#7/2022

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt die gesetzgeberische Zielsetzung, die Resozialisierung und Prävention einerseits sowie den Schutz vor Diskriminierungen andererseits zu stärken. Hierzu zählt insbesondere das gesetzgeberische Vorhaben, im Bereich des Maßregelrechts Anpassungen an tatsächliche Entwicklungen der vergangenen Jahre vorzunehmen. Die vorgeschlagenen Änderungen zum Recht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt tragen den Anliegen der Praxis in größtenteils ausgewogener Weise Rechnung und sind geeignet, sachwidrige Anreize für Täter, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzustreben, zu beseitigen. 

Ausdrücklich zu begrüßen sind die geplanten Änderungen im Bereich der Auflagen und Weisungen, die insbesondere bei einer Strafaussetzung zur Bewährung einen sinnvollen Beitrag zur Prävention und Resozialisierung zu leisten geeignet sind.

Der Deutsche Richterbund teilt ferner die Einschätzung des Referentenentwurfs, wonach die effektive Verfolgung von Hassdelikten gegen Frauen und LSBTI-Personen ein rechtspolitisches und gesellschaftliches Anliegen von besonderer Bedeutung ist. Dieses Ziel kann jedoch auf rein normativer Ebene bereits mit dem geltenden Regelungsregime erreicht werden. Letztlich kann nur eine adäquate sachliche wie personelle Ausstattung unter anderem von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten den Schutz vor Hassdelikten effektiv gewährleisten.

Der geplanten Halbierung des Umrechnungsmaßstabes von Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe steht der Deutsche Richterbund kritisch gegenüber. Ob und inwiefern die mit dem Regelungsvorschlag verfolgten Ziele erreicht werden können, ist aus Sicht der Praxis ungewiss.
 
B. Bewertung im Einzelnen 

Der Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechtes verfolgt das Ziel, im Bereich des Sanktionenrechts des Strafgesetzbuches Resozialisierung und Prävention einerseits sowie den Schutz vor Diskriminierungen andererseits zu stärken. In diesem Zusammenhang identifiziert der Referentenentwurf konkret vier Bereiche, in denen Reformbedarf gesehen wird: die Ersatzfreiheitsstrafe (I.), die Strafzumes-sung (II.), Auflagen und Weisungen (III.) sowie für das Maßregelrecht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (IV.).


I.    Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 StGB)

Der Referentenentwurf konstatiert auf Basis der Datenlage des Statistischen Bundesamtes, dass die Anzahl der verurteilten Personen, die wegen Nichtzahlung einer gegen sie verhängten Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, in den letzten zwei Jahrzehnten kontinuierlich und merklich gestiegen ist. Gleichzeitig ging die Zahl der Verurteilten, die ganz oder teilweise durch gemeinnützige Arbeit die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe abgewendet haben, um etwa 40 % zurück.

Der Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen leiste indes einen lediglich begrenzten Beitrag zur Resozialisierung, während deren Vollstreckung bei den Ländern ganz erhebliche Kosten verursache. 

Diesem Problem begegnen die Länder gegenwärtig durch eine Vielzahl praktischer Maßnahmen, etwa durch eine umfassende individuelle Information Betroffener, über verstärkte Hilfestellungen bei Anträgen auf Ratenzahlung oder Stundung und dem Abschluss von Ratenzahlungsvereinbarungen, durch eine Zwischenschaltung freier Träger oder ambulanter Sozialer Dienste oder durch den Ausbau der Möglichkeiten, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Ableistung gemeinnütziger Arbeit abzuwenden.

Der Entwurf zielt darauf ab, diese Maßnahmen zur Reduzierung der tatsächlich vollstreckten Freiheitsstrafen bundesrechtlich zu unterstützen. Dazu schlägt er im Wege einer Änderung des § 43 StGB eine Halbierung des Umrechnungsmaßstabes von Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe vor. 

Der Deutsche Richterbund steht der vorgeschlagenen Änderung des § 43 StGB kritisch gegenüber. Ob und inwiefern die mit dem Regelungsvorschlag verfolgten Ziele erreicht werden können, ist aus Sicht der Praxis ungewiss. 

