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Anhörung des Deutschen Bundestages zum Herkunftslandprinzip in Art. 1 Nr. 4 (§ 4 TDG) des Entwurfs eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz - EGG), BT-Drucks. 14/6098

September 2001

Der Deutsche Richterbund nimmt zu den Fragen des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie wie folgt Stellung :

 

1. Welches Ziel verfolgt die E-Commerce-Richtlinie mit der Etablierung des Herkunftslandprinzips? Ist es möglich bei der Umsetzung außer den in Art. 3 und den im Anhang aufgeführten Ausnahmen noch weitere Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip vorzusehen? Wie stehen Art. 1 Abs. 4 und Art. 3 der Richtlinie zueinander?

 

Ziel des Herkunftslandsprinzips in der E-Commerce-Richtlinie ist es, den Handel über das Medium Internet zu erleichtern (Art. 1 Abs. 1), indem von vornherein eindeutig feststeht, welches innerstaatliche Recht auf das Verhältnis zwischen Diensteanbieter und Nutzer anwendbar ist. Die hiermit einhergehende Rechtsklarheit ist essentiell für das einwandfreie Funktionieren des Binnenmarktes. Der Diensteanbieter soll sich darauf verlassen können, dass sein Heimatrecht, welches er kennt, Anwendung findet.

Der Entwurf des EGG greift alle nach der Richtlinie zugelassenen Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip (Art. 3 und Anhang) auf. Die nach der Richtlinie zugelassenen Ausnahmen, sind abschließend. Deshalb ist es nicht zulässig, noch weitere Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip vorzusehen.

Bei Art. 1 Abs. 4 handelt es sich um einen der Programmsätze des Art. 1. Er stellt klar, dass die Richtlinie weder die Frage der Zuständigkeit der nationalen Gerichte regelt, noch weitere Regeln des internationalen Privatrechts schafft. Bei den Beratungen im Rat und im Europäischen Parlament wurde nach unserer Kenntnis erwogen, stattdessen eine Formulierung wie „Die Regelungen des internationalen Privatrechts bleiben unberührt“ zu wählen. Das wurde aber mehrheitlich abgelehnt. Eine solche Formulierung hätte die Zielsetzung der Richtlinie auch konterkariert, weil das Herkunftslandprinzip gerade bewirken soll, dass Kollisionsfälle, die mit Hilfe der Regeln des internationalen Privatrechts mühsam gelöst werden müssen, erst gar nicht auftreten. Sie treten bei Umsetzung der Richtlinie nicht auf, weil dann festgeschrieben werden muss, dass das Heimatrecht des Diensteanbieters zur Anwendung kommt. Hierdurch wird also keine Lösung für Kollisionsfälle geschaffen wie durch das internationale Privatrecht. Vielmehr schafft die Richtlinie quasi einen einheitlichen Rechtsraum unabhängig davon, ob nach dem Heimatrecht des Diensteanbieters Privatrecht, Strafrecht oder öffentliches Recht zur Anwendung kommt.

 

2. Werden § 2 Abs. 6, § 4 Abs. 1 und 2 TDG in der Fassung des Regierungsentwurfs den Vorgaben der Richtlinie gerecht? Können die Vorschriften bejahendenfalls einfacher und transparenter gefasst werden, wenn ja, wie?

 

§ 2 Absatz 6 des TDG-Entwurfs ist nach dem oben Gesagten überflüssig.

Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie bedarf anders als Art. 3 keiner Umsetzung. Eine Anwendung des internationalen Privatrechts, das auch ausländisches Recht zur Anwendung bringen kann, ist nach der Richtlinie nicht vorgesehen.

§ 4 Abs. 1 und 2 TDG-Entwurf werden den Vorgaben der Richtlinie nicht gerecht. Die Einführung des Herkunftslandprinzips ist von zentraler Bedeutung für die Förderung und Verbreitung des elektronischen Geschäftsverkehrs. Dieses Prinzip schränkt der Entwurf nach unserer Auffassung gemeinschaftsrechtswidrig ein, indem es nur gelten soll, „soweit sich nicht aus den Regeln des internationalen Privatrechts etwas anderes ergibt“. Das wird auch nicht ausgeglichen durch die weitere Ausnahme, dass das nicht gelten soll, wenn der freie Dienstleistungsverkehr über die Anforderungen des deutschen Rechts hinausgehend eingeschränkt werden würde.

