Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für den Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der Transparenz von Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft
Das ministerielle Einzelweisungsrecht ist seit Jahrzehnten Gegenstand einer Diskussion, die ein ungelöstes Spannungsfeld aufzeigt: Auf der einen Seite ist staatsanwaltschaftliches Handeln – von wenigen Durchbrechungen in § 153 ff. StPO abgesehen – durch das Legalitätsprinzip gemäß § 152 Abs. 2 StPO bestimmt, dessen Verfolgung wiederum durch spezielle Strafvorschriften (Rechtsbeugung, Strafvereitelung im Amt, Verfolgung Unschuldiger und Vollstreckung gegen Unschuldige) gewährleistet ist. Auf der anderen Seite weist § 147 GVG das Recht der „Aufsicht und Leitung“ des Generalbundesanwalts und der Bundesanwälte dem Bundesjustizminister, das der staatsanwaltschaftlichen Beamten der Länder der Landesjustizverwaltung zu. Befeuert wurde die zwischen zwingender Gesetzesbindung und politischer Weisungsbefugnis changierende Debatte durch den Europäischen Gerichtshof. Dieser hat klargestellt, dass deutsche Staatsanwaltschaften aufgrund des externen Weisungsrechts nicht unabhängig genug sind, um als ausstellende Justizbehörde für einen Europäischen Haftbefehl gelten zu dürfen.
In diesem von einem europäischen Leitbild einer unabhängigen Staatsanwaltschaft, von nationaler Gesetzesbindung und schließlich von ministerieller – und damit auch politischer – Kontrolle geprägten Spannungsfeld leistet der nun vorgelegte Referentenentwurf nur einen kosmetischen Beitrag. Denn im Kern belässt er es bei einer näheren Ausgestaltung der bisherigen Rechtslage, indem er das Recht der Einzelweisung lediglich konkretisiert, ohne es jedoch inhaltlich wirksam zu beschränken. Insbesondere die über eine Rechtskontrolle hinausreichende Weisungsbefugnis in Bereichen eines Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraums und der Ermessensausübung unterwirft praktisch das gesamte staatsanwaltschaftliche Handeln (weiterhin) einer exekutiven Kontrolle.
Ein derartiges ministerielles Einzelweisungsrecht entspricht in keiner Weise europarechtlichen Vorgaben, es ist verfassungsrechtlich nicht geboten und es widerspricht den Anforderungen an eine „wetterfeste“ Justiz. Denn in den falschen Händen wäre eine Weisungsbefugnis der Ministerien fatal. Es ist höchste Zeit, die in diesem Punkt für politischen Missbrauch anfällige deutsche Justizstruktur zu ertüchtigen.
Es bedarf daher jedenfalls weitergehender inhaltlicher Beschränkungen der Weisungsbefugnis, um die Staatsanwaltschaften vor unbotmäßiger Einflussnahme zu bewahren und so den Rechtsstaat und seine Institutionen wehrhaft auszustatten. Denn eine unabhängige Justiz und mit ihr eine unabhängige Strafverfolgung ist nicht nur Ausfluss des Rechtsstaats, sondern zugleich auch dessen Garant. Dieser Wechselwirkung trägt das Festhalten an einem exekutiven Einzelweisungsrecht in der vorgeschlagenen Form nicht hinreichend Rechnung.
Einen sinnvollen Beitrag leistet insoweit der Beschlussvorschlag Nordrhein-Westfalens für die Justizministerkonferenz, das Weisungsrecht auf Fälle fehlerhafter Rechtsanwendung zu beschränken.
Im Einzelnen:
I. Das Festhalten an dem ministeriellen Einzelweisungsrecht in der geltenden Form widerspricht europarechtlichen Vorgaben.
Während trotz der Jahrzehnte währenden innerstaatlichen Diskussion ein Konsens zur Reform des ministeriellen Einzelweisungsrechts nicht gefunden werden konnte, hat sich auf europäischer Ebene das Leitbild einer zumindest von Einzelfallweisungen unabhängigen Staatsanwaltschaft als gemeinsamer unionsweiter Maßstab etabliert. Diesem Leitbild widerspricht das bisherige Einzelweisungsrecht, das der Referentenentwurf näher ausgestalten will, ohne allerdings inhaltlich beachtliche Grenzen zu setzen.
