durchführung zu benachrichtigen. Eine Zurückstellung der Benachrichtigung wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks sieht die Strafprozessordnung für diese Untersuchungshandlung nicht vor.

In der Praxis birgt diese Rechtslage die Gefahr der Aufdeckung oder der Vereitelung des Ermittlungserfolges, wenn beispielsweise parallel durchgeführte heimliche Ermittlungsmaßnahmen sinnvollerweise nicht mehr durchgeführt werden können. Wird beispielsweise nach der Beschlagnahme von beim Provider gespeicherten E-Mails oder Chat-Inhalten die Maßnahme gegenüber dem Betroffenen bekannt gemacht, sind weitere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen obsolet. Ermittlungen in den Bereichen Kinderpornographie, Waffenhandel oder auch im Bereich der Staatsschutzdelikte, bei denen die Beschlagnahme von Beweisgegenständen bei Dritten bereits in einem frühen Ermittlungsstadium sinnvoll ist, werden durch die geltende Rechtslage in ganz erheblichem Maße erschwert.

Der Deutsche Richterbund begrüßt aus den genannten Gründen § 95a  StPO-E ausdrücklich. Die Vorschrift leistet einerseits einen wichtigen Beitrag zur Effektuierung der Strafverfolgung, andererseits ist eine Zurückstellung der Benachrichtigung nur unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen möglich, sodass der Grundsatz der Offenheit der Beschlagnahme in seinem Kern nicht berührt wird.

Infolge der geplanten Änderungen werden Anpassungen bei dem Recht der Durchsuchung erforderlich, denen der Gesetzentwurf mit § 110 Abs. 3 und 4 StPO-E Rechnung trägt.

6.  Erweiterung des Deliktskatalogs der Online-Durchsuchung und der Wohnraumüberwachung (§ 100b Absatz 2 StPO)

Der Deutsche Richterbund begrüßt darüber hinaus die geringfügige Erweiterung des Katalogs des § 100b Abs. 2 StPO, da diese Erweiterung den Bedürfnissen der Praxis Rechnung trägt.

Der Reformgesetzgeber hat mit den aufgenommenen Delikten aus dem Bereich des Menschenhandels nebst Begleitdelikten, des gewerbs- und bandenmäßigen Computerbetruges sowie einzelnen Tatbeständen aus dem Außenwirtschaftsgesetz, dem Grundstoffüberwachungsgesetz und dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz eine gezielte Auswahl getroffen. In diesen Deliktsfeldern ist nach kriminalistischer Erfahrung der Einsatz der Online-Durchsuchung sowie der akustischen Wohnraumüberwachung sinnvoll.

 

II. Nachsteuerungen im Recht der Vermögensabschöpfung

Der Deutsche Richterbund begrüßt, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Anliegen der Praxis betreffend das Recht der Vermögensabschöpfung einer Regelung zugeführt hat – zugleich besteht aus Sicht der Gerichte und Staatsanwaltschaften in diesem Bereich weiterer Optimierungsbedarf.

1.  § 111k StPO-E

Die Regelung schafft eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für Grundbucheintragungen auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft und ist vollumfänglich zu begrüßen.

2.  § 111l StPO-E/§ 31 RpflG-E

Der Wortlaut des § 111l Abs. 1 StPO-E wird hinsichtlich des Verletztenbegriffs konkretisiert. Diese Konkretisierung ist zu begrüßen.

Die für die Praxis mindestens genauso bedeutsame Änderung im Hinblick auf diese Norm ergibt sich allerdings aus der Zusammenschau mit einer Änderung in § 31 Rechtspflegergesetz. Diese Vorschrift beinhaltet in ihrer gegenwärtigen Fassung unter anderem die Aufgabenverteilung hinsichtlich der Vollstreckung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen zwischen den Rechtspflegern einerseits und Staats- und Amtsanwälten andererseits. In der in      § 31 Rechtspflegergesetz bislang enthaltenen Aufzählung der Geschäfte, für die eine Zuständigkeit der Rechtspfleger besteht, fehlt § 111l StPO, obgleich die Mitteilungen über die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen in einem funktionalen Zusammenhang mit der Vollstreckung der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen einerseits und der Prüfung der Voraussetzungen für die Stellung eines Insolvenzantrags andererseits stehen, die jeweils der Zuständigkeit der Rechtspfleger unterfallen. Daher herrscht in der Praxis zuweilen große Unsicherheit hinsichtlich der Zuständigkeit für die Mitteilungen über die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen.