Wie die Entwurfsbegründung zutreffend hervorhebt, ist es zentrale Aufgabe der Ersatzfreiheitsstrafe, die Beibringung einer verhängten Geldstrafe sicherzustellen. Im Lichte dieser Zwecksetzung ist auch der Vorschlag zu bewerten, den Maßstab für die Verhängung der Ersatzfreiheitsstrafe zu verändern. Zwar mag es vom Ergebnis her nachvollziehbar sein, die Kosten der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe für die Länder durch Halbierung der Haftzeiten zu verringern. Gleichzeitig wird dies für Betroffene einen Anreiz bieten, durch Verbüßung einer entsprechend verringerten Ersatzfreiheitsstrafe die Vollstreckung der Geldstrafe zu vermeiden. Zutreffend weist die Entwurfsbegründung selbst darauf hin, dass von der drohenden – tatsächlichen – Freiheitsentziehung ein erheblicher Anreiz zur Zahlung der Geldstrafe ausgeht. Diese Wirkung würde durch die beabsichtigte Neuregelung beeinträchtigt.

Zudem würde der in dem Referentenentwurf geschilderte Effekt, dass die Verbüßung kurzer Ersatzfreiheitsstrafen einer Resozialisierung kaum zuträglich ist, durch die Verbüßung halbierter und damit noch kürzerer Ersatzfreiheitsstrafen noch verstärkt. Inwieweit eine Verhaltenssteuerung der Verurteilten daher mit der gesetzlichen Neuregelung unterlaufen und der Rechtsgüterschutz damit beeinträchtigt werden könnte, lässt sich prognostisch nicht beantworten, könnte jedoch eine reale Gefahr darstellen. 

Zu erwarten ist, dass auch die Möglichkeit, eine verhängte Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden („Schwitzen statt Sitzen“), durch eine Halbierung der zu verbüßenden Ersatzfreiheitsstrafe an Reiz verliert. Es steht daher nicht nur zu befürchten, dass der im Referentenentwurf beschriebene Rückgang „Ersatzarbeitender“ durch die vorgeschlagene Änderung des § 43 StGB noch weiter verstärkt wird, sondern auch die Zahl der zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen in der Folge nicht sinkt, sondern weiter steigt – und die negativen Auswirkungen zunehmen, obwohl der Entwurf sie zurückdrängen will. Auch dies wäre eine Entwicklung, die im Lichte der anzustrebenden Resozialisierung und des durch das Strafrecht gewährleisteten Rechtsgüterschutzes als bedenklich einzustufen wäre. 

Darüber hinaus würde eine Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe das Ergebnis des gerichtlichen Strafzumessungsaktes verzerren; es bestehen Bedenken auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn wenn die Geldstrafe nicht einbringlich sein sollte, würde nach der beabsichtigten Neufassung des § 43 StGB nur noch die Hälfte der seitens des Gerichts für tat- und schuldangemessenen Strafe vollstreckt. Sofern eine zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilte Person finanziell leistungsfähig ist, hätte sie das Ergebnis von 100 Tagen Arbeitskraft durch Zahlung der Geldstrafe aufzuwenden. Demgegenüber wäre die Strafvollstreckung im Falle einer Person, die weder zur Zahlung der Geldstrafe noch zur Ableistung sozialer Arbeit imstande ist, bereits nach 50 Tagen erledigt. Eine überzeugende sachliche Begründung für den in § 43 StGB nach Maßgabe des Referentenentwurfs niedergelegten Umrechnungsschlüssel und die damit einhergehende Ungleichbehandlung von leistungsfähigen und nicht leistungsfähigen Verurteilten enthält die Entwurfsbegründung nicht.

Ausnahmslos zu begrüßen wären indes Bestrebungen, die Möglichkeiten der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch eine flexible und anteilige Ableistung gemeinnütziger Arbeit zu fördern. Erwägenswert wäre insoweit, den Umrechnungsschlüssel von Geldstrafe zu gemeinnütziger Arbeit zu ändern, um insoweit einen Anreiz zu schaffen und zugleich die Belastung der Justizvollzugsanstalten mit der Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe zu verringern.


II.    Strafzumessung (§ 46 Absatz 2 StGB)

Der Referentenentwurf führt zutreffend aus, dass Straftaten, welche durch das Geschlecht des Opfers oder seine sexuelle Orientierung motiviert sind, in der Praxis von erheblicher Relevanz sind. Die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen innerhalb von Partnerschaften ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Frauen sind von Hassdelikten, die insbesondere im Internet begangen werden, ebenso in besonderer Weise betroffen wie lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen sowie andere queere Menschen. 

