#1/20

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität ist in seiner Gesamtheit ausdrücklich zu begrüßen. Aus Sicht der Praxis wird die unbedingte Notwendigkeit gesehen, gegen politisch motivierte Hetze im Internet und insbesondere in den sozialen Netzwerken effizient vorzugehen und dadurch zum einen der zunehmenden Verrohung der Kommunikation zu begegnen sowie zum anderen den politischen Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung zu schützen.

Die gesetzgeberischen Ziele lassen sich allerdings nicht allein durch die in dem Referentenentwurf vorgesehenen Maßnahmen und die beabsichtigte Ergänzung von Straftatbeständen mit Bezug zur Hasskriminalität erreichen.

Hass und Hetze im Netz lassen sich vielmehr nur mit ausreichenden Ressourcen der Strafjustiz effektiv bekämpfen. Ein Blick in die NetzDG-Transparenzberichte der Anbieter sozialer Netzwerke zeigt: Mit dem vorhandenen Personalbestand dürfte die zu erwartende Vielzahl von Meldungen kaum effektiv zu bewältigen sein.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

In besonderer Weise verdient die in dem Referentenentwurf vorgesehene Meldepflicht für Diensteanbieter nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die vor allem bei Morddrohungen und Volksverhetzungen die betreffenden relevanten Inhalte und IP-Adressen an eine Zentralstelle im Bundeskriminalamt mitzuteilen haben, uneingeschränkte Zustimmung. Die Auswahl der Straftatbestände, die in den Katalog der Meldepflichten aufgenommen wurden, ist ausgewogen, leistet in sinnvoller Weise einen Beitrag zur Begrenzung meldepflichtiger Fälle und orientiert sich dabei zutreffend an dem Ziel des Gesetzesvorhabens, den öffentlichen und freien Diskurs zu gewährleisten. Mit der Aufnahme kinderpornografischer Inhalte im Sinne des § 184b StGB in den Katalog der Meldepflichten leistet der Referentenentwurf zudem einen wichtigen Beitrag zur konsequenten Verfolgung von Straftaten in diesem Deliktsfeld und damit letzten Endes zum Schutz der sexuellen Integrität von Kindern.

Die in dem Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen der Strafprozessordnung und des Telemediengesetzes sind folgerichtig und aus Sicht der strafrechtlichen Praxis vollumfänglich zu befürworten.

Die vorgesehenen Änderungen des Strafgesetzbuches mit Bezug zur Hasskriminalität werden ebenfalls begrüßt. Lediglich vereinzelt wird Änderungs- und Ergänzungsbedarf gesehen.

Mit der Ergänzung von § 46 Abs. 2 StGB um „antisemitische“ Beweggründe wird die bereits bestehende Rechtslage, wonach antisemitische Motive bei der Strafzumessung grundsätzlich strafschärfend zu berücksichtigen sind, im Gesetzeswortlaut abgebildet. Dies dient der Klarstellung und wird – wie die Gesetzesbegründung zutreffend feststellt – durch die zunehmende antisemitische Hasskriminalität gerechtfertigt.

Die vorgesehene Ergänzung des § 126 Abs. 1 Nr. 3 StGB-E um den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung ist sinnvoll und geboten.

Der novellierte § 140 StGB-E macht es möglich, die Propagierung von schweren Straftaten im Netz noch vor ihrer Begehung zu ahnden. Diese Änderung wird insbesondere im Hinblick auf die in den sozialen Netzwerken vielfach zu beobachtende rasante Dynamik von Hassreden und Gewalt- sowie Rachefantasien als erforderlich erachtet und schließt eine derzeit bestehende Strafbarkeitslücke.

Mit der beabsichtigten Klarstellung in § 188 Abs. 3 StGB-E wird angesichts des zunehmend raueren und respektloseren Umgangstons im Kontext politischer Meinungsäußerung ein wichtiges rechtspolitisches Zeichen zugunsten von lokalpolitisch aktiven Bürgerinnen und Bürgern gesetzt.

Die durch die beabsichtigte Neufassung von § 194 Abs. 1 Satz 2 StGB-E geplante Ausgestaltung von § 188 StGB als relatives Antragsdelikt wird kritisch gesehen. Die Strafverfolgungsbehörden werden dadurch vor die Herausforderung gestellt, eine Entscheidung für oder gegen die Verfolgungswürdigkeit im jeweiligen Einzelfall zu treffen, ohne dass die Gesetzesbegründung sich zu den insoweit anzulegenden Maßstäben verhält. In der Öffentlichkeit könnten staatsanwaltschaftliche Entscheidungen für oder gegen eine Strafverfolgung von Amts wegen als politisches Statement gedeutet werden und Strafverfolgungsbehörden unter Umständen unter Rechtfertigungsdruck geraten.

Erfreulich ist die in dem Referentenentwurf vorgesehene erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 241 StGB. Denn die subtile Androhung von Gewalt unterhalb der Schwelle eines Tötungsdelikts ist aus der Opferperspektive regelmäßig ebenfalls in erheblicher Weise belastend. Aus Wertungsgesichtspunkten sollte die geplante Neufassung des § 241 Abs. 1 StGB-E jedoch zusätzlich Straftaten gegen die sexuelle Integrität und gegen die persönliche Freiheit erfassen. Die Ankündigung beispielsweise von sexuellen Übergriffen im Sinne des § 177 StGB oder etwa einer Geiselnahme im Sinne des § 239b StGB dürfte bedrohlicheren Charakter haben als die Bedrohung mit einer Tat gegen eine Sache von bedeutendem Wert.

Das Maßnahmenpaket wird die durchaus ambitionierten Ziele jedoch nur dann erreichen können, wenn die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden über die notwendigen personellen Ressourcen und technischen Kapazitäten verfügen, damit Hasskriminalität effektiv und nachhaltig bekämpft und Täter bestraft werden können.

Die Strafjustiz arbeitet bereits gegenwärtig an ihrer Belastungsgrenze. Legt man die halbjährlichen NetzDG-Transparenzberichte der Anbieter sozialer Netzwerke zugrunde, so sind Meldungen im deutlich sechsstelligen Bereich zu erwarten, was zwangsläufig zu massiven Mehrbelastungen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten führen wird.

Die Dimension der zu erwartenden Meldungen macht deutlich: Der Referentenentwurf irrt in der Annahme, dass Mehrkosten im justiziellen Kernbereich in den Ländern allenfalls in geringem Umfang zu erwarten seien. Ohne deutlich mehr Personal und eine weitergehende Spezialisierung in der Justiz droht der Gesetzgeber sein Ziel zu verfehlen, strafbaren Hass und Hetze im Netz effektiver zu bekämpfen.