#1/2025

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der privaten Rechtsverfolgung im Internet

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der privaten Rechtsverfolgung im Internet mit dem darin enthaltenen Entwurf eines Gesetzes gegen digitale Gewalt (GgdG) setzt im Ausgangspunkt an der richtigen Stelle an: Betroffene von digitaler Gewalt können sich gegen Rechtsverletzungen nur dann aussichtsreich zur Wehr setzen, wenn sie über die IP-Adresse des Täters dessen Identität in Erfahrung bringen können. Der Deutsche Richterbund hält allerdings an seiner Kritik fest, dass der im Gesetzentwurf vorgesehene Auskunftsanspruch ohne die anlasslose Speicherung von IP-Adressen nicht funktionieren wird. Das Auskunftsersuchen wird in der Mehrzahl der Fälle schlicht ins Leere laufen. Angesichts der geringen Erfolgsaussichten wäre der erhebliche Aufwand, den die Auskunftsverfahren bei den Gerichten verursachen würden, nicht zu rechtfertigen.

Ohne eine Regelung zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen können im Internet begangene Taten weder strafrechtlich noch zivilrechtlich effektiv verfolgt werden. Die nach dem Gesetz gegen digitale Gewalt vorgesehenen zivilrechtlichen Sicherungsanordnungen werden aus dem gleichen Grund ebenso wenig zum Erfolg führen wie ein strafprozessuales „Quick-Freeze-Verfahren“: Da die Telekommunikationsanbieter IP-Adressen nicht oder nur wenige Tage lang speichern, wird sowohl eine Sicherungsanordnung als auch ein „Quick Freeze“ regelmäßig zu spät kommen.

 
B. Bewertung im Einzelnen 

Der Deutsche Richterbund hält es für unabdingbar, Instrumente zu schaffen, damit gegen Hass, Hetze und Bedrohungen im Internet effektiv vorgegangen werden kann. Dies gilt nicht nur für die Verfolgung von Straftaten. Betroffene von digitaler Gewalt müssen sich gegen Rechtsverletzungen auch zivilrechtlich zur Wehr setzen können. Hierfür ist es von zentraler Bedeutung, über die Zuordnung von IP-Adressen die Täter von digitaler Gewalt identifizieren zu können. 

Das Gesetz zur Stärkung der privaten Rechtsverfolgung im Internet mit dem darin enthaltenen Entwurf eines Gesetzes gegen digitale Gewalt (GgdG) setzt daher im Ausgangspunkt an der richtigen Stelle an: Die bisherige Regelung in § 21 Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetz ermöglicht nur eine Auskunft über Bestandsdaten, nicht aber über Nutzungsdaten. Sofern Nutzer beim Betreiber etwa eines sozialen Netzwerks überhaupt Bestandsdaten wie Name und Anschrift hinterlegt haben, sind diese oft unzutreffend. Die mit dem Gesetz gegen digitale Gewalt beabsichtigte Ausweitung des Auskunftsanspruchs auf Nutzungsdaten – nämlich insbesondere auf die IP-Adresse, die im fraglichen Zeitpunkt verwendet wurde – zielt damit in die richtige Richtung.

1. Gleichwohl steht der Deutsche Richterbund dem Diskussionsentwurf kritisch gegenüber. Das Ziel, über die verwendete IP-Adresse Rechtsverletzer ermitteln zu können, wird nämlich ohne eine gleichzeitige Regelung zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen schlicht nicht erreicht werden können. Dem gegenüber steht ein erheblicher Mehraufwand für die Gerichte, der angesichts der geringen Erfolgsaussichten der Maßnahmen nicht zu rechtfertigen ist.

Das Gesetzesvorhaben ist mit dem gleichen grundlegenden Problem behaftet, auf das der Deutsche Richterbund bereits mit seiner Stellungnahme #11/23 zum Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz gegen digitale Gewalt hingewiesen hat: Die fünf großen Telekommunikationsanbieter speichern IP-Adressen entweder überhaupt nicht oder nur bis maximal 7 Tage (vgl. Positionspapier des BKA zu erforderlichen Speicherfristen von IP-Adressen). Bis eine betroffene Person eine Rechtsverletzung wahrnimmt, anschließend einen Antrag auf Auskunft nach dem GgdG stellt, das Gericht sodann gegenüber dem Diensteanbieter eine nach § 3 GgdG-E vorgesehene Sicherungsanordnung erlässt, der Diensteanbieter die IP-Adresse gegenüber dem Gericht mitteilt, das Gericht anschließend ermittelt, von welchem Telekommunikationsanbieter diese IP-Adresse vergeben wurde, und das Gericht schließlich eine weitere Sicherungsanordnung gegen den Telekommunikationsanbieter erlässt, damit die der IP-Adresse zugeordneten Daten nicht gelöscht werden, ist eben jenes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit längst geschehen – oder die Zuordnung der IP-Adresse war beim Telekommunikationsanbieter von Beginn an ohnehin nie gespeichert worden.

