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Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und der strafrechtlichen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

 

Die Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft als notwendigem Organ der Strafrechtspflege ist ein Kernanliegen des Deutschen Richterbundes. Zur nationalen Diskussion um das ministerielle Einzelweisungsrecht, das zuletzt durch die rechtspolitischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des Internet-Blogs „netzpolitik.org“ wegen Landesverrats in (erneute) Kritik geraten war, ist auf europäischer Ebene das Europäische Leitbild einer zumindest von Einzelfallweisungen unabhängigen Staatsanwaltschaft hinzugetreten.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Deutsche Richterbund die in dem Referentenentwurf vorgesehene Freistellung deutscher Staatsanwaltschaften vom ministeriellen Einzelweisungsrecht für sämtliche Instrumente der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union als einen wichtigen Schritt. Denn der Einbruch des Fahndungsverkehrs konnte, worauf der Entwurf zu Recht hinweist, nur durch eine gemeinsame große Anstrengung der Staatsanwaltschaften und Gerichte verhindert werden. Diese Mehrbelastung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften gilt es angesichts der ohnehin starken Belastung der Justiz zu vermeiden.

Auch die ungeachtet der zur Europäischen Ermittlungsanordnung ergangenen Entscheidung des EuGH vom 8. Dezember 2020 geäußerte Sorge, dass die Staatsanwaltschaften ihre Rolle als eigenständige Akteure der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union nach und nach verlieren könnten, teilt der DRB.

Gleichwohl stellt die begrenzte Freistellung vom externen Einzelweisungsrecht (§ 147 Abs. 4 GVG-E) nur einen ersten Schritt dar, um die unverzichtbare Handlungsfähigkeit deutscher Staatsanwaltschaften auf europäischer Ebene wiederherzustellen. Denn in der Sache schafft die bereichsspezifische Limitierung des ministeriellen Einzelweisungsrechts nur eine „europäische Scheinunabhängigkeit“ deutscher Staatsanwaltschaften. Gerade das System des Europäischen Haftbefehls zeigt, dass nationale Strafverfolgung und europäische Rechtshilfe untrennbar miteinander verbunden sind, weil ein solcher Haftbefehl zwingend die vorherige Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und den Erlass eines Haftbefehls auf nationaler Ebene voraussetzt. Soweit demgemäß eine – auch inhaltlich beschränkte – innerstaatliche Weisungsbefugnis in ministerieller Verantwortung verbleibt, stellt dies die unionsrechtlich gebotene Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft in Frage.

Daher wäre auch auf nationaler Ebene ein weitergehender Reformwille wünschenswert. Zwar ist die Klarstellung, dass interne und externe Weisungen den Legalitätsgrundsatz zu beachten haben (§ 147 Abs. 2 Satz 1 GVG-E), zu begrüßen, weil sie das gesetzliche Leitmotiv staatsanwaltschaftlichen Handelns betrifft, dessen Missachtung insbesondere durch die Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB) und der Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) sanktioniert wird. Auch das Schriftlichkeits- und Begründungserfordernis einer Weisung (§ 147 Abs. 3 GVG-E) ist geeignet, im Einzelfall zur Beachtung der durch das Legalitätsprinzip gesetzten Grenzen beizutragen.

Indes steht gerade das Bekenntnis zur Beschränkung des Weisungsrechts durch den Legalitätsgrundsatz in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis zum Status des politischen Beamten für den Generalbundesanwalt (§ 54 Abs. 1 Nummer 5 BBG). Denn justizfremde Erwägungen, die dem Referentenentwurf zufolge gerade nicht zur Begründung einer Weisung herangezogen werden dürfen (§ 147 Abs. 2 Satz 2 GVG-E), können im Einzelfall weiterhin Motiv seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sein. Auch einer schriftlichen Begründung, wie sie für die Weisung in § 147 Abs. 3 GVG-E vorgesehen ist, bedarf diese Entscheidung nicht.

Dieses Spannungsverhältnis lässt sich mit der besonderen Stellung des Generalbundesanwalts nicht rechtfertigen. Zwar liegt der Schwerpunkt seines Aufgabenbereichs im Schnittpunkt von Strafverfolgung und Politik. Gleichwohl repräsentiert er gerade in seiner öffentlich besonders wahrgenommenen Funktion den Rechtswillen des Staates insgesamt und nicht den politischen Machtanspruch einer einzelnen Regierung. Über die ihm obliegende beamtenrechtliche Folgepflicht hinaus muss er in seiner Amtsausübung nicht grundsätzlich und fortdauernd mit den politischen Ansichten und Zielen der Regierung in Übereinstimmung stehen (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), sondern – wie jeder Staatsanwalt – mit dem Gesetz. Daher kann er zur Wahrung von Recht und Gesetz im Einzelfall sogar dazu berufen sein, sich den Zielen der Regierung entgegenzustellen. Dies aber bedarf einer Position, die es erlaubt, schriftlich begründete, das Legalitätsprinzip beachtende Weisungen zu berücksichtigen, ohne seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand fürchten zu müssen.