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zur Empfehlung für einen Beschluss des Rates über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Übereinkommen zur Errichtung eines multilateralen Gerichtshofs für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (COM (2017) 493

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund fordert Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung auf, der Europäischen Kommission das geforderte Mandat für Verhandlungen zur Errichtung eines Multinationalen Investitionsgerichts (MIC) zu verweigern.

Internationaler Investorenschutz bedarf klarer materiell-rechtlicher Vorgaben, die bisher fehlen. Der von der Europäischen Kommission angestrebte Weg, ein multinationales Gericht zu schaffen, welches sich sein anwendbares Recht selbst schaffen kann, ist der falsche Weg.
 


B. Bewertung im Einzelnen

A. Das Mandat für einen Multilateral Investment Court (MIC)

I. Der Vorschlag der Kommission

Mit dem Vorschlag für ein Mandat des Rates, ihr den Auftrag zu Verhandlungen über die Errichtung eines Multinationalen Investitionsgerichts (MIC) zu erteilen (COM(2017) 493 vom 13.09.2017), strebt die Europäische Kommission an, den supranationalen Investorenschutz institutionell zu verstetigen. Die Verhandlungen sollen zu einem Abkommen führen, durch welches ein multinationales Gericht zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (Art. 1 des Vorschlags) eingerichtet wird. Weltweit sollen Staaten aufgefordert werden, diesem Abkommen beizutreten.

Die Verhandlungen sollen unter der Federführung von UNCITRAL geführt werden, die Union durch die Kommission vertreten sein. Die Mitgliedstaaten können sich im Rahmen einer ernsthaften Kooperation beteiligen (Mandat Annex 1, Nr. 1-4). Vertreter der Zivilgesellschaft sollen an den Diskussionen beteiligt werden.

Sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten sollen Mitglied der Konvention werden.

Die Zuständigkeit des Gerichts, dessen Konturen im Mandat nur grob gezeichnet werden, hängt von einer Vereinbarung im jeweiligen (Handels-)
Abkommens ab (Annex 1, Nr. 5ff.). Das Gericht soll zwei Instanzen besitzen, wobei die zweite Instanz („appeal tribunal“) die Entscheidungen der ersten Instanz auf Rechtsfehler („errors of law“) oder wesentliche Fehler bei der Sachverhaltsfeststellung („manifest errors in the appreciation of facts“, Annex 1, Nr. 8) überprüfen kann. Die Auswahl der Richter soll strengen Vorgaben genügen. Sie sollen für eine längere, nicht erneuerbare Zeitdauer ernannt werden und unabhängig sein. Das Verfahren soll öffentlich durchgeführt werden („in a transparent manner“; Nr. 11) und durch ein effizientes internationales Vollstreckungssystem unterstützt werden. Es soll sichergestellt werden, dass sich entwickelnde Länder („developing countries“) das System nutzen können. 

II. Ein Gericht ohne materielles Recht

Das internationale Investitionsschutzrecht zeichnet sich durch fehlende materiell-rechtliche Grundlagen aus. Selbst über die Bedeutung wesentlicher Grundsätze herrscht große Unsicherheit, bei der Auslegung des wohl „wichtigsten Schutzstandards“, des fair and equitable treatment standards (FETS), „muss der Rechtsanwender eine völlig unbekannte und im Wortlaut sehr vage gefasste Klausel auslegen“ (Andrea Schernbeck, Der FETS in internationalen Investitionsschutzabkommen, S. 19, 41). Von Parlamenten gesetztes Recht fehlt, die Reichweite und Anwendung völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts auf die weit gefassten Klauseln in den Handelsverträgen ist ungewiss. Dies war bei der Einrichtung des ICDS gewollt. Aron Broches, der damalige General Counsel der Weltbank, schlug in den 1960er-Jahren in Kenntnis der Unmöglichkeit, sich materiell über Investorenschutz zu einigen, vor, zuerst einmal ein Verfahren zur Streitbeilegung einzurichten (Stephan Schill Reforming International Investment Law: Institutional Change v. System-Internal Adaptation, October 30, 201 www.ejiltalk.org). Es sollte ein System geschaffen werden, welches sich sein materielles Recht selbst schafft („He [Broches d.V.] meant to create a framework for resolving investor-state disputes that could work out substantive rules on the go“, Schill, aaO,) und welches von Broches mit „procedure before substance“ umschrieben wurde. Auch wenn sich die politische Weltlage in den letzten 50 Jahren geändert hat, ist es bisher nicht gelungen, die Rechte ausländischer Investoren auf internationaler Ebene oder gar durch die  Parlamente der Staaten verbindlich festzuschreiben und dem Investitionsschutz damit eine verlässliche, demokratisch legitimierte rechtliche Grundlage zu verschaffen. Diese Schwierigkeit, sich international darauf zu verständigen, welche Sonderrechte Investoren weltweit erhalten sollen, kann jedoch nicht dazu führen, die Ausgestaltung des Investorenschutzes über die Einrichtung von Spruchkörpern zu lösen. Dies ist Aufgabe der Parlamente und muss von diesen eingefordert werden.

