#11/2023

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz gegen digitale Gewalt

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt grundsätzlich das mit dem Eckpunktepapier verfolgte Anliegen, den von Hass, Hetze und Bedrohungen Betroffenen erweiterte Auskunftsrechte zur Identifizierung der Verfasser solcher Äußerungen an die Hand zu geben. Es liegt dabei auf der Hand, dass der Rechtsstaat überall dort, wo es einen materiell-rechtlichen Anspruch gibt, auch ein effektives Verfahren zu seiner Durchsetzung zur Verfügung stellen muss.

Allerdings können Gerichte eine schnelle Reaktion auf Auskunftsanträge nur gewährleisten, wenn die Justiz entsprechend ausgestattet und personell deutlich verstärkt wird. Dies gilt umso mehr, als das Eckpunktepapier eine erhebliche Ausweitung des derzeit geltenden Auskunftsrechts vorsieht.

Gesetzliche Regelungen zu einem schnellen Auskunftsverfahren,

- mit dem in viel mehr Fällen als bisher Auskunft verlangt werden kann, nämlich schon bei jeder Persönlichkeitsrechtsverletzung,

- von dem viel mehr Auskunftsdaten umfasst sein sollen, nämlich auch Nutzungsdaten, wie insbesondere IP-Adressen,

- bei dem die Gerichte anstelle der antragstellenden Partei die Auskunftserteilung durchsetzen sollen, und

- das weitergehende Rechtsfolgen bis hin zu Accountsperren beinhalten soll,

werden ohne eine entsprechende personelle Ausstattung bloße Symbolpolitik bleiben.

Anlass zu Bedenken gibt dabei, dass die Auskunft in vielen Fällen ins Leere laufen wird. Denn selbst bei einer zügigen Durchführung des Auskunftsverfahrens ist nicht gewährleistet, dass IP-Adressen bei den Internetzugangsanbietern überhaupt oder jedenfalls noch bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung gespeichert sind. Aus diesem Grund wird der Auskunftsanspruch ohne eine gesetzliche Speicherpflicht für IP-Adressen nicht funktionieren.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

Das Eckpunktepapier für ein „Gesetz gegen digitale Gewalt“ beinhaltet als zentrale Maßnahme ein ausgeweitetes Auskunftsverfahren, das darauf abzielt, die Identität von Verfassern rechtsverletzender Äußerungen zu erfahren. Daneben ist die Einführung eines Anspruchs auf eine „Accountsperre“ und die Verpflichtung zur Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten vorgesehen.

Ein gerichtliches Verfahren, mit dessen Hilfe Betroffene Auskunft über die Identität von Verfassern rechtsverletzender Äußerungen erhalten können, existiert bereits jetzt in § 21 Abs. 3 TTDSG. Dieses Verfahren hat allerdings verschiedene Limitationen, so dass sich die praktische Relevanz dieses Auskunftsverfahrens bislang in Grenzen hält. Das im Eckpunktepapier geschilderte Vorhaben möchte die Auskunftsrechte in dreifacher Hinsicht ausweiten:

- Statt nur bei strafbaren Inhalten soll die Verletzung absoluter Rechte, insbesondere des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, ausreichend sein, um eine Auskunft verlangen zu können.

- Statt nur Bestandsdaten (Name, E-Mail-Adresse) sollen auch Nutzungsdaten (insb. die verwendete IP-Adresse) mitgeteilt werden.

- Statt nur Telemedien (insb. soziale Netzwerke) sollen alle Telekommunikationsanbieter zur Auskunft verpflichtet sein.

 

I. Absenkung der Schwelle für einen Auskunftsanspruch erfasst viel mehr Fälle

 

Die derzeitige Regelung in § 21 TTDSG gewährt einen Auskunftsanspruch im Wesentlichen nur dann, wenn „rechtswidrige Inhalte“ gemäß dem Katalog in § 1 Abs. 3 NetzDG vorliegen. Relevant sind dabei vor allem die Äußerungsdelikte der §§ 185-187 StGB (Beleidigung, Üble Nachrede und Verleumdung). Mit der Ausdehnung auf jegliche Verletzung von absoluten Rechten – damit auch auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts oder des Unternehmenspersönlichkeitsrechts – ist eine erhebliche Vergrößerung des Anwendungsbereichs verbunden. Hiervon wäre dann keineswegs erst die im Titel des Eckpunktepapiers angesprochene „digitale Gewalt“ erfasst, sondern z. B. auch eine wahrheitswidrige Restaurantkritik, eine rechtsverletzende Produktbewertung oder eine unwahre Arbeitgeberbewertung auf einschlägigen Bewertungs-Plattformen. Ganz losgelöst von der Frage, inwieweit mit einer derartigen Ausdehnung des Anwendungsbereichs „echte“ digitale Gewalt relativiert wird, ist jedenfalls mit einer erheblichen Zunahme der Anzahl von Auskunftsverfahren sicher zu rechnen.

