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Stellungnahme des Bundes der Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit (BRA) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID 19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze
(COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG); Bearbeitungsstand 09.04.2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit bedankt sich für die Gelegenheit, zum o. g. Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen und macht davon gerne Gebrauch.

Wir begrüßen das Gesetzesvorhaben und teilen die in der Begründung des Entwurfes genannten Erwägungen.

Auf folgende Punkte möchten wir zusätzlich hinweisen:

Wichtig sind die vorgenommene zeitliche Begrenzung und die Optionalität der verfahrensrechtlichen Regelung, denn die mündliche Verhandlung ist ein an sich nicht zu ersetzender Bestandteil des arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Besondere Zeiten erfordern aber besondere Reaktionsmöglichkeiten.

Zu § 114 (neu) ArbGG

Die geplanten Änderungen in Abs. 1 und Abs. 2 setzen voraus, dass „das Gericht“ das Verfahren nach § 128a ZPO wählt. Gemäß § 128a ZPO ist dies die Kammer des Gerichts, also auch die ehrenamtlichen Richter. Die ehrenamtlichen Richter stehen zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Entscheidung zu treffen ist nicht zur Verfügung. Daher regen wir an, dass die Vorschrift dahin ergänzt wird, dass diese Entscheidung der Vorsitzende zur Vorbereitung der Verhandlung des Gerichtes alleine trifft.

Es wird angeregt, auch für das Verfahren vor den Arbeitsgerichten befristet für die epidemiologische Situation nach § 5 IFSG das schriftliche Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO zuzulassen.
Das wäre in der momentanen Lage eine erhebliche Erleichterung. Das Recht auf eine mündliche Verhandlung wird insoweit gewahrt, weil das schriftliche Verfahren auf die Zustimmung aller Prozessbeteiligter angewiesen ist und auch die ehrenamtlichen Richter in die Entscheidung weiterhin vollumfänglich einbezieht.

Insofern könnte § 114 (neu) in einem eigenen Absatz regeln, dass § 46 Abs. 2 S. 2 ArbGG in diesem Punkt vorübergehend geändert wird.

Zu § 25a KSchG:

Ob eine Änderung der Klageerhebungsfrist erforderlich ist vor dem Hintergrund, dass über § 5 KSchG deren unverschuldete Versäumung „repariert“ werden kann, sei dahingestellt.

Wenn eine solche Änderung erfolgen soll, liegt es nahe, auch die Frist des § 17 TzBfG anzupassen, denn die Ausgangslage ist hier vergleichbar.

Weiterhin bedarf es einer Klarstellung des zeitlichen Geltungsbereiches der beabsichtigten Änderung der Klageerhebungsfrist.

Gilt sie  nur Kündigungen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zugehen werden oder  auch  für Kündigungen, die schon nach dem Zeitpunkt des Vorliegens einer epidemischen Lage (Beschluss des Bundestags gemäß § 5 Abs. 1 IfSG vom 25.03.2020) zugegangen sind? Der Gesetzesbegründung (zu Art. 3) ist zu entnehmen, dass das Gesetz für die Frage der Anwendbarkeit der Neuregelung (5-wöchige Klageerhebungsfrist) auf den Zugang der Kündigung abstellen will. So heißt es (bezüglich des Außerkrafttretens), dass die Änderung für Kündigungen gilt, die „bis einschließlich 31. Dezember 2020 zugegangen sind". Entsprechend wird auch bei Betrachtung des Inkrafttretens des Gesetzes auf den Zugang der Kündigung abzustellen sein. Das hätte aber zur Folge, dass die 3-wöchige Klageerhebungsfrist weiterhin auch für solche Kündigungen gelten würde, die zwar vor Inkrafttreten des Gesetzes, aber nach dem Beschluss des Bundestages vom 25.03.2020 zugegangen sind. Nach Sinn und Zweck der Neuregelung sollten diese Kündigungen aber wohl in den Anwendungsbereich mitaufgenommen werden. Bei gleichzeitiger Vermeidung einer unzulässigen Rückwirkung (Wiederaufleben abgelaufener Fristen) würde sich deshalb folgende klarstellende Formulierung in Art. 8 anbieten: „Art. 3 tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft und ist erstmals anzuwenden auf Kündigungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht als wirksam iSd. § 7 KSchG gelten.“

