#4/2023

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Deutschen Richtergesetzes

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund misst der Verfassungstreue aller Richter einen hohen Stellenwert bei. Die dritte Staatsgewalt kann ihre Aufgabe im gewaltengeteilten Rechtsstaat nach dem Grundgesetz nur sachgerecht erfüllen, wenn die Richter auch persönlich die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Dies gilt für Berufsrichter und ehrenamtliche Richter bzw. Schöffen gleichermaßen. Bereits nach geltendem Recht ist selbstverständlich und in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch ehrenamtliche Richter und Schöffen - unbeschadet der Tatsache, dass Artikel 33 Abs. 5 GG auf sie nicht unmittelbar anwendbar ist - besonderen Amtspflichten unterliegen, etwa der Pflicht zur besonderen Verfassungstreue. Der DRB hat keine Bedenken, die bereits geltende Rechtslage klarstellend nochmals ausdrücklich zu kodifizieren.

Soweit die Begründung des Gesetzentwurfs allerdings davon ausgeht, dass im Fall der Berufung eines ehrenamtlichen Richters trotz Vorliegens des Ausschlussgrundes der fehlenden Verfassungstreue das jeweils entscheidende Gericht im konkreten Einzelverfahren fehlerhaft besetzt ist mit der Folge der Möglichkeit von Besetzungsrügen, dürfte dies den vorgesehenen Regelungen nicht zu entnehmen sein. Auch in der Sache sollte eine solche Regelung nicht verwirklicht werden. Sie stünde nicht nur im Widerspruch zu Regelungen des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes, sondern ließe auch die Bedeutung der Rechtssicherheit für ein rechtsstaatliches Verfahren außer Acht. Außerdem würde sie die Stellung ehrenamtlicher Richter schwächen.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

1. Die Gleichstellung mit den Berufsrichtern bei der Entscheidung erfordert, dass ehrenamtliche Richter bzw. Schöffen in gleicher Weise wie Berufsrichter für das Richteramt geeignet sein müssen. Auch sie unterliegen daher besonderen Amtspflichten, etwa der Pflicht zur besonderen Verfassungstreue. Dies folgt - unbeschadet der Tatsache, dass Artikel 33 Abs. 5 GG auf ehrenamtliche Richter bzw. Schöffen nicht unmittelbar anzuwenden ist - aus der Funktion der Schöffen als den Berufsrichtern gleichberechtigte Organe genuin staatlicher Aufgabenerfüllung. Dies ist bereits nach geltender Rechtslage selbstverständlich und in der Rechtsprechung anerkannt. Bei Verstößen sind auch ehrenamtliche Richter bzw. Schöffen ihres Amtes zu entheben (§ 51 GVG). Der Deutsche Richterbund sieht daher in diesem Punkt keinen dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Er hat allerdings auch keine Bedenken dagegen, die bereits geltende Rechtslage klarstellend nochmals ausdrücklich zu kodifizieren. Gegen die vorgeschlagene Regelung in § 44a Abs. 1 DRiG-E bestehen daher im Grundsatz keine Bedenken. Danach darf in das Amt eines ehrenamtlichen Richters nicht berufen werden, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.

 

2. Soweit die Begründung des Gesetzentwurfs allerdings davon ausgeht, dass im Fall der Berufung eines ehrenamtlichen Richters trotz Vorliegens des Ausschlussgrundes der fehlenden Verfassungstreue das jeweils entscheidende Gericht im konkreten Einzelverfahren fehlerhaft besetzt ist mit der Folge der Möglichkeit von Besetzungsrügen, dürfte dies den vorgesehenen Regelungen nicht zu entnehmen sein.

a) Die in der Neuregelung gewählte Formulierung findet sich für Berufsrichter in § 9 Nr. 2 DRiG. Folge der Einstellung unter Verstoß gegen die Anforderung zur Verfassungstreue ist hier regelmäßig nur, dass ein Disziplinarverfahren oder eine Richteranklage eingeleitet werden kann. Die Entscheidung in diesen Verfahren wirkt allerdings nicht auf den Zeitpunkt der Einstellung zurück (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl. 2009, § 9 RdNr. 18). Die fehlerhafte Besetzung des Spruchkörpers hat sie nicht zur Folge (vgl. zur bisherigen Rechtslage für ehrenamtliche Richter z. B. SG Gießen vom 9.9.1985 - S-16/Vsb-13/84).