1. Auf europäischer Ebene hat sich das Leitbild einer unabhängigen Staatsanwaltschaft entwickelt.
Bereits im Grünbuch der Kommission vom 11. Dezember 2001 wurde vorgeschlagen, zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft die Institution eines Europäischen Staatsanwalts zu errichten, der „bei der Erfüllung seiner Pflichten Weisungen weder anfordern noch entgegennehmen“ dürfe. Bei der zu jener Zeit geradezu utopisch erscheinenden Europäischen Staatsanwaltschaft tragen deutsche delegierte Europäische Staatsanwälte heute nicht nur einen Doppelhut, sondern sie agieren auch unterschiedlich unabhängig, nämlich europäisch weisungsfrei, national hingegen weisungsgebunden.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) hat Deutschland in einer einstimmig gefassten Resolution am 30. September 2009 aufgefordert, die Möglichkeit abzuschaffen, dass Justizminister der Staatsanwaltschaft Anweisungen zu einzelnen Fällen geben. Auch die Staatengruppe gegen Korruption des Europarates (GRECO) hat Deutschland in ihrem Bericht zur vierten Evaluierungsrunde im Jahr 2014 empfohlen, die Abschaffung des Rechts der Justizminister, im Einzelfall externe Weisungen zu erteilen, in Erwägung zu ziehen.
Mit seiner Entscheidung vom 27. Mai 2019 hat schließlich der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt, dass das System des auf gegenseitiger Anerkennung beruhenden Europäischen Haftbefehls auf dem Leitbild einer unabhängigen Staatsanwaltschaft beruht. Aufgrund des externen Weisungsrechts der Justizminister gegenüber den Staatsanwaltschaften nach § 147 GVG könnten deutsche Staatsanwaltschaften dementsprechend keine ausstellende Justizbehörde im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung sein.
In der Entscheidung heißt es insoweit wörtlich:
„Infolgedessen muss die ausstellende Justizbehörde der vollstreckenden Justizbehörde die Gewähr bieten können, dass sie angesichts der nach der Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats bestehenden Garantien bei der Ausübung ihrer der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls innewohnenden Aufgaben unabhängig handelt. Diese Unabhängigkeit verlangt, dass es Rechts- und Organisationsvorschriften gibt, die zu gewährleisten vermögen, dass die ausstellende Justizbehörde, wenn sie die Entscheidung trifft, einen solchen Haftbefehl auszustellen, nicht der Gefahr ausgesetzt ist, etwa einer Einzelweisung seitens der Exekutive unterworfen zu werden. […]
Wie die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt hat, verleiht dieses Weisungsrecht dem Justizminister die Befugnis, unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidung einer Staatsanwaltschaft zu nehmen, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen oder gegebenenfalls nicht zu erlassen. Die deutsche Regierung hat hinzugefügt, dass das Weisungsrecht insbesondere im Stadium der Prüfung, ob die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls verhältnismäßig ist, ausgeübt werden kann.
Die deutsche Regierung hat zwar darauf hingewiesen, dass das deutsche Recht Garantien vorsehe, die es ermöglichten, das Weisungsrecht des Justizministers gegenüber der Staatsanwaltschaft zu begrenzen, so dass die Fälle, in denen von ihm Gebrauch gemacht werden könne, äußerst selten seien. […]
Festzustellen ist jedoch, dass solche Garantien - ihr Vorliegen unterstellt - jedenfalls nicht völlig ausschließen können, dass Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, wie sie in den Ausgangsverfahren in Rede stehen, im Einzelfall einer Weisung des Justizministers des betreffenden Bundeslands unterworfen werden könnten.“
Seither sind deutsche Staatsanwaltschaften gehindert, Europäische Haftbefehle zu erlassen.
2. Das vorgeschlagene (konkretisierte) externe Weisungsrecht ist mit diesem europäischen Leitbild nicht in Einklang zu bringen.
Dieser Kritik des EuGH trägt der vorliegende Referentenentwurf nicht ansatzweise Rechnung. Zwar heißt es in seiner Begründung, dass das Gericht der deutschen Staatsanwaltschaft die Gewähr für unabhängiges Handeln u. a. deshalb versagt habe, weil im GVG nicht näher geregelt sei, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form das Weisungsrecht ausgeübt werden könne. Dieser Kritik solle der Gesetzesentwurf nun begegnen, indem er das Weisungsrecht ausdrücklich regele.