Die materielle Rechtlosigkeit des „procedure before substance“ im Investitionsschutz würde durch die Einrichtung eines MIC verstärkt. Das von der Kommission angestrebte Mandat zielt auf die Einrichtung eines Gerichts, dem auch weiterhin demokratisch gesetztes Recht als Entscheidungsbasis fehlt. Die Kommission erkennt dies an, wenn sie feststellt, dass Fragen des anwendbaren Rechts, Standards der Auslegung sowie die Vereinbarkeit der mit anderen internationalen Verpflichtungen wie die UN-Konventionen nicht im Mandat, sondern in den einzelnen Verträgen festgelegt werden sollen (Mandat, Explanatory Memorandum, Nr. 1). Dabei zeigt ein Blick in die einschlägigen Vorschriften von CETA, dass die jahrelangen Verhandlungen zwischen Kommission und Canada wenig Konkretes erbracht und nur zu den in Investitionsschutzabkommen üblichen Vorgaben geführt haben. Der FETS ist dabei durch die auslegungsbedürftigen Regelungen zu „denial of justice“, „fundamental breach of due process“ u.a. (Art 8.10 Ziffer 2 a-f) ausgefüllt worden, auch auf „manifest arbitrariness“ wurde nicht verzichtet. Tiefergehende materiell-rechtliche Vorgaben existieren nicht.
Die geplante Überprüfung der Entscheidungen der Kammer der ersten Instanz durch eine Berufungskammer des MIC auf Rechtsfehler („errors of law“, Mandat Attachment Nr. 8) kann sich daher nur auf eigene Rechtsprechung beziehen. Materielles Recht für eine Überprüfung der Rechtsfehler fehlt.

Dies ist umso kritischer, als Investitionsschiedsgerichte bereits heute unmittelbar Macht in den betroffenen Staaten ausüben. Aufgrund ihrer Stellung sind sie in der Lage, Entscheidungen nationaler Verwaltungen und Gerichte zugunsten eines Investors außer Kraft zu setzen. Diese Machtausübung wird, von einem Schiedsgericht ausgeübt, bisher auf die Vollstreckung des einzelnen Schiedsspruchs beschränkt. Sie wird jedoch erheblich verstärkt, wenn die Schiedsgerichte zu einem MIC mit ständiger Rechtsprechung, welcher unter einer internationalen Konvention arbeitet, aufgewertet werden. Die MIC-Konvention wird, zusammen mit den Investitionsschutzabkommen, Teil des Europarechts, wird völkerrechtliche Anerkennung erhalten und kann damit auch die nationalen Gerichte binden. Dadurch wird der MIC zum Normgeber.

III. Ein Sondergericht ohne nachgewiesene Notwendigkeit

Der Schutz von Individualgütern, darunter auch derjenigen von Investoren, ist die tägliche Arbeit von Richtern aller Gerichtszweige und Instanzen. Diese Rechte können grundsätzlich auch von ausländischen Investoren eingeklagt werden. Das Fehlen materiellen Rechts zum Investorenschutz verhindert eine Überprüfung, ob Klagen ausländischer Investoren deshalb scheitern (sofern sie scheitern), weil das materielle Recht ausländische Investoren schlechter stellt, weil das Gerichtssystem allgemein (wegen Korruption oder Desorganisation) nicht funktioniert oder weil die Gerichte einem „National Bias“ anheimfallen. Es wäre zunächst erforderlich festzustellen, wo jeweils nationales Recht Investoren schlechter stellt und, sofern politisch gewollt, national das Recht zu ändern. Hierfür ist keine Errichtung eines internationalen Gerichtes notwendig.