Christoph Tillmanns,
Vorsitzender des BRA

 


Stellungnahme des Bundes Deutscher Sozialrichter (BDS) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID 19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze
(COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG); Bearbeitungsstand 09.04.2020

2/20 BDS
15.04.2020

Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Dienstbetrieb auch in der Sozialgerichtsbarkeit stark eingeschränkt worden. Insbesondere finden Verhandlungen nur noch ausnahmsweise statt. Dieser Zustand lässt sich nicht unbegrenzt lange aufrechterhalten. Der Gesetzentwurf verweist zutreffend auf die hohe Belastung der Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere durch eine hohe Anzahl an Verfahren über Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Krankenhausträgern.

Unsere Stellungnahme beschränkt sich auf Artikel 2 (Änderung des Sozialgerichtsgesetzes), § 211 SGG-E. Grundsätzlich unterstützen wir den Regelungsvorschlag, bitten aber an einzelnen Punkten um Überprüfung.

Der Entwurf sieht Eingriffe in das Prozessrecht vor, die tendenziell zu einer Verkürzung der Rechte der Beteiligten und zur Schwächung der Mitwirkung ehrenamtlicher Richter an der gerichtlichen Entscheidung führen. Wir halten die Regelungen für den Fall der durch den Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite für tragbar. Eine zukünftige allgemeine Übernahme in das SGG auch für Zeiten außerhalb der genannten Feststellung sollte jedoch nicht erwogen werden.

1. Zu § 211 Absatz 1 SGG-E:

a) Die Teilnahme von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern an mündlichen Verhandlungen per Videokonferenz dürfte einige praktische Probleme bereiten, die jedoch lösbar erscheinen.

b) Die Teilnahme von ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern an Erörterungsterminen nach § 106 Absatz 3 Nr. 7 SGG ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. nur Mushoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 106 SGG, Rn. 89), jedenfalls in der gerichtlichen Praxis weitgehend unbekannt.

Der Satzteil „oder an dem Erörterungstermin nach § 109 Absatz 3 Nummer 7“ sollte daher entfallen, um Missverständnisse zu vermeiden.

c) Die Regelung sollte auf die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Absatz 2 SGG) erweitert werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese nicht auch per Videokonferenz erfolgen können, wenn die/der Vorsitzende die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter auf diesem Weg über den zu entscheidenden Fall ausreichend informiert.

Die Erweiterung wäre möglich, wenn am Ende des zweiten Satzes der Passus „, auch nach § 124 Absatz 2 SGG.“ angefügt würde.

d) Nach der Einzelbegründung soll die Teilnahme per Videokonferenz für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter freiwillig sein. Es obliegt also allein ihnen zu entscheiden, ob sie von der Möglichkeit Gebrauch machen oder nicht. Das bietet Ansätze für Konflikte, insbesondere bei unterschiedlicher Einschätzung, ob die organisatorischen/technischen Voraussetzungen im konkreten Fall ausreichen, um eine mündliche Verhandlung sachgerecht per Videokonferenz durchführen zu können. Dies festzustellen dürfte wohl nur der/dem Vorsitzenden möglich sein. Daher sollte auch allein ihr/ihm eine Entscheidung hierüber obliegen, ob von der Möglichkeit der Zuschaltung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Gebrauch gemacht werden soll. Wenn sich eine ehrenamtliche Richterin oder ein ehrenamtlicher Richter gehindert sieht, aus Gründen im Einzelfall bestehender besonderer gesundheitlicher Risiken physisch im Gerichtsgebäude zu sein, ist ein Verhinderungsfall zu prüfen.

