#6/2023

Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts (COM(2022) 702 final)

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt den Richtlinienentwurf. Die vorgeschlagenen Regelungen fügen sich weitgehend in das deutsche Recht ein bzw. entsprechen bereits in weiten Teilen dem Rechtszustand in Deutschland. Zu begrüßen ist auch das vorgeschlagene vereinfachte Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen ohne Bestellung eines Insolvenzverwalters. Wünschenswert ist zur Klarstellung die Aufnahme einer Definition der „juristischen Person“ sowie des „Unternehmers“, um Diskussionen wegen nationaler Unterschiede zu vermeiden.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

Titel I: Allgemeine Bestimmungen

Die Begriffsbestimmungen schaffen Klarheit sowohl hinsichtlich des Anwendungsbereichs als auch in der Abgrenzung zu weiteren europäischen Rechtsakten. Im Hinblick auf die nationalen Unterschiede wäre allerdings noch eine Definition der „juristischen Person“ sowie des „Unternehmers“ wünschenswert (siehe unten zu Titel V. und VI.3.).

 

Titel II: Anfechtungsklagen

Gegen die vorgeschlagenen Regelungen zur Harmonisierung des Insolvenz-anfechtungsrechts bestehen keine Bedenken. Da Art. 5 der Richtlinie (RL) nur Mindestharmonisierungsvorschriften vorsieht mit der Möglichkeit, national strengereAnfechtungsregelungen zu etablieren, erscheint es sinnvoll, ergänzend auch bestimmte Höchstgrenzen für Anfechtungsfristen zu bestimmen. Wenn lediglich ein Mindeststandard definiert wird, verbleibt für Gläubiger weiterhin eine erhebliche Unsicherheit, ob eine Leistung oder die Gewährung einer Sicherheit, die nach dem Heimatrecht des Gläubigers insolvenzfest ist, nach dem Insolvenzrecht eines anderen Staates gleichwohl anfechtbar wäre. Gleiches gilt für die Verjährungsfrist in Art. 9 Abs. 3 RL.

 

Titel III: Aufspürung von zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögenswerten

Die Regelungen sind zu begrüßen. Sie entsprechen in weiten Teilen bereits dem Rechtszustand in Deutschland seit dem 01.11.2022 mit der neuen Befugnis der Insolvenzgerichte nach § 98 Abs. 1a InsO.

 

Titel IV: Pre-Pack-Verfahren

Die Regelungen sind ebenfalls zu begrüßen. Die Möglichkeit, den Verkauf eines Unternehmens (-anteils) schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorzubereiten bzw. jedenfalls die Vorlage eines Pre-Pack-Plans zuzulassen, sind in Deutschland – anders als in vielen anderen Mitgliedstaaten der EU – bereits etabliert. Diese Möglichkeit ist sowohl im vorinsolvenzrechtlichen Verfahren (StaRUG-Verfahren) als auch im Insolvenzverfahren als Regel- oder Eigenverwaltungsverfahren vorgesehen.

 

Titel V: Pflicht der Unternehmensleitung, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen, und zivilrechtliche Haftung

Die Regelungen entsprechen inhaltlich weitgehend dem bestehenden deutschen Recht. Im Hinblick auf die vorgesehene Insolvenzantragspflicht und der damit verbundenen Strafbewehrung, sollte der Begriff der juristischen Person, der europarechtlich auszulegen ist und nicht mit dem deutschen Begriff übereinstimmen muss, klar definiert sein. Eine Klarstellung könnte dahingehend erfolgen, dass juristische Personen solche sind, die nach nationalem Recht als juristische Personen behandelt werden.

 

Titel VI: Liquidation zahlungsunfähiger Kleinstunternehmen

Die vorgeschlagenen Regelungen zur Verfahrensabwicklung von Kleinstunternehmen ohne Bestellung eines Insolvenzverwalters, insbesondere auch das „verwalterlose Verfahren“ gemäß Art. 39 RL, werden begrüßt.

