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Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Entwurf eines Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwälte (Rechtsanwältevergütungsgesetz – RVG-E) (Stand: 29. August 2001)

Januar 2002

Einleitung

Eine Expertenkommission aus Vertretern der Anwaltschaft, der Länder, der Richterschaft und des Bundesministeriums der Justiz hat auf Anregung der Bundesjustizministerin einen Vorschlag zur Reform der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte erarbeitet.

Der vorgelegte Entwurf ist Teil eines angestrebten Gesamtkonzeptes, mit dem das Justizkostenrecht vereinfacht werden soll. Zu diesem Zweck sollen die Kostengesetze einander weitgehend angeglichen werden. Die auch mitverfolgte Anpassung der Gebühren und Vergütungen an die wirtschaftlichen Verhältnisse soll nicht durch eine lineare Erhöhung sondern durch strukturelle Änderungen erfolgen, um die Gebühren und Entschädigungen praxisnäher den Entwicklungen der Verfahrensordnungen angleichen zu können.

Der Deutsche Richterbund hält das Anliegen der Anwaltschaft, die Gebühren anzupassen, für berechtigt. Er hat grundsätzlich gegen die vorgeschlagene Neustrukturierung des Gebührenwesens keine Einwendungen, soweit sie einer effektiven Verfahrensgestaltung nicht entgegensteht.

 

Strukturelle Änderungen durch das RVG-E

1. Die Zusammenfassung aller Gebührentatbestände in einem Vergütungsverzeichnis (VV) ähnlich dem Gerichtskostengesetz führen zu einem besseren Überblick über die Tatbestände der anwaltlichen Vergütung. Der gerichtlichen Praxis erleichtert die Vereinheitlichung der Systematik die Handhabung der Kostenvorschriften.

 

2. Durch die Vermeidung von Verweisungen werden sich die Fehler bei der Gebührenfestsetzung verringern.

 

3. Das Ziel der Vereinfachung des Gebührenrechtes wird durch den Wegfall der Beweisgebühr erreicht. Es entfiele auf diese Weise z. B. der Streit darüber, ob eine informelle Anhörung bereits die Beweisgebühr auslöst.

Der Wegfall der Beweisgebühr wird zudem zu einer schnelleren Erledigung der gerichtlichen Verfahren führen, in denen eine einvernehmliche Lösung des Streites in Frage kommt. Denn es fehlt der Anreiz, mit einer Beweisaufnahme noch eine Gebühr mitzunehmen. Die Verfahrensentlastung durch den Wegfall der Beweisaufnahmegebühr darf aber nicht überschätzt werden. Die Erhöhung der Verfahrensgebühr auf den Faktor 1,5 macht den Prozess im Regelfall bereits teuerer. Damit dürfte das Interesse der Parteien sinken, sich zur Vermeidung der Kosten einer Beweisaufnahme zu einigen.

 

4. Ob die Einbeziehung der Aufwendungen, die zu den Kosten des gerichtlichen Verfahrens gehören, in die Vergütungsfestsetzung (§ 10 RVG-E) eine Vereinfachung der Vergütungsfestsetzung ist, ist zweifelhaft. Der Streit, welche Kosten zu den gerichtlichen Auslagen gehören, wird den Urkundsbeamten oder Rechtspflegern viele Probleme bereiten. Erwähnt seien z.B. die Kosten eines privaten Sachverständigengutachtens, eines Steuerberaters zur Vorbereitung des Rechtsstreites, die Beschaffung einer Bürgschaft im Rahmen eines Vergleichs. In all diesen Fällen muss der Kostenfestsetzer prüfen, ob der Rechtsanwalt die Aufwendungen für erforderlich halten durfte (§ 670 BGB). Die Kommentierung zu § 91 ZPO belegt, dass die Abgrenzung, was zu den Kosten des gerichtlichen Verfahrens gehört, sehr differenziert beurteilt wird.

Trotz des prozessökonomischen Vorteils, den die Schaffung eines einfachen Titels bringt, sollte nochmals überlegt werden, ob man nicht nur die verauslagten Gerichtskosten in das Festsetzungsverfahren einbezieht, um die Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden. Diese Kosten sind leicht festzustellen.

