#15/2024

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften sowie sonstigen dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten

 

A. Tenor der Stellungnahme 

Der Deutsche Richterbund begrüßt die Zielsetzung des Referentenentwurfs, der Menschen, die – ob ehrenamtlich oder hauptamtlich - in verschiedenen Bereichen Verantwortung für das demokratische Gemeinwesen übernehmen, in den Blick nimmt, die Bedeutung ihrer Tätigkeit hervorhebt und ihren Schutz vor Übergriffen mit Mitteln des Strafrechts stärken soll.


In ihrer Wirkung aber dürfen die vorgeschlagenen Regelungen nicht überschätzt werden. Denn sie beschränken sich im Wesentlichen darauf, politische Signale zu senden, ohne zu einem effektiv stärkeren Schutz beizutragen. So dienen die vorgeschlagenen Änderungen in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB lediglich der Klarstellung und Bekräftigung der geltenden Rechtslage (§ 46 StGB-E), führen jedoch zu keinem stärkeren Schutz der Betroffenen. 


Einen für die Praxis relevanten Mehrwert erzielt allein die vorgeschlagene Aufnahme des „hinterlistigen Überfalls“ in den Katalog der besonders schweren Fälle des § 113 StGB Abs. 2 StGB-E. 


Dies aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein besserer Schutz allein mit - überwiegend kosmetischen - Verschärfungen des Strafrechts nicht zu erreichen sein wird, sondern nur durch eine Stärkung von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Denn nur durch eine konsequente Aufklärung und Ahndung von politisch motivierten Übergriffen wird sich das Risiko für Personen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, spürbar senken lassen.

 
B. Bewertung im Einzelnen 

Der Deutsche Richterbund unterstützt das mit dem Referentenentwurf verfolgte Anliegen, ehrenamtlich tätige Personen ebenso wie Amts-, Mandats- oder sonstige Berufsträger, die in verschiedenen Bereichen Verantwortung für das demokratische Gemeinwesen wahrnehmen, mit den Mitteln des Strafrechts besser vor Gewalt und Angriffen zu schützen.

Die vorgeschlagene Ergänzung des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB hat freilich lediglich symbolischen Charakter. Die Erweiterung der Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 Satz 2 StGB dagegen ist angemessen und sinnvoll. 

Die vorgeschlagenen Änderungen verbessern den Schutz des in den Blick genommenen Personenkreises jedoch nicht signifikant. Dafür bedürfte es unter anderem einer weitreichenden Personaloffensive in den Bereichen Justiz und Polizei. Auf diese Weise ließe sich eine rasche und konsequente Strafverfolgung sicherstellen, die ihrerseits von zentraler Bedeutung für von Gewalt und Übergriffen betroffenen Personen ist. Allein mit kosmetischen Änderungen des materiellen Strafrechts kann gesellschaftlichen Verrohungstendenzen nicht wirksam begegnet werden.


I.    Zu § 46 StGB

Der Referentenentwurf konstatiert zutreffend eine steigende Tendenz zu Übergriffen unterschiedlicher Art auf für das Gemeinwohl tätige Personen und belegt dies unter anderem mit Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik. 

Um die Notwendigkeit einer angemessenen Ahndung zu bekräftigen, schlägt der Referentenentwurf vor, „auch die Eignung der Tat, eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“ als weiteren Gesichtspunkt der Auswirkung einer Tat ausdrücklich in die Liste der nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB bei der Strafzumessung besonders zu berücksichtigenden Umstände aufzunehmen.

Auch nach Auffassung des Deutschen Richterbundes ist die effektive Strafverfolgung und eine tat- und schuldangemessene Bestrafung solcher Übergriffe ein rechtspolitisches und gesellschaftliches Anliegen von besonderer Bedeutung. Dieses Ziel kann jedoch – wie die Entwurfsbegründung unter anderem unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Fall von Henriette Reker zutreffend ausführt (Referentenentwurf, S. 8) – auf rein normativer Ebene bereits mit dem geltenden Regelungsregime erreicht werden.

Da die Entwurfsbegründung ebenfalls davon ausgeht, dass es § 46 Absatz 2 StGB in seiner geltenden Fassung ermöglicht, die besonderen Auswirkungen von Taten, die sich gegen Personen richten, die dem Gemeinwohl dienen, strafschärfend zu berücksichtigen, stellt sich die Frage nach der praktischen Notwendigkeit einer Änderung der Norm, mit der allenfalls ein rechtspolitisches Signal ausgesendet würde. Für die Praxis dürften mit der beabsichtigten Änderung des § 46 Absatz 2 StGB daher keine signifikanten Änderungen einhergehen.

Der Gesetzgeber hat den Katalog der Strafzumessungstatsachen in § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB zum 1. Oktober 2023 bereits um „geschlechtsspezifische, gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe und Ziele erweitert (Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, BGBl. 2023 I 203).

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes sollte dafür Sorge getragen werden, dass die Vorschrift des § 46 Absatz 2 StGB ihren beispielhaften Charakter durch die zunehmende Nennung immer weitergehender Einzelfälle nicht verliert. Denn nur so wird die Rechtsprechung auch atypischen Fallkonstellationen durch die Verhängung einer schuldangemessenen Strafe Rechnung tragen können.

Eine tatsächliche Verbesserung der Situation von Menschen, die für das Gemeinwohl tätig sind, wird durch die beabsichtigte Änderung im Strafzumessungsrecht nicht erreicht werden können. Letztlich kann nur eine adäquate sachliche wie personelle Ausstattung unter anderem von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten den Schutz dieses Personenkreises effektiv gewährleisten.


II.    Zu § 113 Abs. 2 StGB

Der Referentenentwurf identifiziert darüber hinaus Regelungsbedarf im sechsten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches. Der Deutsche Richterbund teilt diese Einschätzung.

Die Fallzahlen in diesem Deliktsbereich steigen, die Angriffe gegen Einsatzkräfte wiegen zunehmend schwerer – mit entsprechenden Folgen für die Opfer solcher Übergriffe. Vor diesem Hintergrund überzeugt die Aufnahme des „hinterlistigen Überfalls“ in den Katalog der besonders schweren Fälle des § 113 StGB Abs. 2 StGB.

Die vorgeschlagene Änderung gewährleistet, dass diese besonders gefährliche und folgerichtig besonders strafwürdige Tatbegehungsform künftig unabhängig vom Vorliegen der übrigen bereits kodifizierten Regelbeispiele regelmäßig mit dem erhöhten Strafrahmen des § 113 Abs. 2 StGB und damit einer Mindeststrafe von sechs Monaten sanktioniert wird. Zugleich ermöglicht es der Charakter als Strafzumessungsregel den Gerichten, flexibel zu bleiben und nach Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls einen besonders schweren Fall zu verneinen.

Das Merkmal des „hinterlistigen Überfalls“ ist bereits Gegenstand von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB und in der Rechtsprechung etabliert. Die Handhabung dieses Merkmals in der Praxis dürfte vor diesem Hintergrund keine Schwierigkeiten bereiten.