Wir schlagen daher vor, den ersten Satz folgt zu formulieren: „Das Gericht kann ehrenamtlichen Richtern bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, an der mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus im Wege der zeitgleichen Übertragung in Bild und Ton teilnehmen.“

e) § 211 Absatz 1 Satz 3 SGG-E beschränkt sich auf die Verpflichtung, das Beratungsgeheimnis „durch organisatorische Maßnahmen zu sichern“. Es sprechen gute Gründe dafür, dass diese Fassung des Entwurfs nicht DSGVO-konform ist. Denn Art. 25 und 32 DSGVO schreiben ausdrücklich „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen“ zum Schutz von personenbezogenen Daten vor. Eine Abweichungsmöglichkeit für den nationalen Gesetzgeber ist in Art. 23 DSGVO nicht vorgesehen. Uns ist bewusst, dass derzeit Unsicherheit besteht, welche Videokonferenzprogramme den europäischen Datenschutzanforderungen entsprechen. Die Frage, welche technischen und organisatorische Maßnahmen geeignet sind, um ein angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten, kann jedoch im Einzelfall nach den in Art. 25 Absatz 1 und 32 Absatz 1 DSGVO genannten Kriterien beantwortet werden (Stand der Technik, Implementierungskosten, Art, Umfang, Umstände und Zwecke der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der mit der Verarbeitung verbundenen Risiken für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen). Das lässt ausreichend Spielraum für Einzelfallentscheidungen in der aktuellen Krise.

Wir regen an, in § 211 Absatz 1 Satz 3 SGG-E Wörter „organisatorische Maßnahmen“ durch „geeignete technische und organisatorische Maßnahmen“ zu ersetzen.

2. Zu § 211 Absatz 2 SGG-E:

Anders als in § 110a SGG soll den Beteiligten sowie Zeugen und Sachverständigen keine Option zur Videokonferenz eröffnet werden, sondern diese zwingend angeordnet werden können. Wir gehen davon aus, dass dies mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 111 SGG kombiniert werden kann und die dortigen Kostenfolgen (§ 191 SGG) auch nur in diesem Fall gelten.

Zu überdenken ist aber die vorgesehene Eröffnung der Beschwerdemöglichkeit. Die Beschwerde gegen die Anordnung der/des Vorsitzenden, an einem Verhandlungsoder Erörterungstermin zwingend von einem anderen Ort aus teilzunehmen, dürfte wegen der Verfahrensdauer des Beschwerdeverfahrens zum Scheitern des anberaumten Termins und zur Erledigung der Beschwerde durch Zeitablauf führen. Wegen der zeitlich befristeten Geltung der Vorschrift dürften auch keine Grundsatzentscheidungen der Landessozialgerichte zu erwarten sein.

§ 110a Absatz 3 Satz 2 SGG schließt eine Beschwerde ausdrücklich aus. Zwar ist die Situation nur bedingt vergleichbar; der Beteiligte ist dort nicht gehindert, zum Gerichtssitz zu kommen, er kann nur die Anwesenheit anderer Beteiligter bzw. Zeugen und Sachverständiger nicht erzwingen. Soll § 211 Absatz 3 SGG-E aber (auch) dem Gesundheitsschutz anderer Sitzungsteilnehmer dienen, lässt es sich hier aber gleichfalls begründen, auf ein aufwändiges Beschwerdeverfahren zu verzichten.

Dies ließe sich erreichen, wenn im vorletzten Satz insgesamt auf § 110a Absatz 3 SGG (und nicht nur auf dessen Satz 1) verwiesen und der letzte Satz gestrichen würde.