In diesem Punkt schafft der Reformgesetzgeber nunmehr Klarheit, indem er den Zuständigkeitskatalog des § 31 Rechtspflegergesetz erweitert und die Mitteilungen nach § 111l StPO aufnimmt. 

Die Ergänzung des § 31 Rechtspflegergesetz geht jedoch noch über die Aufnahme des § 111l StPO hinaus. Der Entwurf sieht auch die Erweiterung der Zuständigkeit der Rechtspfleger um die Geschäfte bei der Vollziehung der Herausgabe von beschlagnahmten oder sichergestellten beweglichen Sachen gemäß § 111n StPO vor. Darüber hinaus wird klargestellt, dass die Zuständigkeitsverteilung auch im Bußgeldverfahren entsprechend gilt.

3.  § 111o StPO-E

Der Deutsche Richterbund bedauert, dass der Gesetzentwurf – anders als der Referentenentwurf – keine Ergänzung des § 111o Abs. 1 StPO-E um die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft mehr vorsieht. Aus Sicht der Praxis wäre es wünschenswert, wenn die Fassung des Referentenentwurfs beibehalten würde.

Denn die Ergänzung des § 111o Abs. 1 StPO-E um die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft dient der Lösung einer für die Praxis wichtigen, weil alltäglich vorkommenden Problemkonstellation. Bislang kann im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens nur die Staatsanwaltschaft über die Herausgabe beweglicher Sachen befinden, nicht aber deren Ermittlungspersonen.

Dies hat folgende Konsequenz: Die ermittelnden Polizeibeamten, die einen auf frischer Tat betroffenen Ladendieb vor Ort festnehmen, dürfen dem Ladeninhaber das Diebesgut nicht zurückgeben, sondern müssen es sicherstellen, um dann eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft hierüber herbeizuführen, § 111o Abs. 1 StPO in seiner gegenwärtigen Fassung. Dies führt entweder zu einem Mehr an bürokratischem Aufwand oder aber dazu, dass der Bereitschaftsstaatsanwalt über Gebühr mit der Entscheidung darüber befasst wird, ob nun zum Beispiel ein Kosmetikartikel, der in einer Drogerie entwendet wurde, gleich an den Ladeninhaber zurückgegeben werden kann oder nicht.

Der Reformgesetzgeber würde bei Beibehaltung der Fassung des § 111o Abs. 1 StPO-E nach Maßgabe des Referentenentwurfs eine für die Praxis wichtige Abhilfe schaffen.

4.  § 413 StPO-E

Die beabsichtigte Ergänzung in § 413 StPO-E ermöglicht die Einziehung künftig auch im Sicherungsverfahren und greift damit einen Einwand der Rechtsprechung auf, die mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung bislang keine Grundlage hierfür sah. Es gibt jedoch keinen sachlichen Grund dafür, die Einziehung nicht auch als Nebenfolge im Sicherungsverfahren anzuordnen.

Die Ergänzung des § 413 StPO, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, stellt aus Sicht des Deutschen Richterbundes deshalb die konsequente Lösung eines in der Praxis regelmäßig auftretenden Problems dar.

5.  § 421 StPO-E

Ebenso der Klarstellung dient die Ergänzung des § 421 Abs. 1 Nummer 2 StPO-E.

Diese Ergänzung stellt klar, dass ein Absehen von der Einziehung unter dem Gesichtspunkt, dass sie neben der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht beträchtlich ins Gewicht fällt, nur in den Fällen der strafähnlichen (Wertersatz-) Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten nach den §§ 74 und 74c StGB in Betracht kommt, nicht aber in den Fällen der rein vermögensordnenden Einziehung nach     §§ 73 ff. StGB.