Der beste Investorenschutz ist darüber hinaus eine funktionierende, korruptionsfreie Verwaltung und Justiz sowie eine demokratische Gesetzgebung. Dies festzustellen ist Aufgabe jedes Investors; er kann Investitionen in einem Land, welches diese Standards nicht erfüllt, vermeiden. Geht er dennoch das Risiko ein, ist kein besonderer Schutz notwendig. Nur dort, wo sich unerwartet die Verhältnisse in einem Land so ändern, dass der Investor unverdient rechtlos gestellt wird, kann die Völkergemeinschaft ein Interesse daran haben, einzugreifen. Wann ein solches Staatsversagen vorliegt, wer dieses feststellt und welche individuellen Rechte eines Investors sich daraus ergeben, müsste genau analysiert werden, um auf dieser Basis internationales materielles Recht und Verfahrensrecht zu schaffen. Wesentlich wäre dabei der Mechanismus zur Feststellung eines Staatsversagens, welches den Investor ohne eigene Verantwortung rechtlos stellt.


B. Voraussetzungen für die Errichtung eines MIC

Der Deutsche Richterbund lehnt daher die Mandatserteilung zum jetzigen Zeitpunkt und mit den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Vollmachten ab.

I. Substance before Procedure

Ob es eines gesonderten Investorenschutzes bedarf, muss politisch entschieden werden. Sofern dies der Fall ist und dieser Schutz durch einen MIC prozessual abgesichert werden soll, ist unabdingbare Voraussetzung die Erarbeitung eines materiell-rechtlichen Kanons der zu schützenden Investorenrechte. Dieser Schritt, welchen die nationalen Parlamente leisten müssen, kann nicht mit dem Argument, die Ausarbeitung des materiellen Investorenschutzes müsse den einzelnen Handelsabkommen vorbehalten bleiben, verweigert werden. Die Entscheidungsgrundlage für die Richter des MIC muss ausgearbeitet und international anerkannt sein, bevor ein solches Gericht eingerichtet werden kann. Gerade die Schwierigkeit, sich international über solche Rechte zu einigen, zeigt die Notwendigkeit, die Ausgestaltung nicht einer Berufungskammer eines MIC zu überlassen. „Substance before procedure“ ist der einzig gangbare Weg.

Nur über „substance before procedure“ kann auch sichergestellt werden, dass der Investorenschutz nicht zu einem Geschäftsmodell einer Klageindustrie oder unlauterer Investoren verkommt.

II. Ausbau der Rechtshilfe für das Gastland

Die politische Entscheidung für einen Investorenschutz muss aus Sicht des Deutschen Richterbundes mit einer Ausweitung der internationalen Rechtshilfe einhergehen. Investitionsschutz greift bisher nur den Schutz der Investition im Gaststaat auf. Eine überzeugende Regelung des Investitionsschutzes kann jedoch nur gelingen, wenn auch der Gaststaat und seine Bürger äquivalenten Rechtsschutz vor dem Investor erhalten. Es ist ein Leichtes für den Investor, nach einer missglückten Investition mit hohem Schaden im Gaststaat oder gar nach kriminellem Handeln die Investition zu beenden und sämtliche Vermögenswerte aus dem Gaststaat abzuziehen. Klagen gegen das Tochterunternehmen im Gaststaat können nicht mehr zugestellt, Titel nicht vollstreckt, strafrechtliche Ermittlungen nicht mehr durchgeführt werden.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist es daher unabdingbar, in Handelsverträge neben dem Investorenschutz auch Kapitel über internationale Rechtshilfe in Zivil-, Verwaltungs- und Strafsachen mit aufzunehmen, die die Investition zum Gegenstand haben. Der Investor muss, um seine Investorenrechte nicht zu verlieren, mit den Behörden des Gastlandes im Rahmen des ordre public seines Staates auch grenzüberschreitend kooperieren.

III. MIC nur für bestehende Verträge denkbar

Der Deutsche Richterbund sieht jedoch die Notwendigkeit, eine Lösung für bestehende bilaterale Investment Treaties (BITs) mit Investitionsschutzklauseln zu finden. Die Beendigung dieser Klauseln wegen fehlendem materiell-rechtlichen Inhalts führt zunächst zur Fortgeltung von Investitionsschutzvereinbarungen – sunset clauses – ,während deren Schiedsgerichte angerufen werden können.

Inwieweit es für BITs zwischen Mitgliedstaaten der EU einer gesonderten Regelung bedarf, welche die Geltung der europäischen Rule of Law in diesem Bereich auch bei grenzüberschreitenden Investitionen sicherstellt, wird von der Entscheidung des EuGH in der Sache Slowakische Republik gegen Achmea BV (C- 284/16) abhängen.

