Berlin. Während die Infektionszahlen sinken und die Politik um das richtige Tempo der Öffnungsschritte ringt, bleibt die Geduld vieler Menschen nach Monaten im Lockdown strapaziert. Das hat sich zuletzt auch in den Verfahrenszahlen der Gerichte niedergeschlagen.
Insbesondere die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte sind seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie stark gefordert. Seit dem Frühjahr 2020 haben sie in mehr als 10.000 Verfahren die staatlichen Maßnahmen des Infektionsschutzes kontrolliert. Die Bandbreite der überprüften Regelungen ist groß – sie reicht von Kontaktverboten und Schulschließungen über Testpflichten und Quarantäneauflagen, Maskenpflichten und Versammlungsverbote bis hin zu den zahlreichen Auflagen für Restaurants, Hotels und andere Unternehmen.
Auch in der Strafjustiz hat die Corona-Krise für zusätzliche Verfahren gesorgt. Bundesweit erreichten die Staatsanwaltschaften seit dem Ausbruch der Pandemie mehr als 25.000 Fälle wegen erschlichener Corona-Soforthilfen oder anderer Betrügereien mit Pandemie-Bezug. Bei vielen Zivilgerichten sind die Verfahrenszahlen ebenfalls wieder gestiegen, nachdem insbesondere im Frühjahr 2020 eine Verfahrensdelle zu verzeichnen war. So haben sich Fluggäste vor den Amtsgerichten gegen ihre Airlines gewehrt, die wochenlang Ticketpreise trotz coronabedingt ausgefallener Flüge nicht erstatteten.
Rechtsstaat hat sich bewährt
Nach mehr als einem Jahr Pandemie ist festzustellen, dass sich der Rechtsstaat bislang bewährt hat. Im Umgang mit den Schutzmaßnahmen herrscht in den Gerichten eine professionelle Routine. Zudem hat sich die Zahl der Richter, die in geeigneten Zivilverfahren auf Online-Verhandlungen zurückgreift, im Laufe des Jahres 2020 vervielfacht. Weil aber nur ein kleinerer Teil aller Fälle dafür infrage kommt, ist ein gewisser Verfahrensrückstau nicht zu vermeiden.
Unabhängig von Nachholeffekten dürfte die schon vor der Pandemie hohe Arbeitslast der Justiz künftig eher noch zunehmen. Denn die Bundesregierung hat in hohem Tempo neue gesetzliche Aufgaben für Gerichte und Staatsanwaltschaften auf den Weg gebracht, die nur bei weiteren personellen Verstärkungen zu schultern sind. Auch bei der technischen Infrastruktur der Justiz – IT-Ausstattung, elektronische Gerichtsakte, Online-Verhandlungen – besteht Aufholbedarf. Es braucht deshalb einen Rechtsstaatspakt 2.0 von Bund und Ländern, der den Personalaufbau bis 2025 fortsetzt und die Digitalisierung der Justiz massiv beschleunigt.
Ein Beitrag von Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, für den Weser-Kurier.