Richterbund fordert Sicherheitspolitik mit Augenmaß

Weimar. Der Deutsche Richterbund (DRB) fordert trotz der akuten Terror-Gefahr in Deutschland eine Sicherheitspolitik mit Augenmaß. „Immer neue Strafgesetze bringen nichts, wenn es im Vollzug hapert, weil Behörden den Kriminellen technisch hinterherhinken, schlecht vernetzt sind oder Personal fehlt“, warnte DRB-Vorsitzender Jens Gnisa zum Auftakt des 22. Deutschen Richter- und Staatsanwaltstages in Weimar. Mit Blick auf die prekäre Lage des Rechtsstaates in der Türkei richtete Gnisa einen eindringlichen Appell direkt an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan.

Vor rund 800 Gästen aus Politik, Justiz und Gesellschaft betonte Gnisa, es sei völlig richtig, dass der Staat dem Wunsch der Bürger nach Sicherheit nachkommen wolle. „Es greift aber zu kurz, nach jedem Anschlag mit den üblichen Reflexen zu reagieren und nach schärferen Sicherheitsgesetzen zu rufen. Mit diesen Reaktionen der Politik reden wir unser Recht schlecht“, kritisierte der DRB-Vorsitzende. Er sieht Bund und Länder vorrangig an anderer Stelle gefordert: „Wer effektiv gegen Terrorismus und organisiertes Verbrechen, Cybercrime und Alltagskriminalität vorgehen will, muss Sicherheitsbehörden und Strafjustiz personell und technisch deutlich besser ausstatten.“ Zudem müssten die Regeln des Rechtsstaates mit den technischen Möglichkeiten Schritt halten, damit die Justiz nicht abgehängt werde. „Es darf nicht sein, dass Kriminelle heute im Verborgenen kommunizieren können, weil den Ermittlern zum Beispiel der Zugriff auf Messengerdienste wie WhatsApp nicht möglich ist.“ Auch in der digitalen Welt müsse die Rechtsordnung sich bewähren, etwa gegen die Flut von Hassbotschaften, Identitätsdiebstählen oder Erpressungen mithilfe von Schadsoftware, „sonst droht sie an Akzeptanz zu verlieren“, warnte Gnisa.

Zutiefst besorgt zeigte Gnisa sich über den Zustand des Rechtsstaates in der Türkei. „Mit jedem Tag entfernt die Türkei sich weiter von Europa, Schritt für Schritt demontiert der türkische Staatspräsident den Rechtsstaat.“ Jeder vierte Richter und jeder vierte Staatsanwalt in der Türkei sei inzwischen mit dem pauschalen Vorwurf, ein Gülen-Anhänger zu sein, aus dem Amt gedrängt worden – insgesamt seien mehr als 4000 Juristen und ihre Familien betroffen. Tausende befänden sich noch immer unter unwürdigen Umständen in Gefängnissen. „Jeder – auch jemand, der sich an einem Putsch beteiligt haben sollte – hat Anspruch auf ein faires Verfahren. Das ist nicht ansatzweise gewährleistet“, kritisierte Gnisa. Der DRB-Vorsitzende wandte sich mit einem eindringlichen Appell auf Deutsch und Türkisch direkt an Recep Tayyip Erdoğan: „Achten Sie die Menschenrechte, bewahren Sie eine unabhängige Justiz und garantieren Sie faire, rechtsstaatliche Verfahren.“

Der heute eröffnete 22. Deutsche Richter- und Staatsanwaltstag mit dem Titel „Der gläserne Mensch“ endet am 7. April.