Darüber teilt der Deutsche Richterbund die Ansicht der Regierungen im Non-Paper vom 07.04.2016 zu Intra-EU-Investment Treaties (Trade Policy Committee 25/16), wonach die Kündigung von Schiedsklauseln für BITs zwischen Mitgliedstaaten der EU über die Union hinaus Zweifel an deren Notwendigkeit herbeiführen könnte (Non-Paper Abs. 2,6,2). Es ist für den Deutschen Richterbund nicht nachvollziehbar, warum ein Handelsvertrag zwischen Partnern mit demokratischen Regierungen und einer funktionierenden Justiz, wie dies bei allen EU-Mitgliedstaten der Fall ist, besondere Regelungen für Investorenschutz bedarf, die materiell-rechtlich an den Parlamenten vorbei durch ein Sondergericht aufgestellt und durchgesetzt werden sollen. Dies gilt auch für Abkommen mit Rechtsstaaten außerhalb der EU wie z.B. Kanada. Das im Non-Paper der Regierungen zum Ausdruck kommende Misstrauen gegenüber der eigenen Justiz (dort Nr. 11) und die fehlende Bereitschaft, anstatt in die eigene Justiz in einen MIC zu investieren, irritiert. Ein MIC für Investorenschutz zwischen EU-Mitgliedstaaten oder EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten mit stabiler Justiz bedarf einer Rechtfertigung, die bisher nicht erkennbar ist.

Nur dort, wo BITs mit Staaten außerhalb der EU bereits existieren und Fristen für die Fortgeltung von Investorenschutzklauseln während des Laufes von sunset-clauses zu überbrücken sind, scheint das von der Kommission vorgeschlagene Abkommen zur Errichtung eines MIC mit unabhängigen Richtern, einem öffentlichen Verfahren und einer Berufungsinstanz ein Fortschritt gegenüber den bisherigen Schiedsgerichten.

Tatsächlich ist das Mandat jedoch nicht robust genug formuliert, um sicherzustellen, dass die festgesetzten Anforderungen an ein unabhängiges Gericht vollständig erfüllen zu können.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes muss sichergestellt werden, dass ein verstetigtes Investitionsschutzgericht nur für bestehende BITs während der Laufzeit (sunset clause) des Investitionsschutzes errichtet wird. Die zuvor angesprochene „substance before procedure“ kann nicht deshalb umgangen werden, weil bereits eingerichtete Schiedsgerichte verbessert werden sollen.

Es ist sicherzustellen, dass die Entscheidungen des verstetigten Schiedsgerichts weder den Europäischen Gerichtshof noch die Gerichte der Mitgliedstaaten binden. Dies muss in einem Abkommen ausdrücklich festgeschrieben werden.

Die Richter müssen aus der Gerichtsbarkeit der teilnehmenden Staaten kommen und von dort Berufserfahrung mitbringen. Tätigkeit als Schiedsrichter oder Prozessvertreter vor Schiedsgerichten kann nicht als notwendige Erfahrung zählen.

Die Verfahren müssen auch für finanzschwache Staaten ohne Kostenrisiko zu führen sein. Es muss ausgeschlossen werden, dass über die Verstetigung der Schiedsgerichtsbarkeit eine Prozessindustrie entsteht, deren Vorhandensein allein Staaten in Zugzwang bringt. Das verstetigte Schiedsgericht benötigt daher einen engen Gebührenrahmen für Prozessvertreter, welcher für alle Parteien verbindlich ist.

Die Eigenschaft des „Investors als ´foreign´“ und die Herkunft des investierten Geldes aus sauberen Quellen muss von Amts wegen festgestellt werden.
IV. Vereinbarkeit mit der europäischen und den nationalen Rechtsordnungen

Am 06.09.2017 ist die Regierung des Königreichs Belgiens vielfältigen Forderungen, auch der des Deutschen Richterbundes, nachgekommen und hat den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die Vereinbarkeit von ICS mit dem europäischen Primärrecht zu klären. Es ist unabdingbar, vor einer Mandatierung dieses Gutachten abzuwarten.

Es bleibt jedoch die Skepsis der Kompetenz der Union zur Errichtung eines internationalen Gerichts und dessen Vereinbarkeit mit dem deutschen Verfassungsrecht. Ungeklärt ist auch die Frage, inwieweit dessen Rechtsprechung mit der Garantie der Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten in Art. 345 AEUV und der im Grundgesetz verankerten Sozialbindung des Eigentums in Art. 14 GG vereinbar wäre.

Unvereinbar mit dem Gedanken der Union wäre aus Sicht des Deutschen Richterbundes der Abschluss von Investitionsschutzabkommen mit dem Vereinigten Königreich nach dessen Ausscheiden aus der Union.