Werden solche Äußerungen auf Bewertungs-Plattformen – wie es oft der Fall ist – anonym getätigt, sind Betroffene auch nach der derzeitigen Rechtslage indes nicht schutzlos. Sofern die Äußerung rechtsverletzend ist, weil zum Beispiel einer Bewertung keine tatsächlich gemachten Erfahrungen zu Grunde liegen, ist die jeweilige Plattform schon nach derzeitigem Recht zur Löschung verpflichtet. Die Löschung kann im Streitfall auch im Wege einer einstweiligen Verfügung schnell durchgesetzt werden. Mit der vorgesehenen Ausweitung des Auskunftsanspruchs soll zukünftig mit Hilfe der IP-Adresse die Identität von anonymen Verfassern auch solcher Äußerungen, die zwar rechtsverletzend sind, die aber nicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschreiten, ermittelt werden können. Eine solche Ausweitung des Auskunftsanspruchs – wodurch Auskunftsmöglichkeiten geschaffen werden, die über solche von Strafverfolgungsbehörden hinausgehen – sollte gut bedacht werden, weil sie die Gefahr birgt, dass sich Personen, die zwar anonym, aber in rechtmäßiger Weise von ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch machen möchten, von der Veröffentlichung einer Äußerung abgehalten fühlen könnten.

 

II. Einbeziehung von Nutzungsdaten führt zu einem aufwändigen Verfahren

 

Der Anspruch nach § 21 TTDSG ist derzeit auf eine Auskunft über Bestandsdaten beschränkt. Bestandsdaten sind insbesondere Name und
E-Mail-Adresse eines Verfassers, die im Zusammenhang mit der veröffentlichten Äußerung zwar nicht sichtbar, aber beim Betreiber der Online-Plattform hinterlegt sind. An dieser Stelle liegt eine maßgebliche Schwäche des derzeitigen Auskunftsrechts, denn oftmals werden die hinterlegten Angaben schlicht unwahr sein und offenbaren die wahre Identität des Verfassers nicht.

Mit der vorgesehenen Ausdehnung auf Nutzungsdaten kann eine Ermittlung der Identität von Verfassern anonymer, rechtsverletzender Äußerungen, die bei der Online-Plattform keine oder keine wahren Angaben über ihre Identität hinterlegt haben, im Grundsatz möglich sein. Allerdings würde das Auskunftsverfahren dadurch auch hinsichtlich seines Ablaufs erheblich komplexer. Vorgesehen ist ein zweistufiges Verfahren: Danach soll schon in einem frühen Verfahrensstadium eine Beweissicherungsanordnung ergehen, wonach das Landgericht in der ersten Stufe einen Diensteanbieter wie etwa Google oder Facebook verpflichten soll, (nur) gegenüber dem Gericht die betroffene IP-Adresse offenzulegen, damit das Gericht dann in der zweiten Stufe den Internetprovider verpflichten kann, (nur) gegenüber dem Gericht mitzuteilen, wem diese IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt zugeordnet war, bevor diese Information dort gelöscht wird. Diese Angaben soll das Gericht der antragstellenden Partei erst herausgeben, wenn sich die Rechtsverletzung nach durchgeführtem Verfahren bestätigt.

Es liegt auf der Hand, dass ein derart komplexer Verfahrensablauf zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gerichte führen würde. Eine schnelle Durchführung eines solchen Verfahrens, sowohl im Hinblick auf die geplante zweistufige Beweissicherung, als auch im Hinblick auf eine schnelle Durchführung des Verfahrens insgesamt, gegebenenfalls sogar im Wege einer einstweiligen Anordnung, kann nur bei einer entsprechenden personellen Ausstattung der Gerichte funktionieren.

