# 4/04

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines 2. Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (2. JGGÄndG)

Juni 2004

Der DRB unterstützt die Bestrebungen des Referentenentwurfs sowohl in Bezug auf eine nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erforderliche Neufassung des § 51 Abs. 2 JGG als auch in Bezug auf weitere beabsichtigte Änderungen des JGG.

Im einzelnen besteht Anlass zu folgenden Bemerkungen:

 

1. Betonung des Erziehungsgedankens in § 2 Abs. 1 JGG - E:

Die geplante Klarstellung und Auslegungshilfe durch einen neu eingefügten § 2 Abs. 1 JGG, der den Erziehungsgedanken bei der Anwendung des Jugendstrafrechts betont, wird begrüßt. Sie entspricht nicht zuletzt dem vom BVerfG betonten Leitgedanken des JGG (Beschluss des BVerfG vom 13. Januar 1987 - 2 BvR 209/84 (NJW 1988, 45, 47)).

 

2. Erweiterung der sachlichen Zuständigkeit der Jugendkammer wegen besonderen Schutzbedürfnisses der Verletzten, § 41 Abs. 1 Nr. 4 JGG - E

Gegen die grundsätzliche Möglichkeit, künftig auch aus Opferschutzaspekten erstinstanzlich vor der Jugendkammer verhandeln zu können, werden keine Bedenken erhoben. Jedoch darf bei einer Verlagerung der Zuständigkeit auf die Jugendkammer nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Zielkonflikt mit dem Prinzip einer raschen jugendrichterlichen Reaktion auf strafrechtlich relevantes Fehlverhalten eintreten kann, da in aller Regel Verfahren bei dem Amtsgericht rascher terminiert und verhandelt werden können. Zudem kann eine Hauptverhandlung vor der Kammer für den Angeklagten belastender sein und zur Erreichung der Ziele des Jugendstrafverfahrens weniger geeignet sein. Der für das künftige Erwachsenenstrafrecht geplante zuständigkeitsbegründende Opferschutzgedanke lässt sich daher nicht ohne Weiteres auf das Jugendstrafverfahren übertragen. Bei einer entsprechenden Änderung der StPO für die Zuständigkeitsentscheidung im Verfahren gegen einen erwachsenen Angeklagten wird vorrangig die Frage zu beantworten sein, ob das Opfer des besonderen Schutzes durch den Wegfall einer zweiten Tatsacheninstanz bedarf. Im Bereich des JGG wird hingegen vorrangig die Frage zu entscheiden sein, ob bei einer Abwägung des Erziehungsgedankens einerseits und des Opferschutzes andererseits der Opferschutz im Einzelfall überwiegt.

Zudem bestehen hinsichtlich des Regelungsinhalts und des Wortlautes des § 41 Abs. 1 Nr. 4 JGG - E Bedenken.

Der Wortlaut orientiert sich zwar ersichtlich an § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG und § 39 Abs. 1 Satz 1 JGG. Er ist gleichwohl - hier wie dort - zumindest missverständlich, da nicht der Umstand der Anklageerhebung vor der Kammer deren Zuständigkeit begründet, sondern der Anlass, aus dem Anklage vor der Kammer erhoben wird.

Darüber hinaus sollte auch die Möglichkeit der erstinstanzlichen Verhandlung vor der Jugendkammer eröffnet werden, wenn sich die besondere Schutzwürdigkeit erst nach der Eröffnung des Hauptverfahrens oder gar nach Beginn der Hauptverhandlung ergibt. Dies ist ohne weiteres denkbar in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft die besondere Schutzwürdigkeit wegen eines im Ermittlungsverfahrens geständnisbereiten oder -signalisierenden Angeklagten verneint hat, der Angeklagte aber vor dem Amtsgericht wider Erwarten kein Geständnis mehr ablegt und/oder seine Verteidigung auf Konfliktverteidigung umgestellt wird. Ohne eine ausdrückliche Regelung hierzu bestünde die Abgabemöglichkeit durch das Amtsgericht in diesen Fällen nicht. Die Prüfungs- und Beachtenspflicht bei normativen Zuständigkeitsmerkmalen endet mit der Eröffnung des Hauptverfahrens, so dass § 225 a Abs. 1 StPO und § 270 Abs. 1 StPO - im Gegensatz zu § 209 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 39 Abs. 1 Satz 3 JGG und § 40 Abs. 1 Satz 2 JGG - eine Abgabe des Verfahrens wegen sich nachträglich erweisender besonderer Schutzbedürftigkeit von Zeugen nicht erlaubt.