Die Regelung des Entwurfs ist damit für den Rechtsanwender unpraktikabel. Im Streitfall wäre mehrstufig zu prüfen, zunächst: Welches Recht findet nach den Regeln des internationalen Privatrechts Anwendung? Ist nach diesen Regeln nicht das Recht des Diensteanbieters anwendbar, ist zu ermitteln, welches Recht, das ausländische oder das Heimatrecht, für den Anbieter günstiger ist, weil nach dem Entwurf das jeweils günstigere Geltung haben soll. Um das feststellen zu können, ist das ausländische Recht zu ermitteln. Schließlich sind die einzelnen Vorschriften zu vergleichen und in einer Gesamtschau ist zu bewerten, welche Rechtsordnung als weniger streng anzusehen ist. In die Prüfung einzubeziehen sein dürfte immer der gesamte Normkomplex und seine Auslegung in dem jeweiligen Recht und nicht nur einzelne Vorschriften.

Eine vorprozessuale Rechtsberatung ist damit nahezu unmöglich, weil kein Berater sämtliche möglicherweise einschlägigen Normen in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten kennen kann. Die hierdurch entstehende Rechtsunsicherheit wird nach unserer Überzeugung zur Folge haben, dass Unternehmen zögern werden, sich für ihren Geschäftsverkehr des Internets zu bedienen. Demgegenüber greift auch das Argument nicht, die Anwendung des jeweils günstigeren Rechts stelle gerade einen Wettbewerbsvorteil dar und werde zur Akzeptanz des elektronischen Geschäftsverkehrs führen. Denn was für den Diensteanbieter günstig sein mag, ist unweigerlich für die andere Seite ungünstig und kann eine Zurückhaltung, diese Dienste in Anspruch zu nehmen, bewirken.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist die beabsichtigte Umsetzung der Richtlinie durch § 4 TDG-E aber geradezu katastrophal für die Rechtsgewährung durch die Gerichte. Zweifellos wird die zunehmende Verbreitung des elektronischen Geschäftsverkehrs zu einem Anstieg der gerichtlichen Verfahren mit Auslandsbezug führen. Das wäre nicht zu beklagen, wenn der Gesetzgeber einfache und klare Regeln vorgäbe, die es gestatteten, den Fall mit vertretbarem Sach-, Personal- und Zeitaufwand mit einem für die Rechtsuchenden vorhersehbaren Ergebnis zu lösen. Oben wurde angerissen, welchen Prüfsaufwand die Entscheidung dieser Rechtsfälle bei Inkrafttreten des Entwurfs ausmachen werden. Der „Günstigkeitsvergleich“ ist äußerst komplex. Allein die Einholung der notwendigen Sachverständigengutachten zum ausländischen Recht sind teuer und zeitaufwendig. Jedermann, der als Rechtsuchender, Rechtsanwalt oder Richter mit einer Rechtssache mit Auslandsbezug zu tun hatte, weiß, wie langwierig diese Fälle sind. Für den Wettbewerb ist es von Vorteil, wenn dann das deutsche Recht Regelungen vorsieht, die eine einigermaßen zügige Entscheidung der Rechtsfälle gestatten. Deshalb ist es unabdingbar, die anzuwenden Normen möglichst klar und eindeutig zu gestalten. Dem wird der Entwurf nicht gerecht. Abgesehen von dem Wettbewerbsnachteil für deutsche Unternehmen, widerspricht die beabsichtigte Umsetzung der Richtlinie, weil auf diese Weise deren Ziel, einen sicheren und effektiven Rechtsrahmen für die neuen Dienste unter Verwendung des Internets zu schaffen, verfehlt wird.

Deshalb lehnt der Deutsche Richterbund die beabsichtigte Regelung des § 4 TDG-E ab und bittet dringend darum, das Herkunftslandsprinzip möglichst ohne Ausnahmen umzusetzen.

 

3. Ist es im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie zulässig, in § 4 TDG festzuschreiben, dass die generelle Geltung des Herkunftslandsrechts für die heimischen Diensteanbieter unter dem Vorbehalt der Regeln des internationalen Privatrechts steht? Ist in diesem Zusammenhang das römische Schuldrechtsübereinkommen relevant?