Um die Notwendigkeit einer angemessenen Ahndung zu bekräftigen und zu verstärken, schlägt der Referentenentwurf vor, „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung“ gerichtete Tatmotive als weitere Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele ausdrücklich in die Liste der nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB bei der Strafzumessung besonders zu berücksichtigenden Umstände aufzunehmen.

Auch nach Auffassung des Deutschen Richterbundes ist die effektive Verfolgung von Hassdelikten gegen Frauen und LSBTI-Personen ein rechtspolitisches und gesellschaftliches Anliegen von besonderer Bedeutung. Dieses Ziel kann jedoch auf rein normativer Ebene bereits mit dem geltenden Regelungsregime erreicht werden. 

Schon der Wortlaut von § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB in der aktuellen Fassung macht deutlich, dass die dort aufgeführten Strafzumessungstatsachen lediglich beispielhaft genannt sind. Damit können bereits nach geltendem Recht die durch das Geschlecht des Opfers oder dessen sexuelle Orientierung getragene Tatmotivation als „sonstige menschenverachtende“ Beweggründe strafschärfend berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang steht auch nicht – wie es die Entwurfsbegründung zumindest andeutet – zu befürchten, dass die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen nicht auch schon gegenwärtig auf Basis des geltenden Normbestandes frühzeitig solche Motive aufklärt und berücksichtigt und ihre Ermittlungen auch auf diese Umstände erstreckt.

Da die Entwurfsbegründung ebenfalls davon ausgeht, dass es 
§ 46 Absatz 2 StGB ermöglicht, auf das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung des Opfers bezogene Hassmotive strafschärfend zu berücksichtigen, stellt sich die Frage nach der praktischen Notwendigkeit einer Änderung der Norm, mit der allenfalls ein – freilich nicht gering zu schätzendes – rechtspolitisches Signal ausgesendet würde. Für die Praxis dürften mit der beabsichtigten Änderung des § 46 Absatz 2 StGB daher keine Änderungen einhergehen. 

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes sollte dafür Sorge getragen werden, dass die Vorschrift des § 46 Absatz 2 StGB ihren beispielhaften Charakter durch die zunehmende Nennung immer weitergehender Einzelfälle nicht verliert. Denn nur so wird die Rechtsprechung auch atypischen Fallkonstellationen durch die Verhängung einer schuldangemessenen Strafe Rechnung tragen können.

Eine tatsächliche Verbesserung der Verfolgung von Hassdelikten gegen Frauen und LSBTI-Personen wird durch die beabsichtigte Änderung im Strafzumessungsrecht nicht erreicht werden können. Letztlich kann nur eine adäquate sachliche wie personelle Ausstattung unter anderem von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten den Schutz vor Hassdelikten effektiv gewährleisten.


III.    Auflagen und Weisungen (§§ 56c, 59a StGB, § 153a StPO)

Der Referentenentwurf hebt zutreffend hervor, dass Weisungen – insbeson-dere bei einer Strafaussetzung zur Bewährung – im strafrechtlichen Sanktionensystem eine bedeutsame Rolle zur Resozialisierung des Täters einnehmen. Es dient den Zielen der Prävention und Resozialisierung, wenn die Möglichkeiten der Gerichte, durch ambulante Maßnahmen spezialpräventiv auf Straftäter einzuwirken, bekräftigt und ausgebaut werden.

Diesem Ziel wird der Referentenentwurf durch die vorgeschlagenen Änderungen der §§ 56c, 59a StGB, § 153a StPO gerecht, indem bei der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c Absatz 2 StGB-E), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a Absatz 2 Satz 1 StGB-E) und der Einstellung des Verfahrens unter Auflagen und Weisungen (§ 153a Absatz 1 Satz 2 StPO-E) die Möglichkeit einer Therapieweisung ausdrücklich normiert und bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt zusätzlich die Anordnung von „sonst gemeinnützigen Leistungen“ – etwa einer Arbeitsauflage – ermöglicht wird. 

Diese Regelungsvorschläge hält der Deutsche Richterbund allesamt für zielführend und begrüßt die beabsichtigten Änderungen ausdrücklich. Zugleich spricht sich der Deutsche Richterbund dafür aus, geeignete Maßnahmen zum Ausbau von Therapieplätzen zu ergreifen, um die von Seiten des Gesetzgebers zur Verfügung gestellten Instrumente in der Praxis auch tatsächlich einsetzen zu können. 