 

5. Die Zusammenfassung der Regelungen über die Abgrenzung der Angelegenheiten wird durch die Zusammenfassung in den Vorschriften §§ 14 – 18 RVG-E) zwar formal erleichtert, da der Topos dieser Regelung klar ist. Inhaltlich dürften die Abgrenzungsprobleme kaum weniger werden.

 

6. Die Festbetragsgebühren für den gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt werden die Gebührenfestsetzung etwas erleichtern und tragen zur Transparenz des Gebührenwesens bei. Die Festlegung der Höhe dürfte allerdings erhebliche Auswirkungen auf die Verfahrenskosten haben. Wenn man davon ausgeht, dass heute für einen Pflichtverteidiger gemäß §§ 97, 84, 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO im Durchschnitt ca. 300,- € anfallen, werden diese Gebühren auf 500,- € steigen (VV Nr. 4100: 132 €; Nr. 4104: 92 €; Nr. 4118: 92 €; Nr. 4120: 184 €).

 

7. Die Einheitlichkeit der Gebührentatbestände für die Zivil-, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit wird für die gerichtliche Praxis keine ins Gewicht fallende Erleichterung bringen, da die Kostenfestsetzer i.d.R. nur mit Kosten aus einer Gerichtssparte zu tun haben. Ähnliches gilt für die Vereinheitlichung der Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelgebühren in den genannten Gerichtsbarkeiten.

Die Orientierung an den Gebühren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auch in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten Verfahren wird zu Mehrkosten für den Bürger führen. Ob, wenn der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln ist, eine höhere Vergütung unter dem Aspekt der Vergütung nach Leistung (Begründung S. 56) zu rechtfertigen ist, mag dahinstehen. Vielleicht führt sie zu einer intensiveren anwaltlichen Betätigung z.B. im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit.

Unter dem Gesichtspunkt der Vereinfachung sollte man überlegen, ob in sozialrechtlichen Angelegenheiten die Gebühr des Anwalts sich auch in den Angelegenheiten, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, nach dem Gegenstandswert richtet. Die in § 22 Abs. 1 RVG-E für diese Verfahren vorgesehene Rahmengebühr würde in diesem Bereich die jetzt bei der Festsetzung der Rahmengebühr gemäß § 116 Abs. 1 BRAGO auftretenden erheblichen Anwendungsprobleme beibehalten.

 

8. Auch wenn im außergerichtlichen Bereich Vergütungsvereinbarungen zunehmen, sollte man die Beratungsgebühr normieren. Ein gesetzlicher Gebührenrahmen erleichtert im Streit über die Höhe des Honorars die Festlegung der vereinbarten Vergütung nach § 612 BGB. Die für die Normierung sprechenden Gründe (Begründung S. 55) sind überzeugender als die dagegen angeführten. Zu überlegen wäre, ob man nicht beide Modelle übernimmt. In diesem Fall hätte die vereinbarte Vergütung Vorrang vor der Taxe. Dies hätte den Vorteil, dass die Beratungsgebühr flexibler der Leistung des Rechtsanwalts angepasst werden könnte. Die bei einer wertabhängigen Rahmengebühr trotz der Spanne von 1/10 – 10/10 im Verhältnis zum Zeitaufwand mitunter unverhältnismäßig niedrige oder hohe Vergütung könnte durch eine Gebührenvereinbarung vermieden werden.

 

9. Die ins Auge gefasste Verweisung auf die Steuerberatergebührenverordnung in § 33-E bei Hilfeleistungen in Steuersachen sollte man zum Anlass nehmen, in der Steuerberatergebührenverordnung auf die Tabellen zu § 11 BRAGO bzw. § 12 RVG-E zu verweisen. Damit könnten die Tabellen A und E zur Steuerberatergebührenverordnung entfallen. Zudem müsste die Steuerberatergebührenverordnung dem RVG-E angepasst werden, z.B. könnte dort auf eine eigenständige Beweisgebühr verzichtet werden.