b) Die Regelungen in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGG und § 65, § 73 Abs. 2, § 79 Satz 2 ArbGG stehen der in der Begründung des Gesetzentwurfs angenommenen Rechtsfolge jedenfalls für die Sozialgerichtsbarkeit und die Arbeitsgerichtsbarkeit entgegen. Danach können Umstände, die die Berufung eines ehrenamtlichen Richters ausschließen bzw. die Nichtdurchführung einer Amtsenthebung nicht als Verfahrensmängel gerügt werden. § 22 Abs. 1 Satz 4 SGG ist durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17.8.2001 (BGBl. I S. 2144) sogar ausdrücklich zur Vermeidung von Besetzungsrügen geschaffen worden (vgl. dazu Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 22 RdNr 12; Adams in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 22 RdNr 46).

 

3. Daran sollte festgehalten werden. Rechtsmittelverfahren gegen Einzelentscheidungen sind nicht der geeignete Rahmen, um die Verfassungstreue ehrenamtlicher Richter sicherzustellen, zumal die betroffenen ehrenamtlichen Richter an diesen Verfahren nicht selbst beteiligt sind. Dass nur verfassungstreue ehrenamtliche Richter berufen werden, muss vielmehr vor deren Berufung sorgfältig geprüft werden, damit dies nicht in Einzelverfahren, sondern allen Gerichtsverfahren von vornherein sichergestellt ist.

a) Durch die Einführung einer hierauf bezogenen Möglichkeit einer Besetzungsrüge würde hingegen der aus dem Rechtsstaatsprinzip des     Art. 20 GG folgende Grundsatz der Rechtssicherheit in gravierender Weise beeinträchtigt. Die Rechtsgemeinschaft muss darauf vertrauen können, dass gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich Bestand haben. Fehlerhaften Besetzungen kommt in Wiederaufnahmeverfahren nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Eine Klage wegen nicht vorschriftsmäßiger Besetzung findet nur statt, wenn die Nichtigkeit nicht durch ein (fristgebundenes) Rechtsmittel geltend gemacht werden konnte (vgl. § 579 Abs. 2 ZPO). Würde ein Wiederaufnahmeverfahren jederzeit auch noch lange nach Verfahrensabschluss ermöglicht, bestünde die Gefahr, dass einer Vielzahl von - womöglich in der Sache rechtmäßiger - Entscheidungen die Rechtskraft entzogen würde. Dies gilt umso mehr, als nach der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 4) bereits „Zweifel am Bestehen der Verfassungstreue“ zu einem zwingenden Ausschlussgrund und absoluten Revisionsgrund ausgestaltet werden sollen. Aus gutem Grund bedarf es für eine Amtsenthebung vor dem Hintergrund von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 97 Abs. 1 GG einer groben Verletzung der Amtspflicht (vgl. hierzu z. B. BVerfG vom 6.5.2008 - 2 BvR 337/08 - RdNr. 24). Bloße Zweifel reichen hierfür nicht aus. Manifestiert sich eine extremistische Gesinnung in einer gerichtlichen Entscheidung, bieten die Ablehnung des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit oder die Verurteilung wegen Rechtsbeugung ausreichende Handhabe.

b) Die Gerichte verfügen auch nicht über ausreichende Möglichkeiten, nach der Neuregelung für ein rechtssicheres Verfahren zu sorgen. Dem Wiederaufnahmegrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung liegen bislang allein Fehler zugrunde, die aus der Sphäre des Gerichts stammen und dem Einflussbereich des Vorsitzenden unterliegen. Zu der Frage, wie sich der Vorsitzende vor jeder Sitzung von der Verfassungstreue der ehrenamtlichen Richter überzeugen soll, verhält sich die Begründung des Gesetzentwurfs nicht.

c) Die Anknüpfung der vorschriftsmäßigen Besetzung des Spruchkörpers an fehlende Zweifel an der Verfassungstreue der ehrenamtlichen Richter und damit zusammenhängende ständige Nachforschungen schwächt schließlich deren gleichberechtigte Stellung als Richter und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Berufsrichtern, zumal bei einer abweichenden Rechtslage im Vergleich zu den Berufsrichtern.