Die Änderung dient ganz offensichtlich auch dazu, das dogmatische Verständnis der Vermögensabschöpfung, von dem der Gesetzgeber ausgeht, nochmals zu verdeutlichen. Für den Gesetzgeber haben die §§ 73 ff. StGB vermögensordnenden Charakter. Deshalb war es auch offensichtlich, dass sich § 421 Abs. 1 Nummer 2 StPO nicht auf die §§ 73 ff. StGB beziehen konnte. Spricht man den Vorschriften zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung jedoch den Charakter einer Nebenstrafe zu, kommt eine Anwendung des § 421 Abs. 1 Nummer 2 StPO auch insoweit in Betracht.

Die Änderung dient deshalb letztlich der Beseitigung vermeintlicher Unklarheiten und ist insoweit zu begrüßen.

6.  § 435 SPO-E

Der Referentenentwurf regelt in einem neuen § 435 Abs. 4 StPO-E, in welchem Umfang die Vorschriften über das Strafverfahren herangezogen werden können, wenn zu tätigende Ermittlungen ausschließlich der Durchführung des selbständigen Einziehungsverfahrens dienen.

§ 435 Abs. 4 StPO-E besagt insoweit, dass für Ermittlungen, die ausschließlich der Durchführung des selbständigen Einziehungsverfahrens dienen, die Vorschriften über das Strafverfahren sinngemäß gelten. Ermittlungsmaßnahmen, die nur gegen einen Beschuldigten zulässig sind, und verdeckte Maßnahmen im Sinne des § 101 Abs. 1 StPO sind nicht zulässig.

Erfasst werden können von dem Verbot der Vornahme von Ermittlungsmaßnahmen, die nur gegen einen Beschuldigten zulässig sind, und von verdeckten Maßnahmen nach § 101 StPO nur solche Fälle, in denen es sehr früh zur Einstellung des subjektiven Verfahrens kommt, zum Beispiel – so die Entwurfsbegründung – weil der Beschuldigte verstorben ist.

Üblicherweise gelangt man jedoch erst am Ende der Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass ein hinreichender Tatverdacht gegen eine bestimmte Person nicht angenommen werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt können die Ermittlungsmöglichkeiten nach der Strafprozessordnung ausgeschöpft werden.

Die praktische Relevanz der Norm kann vor diesem Hintergrund nicht abgeschätzt werden.

Für die Praxis ist sie gleichwohl als Richtungsentscheidung von Bedeutung, da sie auch klarstellt, dass die Wiederherstellung des ursprünglichen Vermögenszustandes Nebeneffekt, nicht aber Hauptziel der Strafverfolgungsbehörden ist und deshalb gerade dann, wenn deutlich geworden ist, dass ein subjektives Verfahren nicht mehr betrieben werden kann, nicht mehr alle strafprozessualen Möglichkeiten Anwendung finden können und müssen.

7.  § 459g StPO

Der Gesetzentwurf sieht die Ergänzung des § 459g Abs. 3 StPO-E um zwei wichtige Punkte vor. Zum einen nimmt er die Beschlagnahme in den Katalog der Maßnahmen auf, die im Rahmen der Vollstreckung ergriffen werden können, und zum anderen – ebenfalls bedeutsam – regelt § 459 Abs. 3 S. 2 StPO-E, dass die Anhörung des Betroffenen vor gerichtlichen Entscheidungen unterbleiben kann, wenn sie den Zweck der Anordnung gefährden würde.

Diese Neuerung ist äußerst begrüßenswert, weil der Betroffene, der bislang im Einziehungsverfahren nicht freiwillig mitgewirkt hat – nur dann kann es zu entsprechenden Maßnahmen kommen –, nun durch die zeitliche Verzögerung und die Vorwarnung, die das Anhörungsverfahren mit sich bringt, nicht mehr die Möglichkeit erhält, Vermögenswerte beiseite zu schaffen.

 

III. Sonstige Korrekturen und Anpassungen in verschiedenen Bereichen der Strafprozessordnung (StPO), des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG)

1.  Einführung einer Definition des Verletzten in die StPO (§ 373b StPO-E)

Die Einführung einer Legaldefinition des Verletztenbegriffs in die StPO erscheint wegen der zahlreichen Rechtspositionen, die auf die Verletzteneigenschaft gründen, sinnvoll. Die nunmehr gewählte Definition knüpft an das Verständnis an, das die Rechtsprechung zu §§ 171, 172 StPO entwickelt hat.