 

10. Die Verbesserung der Honorierung im Ermittlungsverfahren durch Einführung einer Grund- und Verfahrensgebühr ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie wird die Bereitschaft des Verteidigers, an der Vermeidung einer Hauptverhandlung mitzuwirken, fördern. Damit kann auch das Ziel, das Verfahren zu beschleunigen und zu vereinfachen, erreicht werden. Kontraproduktiv ist aber die in gleicher Höhe anfallende Gebühr für jeden Tag, an dem der Rechtsanwalt im Ermittlungsverfahren an einem Termin teilnimmt. Wird für die schlichte Teilnahme an polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen ein zusätzlicher Gebührenanreiz geschaffen, ist zu erwarten, dass gerade wirtschaftlich weniger erfolgreiche Anwälte diese zusätzliche Einkommens-quelle nutzen werden.

 

11. Die vorgesehene Form der Terminsgebühr im Hauptverfahren ist aus prozessökonomischen Gründen abzulehnen. Schon die bisherige Regelung (§ 83 Abs. 2 BRAGO) förderte unnötige Fortsetzungstermine, wie die tägliche Praxis zeigt. Die Behauptung, gestützt auf die Untersuchung von Dölling, Feltes u. a., diese Form der aufwandsorientierten Honorierung habe schon nach geltenden Recht nicht zu einem Missbrauch geführt (Begründung S. 109), widerspricht allen Erfahrungen der Praktiker und wird so auch nicht gestützt von Dölling und Feltes a.a.O. Die Honorierung von Kurzterminen stellt im Zusammenhang mit der Frist des § 229 StPO ein erhebliches Steuerungspotential des Verteidigers dar, das zu einer sachlich oft nicht zu rechtfertigenden Belastung der Strafgerichte führt.

Der vorgesehene obligatorische Zuschlag für den Verteidiger eines Beschuldigten, der sich nicht auf freien Fuß befindet (VV, Teil 4, Vorbemerkung Abs. 4), erscheint nicht sachgerecht. In vielen Fällen entsteht allein durch die Inhaftierung oft kein zusätzlicher Zeitaufwand, da Verteidiger die Zeit vor, während und nach einem Hauptverhandlungstermin zu Informationsgesprächen nutzen. Man sollte es deshalb bei der fakultativen Erhöhungsmöglichkeit (§ 83 Abs. 3 BRAGO) belassen.

 

12. Der vorgesehene Umfang der Anhebung der Gebühren für das Wiederaufnahmeverfahren erscheint fragwürdig. Es mag zutreffen, dass die Gebühren (§ 90 BRAGO) derzeit für einen Verteidiger wenig interessant sind. Man sollte aber bedenken, dass Wiederaufnahmeverfahren äußerst selten erfolgreich sind. Eine zu starke Anhebung der Gebühren für erfolglose Anträge würde daher zu einem rechtspolitisch wenig wünschenswerten erheblichen Anstieg dieser Verfahren führen. Gerade wirtschaftlich weniger erfolgreiche Anwälte könnten auch in aussichtslosen Fällen zur Durchführung eines Verfahrens verleitet werden. Dies wird auch zu einer Mehrbelastung der Staatskasse führen, da der Verurteilte selten über die zur Bezahlung erforderlichen Mittel verfügen wird.

 

13. Eine erhebliche zusätzliche Belastung für die Staatskasse werden auch die neu eingeführten Gebührentatbestände in der Strafvollstreckung mit sich bringen (VV, Teil 4, Abschnitt 2). Möglicherweise kommt es dann seltener zur Beantragung einer Pauschgebühr nach § 39 RVG-E. Bei einer praktisch generellen Verdoppelung gegenüber den Gebühren nach § 91 BRAGO sollte man den Anreiz, die Verfahren zu missbrauchen nicht unterschätzen.

 

14. Sachgerecht ist die Abkoppelung der Gebühren in Ordnungswidrigkeitenverfahren von den Gebühren im Strafverfahren und die Orientierung an der Höhe der Geldbuße, die sich ihrerseits nach der Bedeutung des Verstoßes richtet.

 

15. Für die forensische Praxis ist der Wechsel von der Vergleichgebühr, die nur bei einem gegenseitigen Nachgeben anfiel (§ 779 BGB), zur Einigungsgebühr, bei der dieses Merkmal nicht mehr erforderlich ist, bedeutungslos. Der als Beispiel für die Einigungsgebühr angeführte Fall, dass jemand den Anspruch anerkennt und sich zur Schaffung eines Titels verpflichtet, würde im Fall eines Gerichtsverfahrens zu einem Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO) führen.