Es wird daher vorgeschlagen, § 41 Abs. 1 Nr. 4 JGG - E wie folgt zu fassen:

"4. in denen wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, die Verhandlung vor der Jugendkammer geboten ist."

Zudem sollte § 39 Abs. 1 JGG und § 40 Abs. 2 JGG jeweils folgende Sätze angefügt werden:

"Erweist sich nach der Eröffnung des Hauptverfahrens die besonderen Schutzbedürftigkeit von Verletzten der Straftat, die als Zeugen in Betracht kommen, so gelten die § 225 a StPO und § 270 StPO entsprechend."

 

3. Erweiterung der Anwesenheitsrechte auf Interessenvertreter des Verletzten, § 48 Abs. 2 Satz 1 JGG - E

Die nunmehr ausdrückliche Gestattung der Anwesenheit von Erziehungsberechtigten und/oder gesetzlichen Vertretern des Verletzten beseitigt den bislang bestehenden Meinungsstreit zu dieser Frage und ist daher zu begrüßen. Ein generelles Anwesenheitsrecht eines Rechtsanwalts des Verletzten widerspricht jedoch dem Erziehungsgedanken des JGG. Dem Opferschutz von Verletzten, die nicht nebenklageberechtigt sind, wird im jugendgerichtlichen Verfahren regelmäßig bereits dadurch Genüge getan werden, dass die Anwesenheit eines Rechtsanwalts des Verletzten entsprechend § 406 f Abs. 2 StPO bei der Vernehmung des Verletzten durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft zugelassen wird. Zwar ist es auch dem Erziehungsgedanken durchaus förderlich, dem Angeklagten die Folgen seiner Tat durch eine Konfrontation mit dem Verletzten zu verdeutlichen. Jedoch besteht bei einer generellen Zulassung eines Rechtsanwalts des Verletzten die Gefahr, dass in dem Verfahren selbst bei vergleichsweise geringfügigen Rechtsgutverletzungen (z.B. Sachschäden) einerseits die Hemmschwelle des Angeklagten, der sich einem anwaltlich vertretenen Verletzten gegenüber sieht, erhöht wird, und andererseits die Vorbereitung zivilrechtlicher Ansprüche des Verletzten in den Vordergrund rücken. Zudem sieht § 51 Abs. 2 JGG - E keinen Ausschließungsgrund für einen Rechtsanwalt des Verletzten vor.

Die Regelung ist darüber hinaus deshalb in der bisherigen Form abzulehnen, weil dem Angeklagten im Fall der anwaltlichen Vertretung des Verletzten nicht zwingend ebenfalls ein Verteidiger bestellt werden muss. Weder § 68 JGG in seiner bisherigen Fassung noch § 68 JGG - E sehen eine Verteidigerbestellung für den Fall des anwaltlich vertretenen Verletzten vor. § 68 Abs. 3 JGG - E beschränkt diese Bestellungspflicht vielmehr auf den gemäß § 406 g StPO anwaltlich vertretenen Nebenkläger.

 

4. Aufzählung zulässiger Gründe für den Ausschluss von Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern des Angeklagten, § 51 Abs. 2 JGG - E