Von Bedeutung ist dabei aber auch, dass die Definition ausdrücklich nur für die StPO gelten soll. Dies bringt der Entwurf klar zum Ausdruck, wenn es in Abs. 1 Satz 1 heißt: „Im Sinne dieses Gesetzes sind Verletzte…“.

Damit entfaltet die Legaldefinition keine Bedeutung für das materielle Strafrecht, in dem einige Spezialvorschriften, zum Beispiel zum Strafantragsrecht, enthalten sind. Anpassungserfordernisse bzw. Wertungswidersprüche werden so vermieden, was aus Sicht der Praxis ausdrücklich zu begrüßen ist.

2.  Stärkung des Schutzes von Zeugenadressen in der StPO (§§ 68, 200, 222 StPO-E)

Die Änderungen betreffend den Schutz von Zeugenadressen sind grundsätzlich als positiv zu bewerten. Die genaue Anschrift eines Zeugen ist für einen Angeschuldigten/Angeklagten und dessen Verteidiger zunächst ohne erkennbaren Belang. Daher ist weder ersichtlich, warum sie in der Anklageschrift erfasst sein sollte, noch warum der Zeuge seine genaue Anschrift in der Hauptverhandlung angeben muss. Insoweit verbietet sich eine vollständige Aufnahme bereits vor dem Hintergrund des Opferschutzes sowie datenschutzrechtlicher Erwägungen. Ist die Anschrift des Zeugen für die Wahrnehmungen, über die er berichten soll, von Bedeutung, wird dies ohnehin Eingang in die Vernehmung zur Sache finden.

Hinsichtlich des § 68 Abs. 4 StPO-E bestehen allerdings insoweit Bedenken, dass es augenscheinlich grundsätzlich der Staatsanwaltschaft obliegen soll, die Auskunftssperre nach § 51 Abs. 1 Bundesmeldegesetz zu veranlassen. Dies birgt in der Praxis gewisse Risiken für eine zeitliche Verzögerung, wenn die Entscheidung nach § 68 Abs. 2 S. 1 StPO, was grundsätzlich möglich ist, erst in der Hauptverhandlung ergeht.

Während der Hauptverhandlung ist das Gericht die aktenführende Behörde und verfügt über alle erforderlichen Unterlagen, insbesondere das entsprechende Hauptverhandlungsprotokoll. Die Staatsanwaltschaft hingegen müsste das erforderliche Protokoll gegebenenfalls erst anfordern und könnte dann erst verzögert tätig werden. Legt man das Ziel der Vorschrift – den Zeugenschutz – zugrunde, ist der Zeitfaktor hier jedoch von erheblicher Bedeutung.

Es erscheint deshalb angezeigt zu überdenken, ob nicht eine Aufteilung der Zuständigkeit für die Veranlassung der Auskunftssperre zwischen dem vorbereitenden Verfahren und dem Zwischen-/Hauptverfahren sinnvoll ist. Diese Aufteilung würde auch mit der jeweiligen Funktion als aktenführende Stelle korrespondieren. 

3.  Neufassung der Vorschriften über die Protokollierung richterlicher und ermittlungsbehördlicher Untersuchungshandlungen (§§ 168 bis 168b StPO-E)

Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Neuerungen in den §§ 168-168b StPO dienen im Wesentlichen dazu, die Protokollierungsvorschriften den technischen Gegebenheiten, insbesondere der digitalen Arbeitsweise, anzupassen und die inzwischen aufgrund der Veränderungen in den Arbeitsabläufen denkbaren Konstellationen einzubeziehen. Als Beispiel hierfür sei § 168a Abs. 3 StPO-E angeführt, wonach das Protokoll, das während der Verhandlung erstellt wird, den an der Verhandlung beteiligten Personen, soweit es sie betrifft, zur Genehmigung auch auf einem Bildschirm angezeigt werden kann.

Auch wenn die Änderungen in der Summe zahlreich erscheinen, ändern sie nichts am wesentlichen Gehalt der §§ 168 ff. StPO, wonach das schriftliche Vernehmungsprotokoll noch immer maßgeblich ist und Bild-Ton-Aufzeichnungen eine zusätzliche Dokumentation darstellen, jedoch keinen Ersatz. Es gilt allerdings weiterhin, dass der Nachweis der Unrichtigkeit des Protokolls anhand der Aufzeichnung geführt werden kann. Dabei handelt es sich um eine Fortschreibung der bestehenden Rechtslage.