Im gerichtlichen Verfahren bleibt diese Gebühr aber weiter bedeutsam, da der Anwalt durch eine Einigung eine weitere Gebühr erhält. Vor dem Hintergrund des Wegfalls der Beweisaufnahmegebühr liegt die Einigung auch stärker im Interesse des Rechtsanwalts, der dann 3,5 Gebühren anstelle bisher 3 Gebühren erhält.

 

16. Das Anfallen von Gebühren in Verfahren der vorläufigen Anordnung nach FGG ist nicht sachgerecht. In diesen familiengerichtlichen Verfahren, in denen es fast ausschließlich um Verfahren im Kindeswohlinteresse (Regelung der elterlichen Sorge und Umgang) geht, ist das Gericht oft gezwungen, von Amtswegen eine vorläufige Anordnung zu erlassen. Der Rechtsanwalt kommt dann also ohne eigene Arbeit zu einer weiteren Gebühr. Außerdem ist damit zu rechnen, dass im Kosteninteresse der Anordnungsantrag zusätzlich zum Hauptantrag gestellt wird, obgleich kein Fall für die vorläufige Regelung gegeben ist. Zusätzliche Arbeit entsteht dem Anwalt dadurch nicht. Denn der Sachverhalt ist praktisch der gleiche.

 

Einzelne Gebührentatbestände im Vergütungsverzeichnis, die bei der strukturellen Erörterung nicht erwähnt wurden

 

Nr. 3104, 3209, 3210: Terminsgebühr im Verfahren vor den Sozialgerichten

Nach dieser Ziffer entsteht die Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten auch dann, wenn nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird. Wenn die Gebührenstruktur für die Sozialgerichtsbarkeit in den Fällen der Wertgebühren und Betragsrahmengebühren gleich sein soll (Begründung zu Nr. 3102, S. 96) ist der Gebührentatbestand der Nr. 3104 zu ergänzen. Die Terminsgebühr muss auch dann entstehen, wenn in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 2 SGG). Die Ergänzung ist dann folgerichtig auch bei den Gebührentatbeständen Nr. 3209 und Nr. 3210 anzubringen.

 

Nr. 3105: Gebühr für die Streitverkündung

Die Gebühr für die Streitverkündung könnte zwar die Bereitschaft zur Streitverkündung steigern. Dies erscheint aber nicht negativ, da durch die Bindungswirkung der Entscheidung Folgeprozesse verkürzt oder vermieden werden. Eine Bindungswirkung erleichtert die außergerichtliche Einigung mit dem Dritten.

Die zusätzliche Arbeit des Anwalts sollte auch zusätzlich honoriert werden.

 

Nr. 3308: Gleiche Gebühr für den Schuldner- und Gläubigeranwalt im Insolvenzverfahren

Die Gleichbehandlung von Gläubiger und Schuldneranwalt im Insolvenzverfahren überzeugt nicht unbedingt. Als Vertreter des Schuldners hat der Rechtsanwalt, anders als die Begründung dies darlegt (S. 101), einen erheblich höheren Arbeitsaufwand als der Gläubigeranwalt. Man sollte daher überlegen, ob man die unterschiedlichen Gebührenfaktoren, die § 82 BRAGO vorsieht, beibehält.

 

Nr. 4106:

Sach- und interessengerecht ist es, auch für Verfahren vor der Staatsschutzkammer (§ 74 a GVG) und vor der Wirtschaftsstrafkammer (§ 74 c GVG) den höchsten Gebührenrahmen vorzusehen. Die Oberlandesgerichte könnten dadurch von Anträgen auf Feststellung einer Pauschgebühr entlasten werden. Dies könnte ein kleiner Ausgleich für die künftig häufiger zu erwartenden Anträge nach § 39 RVG-E (Feststellung einer Pauschgebühr) sein. Mit einem Ansteigen dieser Anträge muss in Zukunft gerechnet werden, da künftig auch der Wahlverteidiger einen entsprechenden Antrag stellen kann (§ 39 Abs. 1 RVG-E).

 

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Uta Fölster, Geschäftsführerin des DRB, Tel.: 030/20 61 25-0, Fax: 030/20 61 25-25,

E-Mail: foelster@drb.de

 

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