 

Wie oben begründet wurde, widerspricht der Vorbehalt den Vorgaben der Richtlinie.

Das römische Schuldrechtsübereinkommen hat keine Bedeutung für den Anwendungsbereich, der durch die Richtlinie geregelt wird. Das Übereinkommen sieht in seinem Art. 20 auch vor, dass Gemeinschaftsinstrumente wie z. B. Richtlinien Vorrang haben.

 

4. Wäre es im Hinblick auf die Vorgaben der Richtlinie zulässig, in § 4 TDG festzuschreiben, dass für Diensteanbieter allein das Sachrecht des Niederlassungsrecht gilt und das sonstige Internationale Privatrecht dabei ausgeklammert wird? Stünden dem völkervertragliche Bindungen entgegen, etwa aus dem Römischen EWG-Übereinkommen vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (EVÜ)?

 

Wie oben bereits ausgeführt, wäre die Festschreibung, dass für Diensteanbieter ausschließlich das Sachrecht des Niederlassungsrechts gilt, richtlinienkonform.

Eine solche Umsetzung verstößt, soweit ersichtlich, auch nicht gegen andere völkervertragliche Bindungen. Das EVÜ ist nicht einschlägig, weil dieses nur in Kollisionsfällen gilt.

 

5. Ist es ausgeschlossen, dass die jetzige Formulierung des § 4 TDG-E zu Störungen im Binnenmarkt führen kann? Ist sichergestellt, dass § 4 TDG-E kompatibel zur Umsetzung des Herkunftslandsprinzips in anderen Mitgliedstaaten ist? Wie sehen die Regelungen in anderen Ländern z. B. Österreich, Schweden, Finnland und Luxemburg aus?

 

Dem Deutschen Richterbund ist bekannt, dass Luxemburg das Herkunftslandsprinzip ohne die hier in dem Entwurf vorgesehenen Einschränkungen zugunsten des Internationalen Privatrechts umgesetzt hat. Ob weitere Länder die Richtlinie bereits umgesetzt haben, kann nicht beantwortet werden.

Die geplante Umsetzung könnte eine Störung des Binnenmarktes zur Folge haben. Zwar kann der Diensteanbieter sicher sein, dass er keinen strengeren Anforderungen als in seinem Heimatrecht unterliegt. Das allein führt aber wegen der Ausnahmen zugunsten des Internationalen Privatrechts nicht zu Rechtssicherheit. Nach unserer Auffassung ist es mit Blick auf die Rechtsberatung für den Anbieter von Vorteil, wenn auf den Sachverhalt eindeutig ein bestimmtes Sachrecht zur Anwendung kommt. Hierauf kann er sich einstellen. Entsprechend kann er beispielsweise seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausrichten.

Störend auf den Binnenmarkt wird sich nach unserer Auffassung aber auf jeden Fall auswirken, dass die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche wegen der unnötig komplizierten Regelung in § 4 TDG-Entwurf nicht unerheblich erschwert wird. Unweigerlich wird dies zu langen Bearbeitungszeiten bei den Gerichten führen. Auch die Entscheidung des Gerichts ist für den Rechtssuchenden wenig voraussehbar, weil die Frage, welches Recht günstiger ist, vielfach erst aufgrund einer, notgedrungen subjektiven, Wertung des Richters beantwortet wird.

 

6. Wäre es insbesondere im Hinblick auf Aspekte der Rechtssicherheit vertretbar und sinnvoll, die Umsetzung des Herkunftslandprinzips auf die möglichst wörtliche Übernahme des Wortlauts des Artikels 1 Abs. 4 und des Artikels 3 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie zu beschränken?

 

Ja, unbedingt. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

 

7. Bieten die Regeln des IPR ausreichend Rechtssicherheit, um für jeden Fall außervertraglicher Haftung das anwendbare Recht mit vertretbarem Aufwand zu bestimmen?