IV.    Maßregelrecht: Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB

Der Deutsche Richterbund teilt die Einschätzung des Referentenentwurfs, wonach im Bereich des Maßregelrechts Anpassungen an tatsächliche Entwicklungen der vergangenen Jahre erforderlich sind.

In den letzten Jahren ist ein kontinuierlicher Anstieg der Anzahl von Personen zu verzeichnen, die in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB untergebracht sind. Wie die Datenlage des Statistischen Bundesamtes zeigt, kam es im Zeitraum zwischen 1995 und 2020 zu deutlich mehr als einer Verdopplung der Zahl der untergebrachten Personen. Darüber hinaus hat sich die Zahl der durchschnittlichen Unterbringungen allein zwischen 2017 und 2019 um gut 18 % erhöht.

Damit einher geht in den vergangenen Jahren in vielen Ländern ein deutlicher Anstieg der durchschnittlichen Unterbringungsdauer sowie ein deutlicher Wandel in der Struktur der gemäß § 64 StGB Untergebrachten. Ausweislich des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung des Novellierungsbedarfs im Recht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 des Strafgesetzbuches (StGB) stieg die durchschnittliche Behandlungsdauer im Zeitraum von 1995 bis 2016 um etwa sechs Monate an. Der Anteil an Untergebrachten mit einem Betäubungsmitteldelikt als Einweisungsdelikt hat sich ausweislich des vorbezeichneten Berichts zwischen 1995 und 2017 mehr als verdreifacht; der Anteil der zugrundeliegenden Körperverletzungsdelikte hat sich von 18,6 % im Jahr 1995 auf 26,3 % im Jahr 2017 signifikant gesteigert. 

Besonders auffällig ist die Steigerung des Anteils der voll Schuldfähigen unter den Untergebrachten in einer Entziehungsanstalt. Lag dieser Anteil ausweislich der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamtes im Jahr 1995 noch bei 20 %, so hat sich dieser Wert bis zum Jahr 2017 auf rund 60 % gesteigert und damit um den Faktor 3 erhöht.

Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Referentenentwurf hält es der Deutsche Richterbund für erforderlich, die Zuweisung in eine Entziehungsanstalt auf Fälle einer eindeutigen Abhängigkeitserkrankung zu begrenzen. Der Deutsche Richterbund unterstützt das Vorhaben, sachwidrige Anreize für Täter, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzustreben, zu beseitigen.

Um die vorbezeichneten Zielsetzungen zu erreichen, sieht der Referentenentwurf vor, die Anordnungsvoraussetzungen des § 64 StGB in dreifacher Hinsicht restriktiver zu fassen (dazu 1.), den regelmäßigen Zeitpunkt einer Reststrafenaussetzung an den bei der reinen Strafvollstreckung üblichen Zweidrittelzeitpunkt durch eine Änderung des § 67 StGB anzupassen, an dem sich auch die Berechnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe orientieren soll (dazu 2.) und im Wege einer Änderung des § 463 StPO gesetzlich klarzustellen, dass der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit auch bei einer gerichtlichen Beendigung der Unterbringung wegen Erfolglosigkeit gilt (dazu 3.).

Den beabsichtigten Änderungen, die sich an den Vorschlägen der  Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung des Novellierungsbedarfs im Recht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt orientieren, steht der Deutsche Richterbund positiv gegenüber. 


1.    Restriktivere Fassung der Anordnungsvoraussetzungen des § 64 StGB

Der Referentenentwurf schlägt im Wege einer Änderung des § 64 StGB vor, erstens den Begriff des „Hangs“ in mehrfacher Hinsicht zu konkretisieren, zweitens das Kausalitätserfordernis zwischen „Hang“ und rechtswidriger Tat zu schärfen und drittens höhere Anforderungen an das Erreichen des Unterbringungsziels zu stellen.

