#19/19

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 des Strafgesetzbuches bei Handlungen im Ausland

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt die beabsichtigte Änderung des „Schriftenbegriffs“ hin zu einem „Inhaltsbegriff“.

Die Reformvorschläge dienen der Rechtsvereinfachung und der Rechtssicherheit. Zugleich wird dadurch die Lebenswirklichkeit der heutigen Tatbegehungsformen abgebildet, was der überkommene „Schriftenbegriff“ nicht mehr gewährleisten kann. Die mit der Modernisierung des Schriftenbegriffs verbundenen weiteren Änderungen sind folgerichtig und aus Sicht der strafrechtlichen Praxis vollumfänglich zu befürworten.

Soweit mit dem Referentenentwurf Handlungen im Ausland bei den §§ 86, 86a, 130, 111 StGB erfasst werden, verdient dies aus Sicht des Deutschen Richterbundes ebenfalls uneingeschränkte Zustimmung, da damit Umgehungsmöglichkeiten wirkungsvoll begegnet werden kann.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt die beabsichtigte Änderung des „Schriftenbegriffs“ hin zu einem „Inhaltsbegriff“, die wesentlicher Inhalt des Referentenentwurfes ist.

Der Referentenentwurf stellt in seiner Begründung zutreffend die auch nach den Änderungen durch das 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs im Januar 2015 verbleibenden Probleme dar, die sich bei der Subsumtion moderner Sachverhalte der Internet-Kommunikation unter den überkommenen „Schriftenbegriff“ für die strafrechtliche Praxis ergeben. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die Regelungen für das Zugänglichmachen von Inhalten im Internet in §§ 130, 130a, 131, 184d, 194 StGB („mittels Rundfunk oder Telemedien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht“) und die in dem Referentenentwurf aufgezeigten Unsicherheiten bei der Auslegung des Begriffs „Telemedien“.

Zwar ließen sich Strafbarkeitslücken bislang vermeiden. Soweit beispielsweise bei Schriftenverbreitungstatbeständen wie etwa den §§ 111, 140 StGB explizite Regelungen für das Zugänglichmachen von Inhalten im Internet fehlten, konnte in Fällen von „Hate Speech“ auf sozialen Netzwerken im Internet eine „öffentliche Aufforderung“ statt einer „Aufforderung durch Verbreiten von Schriften“ bzw. eine „öffentliche Billigung“ statt einer „Billigung durch Verbreiten von Schriften“ angenommen werden.

Dennoch ist die mit dem Referentenentwurf einhergehende umfassende Klarstellung im Sinne der Rechtsvereinfachung und Rechtssicherheit ebenso uneingeschränkt zu befürworten wie die Streichung der bisherigen, auf die Tatbegehung mittels moderner Medien zugeschnittenen Sonderregelungen in den §§ 130, 130a, 131, 184d, 194 StGB.

Der Deutsche Richterbund teilt die in dem Referentenentwurf getroffene, zentrale Feststellung, dass mit dem überkommenen „Schriftenbegriff“ die Lebenswirklichkeit der heutigen Tatbegehungsformen nicht abgebildet wird. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene „Verbreitung“ kinderpornografischer „Schriften“ über Darknet-Plattformen wie Elysium. Mit dem „Inhaltsbegriff“ wird ein entscheidender Beitrag dazu geleistet, praxisrelevante Tatbestände ohne Verweise auf Legaldefinitionen verständlich zu machen. Dies dürfte zum einen zu einer höheren Akzeptanz in der Bevölkerung und zum anderen zu einer stärkeren präventiven Wirkung strafrechtlicher Normen führen.

Die mit der Modernisierung des Schriftenbegriffs verbundenen weiteren Änderungen sind folgerichtig und aus Sicht der strafrechtlichen Praxis vollumfänglich zu befürworten.

Dies gilt sowohl für die Beseitigung der teilweisen Ungenauigkeit der Formulierung „öffentlich zugänglich machen“ als auch für die systematische Angleichung der Legaldefinition von Jugendpornografie an die Legaldefinition von Kinderpornografie.

Insbesondere betrifft dies aus Sicht der strafrechtlichen Praxis aber die teilweise Klarstellung der Legaldefinition von Kinderpornografie in § 184b Absatz 1 Nummer 1b StGB. Die bislang enthaltene Formulierung „unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ führt in der Praxis zu großen Auslegungsschwierigkeiten.

Die Ersetzung durch die Formulierung „aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung“ entspricht dabei im Wesentlichen der bislang in der strafrechtlichen Praxis verwendeten Definition „altersuntypische, gewöhnlich schambesetzte sexualbetonte Körperhaltung, durch die der Betrachter sexuell provoziert werden soll“. Damit werden aber die in dieser Variante von § 184b StGB besonders praxisrelevanten Fälle sogenannter Model-Serien, also gekünstelt bzw. inszeniert erscheinender Abbildungen von Kindern in aufreizender Bekleidung, zukünftig rechtssicherer abgebildet werden können.

Auch die mit dem Referentenentwurf beabsichtigte Streichung der Begriffe „Schwachsinn“ und „Abartigkeit“ in § 20 StGB und § 12 Absatz 2 OWiG ist zu begrüßen. Diese Termini sind medizinisch veraltet und dürften als herabsetzend empfunden werden. Da der Referentenentwurf ausdrücklich hervorhebt, dass mit der Ersetzung dieser Begriffe durch die Termini „Intelligenzminderung“ und „Störung“ keine inhaltliche Änderung einhergehen soll, ist in der strafrechtlichen Praxis nicht mit einer Einbuße an Rechtssicherheit zu rechnen.

Schließlich verdient die mit dem Referentenentwurf beabsichtigte Erfassung von Handlungen im Ausland bei den §§ 86, 86a, 130, 111 StGB aus Sicht der Praxis uneingeschränkte Zustimmung.

Der Referentenentwurf stellt die Probleme der strafrechtlichen Praxis mit tatsächlichen oder vermeintlichen Handlungen im Ausland zutreffend dar.

Es besteht ein Bedürfnis, Auslandshandlungen bei den vorbezeichneten Delikten zu verfolgen und Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen. In der Praxis werden diese Delikte ganz überwiegend mittels Internetkommunikation begangen. Tatverdächtige haben die Möglichkeit, problemlos über kostenfreie Anbieter wie beispielsweise sogenannte VPN-Dienste Internetverbindungen von Servern in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern zu nutzen. Dadurch können sie ihren etwaigen Handlungsort bewusst in das Ausland verlagern.

Die Erfassung von Handlungen im Ausland bei den §§ 86, 86a, 130, 111 StGB entlastet die strafrechtliche Praxis – was ebenfalls ausdrücklich zu begrüßen ist – ferner davon, die Tatortstrafbarkeit gemäß § 7 Absatz 2 StGB zu prüfen und darzustellen. Letzteres bringt mitunter einen nicht unerheblichen Aufwand mit sich.