 

Der Aufwand ist nach unserer Auffassung bereits deshalb nicht vertretbar, weil die Richtlinie eine einfachere Regelung vorsieht, die auch weit weniger kostenträchtig ist als die im Entwurf. Kein Richter kann im Einzelnen das Recht der übrigen 14 Mitgliedstaaten (bald dürften es noch mehr sein) kennen. Die Voraussetzungen und Reichweite der außervertraglichen Haftung sind deshalb bei Haftungsfällen im Ausland durch Sachverständigengutachten zu klären.

Generell kann gesagt werden, dass die Anwendung der Regeln der Internationalen Privatrechts im Gerichtsalltag immer Schwierigkeiten macht. Auch heute noch können die wenigsten Richter auf diesem Gebiet vertiefte Erfahrung vorweisen, weil entsprechende Fälle gemessen am sonstigen Geschäftsanfall immer noch nicht häufig vorkommen. Ist ein entsprechender Sachverhalt deshalb zu beurteilen, wird dem Richter ein im Vergleich zu sonstigen Fällen erhöhter Arbeitsaufwand abverlangt.

Angesichts der bereits heute festzustellenden Überlastung der Justiz kann nur davor gewarnt werden, den Druck durch unnötig komplizierte Regelungen noch zu verstärken, zumal damit auch kein nachhaltiger Vorteil für den deutschen Anbieter erreicht wird.

 

8. In § 4 Abs. 3 Nr. 2 des geänderten Entwurfs eines EGG (BT-Drucks. 14/6098) sind die "Vorschriften für vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge" vom Herkunftslandprinzip ausgenommen. Ist der hier verwendete Begriff der "Verbraucherverträge" eindeutig genug formuliert, so dass die deutschen Vorschriften, die den Verbraucher unter besonderen Schutz stellen, auch wirklich für sämtliche Arten von Verbraucherverträgen gelten?

 

Der Begriff erscheint eindeutig. Die Richtlinie liefert insoweit eine Definition (Art. 2 e). Diese steht soweit ersichtlich in Einklang mit der Anwendung des Begriffs im deutschen Recht.

 

9. Wie wirkt sich der Entwurf des EGG auf deliktische Ansprüche eines Verbrauchers gegen einen EU-Anbieter aus, die etwa anlässlich eines Vertrages -

oder auf andere Weise - entstehen? Ist insoweit eine Verschlechterung der Rechtsposition der deutschen Verbraucher zu erwarten?

 

Die Bundesrepublik ist verpflichtet, die E-Commerce-Richtlinie umzusetzen. Deshalb stellt sich nach unserer Auffassung die Frage, ob im Einzellfall Rechtspositionen deutscher Verbraucher tangiert werden, nicht.

Jedoch wirkt sich der beabsichtigte Entwurf für den Verbraucher ungünstiger als die Vorgabe der Richtlinie aus. Der Günstigkeitsvergleich privilegiert den Diensteanbieter und geht damit zu Lasten des Nutzers, also auch des Verbrauchers. Der Verbraucher wird auch mehr noch als der Diensteanbieter unter der unsicheren Rechtslage leiden, die sein Prozessrisiko erhöht und unter Umständen wegen der Gutachterkosten zu kostenträchtigen gerichtlichen Auseinandersetzungen führt.

 

10. Wäre auch bei der von den Verbänden geforderten Änderungen des vorliegenden EGG-Entwurfs der Schutz der deutschen Verbraucher gewährleistet?

 

Die im Entwurf vorgesehenen Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip wirken sich eher zu Lasten des Verbrauchers aus (vgl. Frage 9).

Soweit der Deutsche Richterbund fordert, das Herkunftslandprinzip ohne die in § 4 TDG-Entwurf vorgesehenen Ausnahmen Gesetz werden zu lassen, mag dies im Einzellfall nicht so günstig für den Verbraucher sein wie die heutige Rechtslage. Diese Frage kann in der Kürze der für diese Stellungnahme zur Verfügung stehenden Zeit nicht beantwortet werden. Indes ist die Bundesrepublik zur Umsetzung der Richtlinie verpflichtet. Deshalb stellt sich die Frage unseres Erachtens nicht. Von der nach der Richtlinie zugelassenen Ausnahme bei Verbraucherverträgen hat der Gesetzentwurf Gebrauch gemacht. Ein darüber hinausgehender Schutz des Verbrauchers ist nicht zu erreichen, wenn das Gesetz richtlinienkonform sein soll.