3. Zu § 211 Absatz 3 SGG-E:

a) Der Ausschluss der Öffentlichkeit darf nur erfolgen, wenn der erforderliche Gesundheitsschutz nicht anders zu gewährleisten ist. Das bietet Anlass für Streitigkeiten. Denn welche Schutzmaßnahmen durch die Gerichtsleitung (räumliche Abtrennungen; Beschränkung auf bestimmte Sitzungssäle) bzw. durch Anordnung der/des Vorsitzenden (Tragen von Schutzmasken während der Verhandlung?) noch zur Verfügung stehen und ggf. vorrangig zu ergreifen sind, kann unterschiedlich eingeschätzt werden. Zwar dürfte das Ermessen der/des Vorsitzenden nur eingeschränkt überprüfbar sein (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Januar 2007 – B 5 R 96/06 B, SozR 4-1720 § 171b Nr. 1, Rn. 15). Angesichts eines möglichen Berufungs- bzw. Revisionsgrundes (§ 144 Absatz 2 Nr. 3, § 160 Absatz 2 Nr. 3 SGG) sollten Zweifelsfälle jedoch von vornherein vermieden und dem Gericht ein nicht näher überprüfbarer Beurteilungsspielraum eingeräumt werden.

Wir schlagen daher vor, vor dem Wort „erforderliche“ die Wörter „nach seiner Einschätzung“ einzufügen.

b) Der Gesetzestext greift die in der Begründung mitgeteilte Intention des verhältnismäßigen Eingriffs nicht auf. § 211 Absatz 3 SGG-E ermöglicht den Ausschluss der Öffentlichkeit „für die Verhandlung oder einen Teil davon“. Mit dieser Regelung ist nur die zeitliche Komponente der Verhandlung erfasst. Als Rechtsfolge sieht der Entwurf den gesamten Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Das in der Begründung verwendete Wort „soweit“ findet sich im Gesetzestext nicht. Die Ermächtigung zum Ausschluss der gesamten Öffentlichkeit, auch wenn ein (mengenmäßiger) Teil ohne Gefährdung am Termin teilnehmen könnte, erscheint verfassungsrechtlich zumindest nicht unbedenklich.

Wir schlagen daher vor, in § 211 Absatz 3 SGG-E das Wort „wenn“ durch das Wort „soweit“ zu ersetzen.

4. Zu § 211 Absatz 4 SGG-E:

Die Erweiterung der Möglichkeit, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, entlastet die erste Instanz. Daher begrüßen wir sie. Nicht verschwiegen werden soll jedoch, dass es zur Notwendigkeit weiterer mündlicher Verhandlungen vor dem Landessozialgericht und damit einer höheren Belastung der zweiten Instanz kommen wird, da ein Beschluss nach § 153 Absatz 1 Satz 1 SGG in den Fällen des § 105 Absatz 2 SGG nicht ergehen darf.

Es sollte daher geprüft werden, ob zusätzlich die Möglichkeit des konsentierten Einzelrichters (vgl. § 155 Absatz 3 SGG) auch beim Sozialgericht eingeführt werden kann. In geeigneten Fällen könnte dieser mit einem Verzicht auf mündlicher Verhandlung durch die Beteiligten (§ 124 Absatz 2 SGG) verbunden werden.

5. Zu § 211 Absatz 5 SGG-E:

Auch hier sollte eine Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter per Videokonferenz entsprechend § 211 Absatz 1 SGG-E ermöglicht werden.

Wir schlagen daher vor, in Satz 2 nach “und 3“ die Wörter „sowie § 211 Absatz 1“ einzufügen.

Abschließend weisen wir darauf hin, dass der Gesetzentwurf die Ausstattung der Gerichte mit Videotechnik voraussetzt, die bisher in vielen Ländern nicht oder nicht in ausreichendem Maße erfolgt ist. Wir würden es begrüßen, wenn die Bundesregierung gegenüber den Landesjustizverwaltungen anregt, insoweit alsbald Verbesserungen vorzunehmen.

Dr. Steffen Roller,
Vorsitzender des BDS