1. Nicht wenige Verfahren, bei denen unter Berücksichtigung der Gerichtskosten, Gutachterkosten, der Verwaltervergütung und der Auslagen nichts zur Verteilung aus der Masse übrigbleibt, könnten nach dem Richtlinienvorschlag in einem verwalterlosen Verfahren abgewickelt werden.  Das Insolvenzgericht kann – je nach Einzelfall – aber weiterhin einen Insolvenzverwalter einsetzen, insbesondere wenn der Schuldner oder die Gläubiger dies beantragen und die Kosten des Verfahrens gedeckt sind
(Art. 39 RL). Das vorgeschlagene verwalterlose Verfahren erscheint auch bei natürlichen Personen ohne jegliches Vermögen sinnvoll. Obwohl mit pfändbaren Einkommen oder sonstigen Vermögen und damit einer Quote für die Gläubiger nicht zu rechnen ist, fällt durch das Verfahren (Forderungsanmeldung und –feststellung, Berichtswesen, Verwalterbe-stellung, Vergütungsfestsetzung etc.) in erheblichem Umfang Arbeit für den Verwalter und das Gericht an. Das vorgeschlagene verwalterlose Verfahren kann diesen Aufwand erheblich reduzieren, ohne dass Gläubigerrechte maßgeblich eingeschränkt werden. Entsprechendes gilt für die Verfahren, in denen geringe Vermögenswerte existieren, die die Kosten des Verfahrens aber nicht abdecken. Sofern keine Restschuldbefreiung beantragt wurde, wird nach geltendem Recht das Insolvenzverfahren mangels Masse abgewiesen, § 26 InsO. In einem verwalterlosen Verfahren könnte jedenfalls die Verteilung des geringen, die Verwaltervergütung nicht deckenden Vermögens durch das Gericht erfolgen oder das Gericht beschließt, wegen Geringwertigkeit von einer Verwertung abzusehen, wie es der Richtlinienvorschlag ermöglicht, Art. 47 lit. a) RL (für Anfechtungsklagen) bzw. Art. 49 Abs. 2 lit. b) RL (für Vermögenswerte von geringem Wert).

2. Hinsichtlich der vorgesehenenForderungsfeststellung ist darauf hinzuweisen, dass die Anmeldefrist für Gläubiger „innerhalb von 30 Tagen“, Art. 46 Abs. 2 RL, möglicherweise mit Art. 55 Abs. 4 EuInsVO kollidiert, der in grenzüberschreitenden Fällen eine Frist von mindestens 30 Tagen zur Forderungsanmeldung vorschreibt.

3. Der Unternehmerbegriff im Sinne der Richtlinie ist europarechtlich autonom auszulegen, so dass auf die Abgrenzung zwischen Verbrauchern und Unternehmern nach § 304 InsO nicht zurückgegriffen werden kann. Es werden Abgrenzungsfragen zu erörtern und im Gesetzgebungsverfahren zu entscheiden sein. In Belgien werden beispielsweise ehemalige Selbständige noch für die Dauer von sechs Monaten nach Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit wie Unternehmer behandelt. Die deutsche Veröffentlichungsvorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 3 Ins-BekV, mit der die europarechtliche Regelung des Art. 24 Abs. 4 EuInsVO umgesetzt wird, verzichtet sogar auf jede Frist und betrachtet jeden ehemaligen Unternehmer als Unternehmer i.S.d. des Europarechts. Es spricht einiges dafür, dass der Begriff in Art. 24 Abs. 4 EuInsVO dem des Richtlinienentwurfs entspricht und ebenfalls entsprechend weit auszulegen ist. Diese Diskussion kann vermieden werden, indem man das vereinfachte Insolvenzverfahren bei der nationalen Umsetzung nicht auf Unternehmer beschränkt, sondern auch für Verbraucher eröffnet.

 

Titel VII: Gläubigerausschuss

Die Regelungen zum Gläubigerausschuss werden grundsätzlich begrüßt, da sie weitgehend den Regelungen zum deutschen Recht entsprechen. Bedenken bestehen gegen die Beschränkung der Bestellung eines Gläubigerausschusses auf Antrag. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Gläubiger im frühen Verfahrensstadium vielfach noch nicht die Relevanz der Entscheidungen (Person des Verwalters, Eigenverwaltung) überblicken, wenn sie nicht durch einen Pflichtausschuss oder einen durch das Gericht von Amts wegen eingesetzten Ausschuss eingebunden werden. Die vorgeschlagene Regelung der Einsetzung nur auf Antrag wäre jedenfalls ein deutlicher Einschnitt in die Gläubigerrechte nach nationalem Recht, und zwar in einem Bereich, in dem sich der Gesetzgeber für eine Erweiterung der Gläubigerrechte durch möglichst frühzeitige Einsetzung eines Gläubigerausschusses von Amts wegen eingesetzt hat.

 

Titel VIII: Maßnahmen zur Erhöhung der Transparenz des nationalen Insolvenzrechts

Die Regelungen werden uneingeschränkt begrüßt.