Diese Begründung aber lässt den Kern der Kritik des EuGH an der deutschen Rechts- bzw. Weisungslage gänzlich unerwähnt. Denn das Gericht hat nicht lediglich das „Wie“ der Weisungsausübung bemängelt, sondern bereits und gerade das „Ob“ der Weisungsbefugnis zum Anlass genommen, deutsche Staatsanwaltschaften als nicht hinreichend unabhängig zu erachten. Dieses „Ob“ soll zwar künftig geregelt werden, bleibt aber auch nach der in Aussicht genommenen Konkretisierung in § 146 GVG-E inhaltlich nahezu unbeschränkt. Denn insbesondere die über eine reine Rechtskontrolle (§ 146 Abs. 2 Nr. 1 GVG-E) hinausgehende Weisungsbefugnis im Bereich von Entscheidungs- oder Beurteilungsspielräumen sowie der Ermessensausübung (§ 146 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 GVG-E) unterwirft praktisch das gesamte staatsanwaltschaftliche Handeln einer exekutiven Kontrolle.
So kommt der Staatsanwaltschaft bei der Bejahung oder auch Verneinung eines Anfangsverdachts und damit der Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ein Beurteilungsspielraum zu, ebenso bei der Bejahung oder auch Verneinung eines hinreichenden Tatverdachts und damit der Entscheidung über die Anklageerhebung. Gleiches gilt für die Frage des Verdachtsgrads oder auch der Zweckmäßigkeit einzelner Ermittlungsmaßnahmen (z. B. Durchsuchungs- oder auch Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, der Einsatz von Vertrauenspersonen und von Verdeckten Ermittlern). Alle diese (zentralen) staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen unterliegen auch künftig einer exekutiven Einflussnahmemöglichkeit, bevor sie überhaupt von einem unabhängigen Gericht überprüft werden können. Ebenfalls einer ministeriellen Einzelweisungsbefugnis unterworfen wären Verfahrenseinstellungen im Bereich der Opportunität (§§ 153ff. StPO).
Auf den Punkt gebracht bedeutet dies: Bei der Aufnahme, der Ausgestaltung bis hin zum Abschluss von Ermittlungen bestünde immer die Möglichkeit einer politischen Letztentscheidung. Allein diese Möglichkeit genügte, um bei öffentlich kontrovers diskutierten staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen den Verdacht aufkommen zu lassen, nicht das Recht, sondern die Politik habe diese maßgeblich bestimmt.
Im Ergebnis leistet der Referentenentwurf daher keinen Beitrag dafür, dass deutsche Staatsanwaltschaften künftig europarechtliche Vorgaben erfüllen. Dies steht nicht nur deutschen Staatsanwaltschaften, sondern dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland in Europa insgesamt nicht gut zu Gesicht.
II. Das Festhalten an dem ministeriellen Einzelweisungsrecht in der geltenden Form ist verfassungsrechtlich nicht geboten.
Ein externes Einzelweisungsrecht widerspricht in der nun konkretisierten Form nicht nur europäischen Maßstäben, es ist verfassungsrechtlich auch nicht geboten.
1. Die Staatsanwaltschaft als notwendiges Organ der Strafrechtspflege
Zwar sind die Staatsanwaltschaften formal nicht der Dritten Gewalt zugeordnet, deren Unabhängigkeit in Art. 97 GG garantiert ist. Sie sind jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur wie jede Verwaltungsbehörde an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG), sondern organisch in die Justiz eingegliedert und erfüllen gemeinsam mit den Gerichten die Aufgabe der „Justizgewährung“ auf dem Gebiet des Strafrechts. Diese Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt bekräftigt; nach einer Entscheidung zum Besoldungsrecht ist die Staatsanwaltschaft zwar Teil der Beamtenschaft, aber zugleich auch notwendiges Organ der Strafrechtspflege und garantiert mit ihrer Verpflichtung zur Objektivität für Rechtsstaatlichkeit und gesetzmäßige Verfahrensabläufe. Entsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass es sich bei den Staatsanwaltschaften um „besondere durch Gesetz geschaffene Organe“ handelt, „die, ohne selbst Gerichte zu sein, organisatorisch aus der Verwaltung herausgelöst und bei den Gerichten mit der Aufgabe errichtet sind, sich an gerichtlichen Verfahren zu beteiligen und diese zu fördern.“
2. Konsequenzen für die Reichweite des Einzelweisungsrechts
