#6/2024

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunktepapier zur Einführung einer Verantwortungsgemeinschaft

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Die Übernahme von Verantwortung für andere Menschen ist dem Grunde nach unterstützenswert. Sinnvoll ist es auch, Vorsorge zu treffen für Situationen, in denen man nicht selbst entscheiden kann. Jedoch gibt es bereits jetzt bewährte Rechtsinstrumente, um dem Bedürfnis nach klaren und handhabbaren Regelungen im Einzelfall ausreichend Rechnung zu tragen. Eine Notwendigkeit zur Einfügung eines neuen Regelungsgefüges besteht daher aus Sicht des Deutschen Richterbundes nicht.

Zu begrüßen ist, dass die Verantwortungsgemeinschaft ohne eine Registrierung bei einer Behörde, sondern aufgrund notarieller Beurkundung gegründet werden können soll. Auch die optionale Ausgestaltung entspricht sicherlich den unterschiedlichen Bedürfnissen der einander nahestehenden Personen. Wenn diese aber eine vertragliche Bindung oder Berechtigung vereinbaren wollen, können sie beim Notar – wie bisher – eine individuelle Vereinbarung treffen, die sie auch heute schon Verantwortungsgemeinschaft nennen können.

Aus den beispielhaft ausgeführten Fallkonstellationen geht hervor, dass die für die Verantwortungsgemeinschaft vorgesehenen Wirkungen ganz überwiegend jeweils auch auf anderem Weg erreicht werden können, die weitgehend der notariellen Form nicht bedürfen und keineswegs komplizierter sind.


B. Bewertung im Einzelnen

 

Für die Absicherung in Gesundheitsangelegenheiten ist z. B. eine Vorsorgevollmacht das weitaus bedeutendere Instrument. Es trifft nicht zu, dass für eine auf eine ehrenamtliche Betreuung gerichtete Betreuungsverfügung eine Nähebeziehung zwischen Betroffenem und vorgesehenem Betreuer erforderlich wäre. Mit einer – lediglich der Schriftform bedürfenden – Vorsorgevollmacht, für die das BMJ übrigens sehr gute Muster zur Verfügung stellt, ist eine – auch individuell anpassbare – viel weiterreichende Kompetenzzuschreibung möglich, als das über den insbesondere für die Ärzteschaft mit zusätzlichem Aufwand verbundenen Weg der Notvertretung gemäß § 1358 BGB der Fall ist.

Im Bereich des Zusammenlebens wäre die Anknüpfung an § 1357 BGB hingegen sehr weitreichend, ohne dass dafür ein ernsthaftes Bedürfnis zu bestehen scheint. § 1357 BGB entfaltet nämlich in vielen verschiedenen Rechtsbereichen Wirkungen, etwa bei Versicherungen (vgl. BGH Urt. v. 28.02.2018 – XII ZR 94/17 oder OLG Hamm B. v. 23.04.2020 – 20 U 15/20) oder Stromlieferungsverträgen (vgl. BGH Urt. v. 24.04.2013 – XII ZR 159/12), die bedacht werden sollten. Dabei würden diese Wirkungen nicht davon abhängen, ob der Vertragspartner des handelnden Mitglieds der Verantwortungsgemeinschaft von deren Bestehen Kenntnis hat. Für die Entgegennahme von Bestellungen hingegen können sich WG-Mitglieder leicht bevollmächtigten. Hinsichtlich Nebenkosten kann man sich z. B. auch mit Zwischenstromzählern helfen oder bei gemeinsamen Immobilien eine gesellschaftsrechtliche Lösung vereinbaren.

Wohnungszuweisungen sind außerhalb des § 1361b BGB oder § 1568a BGB bzw. des § 2 GewSchG derzeit tatsächlich nicht möglich. Im Verhältnis zum Vermieter findet die Haushaltsgemeinschaft aber bereits Berücksichtigung (§ 563 BGB). Konflikte unter den Mitbewohnern werden ebenfalls nach mietrechtlichen oder gemeinschaftsrechtlichen Regeln gelöst – eine individuelle Gestaltung wäre aber schon in Schriftform sicherlich ebenfalls möglich.

Im Bereich Pflege und Fürsorge wäre ggf. auch eine Ausweitung der entsprechenden sozialrechtlichen Vorschriften ausreichend.

Im vermögensrechtlichen Bereich, der sich an der Zugewinngemeinschaft orientieren soll, bestehen für nichteheliche Lebensgemeinschaften bereits nichtkodifizierte Regelungsmodelle wie der Kooperationsvertrag (BGH B. v. 08.05.2013 – XII ZR 132/12 und BGH B. v. 04.03.2015 – XII ZR 46/13), mit dem Arbeits- oder Dienstleistungen an gemeinsam genutzten Gegenständen kompensiert werden können. Bei Zuwendungen von Geld kann ggf. nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts vorgegangen werden (§§ 812ff. BGB). Schafft man die Möglichkeit eines quasi-ehelichen Güterstands, würde eine Klarstellung notwendig, ob diese bestehenden Rechtsinstrumente weiterhin Geltung haben sollen. Eine konkrete Vereinbarung z. B. hinsichtlich gemeinsamer Immobilien kann bereits jetzt auch ohne Verantwortungsgemeinschaft erfolgen.

 

Zusammenfassung

Wenn Bürger Verantwortung füreinander oder für sich selbst z. B. in Notfällen übernehmen wollen, können sie auch mit den bereits bestehenden rechtlichen Möglichkeiten die erwünschten Wirkungen erreichen, und zwar ohne dass die Gefahr besteht, dass sie durch die Bezugnahme auf für Eheleute zugeschnittene Regelungen unbedachte Folgen herbeiführen. Sicherlich ist es hilfreich, sich für die Ausgestaltung der Regelungen insbesondere von einem Notar beraten zu lassen. Zur Gründung einer Verantwortungsgemeinschaft wäre aber die notarielle Form auch für Regelungen erforderlich, die derzeit lediglich der Schriftform bedürfen.