Hinsichtlich der Neufassung des § 51 Abs. 2 JGG - E besteht Anlass zu Kritik insoweit, als der Grad der richterlichen Überzeugung vom Vorliegen der Eingriffsvoraussetzung in § 51 Abs. 2 JGG - E nicht genannt wird. Die Vorschrift beschränkt sich auf eine entsprechende "Besorgnis", einen "Verdacht" und eine "Befürchtung". Dies erscheint bedenklich. Der § 51 Abs. 2 JGG in seiner bisherigen Fassung wurde in der zitierten Entscheidung des BVerfG unter anderem deshalb für verfassungswidrig erklärt, weil es der Gesetzgeber bislang versäumt hat, den "Grad richterlicher Überzeugung hinsichtlich des Vorliegens der Eingriffsvoraussetzung zu regeln" (BVerfG, NJW 2003, 2004, 2007 und 2008). Dem bislang verwendeten "Bedenken" fehlte es nach jener Entscheidung an der Eignung für eine "präzise Umgrenzung" der Eingriffsvoraussetzungen. Zwar entspricht die Wortwahl des § 51 Abs. 2 JGG - E insoweit § 247 StPO, auf den das BVerfG hingewiesen hat, ohne den dort ebenfalls nur vage umschriebenen Verdachtsgrad zu kritisieren. Es muss jedoch bedacht werden, dass die Ausschließungsmöglichkeit des Angeklagten nach § 247 StPO sich im Wesentlichen in der Beschränkung wesentlicher Verfahrensrechte des Angeklagten erschöpft. § 51 Abs. 2 JGG - E begründet jedoch im Fall einer darauf gestützten Ausschließung der Erziehungsberechtigten nicht nur einen Eingriff in deren Verfahrensrechte, sondern darüber hinaus einen wesentlichen Eingriff in deren Grundrecht aus Art. 6 Abs. 3 GG. Die Anforderungen an den danach erforderlichen Verdachtsgrad für die Eingriffsvoraussetzungen dürften demnach vom BVerfG nicht ohne Grund als regelungsbedürftig angemahnt worden sein. § 51 Abs. 2 JGG - E dürfte indes insoweit verfassungskonform sein, wenn die Vorschrift für die Annahme jeder einzelnen Eingriffsvoraussetzung "dringende Gründe" (in den Nummern 1, 3 und 4 ) beziehungsweise einen "dringenden Verdacht" (Nummer 2) verlangen würde. Lediglich in Nummer 5 dürfte eine solche Konkretisierung entbehrlich sein.

 

5. Erweiterte Gründe für eine Pflichtverteidigerbestellung, § 68 Nr. 3 und 4 JGG - E

Der DRB regt an, zur Klarstellung § 68 JGG redaktionell an § 141 StPO anzupassen und den Zusatz aufzunehmen, dass der Vorsitzende dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, einen Verteidiger unter den genannten Voraussetzungen bestellt.

§ 68 Nr. 3 JGG - E sollte, wie bereits zu § 48 Abs. 2 JGG - E dargestellt (oben Ziffer 2), die notwendige Verteidigung auch vorsehen, wenn "der Verletzte sich des Beistands eines Rechtsanwalts, dem die Anwesenheit nach § 48 Abs. 2 JGG ( - E) gestattet ist, oder nach § 406 g der Strafprozessordnung bedient oder ihm ein solcher bestellt worden ist".

 

6. Vorführung im vereinfachten Jugendverfahren, § 78 Abs. 3 JGG - E

Die Einführung der Möglichkeit, den trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung erschienenen Beschuldigten im vereinfachten Jugendverfahren vorführen zu lassen, wenn ihm dies mit der Ladung angedroht worden ist, wird begrüßt. Sie beseitigt bislang bestehende Problematik, das vereinfachte Verfahren gegen den nicht erschienen Beschuldigten trotz der Geeignetheit des Verfahrensstoffes nicht durchführen zu können, wenn der Beschuldigte nicht erscheint.

 

7. Erweiterung der Verletztenrechte bei Delikten, die nach der StPO zur Zulassung der Nebenklage berechtigen, § 80 Abs. 3 Sätze 2 und 3 JGG - E

Gegen die beabsichtigte Erweiterung der passiven Beteiligungsrechte (insbesondere Anwesenheit und Information) von Verletzten, die Opfer einer Tat geworden sind, die bei Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zur Nebenklage befugen, werden keine Bedenken erhoben. Durch die Beschränkung auf gewichtige Straftaten (die in § 395 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, c und d und Nr. 2 JGG genannten) einerseits und auf passive Beteiligungsrechte andererseits sieht der DRB die Opferrechte im Jugendstrafrecht in gebotener und ausreichender Weise gewahrt und die Belange des Angeklagten, dem derart gewichtige Verfehlungen vorgeworfen werden, noch ausreichend beachtet.

 

8. Zulassung des Adhäsionsverfahrens gegen Heranwachsende auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG - E

Ebenfalls keine Bedenken bestehen hinsichtlich der Zulassung des Adhäsionsverfahrens (auch) im Verfahren gegen Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht angewendet wird.

Die übrigen in dem Entwurf vorgeschlagenen Änderungen sind im Wesentlichen redaktioneller Natur oder betreffen die Streichung überholter Vorschriften. Einer Stellungnahme hierzu bedarf es nicht.

 

gez. Stefan Caspari,

Mitglied des DRB-Präsidiums