Die geschilderte Vorgehensweise verursacht darüber hinaus einen erheblichen Aufwand bei den Gerichten. Denn anders als bei Auskunftsansprüchen im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums wie etwa in § 101 Abs. 9 UrhG (vgl. dazu auch BGH GRUR 2017, 1236) soll das Gericht nach § 3 GgdG-E nicht nur Sicherungsanordnungen erlassen, sondern diese auch sogleich weitgehend selbst vollstrecken. So soll das Gericht gegenüber dem Diensteanbieter nicht nur anordnen, dass die betroffenen Daten nicht gelöscht werden, sondern gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 GgdG-E auch anordnen, dass der Diensteanbieter die IP-Adresse dem Gericht unverzüglich mitteilt. Nachdem dies geschehen ist, soll das Gericht ermitteln, welcher Internetzugangsanbieter die fragliche 
IP-Adresse verwaltet und soll sodann gegenüber diesem anordnen, die der IP-Adresse dort zugeordneten Nutzerdaten nicht zu löschen. 

Stehen einem solchen Aufwand jedoch derart geringe Erfolgsaussichten gegenüber, ist dieser nicht zu rechtfertigen. Die Erfolgsaussichten der Maßnahmen werden auch nicht wesentlich besser, wenn man berücksichtigt, dass nach dem Gesetzentwurf nicht nur die IP-Adresse im Zeitpunkt der Rechtsverletzung (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 lit. a GgdG-E), sondern auch die für den letzten Login verwendete IP-Adresse (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 lit. b 
GgdG-E) zu beauskunften ist. In den Fällen, in denen der Telekommunikationsanbieter IP-Adressen gar nicht speichert, wäre auch eine Zuordnung der beim letzten Login verwendeten IP-Adresse nicht möglich. Selbst wenn die beim letzten Login verwendete IP-Adresse zugeordnet werden könnte, bliebe offen, ob damit auch hinreichend belastbar nachgewiesen werden könnte, dass es sich um dieselbe Person handelt, die auch die Rechtsverletzung begangen hat. 

Es ist daher festzuhalten, dass ohne eine Regelung zur anlasslosen Speicherung von IP-Adressen im Internet begangene Taten weder strafrechtlich noch zivilrechtlich effektiv verfolgt werden können. 
Der Deutsche Richterbund hat mit seiner Stellungnahme #23/2024 bereits nachdrücklich darauf hingewiesen, dass das strafprozessuale „Quick-Freeze-Verfahren“, wie es im Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung vorgesehen ist, ins Leere läuft, wenn die individuelle Speicherdauer der Telekommunikationsanbieter abgelaufen ist. Das Gleiche gilt auch für zivilprozessuale Sicherungsanordnungen nach dem vorliegenden Diskussionsentwurf, die – wie dargelegt – in der Mehrzahl der Fälle ergebnislos verlaufen werden.


2. Der Deutsche Richterbund begrüßt, dass im Diskussionsentwurf verschiedene Anregungen, die er mit seiner Stellungnahme #11/2023 zum Eckpunktepapier für ein Gesetz gegen digitale Gewalt vorgebracht hat, umgesetzt wurden.

So sieht der Diskussionsentwurf, anders als noch das Eckpunktepapier, einen Auskunftsanspruch nicht bereits bei jeglicher Verletzung von absoluten Rechten – etwa bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder des Unternehmenspersönlichkeitsrechts – vor, sondern nur bei Taten, die bestimmte Straftatbestände erfüllen. Der Straftatenkatalog orientiert sich, mit einigen Modifikationen, am früheren § 1 Abs. 3 Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Durch die Beschränkung des Auskunftsanspruchs auf Fälle von Straftaten wird nicht nur eine Relativierung echter digitaler Gewalt vermieden; so war die im Eckpunktepapier genannte wahrheitswidrige Restaurantkritik sicherlich keine digitale Gewalt. Mit der Begrenzung der Auskunft auf strafbare Rechtsverletzungen können zugleich die Voraussetzungen erfüllt werden, die der EuGH jüngst für die anlasslose Speicherung von IP-Adressen aufgestellt hat. So hat der EuGH mit seinem Urteil vom 30.04.2024 in der Rechtssache C-470/21 entschieden, dass eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen nicht mehr nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität, sondern unter gewissen materiellen und prozeduralen Voraussetzungen auch zur Bekämpfung allgemeiner, internetbezogener Straftaten zulässig ist.

Ebenfalls umgesetzt wurde die Anregung, die Auskunft nicht nur auf die IP-Adresse, sondern auch auf die Portnummer zu erstrecken. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass Internetprovider oftmals mehreren Nutzern die identische IP-Adresse zuordnen und das Routing des individuellen Traffics über spezifische Ports abwickeln. In einem solchen Fall wäre eine Auskunft nur über die IP-Adresse nicht ausreichend, um einen Nutzer eindeutig zu identifizieren.