#2/2025

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zu einem Gesetz zur Entwicklung und Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund steht der vorgesehenen Erprobung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit nach wie vor positiv gegenüber. Insbesondere die noch zu entwickelnde Kommunikationsplattform wird es ermöglichen, den bislang dokumentenzentriert geführten Prozess weiterzudenken. Anzumahnen ist weiterhin, dass die Einführung eines Online-Verfahrens nur eine einzelne Maßnahme hin zu einer dringend benötigten Beschleunigung von Zivilverfahren ist und kein Ersatz für eine bessere personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte sein darf. Die im Online-Verfahren mögliche Einschränkung zivilprozessualer Verfahrensgrundsätze ist – gerade vor dem Hintergrund der mit der erwarteten Anhebung des Zuständigkeitsstreitwerts verbundenen Ausweitung von Online-Verfahren – im Rahmen der Evaluation besonders sorgfältig zu beobachten. Bedenken hat der Richterbund nach wie vor im Hinblick darauf, dass für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung ein gebundenes Ermessen vorgesehen ist. Die Änderungen, die der vorliegende Entwurf gegenüber dem Entwurf aus der letzten Legislaturperiode enthält, erscheinen – mit Ausnahme der Gebührenreduzierung für Online-Verfahren – sinnvoll.
 
B. Bewertung im Einzelnen 

Der Deutsche Richterbund hat sich bereits positiv zum Referentenentwurf aus dem Jahr 2024 geäußert und begrüßt die Einführung eines Online-Verfahrens in der Zivilgerichtsbarkeit nach wie vor. Auf die Stellungnahme Nr. 14/24 vom Juli 2024 wird Bezug genommen.

Innovative Regelungen

Besonders innovativ ist, dass der Gesetzentwurf die Möglichkeit schafft, sich von einem dokumentenzentriert geführten Verfahren zu lösen. Denn auch die bereits eingeführte eAkte ist letztlich nur eine digitale Abbildung der Papierwelt. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, welche Erfahrungen im Rahmen der Erprobung mit der – noch zu entwickelnden – Kommunikationsplattform gemacht werden, über die der Austausch zwischen den Parteien und dem Gericht stattfinden kann. Zu begrüßen ist daher, dass der Entwurf, abweichend vom ursprünglichen Entwurf, nunmehr vorsieht, dass Rechtsanwälte Erklärungen über die Kommunikationsplattform zwingend als strukturierten Datensatz, etwa im XJustiz-Format, einreichen müssen (§ 1132 Abs. 2 S. 2 ZPO-E). 

Von besonderem Interesse ist auch, welche Erfahrungen mit Klagen gemacht werden, die mit Hilfe digitaler Eingabesysteme erstellt werden. Eine solche Unterstützung von Rechtsuchenden durch digitale Abfrage- und Eingabesysteme ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang zu den Gerichten und führt gleichzeitig dazu, dass auch Klagen von Naturparteien, gerade in Massenverfahren, strukturiert und mit vollständigen Angaben bei Gericht eintreffen. Eine Fluggastrechte-Klage kann bereits jetzt durch Abfrage der benötigten Daten auf dem Justiz-Portal des Bundes automatisiert generiert und – etwa über „Mein Justizpostfach“ – an das Gericht übermittelt werden. Nach Inkrafttreten des Gesetzes über das Online-Verfahren würde eine auf diese Weise erstellte und übermittelte Klage den weiteren Regelungen zum Online-Verfahren unterfallen.

Weitere Maßnahmen zur Beschleunigung von Verfahren erforderlich

Weiterhin zu bedenken ist aus Sicht des Deutschen Richterbunds allerdings, dass die Einführung eines Online-Verfahrens nur ein einzelner Baustein hin zu einer dringend benötigten Beschleunigung von Zivilverfahren ist. Bürger müssen schnell zu ihrem Recht kommen, anderenfalls leidet das Vertrauen in die Justiz und der Rechtsstaat wird beschädigt. Eine erleichterte Einreichung von strukturierten Klagen, Vorgaben zur Strukturierung des weiteren Parteivortrags, verbesserte Kommunikationsmöglichkeiten mit den Parteien oder Erleichterungen bei der Beweisaufnahme können hierzu beitragen. Gesehen werden muss allerdings auch, dass Richterinnen und Richter – bei einem Online-Verfahren nicht anders als bei jedem anderen Verfahren auch – den relevanten Sachverhalt ermitteln, diesen rechtlich prüfen, Verhandlungen und Beweisaufnahmen vorbereiten und durchführen und eine überzeugende Entscheidung begründen müssen. Die Erwartungen der Rechtsuchenden an ein schnelles Online-Verfahren würden enttäuscht, wenn das Verfahren zwar einfach eingeleitet werden kann, aber nicht auch zügig beendet wird. Vor diesem Hintergrund darf die Einführung eines Online-Verfahrens kein Ersatz für eine bessere personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte sein.