Aus der Sonderrolle der Staatsanwaltschaft im Verfassungsgefüge wird vielfach abgeleitet, Weisungsrechte der Justizverwaltung gegenüber der Staatsanwaltschaft seien verfassungsrechtlich geboten, da nur auf diese Weise ein hinreichendes Niveau demokratischer Legitimation gewährleistet werden könne. Tatsächlich aber hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung bislang keine Aussagen dazu getroffen, welches Maß an sachlich-inhaltlicher Legitimation nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG für die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft konkret erforderlich ist. Es hat vielmehr in einer Entscheidung zum Personalvertretungsrecht folgendes ausgeführt:
„Organe und Amtswalter bedürfen mithin zur Ausübung von Staatsgewalt einer Legitimation, die – als eine demokratische – auf die Gesamtheit der Staatsbürger, das Volk, zurückgeht, jedoch regelmäßig nicht durch unmittelbare Volkswahl erfolgen muss. In diesem Bereich ist die Ausübung von Staatsgewalt demokratisch legitimiert, wenn sich die Bestellung der Amtsträger – personelle Legitimation vermittelnd – auf das Staatsvolk zurückführen lässt und das Handeln der Amtsträger selbst eine ausreichende sachlich-inhaltliche Legitimation erfährt; dies setzt voraus, dass die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung – ohne Bindung an die Willensentschließung einer außerhalb parlamentarischer Verantwortung stehenden Stelle – handeln können und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen. (…)
Aus verfassungsrechtlicher Sicht entscheidend ist nicht die Form der demokratischen Legitimation staatlichen Handelns, sondern deren Effektivität; notwendig ist ein bestimmtes Legitimationsniveau. Dieses kann bei den verschiedenen Erscheinungsformen von Staatsgewalt im Allgemeinen und der vollziehenden Gewalt im Besonderen unterschiedlich ausgestaltet sein; innerhalb der Exekutive ist dabei auf die Funktionenteilung zwischen der für die politische Gestalt zuständigen, parlamentarisch verantwortlichen Regierung und der zum Gesetzesvollzug verpflichteten Verwaltung zu berücksichtigen.“
Dass gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben einzig das ministerielle Einzelweisungsrecht und gar dessen Ausgestaltung in der vorgeschlagenen Form die erforderliche sachlich-inhaltliche Legitimation gewährleisten könne, stellt sich als bloße Behauptung dar. Dies lässt nicht nur die justiznahe Stellung der Staatsanwaltschaft unberücksichtigt, sondern auch das daneben bestehende System aus genereller Weisungsbefugnis (Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen - MiStra, Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren - RiStBV), worin bereits eine ausreichende Lenkungsbefugnis zu sehen ist. Dies gilt umso mehr, als Staatsanwälten wegen des strafrechtlich flankierten Legalitätsprinzips ohnehin nur beschränkte Entscheidungsspielräume zukommen. Zudem bedürfen jegliche staatsanwaltschaftliche Maßnahmen, die letztlich in einer gerichtlichen Entscheidung, Anordnung oder Zustimmung münden – insbesondere sämtliche Ermittlungsmaßnahmen unter Richtervorbehalt, Opportunitätseinstellungen mit gerichtlicher Zustimmung, Anklageerhebungen – ohnehin keiner zusätzlichen demokratischen Legitimation im Gewand einer exekutiven Kontrolle.
Im Lichte der Sonderrolle der Staatsanwaltschaft, der flankierenden generellen Weisungsbefugnis, des Legalitätsprinzips und der weitreichenden gerichtlichen Kontrolle staatsanwaltschaftlichen Handelns bieten sich dem Gesetzgeber somit durchaus Gestaltungsspielräume, um eine den Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG genügende exekutive Kontrolle staatsanwaltschaftlichen Handelns sicherzustellen. Noch in einem Gesetzesentwurf aus dem Jahr 2019 hatte die FDP-Fraktion dementsprechend eine gänzliche Aufhebung des externen Weisungsrechts im Einzelfall gefordert und dies damit begründet, dass die Sonderstellung und die spezifische Zuordnung zur Justiz es rechtfertige, die Einflussmöglichkeiten der parlamentarisch verantwortlichen Exekutive zu beschränken.
Aber selbst wenn man den Weg eines vollständigen Verzichts ohne eine Änderung des Grundgesetzes nicht beschreiten möchte, kommt als ausreichende Kompensationsmaßnahme für die Abschaffung der externen Einzelweisungsbefugnis neben dem vom Deutschen Richterbund bereits in der Vergangenheit vorgeschlagenen ministeriellen Klageerzwingungsverfahren auch die Beschränkung des Einzelweisungsrechts auf eine reine Rechtsfehlerkontrolle in Betracht, wie sie Nordrhein-Westfalen mit seinem Reformmodell vorschlägt.
