Berlin. Der Deutsche Richterbund (DRB) sieht in einem aktuellen Urteil der umstrittenen Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Polen einen klaren Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit. „Polen verlässt damit die Grundlagen der auf Rechtsstaatlichkeit beruhenden europäischen Wertegemeinschaft“, sagten die DRB-Vorsitzenden Barbara Stockinger und Joachim Lüblinghoff am Donnerstag in Berlin.
Das Gericht hatte die Immunität der Krakauer Richterin und Vorsitzenden des polnischen Richterverbands Themis, Beata Morawiec, aufgehoben, sie suspendiert und ihre Bezüge beschnitten. „Mit der Entscheidung verstößt Polen offensichtlich und eklatant gegen die einstweilige Anordnung des Europäischen Gerichtshofs, mit welcher dieser Kammer jede weitere Tätigkeit vorläufig untersagt worden ist“, sagten die DRB-Vorsitzenden.
Die Regierungspartei PiS versuche immer unverhohlener, die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung im Land zu untergraben, sagten Stockinger und Lüblinghoff. Vor diesem Hintergrund forderten sie: „Die Union braucht einen wirksamen Rechtsstaatsmechanismus mit scharfen Zähnen, um notorischen Rechtsstaatssündern notfalls auch EU-Gelder streichen zu können. Brüssel muss der polnischen Regierung deutlich machen, dass der Raubbau am Rechtsstaat in eine Sackgasse führt und das Land sich in der europäischen Rechtsgemeinschaft zunehmend isoliert. Zum Weg strikter Rechtsstaatlichkeit darf es in der EU keine Alternative geben.“
Hintergrund der Tätigkeit der neuen Disziplinarkammer ist der Versuch der polnischen Regierung, durch zahlreiche Gesetzesänderungen die Unabhängigkeit der Justiz abzuschaffen. Unter anderem hat Polen im Jahr 2017 eine neue Disziplinarordnung erlassen, die es erlaubt, Richter auch wegen des Inhalts ihrer Entscheidungen disziplinarisch zur Rechenschaft zu ziehen. Gegen diese Maulkorbverordnung hat die Europäische Kommission Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben. Auf Antrag der Europäischen Kommission hat der EuGH im April im Wege der einstweiligen Anordnung die Republik Polen dazu verpflichtet, die Anwendung der Bestimmungen des Gesetzes über die Disziplinarkammer auszusetzen (Beschluss vom 08.04.2020 – C-791/19 R).