 

III. Erhöhte Belastung durch Amtsermittlung

 

Zu einer weiteren Mehrbelastung führt dabei, dass das vorgesehene Verfahren den Verfahrensgrundsätzen des FamFG unterliegen soll. Dies bedeutet zum einen, dass – auch vor den Landgerichten – kein Anwaltszwang besteht, § 10 FamFG. Zum anderen sind die Gerichte in FamFG-Verfahren zur Amtsermittlung verpflichtet, § 26 FamFG.

               

IV. Gerichte werden zum Vollstreckungsorgan der antragstellenden Partei

 

Das Eckpunktepapier weist darauf hin, dass die Situation bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums als Vorbild für die Ausweitung des Auskunftsverfahrens herangezogen worden sei. Insoweit ist allerdings festzuhalten, dass das nach dem Eckpunktepapier vorgesehene Auskunftsverfahren beispiellos ist und schon hinsichtlich des Ablaufs erheblich über Auskunftsansprüche bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums hinausgeht.

Zwar existieren in der Tat Auskunftsansprüche bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, die auch Auskünfte über Verkehrsdaten von Internetzugangsanbietern betreffen können. Diese sind insbesondere in § 140b Abs. 9 PatG, § 24b Abs. 9 GebrMG, § 9 Abs. 2 HalblSchG, § 19 Abs. 9 MarkenG, § 101 Abs. 9 UrhG, § 46 Abs. 9 DesignG und § 37b Abs. 9 SortSchG geregelt.

Diese als Vorbild herangezogenen Regelungen über Auskunftsansprüche bei der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sehen allerdings lediglich vor, dass der antragstellenden Partei selbst Auskunft über die Verkehrsdaten erteilt wird oder dass – im Sinne einer Sicherung – die Internetzugangsanbieter verpflichtet werden, die gespeicherte Zuordnung der IP-Adresse vor einer Entscheidung nicht zu löschen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Regelung im Eckpunktepapier, wonach die Diensteanbieter und die Internetzugangsanbieter die gewünschten Daten gegenüber dem Gericht „offenlegen“ sollen, als gänzlich neu dar. Das Gericht soll also nicht nur eine Verpflichtung zur Auskunft oder zur vorläufigen Nichtlöschung aussprechen, sondern die Anordnung – anstelle der antragstellenden Partei – selbst vollziehen, die Auskünfte entgegennehmen und die Auskünfte dann zunächst „geheim halten“.

Wie dies alles konkret geschehen soll, lässt das Eckpunktepapier offen. Angesichts der gänzlich vage bleibenden Ausgestaltung kann kaum beantwortet werden, ob die bestehenden Strukturen in den Gerichten ein solches Verfahren leisten könnten. Sicher ist: Mit der Abwicklung der Auskunftserteilung, die das Gericht anstelle der antragstellenden Partei durchführen soll, kommt erheblicher Mehraufwand auf die Gerichte zu.

 

V. Ohne Speicherpflicht wird die Auskunft über IP-Adressen in vielen Fällen leerlaufen

 

Ob dieser komplexe Verfahrensablauf letztlich überhaupt zu einer erfolgreichen Auskunft führt, erscheint fraglich: Telekommunikationsunternehmen speichern die Zuordnung von IP-Adressen derzeit entweder gar nicht – insbesondere bei mobilen Internetverbindungen – oder nur für eine sehr kurze Zeit von 3 bis 7 Tagen, nämlich nur so lange, wie sie z. B. für Abrechnungszwecke benötigt werden. Aus diesem Grund stellen sich bei dieser Variante eines „zivilrechtlichen Quick-Freeze“-Verfahrens dieselben Probleme, die auch schon beim strafrechtlichen Quick-Freeze ungelöst sind.

An dieser Stelle wird erneut deutlich, dass sich die als Vorbild herangezogenen Auskunftsansprüche im Falle der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums an entscheidender Stelle von dem neuartigen Auskunftsverfahren im Eckpunktepapier unterscheiden: In den dortigen Fällen ist die IP-Adresse im Zeitpunkt des Auskunftsbegehrens schon bekannt. So hat beispielweise ein Rechteinhaber die IP-Adresse, von der aus auf einer Internet-Tauschbörse die Verletzung begangen wurde, bereits selbst ermittelt. Er muss daher nur noch im Wege der Auskunft ermitteln, wem diese IP-Adresse im fraglichen Zeitpunkt zugeordnet war.