Einschränkung von Verfahrensgrundsätzen

Im Rahmen der Erprobung wird angesichts der im Rahmen von Online-Verfahren möglichen Einschränkungen zivilprozessualer Verfahrensgrundsätze sorgfältig zu beobachten sein, ob faire, transparente und rechtsstaatliche Zivilverfahren jederzeit gewährleistet sind. Nach dem Gesetzentwurf wird es in Online-Verfahren möglich, sich vom Strengbeweis zu lösen und etwa Zeugen oder Sachverständige telefonisch zu befragen (§ 1129 Abs. 2 ZPO-E). Das Gericht darf Informationen, die von den Parteien nicht vorgetragen wurden, aus öffentlich zugänglichen Quellen selbst abrufen (§ 1128 Abs. 5 ZPO-E). Auf eine mündliche Verhandlung darf das Gericht verzichten, und zwar selbst dann, wenn eine Partei diese beantragt (§ 1128 Abs. 1 Nr. 4, 2. HS). 

Als Online-Verfahren kann dabei das Gros an amtsgerichtlichen Verfahren geführt werden, nämlich alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen die Zahlung einer Geldsumme geltend gemacht wird und die die Streitwertgrenze nach § 23 Nr. 1 GVG nicht überschreiten. Augenmerk ist dabei auch darauf zu richten, dass nach dem kürzlich veröffentlichten Referentenentwurf zur Änderung des Zuständigkeitsstreitwerts die Zuständigkeit der Amtsgerichte deutlich ausgeweitet werden soll. Im Ergebnis wären Online-Verfahren bis zu einer Grenze von 10.000 € möglich. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die Neufassung des Entwurfs nunmehr vorsieht, dass gerade die Frage, in welchem Umfang und mit welchen Erfahrungen Gerichte von den Verfahrenserleichterungen der §§ 1126 bis 1130 Gebrauch gemacht haben, Gegenstand der Evaluierung sein soll (§ 1134 Abs. 2 Nr. 3 ZPO-E). 

Gebundes Ermessen zur Videoverhandlung

Bedenken bestehen weiterhin, soweit der Entwurf für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung ein gebundenes Ermessen vorsieht. Die mittlerweile Gesetz gewordene Neufassung des § 128a ZPO sieht als Grundsatz für alle Verfahren vor, dass die mündliche Verhandlung in geeigneten Fällen als Videoverhandlung stattfinden kann. Demgegenüber „soll“ gemäß § 1128 Abs. 3 S. 1 ZPO-E in Online-Verfahren eine mündliche Verhandlung als Videoverhandlung stattfinden. Damit rückt der Gesetzentwurf nicht nur ab von dem nach langem Ringen im Vermittlungsausschuss zum Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten gefundenen Regelung. Es erscheint auch inkonsistent, dass das Gericht in Online-Verfahren nach freiem Ermessen darüber entscheiden kann, ob überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfindet oder ob Erleichterungen bei der Beweisaufnahme gelten sollen, für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als Videoverhandlung aber ein gebundenes Ermessen gelten soll.

Änderungen gegenüber der früheren Fassung

Die Änderungen, die der aktuelle Referentenentwurf gegenüber der Fassung aus der letzten Legislaturperiode vorsieht, erscheinen überwiegend sinnvoll. Dies gilt etwa für die neu in § 1127 ZPO-E aufgenommene Möglichkeit, ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ohne mündliche Verhandlung zu erlassen. Da es im Rahmen eines Online-Verfahrens möglich ist, das Verfahren nach billigem Ermessen ohne Anordnung eines schriftlichen Vorverfahrens oder eines frühen ersten Termins durchzuführen, könnten ohne die Möglichkeit, ein Versäumnisurteil auch außerhalb einer mündlichen Verhandlung zu erlassen, Verzögerungen des Verfahrens eintreten, die durch die Einführung des Online-Verfahrens gerade vermieden werden sollen.

Sachgerecht erscheint es auch, den Ländern nicht nur, wie schon im ursprünglichen Entwurf vorgesehen, zu ermöglichen, Online-Verfahren bezirksübergreifend oder sogar länderübergreifend bei einem Amtsgericht zu konzentrieren, sondern dies für bestimmte Sachgebiete zu tun. Damit lehnt sich die Regelung in § 1123 Abs. 2, 3 ZPO-E an die Konzentrationsermächtigung in § 13a GVG an.

Gewisse Bedenken hat der Richterbund allerdings, soweit der Referentenentwurf eine Gebührenreduzierung für Online-Verfahren 
von 3,0 auf 2,0 Gerichtsgebühren vorsieht. Diese Frage ist bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum ursprünglichen Gesetzentwurf kritisch erörtert worden. Der Richterbund teilt insoweit die damals vom Bundesrat geäußerten Bedenken, wonach die Gebührenreduzierung – abhängig vom Umfang der Inanspruchnahme von Online-Verfahren – zu mehr oder weniger erheblichen Mindereinnahmen in den Justizhaushalten führt. Zudem ist es naheliegend, dass Online-Verfahren anstelle eines regulären Verfahrens von den Rechtsuchenden alleine deswegen gewählt würden, weil die Gerichtskosten niedriger sind, nicht aber deswegen, weil der prozessuale Ablauf ein anderer ist. Dies verzerrt auch die Ergebnisse der Evaluation.