#6/2025

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und die allgemeine Beeidigung von Gerichtsdolmetschern

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Das Gesetz ermöglicht den Ländern und dem Bund, sich im Wege des „Opt out“ ein zusätzliches Jahr bei der Einführung der elektronischen Akte zu verschaffen. Durch Erlass einer Rechtsverordnung können sie in allen Fachbereichen den Einführungstermin vom 01.01.2026 auf den 01.01.2027 verschieben. Darüber hinaus wird der Medienwechsel innerhalb eines Verfahrens („Hybridakte“) flexibilisiert. Schließlich ist in Strafsachen im Kalenderjahr 2026 eine Führung von Papierakten auch dann – und ohne Erlass einer Rechtsverordnung – möglich, wenn die Ermittlungsbehörden Vorgänge von besonderem Umfang in Papier zuliefern. 

Der Deutsche Richterbund hält es für nachvollziehbar, dass die Möglichkeit des „Opt-out“ für ein weiteres Jahr eingeräumt wird. Die Regelung ist sinnvoll, legt dabei aber Versäumnisse der Vergangenheit offen. Die Norm trägt der Realität in der bundesweit zersplitterten IT-Landschaft der Justiz Rechnung. Während in vielen Bundesländern die Einführung der elektronischen Gerichtsakte sehr weit fortgeschritten ist und der bisherige Pflichttermin am 01.01.2026 eingehalten werden kann, sind andernorts – trotz großer Anstrengungen der mit der Umsetzung in der Praxis befassten Kolleginnen und Kollegen – keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen worden, um die gesetzgeberische Verpflichtung zu erfüllen. Die Fristverlängerung muss allerdings bei den betroffenen Stellen zum Anlass genommen werden, die Anstrengungen zur Einführung der elektronischen Akte massiv zu verstärken. Die bisherige Regelung stammt aus dem Jahr 2017 und sah eine Vorbereitungszeit für die Justizverwaltungen von mehr als acht Jahren vor. Die Herausforderung bleibt auch bei einem zusätzlichen Jahr Vorbereitungszeit erheblich. Dabei weist der Deutsche Richterbund darauf hin, dass eine effiziente Aktenbearbeitung in elektronischer Form nur bei moderner Ausstattung mit Hard- und Software und einem verlässlichen und performanten IT-Betrieb gelingen kann. 

Die erhöhte Flexibilität bei der Aktenführung in Strafsachen ist sinnvoll. Die Staatsanwaltschaften erreicht nach wie vor eine hohe Zahl von Ermittlungsvorgängen in Papierform. Der Scan-Aufwand dort sollte auf das Notwendige reduziert werden und die Ermittlungsbehörden sollten ein zusätzliches Jahr Zeit erhalten, um Vorkehrungen für eine flächendeckende Zulieferung in elektronischer Form zu treffen. Schließlich ist auch die Flexibilisierung der Hybridaktenführung in allen anderen Fachbereichen sinnvoll. 

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

1.    Einführung einer bis zum 1. Januar 2027 befristeten „Opt-out“-Lösung durch Rechtsverordnung (§ 43 Abs. 2 EGZPO, § 14 Abs. 4a FamFG etc.)

Mit den Regelungen wird dem Bund und den Ländern die Möglichkeit eröffnet, jeweils für ihren Bereich den Termin für die flächendeckende Einführung der elektronischen Gerichtsakte in allen Fachbereichen durch Rechtsverordnung um ein Jahr zu verschieben. Die Norm trägt der Realität in der bundesweit zersplitterten IT-Landschaft der Justiz Rechnung. Während in vielen Bundesländern die Einführung der elektronischen Gerichtsakte sehr weit fortgeschritten ist und der bisherige Pflichttermin am 01.01.2026 eingehalten werden kann, sind andernorts - trotz großer Anstrengungen der mit der Umsetzung in der Praxis befassten Kolleginnen und Kollegen - keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen worden, um die gesetzgeberische Verpflichtung zu erfüllen. Angesichts dieser Situation hält der Deutsche Richterbund eine Möglichkeit zur Verlängerung der Frist für nachvollziehbar. 

Die Fristverlängerung muss in den betroffenen Bundesländern zum Anlass genommen werden, die Anstrengungen zur Einführung der elektronischen Akte massiv zu verstärken. Die bisherige Regelung stammt aus dem Jahr 2017 und sah eine Vorbereitungszeit für die Justizverwaltungen von mehr als acht Jahren vor. Wenn, wie es die Gesetzesbegründung mitteilt, die Justizverwaltungen in diesem Zeitraum „alle Kräfte und Ressourcen“ aktiviert und das Ziel trotzdem nicht erreicht haben, bleibt die Herausforderung auch bei einem zusätzlichen Jahr Vorbereitungszeit erheblich. Gleichwohl hält der Deutsche Richterbund eine noch weitergehende Verschiebung der Frist über den 01.01.2027 hinaus für nicht empfehlenswert. Ziel muss es sein, mit geringem zeitlichem Versatz bundesweit möglichst einheitliche Arbeitsbedingungen in der Justiz bereitzustellen und einer Zersplitterung des Arbeitsmediums (Papier/eAkte) entgegenzuwirken. 