Der Deutsche Richterbund weist allerdings darauf hin, dass Handlungsbedarf weniger bei den gesetzlichen Regelungen als vielmehr bei der technischen Ausstattung der Gerichte besteht. Richterliche und ermittlungsbehördliche Untersuchungshandlungen nach den Vorgaben von § 168a StPO-E können nur dann vorgenommen werden, wenn vor Ort die technischen Voraussetzungen gegeben sind. Hier besteht noch ganz erheblicher Nachholbedarf. Es ist zu gewährleisten, dass jedes Gericht und jede Staatsanwaltschaft über im besten Falle mehrere Säle verfügt, die mit Videokameras, Tonaufzeichnungsgeräten und automatischer Transkriptionssoftware ausgestattet sind.

4.  Stärkung des Anwesenheitsrechts des Verteidigers bei Beschuldigtenvernehmungen (§ 168c StPO)

Die beabsichtigte Neufassung des § 168c Abs. 5 StPO-E führt zu einer Verschärfung der bestehenden Rechtslage. Die Benachrichtigung des Verteidigers von der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten soll nunmehr ausnahmslos erfolgen und die Möglichkeit, von der Benachrichtigung des Verteidigers abzusehen, ausdrücklich auf die Fälle der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen beschränkt werden.

Dasselbe gilt aufgrund von Verweisungen in §§ 163a Abs. 3 S. 2 und 163a Abs. 4 S. 3 StPO für staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen.

Da das Unterbleiben der Benachrichtigung in der Praxis bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Ausnahme ist, stellt sich die Frage nach der praktischen Relevanz dieser formalen Verschärfung. Ein Bedarf hierfür ist jedenfalls nicht ersichtlich.

5.  Erweiterung des GewSchG und des § 1361b BGB um das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung

Die beabsichtigte Aufnahme der sexuellen Selbstbestimmung als weiteres Schutzgut in das Gewaltschutzgesetz ist zu begrüßen. Es ist nur konsequent, den durch das Gewaltschutzgesetz gewährleisteten Opferschutz auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung auszudehnen.

Bei der Änderung des § 1361b BGB handelt es sich um eine Folgeänderung.

6.  Erweiterung der Zugriffsbefugnis des Bundeskriminalamts auf das     zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister(§ 492 Absatz 3 Satz 2 StPO)

Gegen die Erweiterung der Zugriffsbefugnis des Bundeskriminalamtes auf das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister zur Erfüllung seiner Aufgaben bestehen in dem Umfang, wie ihn der Gesetzentwurf gestatten will, keine Bedenken.

Die Erweiterung der Zugriffsbefugnis dient der Vernetzung und dem Informationsaustausch anlässlich einer konkreten Gefahrenlage und ist deshalb von Bedeutung für die Erfüllung der Aufgaben des Bundeskriminalamtes.

7. Für die Praxis bedeutsame Änderungen im GVG

a) Erweiterung der Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes in § 120 Abs. 2 Nummer 4 GVG-E

Die Neuregelung hebt die Beschränkung des Evokationsrechts des Generalbundesanwaltes hinsichtlich der Verfolgung von Straftaten nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz auf, in dem sie seine Zuständigkeit auf das gesamte Kriegswaffenkontrollgesetz erstreckt.

Diese Änderung ist sachdienlich, denn sie ermöglicht dem Generalbundesanwalt im Zusammenhang mit dem Kriegswaffenkontrollgesetz umfassende Ermittlungen zur Erhellung eines staatsschutzfeindlichen Charakters sowie geheimdienstlicher Strukturen auch bei versuchten Taten.

b)  Ausweitung der funktionellen Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer, § 74c Abs. 1 S. 1 Nr. 5a GVG-E

Der Gesetzentwurf weitet die funktionelle Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer durch die Aufnahme der Zuständigkeit für Verfahren wegen „der Bestechlichkeit und der Bestechung ausländischer und internationaler Bediensteter sowie nach dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung“ aus.

Die beabsichtigte Ausweitung der Zuständigkeit ist sachdienlich und trägt dem Umstand Rechnung, dass auch in diesem Kontext die Beurteilung von Vorgängen des Wirtschaftslebens relevant ist.