§ 64 Satz 1 StGB-E knüpft den Begriff des „Hangs“ an denjenigen der Substanzkonsumstörung und erreicht damit eine Annäherung an die medizinische Fachsprache. Der Begriff des „Hangs“ wird infolgedessen schärfer konturiert. Das Anknüpfen an die ICD-Klassifikation erscheint aus Sicht der Praxis naheliegend. Mit der beabsichtigten Neufassung des „Hang“-Begriffs dürfte das mit dem Referentenentwurf intendierte Ziel, die Therapieanordnung enger an den Therapiebedarf zu koppeln, erreicht werden. 

Ebenso begrüßenswert ist der Vorschlag des Referentenentwurfs, die Feststellung eines „Hangs“ an das Eintreten oder Fortdauern einer „dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung“, die allerdings nicht die gesamte Lebensführung, sondern lediglich einen von mehreren abgegrenzten Bereichen betrifft („Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit“), zu knüpfen. Die vorgeschlagene Formulierung orientiert sich an einer Formel aus der älteren Rechtsprechung zur Feststellung des „Hangs“ sowie mit Blick auf das Merkmal der Lebensgestaltung überdies an § 238 StGB und dürfte daher in der Praxis ohne weiteres handhabbar sein. Ausweislich der Entwurfsbegründung bedarf die störungsbedingte Feststellung der selbständigen Feststellung im Urteil. § 64 Satz 1 a.E. StGB-E trägt auf diese Weise dazu bei, die Feststellung eines „Hangs“ von der Fokussierung auf die Einlassung des Angeklagten zu entkoppeln und dessen Angaben im Rahmen der Beweisaufnahme auf tatsächliche Veränderungen in seiner Lebensführung zu überprüfen. Die damit verbundene Objektivierung ist ausdrücklich zu begrüßen.

Gegen die beabsichtigte Streichung der Tatbestandsalternative „im Rausch begangen“ bestehen aus Sicht des Deutschen Richterbundes keine Bedenken.

Keine Bedenken bestehen auch mit Blick auf Einfügung des Merkmals „überwiegend“ in § 64 Satz 1 StGB-E. Mit der vorgeschlagenen Änderung wird gesetzlich näher ausgestaltet, unter welchen Voraussetzungen von einem kausalen Zusammenhang zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ auszugehen ist. Die Schärfung des Kausalitätserfordernisses zwischen „Hang“ und rechtswidriger Tat dürfte wesentlich dazu beitragen, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wieder primär für behandlungsbedürftige Täter vorzusehen, die im Rahmen einer solchen Einrichtung gut zu erreichen sind und die dort vorgehaltenen Angebote nutzen können.

Auch gegen die vorgeschlagene Änderung des § 64 Satz 2 StGB ist aus Sicht des Deutschen Richterbundes nichts zu erinnern. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt soll mit der vorgeschlagenen Änderung auf diejenigen Fälle begrenzt werden, in denen das Erreichen des Unterbringungsziels „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ ist. Mit diesem Regelungsvorschlag lehnt sich der Referentenentwurf an ähnliche Regelungen im Strafgesetzbuch an. Wie auch in § 63 Satz 1 StGB soll insoweit eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ nötig sein, welche durch Tatsachen belegt sein muss. Das gesetzgeberische Ziel einer restriktiveren Anordnungspraxis dürfte durch die vorgeschlagene Neufassung des § 64 Satz 2 StGB erreicht werden können, ohne in der praktischen Anwendung auf Schwierigkeiten zu stoßen. Denn die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose werden im Vergleich zur aktuell geltenden Fassung des § 64 StGB („hinreichend konkrete Aussicht“) nur moderat angehoben. Überdies leistet die Entwurfsbegründung durch die Benennung beispielhafter Fälle einen hilfreichen Beitrag zur Konkretisierung. 


2.    Zweidrittelzeitpunkt als regelmäßiger gesetzlicher Strafaus-setzungstermin

Der Referentenentwurf schlägt vor, im Wege einer Änderung des § 67 Absatz 5 Satz 1 StGB eine Angleichung an den in § 57 Absatz 1 Satz 1 StGB normierten Regelzeitpunkt der Strafaussetzung zur Bewährung von zwei Drittel der verhängten Strafe vorzunehmen, wobei – wie bei § 57 
Absatz 2 StGB – ein richterliches Ermessen eingeräumt wird und eine Orientierung am Halbstrafenzeitpunkt möglich bleibt. Zudem soll der Zweidrittelzeitpunkt auch als Regelzeitpunkt für die Berechnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe bestimmt werden (§ 67 Absatz 2 
Satz 3 StGB-E).