Bei der nach dem Eckpunktepapier vorgesehenen Auskunft im Falle „digitaler Gewalt“ muss allerdings zweistufig vorgegangen werden, weil die IP-Adresse im Ausgangspunkt noch gar nicht bekannt ist: Zunächst sollen daher die Diensteanbieter wie Google oder Facebook verpflichtet werden, mitzuteilen, von welcher IP-Adresse aus die Veröffentlichung erfolgte. Denkbar wäre auch – jedenfalls bei accountgebundenen Sachverhalten – auf die IP-Adresse abzustellen, von der aus der letzte Login erfolgte. Erst im nächsten Schritt kann dann der Internetzugangsanbieter verpflichtet werden mitzuteilen, wem diese IP-Adresse im fraglichen Zeitpunkt zugeordnet war.

Bereits aufgrund dieses gestuften Vorgehens erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass eine gerichtliche Anordnung gegenüber dem Internetzugangsanbieter, also auf der zweiten Stufe, schneller als in 7 Tagen ergehen könnte. Zunächst müsste die verletzende Äußerung vom Betroffenen wahrgenommen werden, dann müsste eine gerichtliche Anordnung gegenüber dem Diensteanbieter erfolgen, dann müsste der Diensteanbieter die Auskunft erteilten, und erst dann könnte die Anordnung gegenüber dem Internetzugangsanbieter hinsichtlich der zuvor ermittelten IP-Adresse erfolgen.

Bei alledem dürfte zur Wahrung des verfassungsrechtlich geschützten rechtlichen Gehörs eine gerichtliche Anordnung gegenüber den Beteiligten – also gegenüber dem Diensteanbieter und dem Internetzugangsanbieter – nicht schon auf eine einseitige Behauptung der antragstellenden Partei hin erfolgen. Vielmehr müsste den Beteiligten vor einer Entscheidung rechtliches Gehör gewährt werden, was das Verfahren – auch in einem Eilverfahren – noch um mehrere Tage verlängern würde.

Es liegt daher nahe, dass das Auskunftsersuchen ohne eine verpflichtende Speicherung von IP-Adressen leerlaufen wird, und zwar auch dann, wenn nicht auf die IP-Adresse der Äußerung, sondern auf die letzte
Login-IP-Adresse abgestellt wird. Weitere Schwierigkeiten können sich dadurch ergeben, dass unklar ist, wie die Auskunft im Falle ausländischer Diensteanbieter durchgesetzt werden kann, und ob es eine Frist geben wird, binnen der die Diensteanbieter Auskunft erteilen müssen.

Auf der zweiten Stufe der Auskunft, auf Ebene der Telekommunikationsanbieter, stellt sich zudem das technische Problem, dass Internetprovider oftmals IP-Adressen gleichzeitig mehreren Kunden zuordnen und das Routing des individuellen Traffics über spezifische Ports abwickeln. Es kann daher Fälle geben, in denen die Auskunft über eine
IP-Adresse allein, ohne gleichzeitige Auskunft auch über die Port-Nummer, keine eindeutige Identifizierung eines Nutzers zulässt.

 

VI. Fazit

 

Die mehrdimensionale Ausweitung des Auskunftsverfahrens – mit der Folge weitaus höherer Fallzahlen sowie einer erheblich komplexer werdenden Durchführung – wird zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gerichte führen. Der dem Eckpunktepapier zugrundeliegende Wunsch nach einer schnellen Reaktion auf ein Auskunftsbegehren, sowohl im Hinblick auf die geplante zweistufige Beweissicherung, als auch im Hinblick auf eine schnelle Durchführung des Verfahrens insgesamt, gegebenenfalls sogar im Wege einer einstweiligen Anordnung, kann nur bei einer entsprechenden personellen Ausstattung der Gerichte funktionieren. Hierbei wirkt sich auch aus, dass das Verfahren den Verfahrensgrundsätzen des FamFG unterliegen soll und das Gericht letztlich zum Vollstreckungsorgan der antragstellenden Seite gemacht wird. Ohne eine entsprechende personelle Ausstattung der Gerichte wird ein solches Auskunftsverfahren bloße Symbolpolitik bleiben.