Ein solches Modell, das die Einzelweisungsbefugnis auf Fälle beschränkt, in denen die zuständige Generalstaatsanwältin oder der zuständige Generalstaatsanwalt gegen eine rechtsfehlerhafte staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung zu Unrecht nicht einschreitet, räumt verfassungsrechtliche Bedenken aus, bedeutet aber zugleich einen echten Fortschritt in der Sache. Denn das externe Einzelweisungsrecht wird beibehalten und zugleich verfassungskonform auf eine Rechtsfehlerkontrolle gegenüber der Behördenleitung begrenzt, was etwaigen Durchgriffsversuchen auf die zuständigen Ermittler und allen Spekulationen darüber von vornherein den Boden entzieht. Nur so ließe sich auch die Kritik des Europäischen Gerichtshofs, des Europarats und der EU-Kommission an der Weisungsabhängigkeit deutscher Strafverfolger überzeugend ausräumen.
III. Das Festhalten an dem ministeriellen Einzelweisungsrecht in der geltenden Form ist geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu beschädigen und widerspricht den Forderungen nach einer „wetterfesten Justiz“.
Die Initiative Nordrhein-Westfalens würde – anders als der unzureichende Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums – ganz wesentlich dazu beitragen, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen besser vor politisch motivierten Durchgriffen zu schützen. Das Problem der Weisungsabhängigkeit deutscher Strafverfolger in konkreten Strafverfahren stellt sich heute mit neuer Dringlichkeit: In den falschen Händen wäre eine Weisungsbefugnis der Ministerien fatal. Dass es so weit kommen kann, ist mit Blick auf die Landtagswahlen im Herbst 2024 leider nicht mehr auszuschließen. Es ist höchste Zeit, die in diesem Punkt für politischen Missbrauch anfällige deutsche Justizstruktur zu ertüchtigen. Dem läuft das Festhalten an dem ministeriellen Einzelweisungsrecht in der nun vorgeschlagenen, die bisherige Rechtslage lediglich konkretisierenden Form zuwider.
Betrachtet man den Extremfall einer Regierung, die – ungeachtet ihrer politischen Couleur – den Rechtsstaat als Instrument zur langfristigen Bewahrung ihrer Macht begreift, wären die Staatsanwaltschaften in besonderer Weise dem fortwährenden Risiko politischer Einflussnahme ausgesetzt. Der immer wieder vorgebrachte Einwand, das Einzelweisungsrecht würde nur in Ausnahmefällen ausgeübt und spiele daher in der Praxis keine Rolle, dürfte in einer solchen (Extrem-)Konstellation ins Leere laufen.
Dem Rechtsstaat steht es aber auch ungeachtet eines solchen theoretischen Szenarios nicht gut zu Gesicht, wenn auch nur der „böse Schein“ besteht, Strafverfahren könnten – und sei es nur hypothetisch – aus politischen Gründen beeinflusst oder gar gesteuert werden. Das Ansehen der Staatsanwaltschaft und der Justiz insgesamt werden beschädigt, wenn der Eindruck entsteht, die Politik könne die Dritte Gewalt für ihre Zwecke instrumentalisieren. Allein die Möglichkeit, die Einstellungsverfügung eines Staatsanwalts stehe möglicherweise im Zusammenhang mit einer Nähe des Beschuldigten zu politischen Parteien, lässt deren rehabilitierende Wirkung schwinden; umgekehrt könnten Bürger bei der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Politiker einer in der Opposition befindlichen Partei den Eindruck gewinnen, diese sei nicht allein aufgrund einer rein sachlichen Prüfung des Bestehens eines Anfangsverdachts erfolgt.
Je mehr der Verdacht im Raum steht, der Umgang mit staatlicher Macht werde von sachfremden Erwägungen geleitet, umso mehr schwindet auch die freiwillige Akzeptanz staatlicher Entscheidungen. Staatliche Herrschaft wird in der Demokratie überwiegend durch individuelle Richtigkeitsüberzeugungen und durch den Konsens über überwiegend anerkannte Rechtsvorstellungen legitimiert. Das Ansehen staatlicher Repräsentanten ist Lebensgrundlage des demokratischen Staates und entfaltet dadurch verfassungsrechtliche Relevanz; das Prinzip zur Vermeidung des „bösen Scheins“ ist Bestandteil des modernen Staates und beansprucht Geltung für jegliche Form staatlichen Handelns. Mag man daraus auch keine unmittelbaren verfassungsrechtlichen Ableitungen treffen können: Es ist jedenfalls verfassungspolitisch geboten, den „bösen Schein“ einer politisch geprägten Strafverfolgung zu vermeiden.