Der Deutsche Richterbund nimmt den Gesetzesentwurf und die bisherigen Praxiserfahrungen zum Anlass, darauf hinzuweisen, dass eine effiziente Aktenbearbeitung in elektronischer Form nur unter den nachfolgenden Bedingungen gelingen kann: 

-    Richterinnen und Richter müssen mit moderner und praxistauglicher Hardware ausgestattet werden, welche effizientes Arbeiten sowohl am dienstlichen Arbeitsplatz als auch an anderen Orten ermöglicht. 

-    Die eingesetzte Software muss einfach zu handhaben und ihre Bedienung möglichst leicht zu erlernen sein. Das Design der Software darf nicht dazu führen, dass administrative oder Assistenzaufgaben regelhaft vom Unterstützungsbereich auf den richterlichen Dienst verlagert werden. Das gilt auch für alle Fortentwicklungen der eingesetzten Programme. Die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten einschließlich der Künstlichen Intelligenz muss dazu führen, dass alle Dienstzweige von administrativen und repetitiven Aufgaben entlastet werden.

-    Die Technik muss eine performante und verlässliche Arbeitsumgebung gewährleisten. Auch in den Bundesländern, die schon früh und mit großem Einsatz die Einführung der elektronischen Akte betrieben haben, zeigt sich immer wieder die Performance des IT-Betriebs bis hin zu längeren Totalausfällen als problematisch. Wenn Richterinnen und Richter, statt elektronische Akten zu bearbeiten, auf virtuelle Sanduhren blicken oder gar nicht arbeiten können, geht wertvolle Arbeitszeit verloren – ganz zu schweigen von der verheerenden Außenwirkung bei ausfallenden Gerichtsverhandlungen. Dies wirkt sich zudem auf die Arbeitsmotivation der Beschäftigten aus, so dass die Gefahr besteht, dass der richterliche Dienst weiterhin an Attraktivität verliert. Der rasante Aufwuchs an Daten wird die Herausforderungen weiter erhöhen. 

-    Die technische Ausstattung muss die Vielgestaltigkeit richterlicher Aufgaben abbilden. Während manche Arbeitsplätze vorrangig mit dem Lesen umfangreicher Schriftsätze und dem Verfassen von Texten unter Zuhilfenahme von juristischen Recherchetools einhergehen, steht bei anderen Arbeitsplätzen die Mobilität und Flexibilität – etwa bei Ermittlungen vor Ort oder Anhörungen in externen Einrichtungen – im Vordergrund.

-    Die Einführung der elektronischen Akte ist kein Einmalprojekt, sondern eine Daueraufgabe. Hardware, IT-Betrieb, Software und alle weiteren Faktoren werden einem stetigen Wandel unterworfen bleiben, welcher fortlaufende Investitionen einschließlich zugehöriger Schulungsangebote nötig machen wird. 


2.    Möglichkeit der Hybridaktenführung in Strafsachen bei Papieranlieferung durch die Ermittlungsbehörden, § 15 Abs. 3 EGStPO 

Die Regelung ermöglicht im Kalenderjahr 2026 die Führung von Papierakten in Strafsachen, wenn die Zulieferung von Ermittlungsvorgängen „besonderen Umfangs“ an die Staatsanwaltschaft in Papierform erfolgt. Die Regelung trägt der Realität Rechnung. Auch in den Bundesländern, in denen die Landespolizeibehörden auf eine elektronische Zulieferung der Ermittlungsvorgänge umstellen bzw. umgestellt haben, erreicht die Staatsanwaltschaften von anderen Ermittlungsbehörden eine hohe Zahl von Ermittlungsvorgängen in Papierform. Die Digitalisierung der Vorgänge in eine für die praktische Bearbeitung brauchbare Form führt zu einem erheblichen Scan-Aufwand insbesondere bei den Staatsanwaltschaften. Bis zur Entwicklung einer Scan-Lösung, die nahezu ohne menschlichen Aufwand den elektronischen Akten die Scan-Ergebnisse in praktisch handhabbarer Form zuordnet, sollte der Scan-Aufwand bei Gerichten und Staatsanwaltschaften auf das Notwendige reduziert werden. Das gilt besonders für Ermittlungsvorgänge „besonderen Umfangs“. Zudem ist es sachgerecht, dass die Ermittlungsbehörden ein zusätzliches Jahr Zeit erhalten, um Vorkehrungen für eine flächendeckende Zulieferung in elektronischer Form zu treffen. 


3.    Allgemeine Erleichterung der Hybridaktenführung (§ 32 Abs. 1 StPO, § 110a Abs. 1 StVollZG, § 298a Abs. 3 ZPO, etc.)

Die Regelung ermöglicht einen flexiblen Übergang von einer papiergebundenen zu einer elektronischen Aktenführung. Sie greift damit eine Forderung der Praxis auf, unabhängig vom Rechtsgebiet den Übergang von einem Bearbeitungsmedium auf das andere zu ermöglichen. Gerade bei lang laufenden Verfahren wird dies den Erfordernissen der Praxis gerecht. Der Verzicht auf den – teilweise zeitraubenden – Erlass einer Rechtsverordnung und die nunmehr mögliche Regelung etwa in der Aktenordnung ist sachgerecht. Die Vorschrift, wonach der Beginn der Weiterführung der Akten in elektronischer Form aktenkundig zu machen ist, dürfte den Erfordernissen der Aktenklarheit genügen.