Der Deutsche Richterbund begrüßt diesen Regelungsvorschlag ausdrücklich. Die vorgeschlagene Änderung ist in hohem Maße dazu geeignet, die in dem Referentenentwurf mehrfach und anschaulich skizzierte Anreizwirkung für Täter mit hohen Begleitstrafen, durch die zusätzliche Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB eine Milderung ihres Strafübels zu erlangen, deutlich zu reduzieren. Das bisherige Privileg einer zumindest erhofften frühzeitigen Reststrafenaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt käme mit der beabsichtigten Änderung zum Entfall. Der Deutsche Richterbund teilt darüber hinaus die Einschätzung der Entwurfsbegründung, dass bei Begleitstrafen über 3 Jahren die gleichzeitige Umstellung auf den Zweidrittelzeitpunkt als Regelzeitpunkt für die Berechnung des Vorwegvollzugs (§ 67 Absatz 2 Satz 3 StGB-E) ebenfalls dazu führt, dass sich auch die Vorgaben des § 67 Absatz 2 
Satz 2 und 3 StGB zum Vorwegvollzug wieder stärker an die Realitäten der Praxis angleichen.


3.    Klarstellung der sofortigen Vollziehbarkeit für Entscheidungen nach § 67d Absatz 5 Satz 1 StGB bei sofortiger Beschwerde des Verurteilten

Mit der beabsichtigten Neufassung von § 463 Absatz 6 Satz 3 StPO strebt der Referentenentwurf eine gesetzliche Klarstellung zu der Frage an, ob bei einer Erledigungsentscheidung nach § 67d Absatz 5 StGB eine untergebrachte Person vor Rechtskraft der Entscheidung in den Strafvollzug zurückverlegt werden kann, insbesondere wenn sich die betroffene Person dagegen mit der sofortigen Beschwerde wendet. Diese Frage wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung derzeit unterschiedlich beantwortet.

§ 463 Absatz 6 Satz 3 StPO-E stellt klar, dass es für Entscheidungen nach § 67d Absatz 5 StGB im Falle einer sofortigen Beschwerde des Verurteilten grundsätzlich bei deren sofortiger Vollziehbarkeit bleibt.

Ausdrücklich begrüßt der Deutsche Richterbund, dass durch die beabsichtigte Neuregelung Rechtssicherheit hergestellt werden soll. Bedenklich erscheint jedoch, dass der hierfür vorgeschlagene Weg die Rechte des Betroffenen verkürzt, ohne dass dies durch entsprechend gewichtige Gründe der Vollzugs- oder Verfahrensökonomie belegt wäre. Zwar beruht die vorgesehene Neuregelung insoweit auf der Annahme, dass die entsprechenden Beschwerdeverfahren in der Praxis eine solche Dauer aufweisen, dass die geplante Neuregelung einen signifikanten Beitrag zur Entlastung der Entziehungsanstalten leisten würde. Eine solche Annahme aber entspricht nicht den Erfahrungen der Richterschaft. Tatsächlich dürften sie im Regelfall allenfalls wenige Wochen dauern. Soweit die Entwurfsbegründung in diesem Zusammenhang darauf Bezug nimmt, dass die Länder im Rahmen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe von Beschwerdeverfahren von bis zu sieben Monaten Dauer berichtet haben, in denen sie die Maßregelerledigung nicht umsetzen konnten, dürfte es sich allenfalls um Ausnahmefälle gehandelt haben, die nicht zum Referenzwert der regelmäßigen Bearbeitungsdauer solcher Beschwerdeverfahren gemacht werden können. 

Selbst wenn eine – für eine tatsachenbasierte Rechtspolitik selbstverständliche – empirische Untersuchung eine signifikant längere Dauer der Beschwerdeverfahren ergeben sollte, wäre zu erwägen, bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung von einer Rückverlegung in den Strafvollzug abzusehen, um die damit verbundenen negativen Effekte im Falle einer erfolgreichen Anfechtung zu vermeiden. Zur bezweckten Verfahrensbeschleunigung käme – neben der leider immer wieder anzumahnenden besseren personellen Ausstattung der Gerichte – etwa eine Fristenregelung für die Entscheidung in Betracht. Als Beispiel für eine solche Regelung könnte § 155c Abs. 3 Satz 1 FamFG dienen.