Der Fall netzpolitik.org hat diese Mechanismen eindrucksvoll aufgezeigt. Die öffentlich intensiv geführte Debatte über eine etwaige politische Einflussnahme auf das Ermittlungsverfahren gegen die netzpolitik.org-Blogger hatte fraglos eine ganz erhebliche – negative – Außenwirkung für den Rechtsstaat insgesamt. Das Vertrauen der Bürger in das Bild der „objektivsten Behörde der Welt“ und die von ihr betriebene objektive, gleichmäßige und rein gesetzesgebundene Strafverfolgung wurde nicht unerheblich erschüttert.
Nicht zuletzt dieser Fall, der hier lediglich exemplarisch benannt werden soll, zeigt auf: Rein quantitative Betrachtungen sind völlig ungeeignet, um als Rechtfertigung für die Berechtigung des Einzelweisungsrechtes herzuhalten. Dessen ungeachtet könnte gerade die im Referentenentwurf vorgeschlagene Konkretisierung des Einzelweisungsrechtes einen Anreiz dahingehend entfalten, künftig sogar verstärkt von der Weisungsbefugnis Gebrauch zu machen. Denn indem § 146 Abs. 2 Nr. 2 und 3 GVG-E ausdrücklich weisungsgebundene Bereiche benennt (Beurteilungs- und Ermessensspielraum), weist die Norm den Justizministerien der Länder und dem Bundesjustizminister ausdrücklich auch (politische) Verantwortungsbereiche zu, innerhalb derer sie exekutiven Einfluss nehmen dürfen. Diese Verantwortungszuweisung aber könnte dazu führen, dass dieser vermehrt durch entsprechende Weisungen entsprochen wird, um sich nicht im Einzelfall dem (politischen) Vorwurf ausgesetzt zu sehen, pflichtwidrig untätig geblieben zu sein.
Demgegenüber führt die vorgesehene Bedingung, dass Weisungen frei von justizfremden Erwägungen ergehen (§ 146 Abs. 2 Satz 2 GVG-E), zu keiner wirksamen Beschränkung. Denn gerade in den Bereichen von Beurteilungs- und Ermessensspielräumen können einzelnen, für sich genommen sachlich zu berücksichtigenden Erwägungen aus justizfremden Motiven heraus ein anderes Gewicht mit dem Ergebnis einer anderen Entscheidung beigemessen werden, ohne dass eine „justizfremde Motivlage“ offengelegt würde. In der Praxis wird sich die vorgesehene Einschränkung daher als wirkungslos erweisen.
IV. Das Festhalten am Status des Generalbundesanwalts als politischen Beamten ist nicht zeitgemäß und steht im Widerspruch zum konkretisierten Weisungsrecht.
Gerade das gesetzgeberische Bekenntnis, dass Weisungen „frei von justizfremden Erwägungen“ ergehen sollen (§ 146 Abs. 2 Satz 2 GVG-E), steht in einem unauflösbaren Widerspruch zum Status des politischen Beamten für den Generalbundesanwalt (§ 54 Abs. 1 Nummer 5 BBG). Denn derartige justizfremde Erwägungen können im Einzelfall weiterhin Motiv seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand sein. Auch einer schriftlichen Begründung, wie sie für die Weisung in § 147 Abs. 3 GVG-E vorgesehen ist, bedarf diese Entscheidung nicht.
Dieses Spannungsverhältnis lässt sich nicht mit der besonderen Stellung des Generalbundesanwalts rechtfertigen. Zwar liegt der Schwerpunkt seines Aufgabenbereichs im Schnittpunkt von Strafverfolgung und Politik. Gleichwohl repräsentiert er gerade in seiner öffentlich besonders wahrgenommenen Funktion den Rechtswillen des Staates insgesamt und nicht den politischen Machtanspruch einer einzelnen Regierung. Über die ihm obliegende beamtenrechtliche Folgepflicht hinaus muss er in seiner Amtsausübung nicht grundsätzlich und fortdauernd mit den politischen Ansichten und Zielen der Regierung in Übereinstimmung stehen (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), sondern – wie jeder Staatsanwalt – mit dem Gesetz. Daher kann er zur Wahrung von Recht und Gesetz im Einzelfall sogar dazu berufen sein, sich den Zielen der Regierung entgegenzustellen. Dies aber bedarf einer Position, die es erlaubt, schriftlich begründete, das Legalitätsprinzip beachtende Weisungen zu berücksichtigen, ohne seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand fürchten zu müssen.