# 29/04

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Vollzuges der Untersuchungshaft (GVU)

I. Allgemeines

Der Deutsche Richterbund begrüßt den Entwurf. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung des Rechts des Vollzugs der Untersuchungshaft in seinen bisherigen Entscheidungen nicht angemahnt. Da es sich bei der Untersuchungshaft jedoch um schwer wiegende Grundrechtseingriffe bei nach der Europäischen Menschenrechtskonvention als unschuldig geltenden Personen handelt, erscheint eine zusammenhängende gesetzliche Regelung wünschenswert. Das Vorhaben ist dabei im Zusammenhang mit den bestehenden Regelungen für den Vollzug von Freiheitsstrafe im Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 1977 und dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges (vgl. Stellungnahme des DRB vom Juni 2004 und Presseerklärung vom 27. Juli 2004) zu sehen.

Der DRB unterstützt das Ziel des Entwurfs, die bisherigen Einzelbestimmungen zusammen zu fassen und zu ergänzen, die Zuständigkeiten zwischen Gericht und Anstalt neu zu verteilen und die Rechtsbehelfe zu vereinheitlichen.

Grundsätzliche Zustimmung verdienen auch die Ziele der Verbesserung der Rechtsstellung von Untersuchungsgefangenen und des Ausbaus vollzuglicher Angebote. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass die optimistische Einschätzung des Vollzugsaufwandes in der Entwurfsbegründung nicht geteilt werden kann. Bereits in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 1997 hatte der Deutsche Richterbund auf den unauflöslichen Widerspruch zwischen einer Verbesserung der Sozialisierungsangebote einerseits und den politischen Zwängen, die sich aus den jeweiligen Haushaltslagen der Länder ergeben andererseits, hingewiesen. Soweit der Entwurf meint, diese Problematik dadurch auflösen zu können, dass die Fortentwicklung des Vollzuges nicht durch zwingende Vorschriften erreicht werden solle, muss diese Aussage skeptisch gesehen werden.

Nach wie vor sind nicht alle die Ausgestaltung der Untersuchungshaft betreffenden Regelungen als Soll-Vorschriften ausgestaltet (vgl. § 3 Abs. 1 E, § 25 Abs. 1 E). Zudem begründen die als Soll-Vorschriften ausgestalteten Bestimmungen (§ 12 Abs. 2 E, § 15 Abs. 2 E, § 25 Abs. 3 E, § 31 Abs. 2 E, § 36 Abs. 2 E) regelmäßig Ansprüche. Vollzugsrecht ist Justizverwaltungsrecht (Baumann JZ 1990, 107 f.). Eine Sollvorschrift verknüpft verwaltungsrechtlich regelmäßig die Rechtsfolge mit allen typischen Fällen und lässt es nur in besonderen, im einzelnen wegen ihrer Abweichung vom typischen Fall zu begründenden Besonderheit zu, die Rechtsfolge nicht eintreten zu lassen. Untersuchungsgefangene werden deshalb die aus der Verbesserung der Rechtsstellung und dem Ausbau der vollzuglichen Angebote folgenden Ansprüche mit Hilfe der Gerichte einfordern und erhalten, zumal fehlende Haushaltsmittel kein rechtlich anzuerkennender Grund sind, solche abzulehnen. Dies begründet die Befürchtung, dass bei der zweifellos angespannten Finanzlage der öffentlichen Haushalte, bei der auf einen Mittelzuwachs nicht zu hoffen ist, gesteigerter Vollzugsaufwand und Mehrbelastungen durch Umschichtungen aufzufangen ist, welche die ausgewogene Balance der Mittelverwendung in den Justizhaushalten empfindlich stören würden. Kostensteigerungen beim Justizvollzug dürfen aber nicht zu Lasten der Rechtspflege gehen, deren Sparpotential schon seit langem erreicht, wenn nicht gar überschritten ist.

 

II. Zu den Einzelbestimmungen

Der Entwurf lehnt sich in weiten Teilen an die bisherige Praxis unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung an. Der überwiegenden Zahl der Regelungen ist daher zuzustimmen. Dies gilt weitestgehend für die Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Anstalt, für die Neuregelung der Rechtsbehelfe und auch für die Einbeziehung der jungen Gefangenen in den Regelungsbereich des Gesetzes.

 

Zu §§ 1 und 2 GVU-E

Zuzustimmen ist dem Ansatz des Entwurfs, den Zweck der Untersuchungshaft weit zu definieren und die Anordnung von Beschränkungen nicht an den im Haftbefehl genannten Haftgrund zu binden. In vielen Fällen werden sich die Haftgründe überschneiden, ohne dass sie sämtlich im Haftbefehl aufgeführt sind. Die Entwurfsregelung wird insoweit den Bedürfnissen der Praxis gerecht, bei der Anordnung von Beschränkungen sämtlichen Haftgründen fallbezogen Rechnung zu tragen.

 

Zu § 3 GVU-E

Der "Angleichungsgrundsatz" in Absatz 1 gilt zwar nur unter dem Vorbehalt des Zwecks der Untersuchungshaft und der Erfordernisse eines geordneten Zusammenlebens in der Anstalt. Darüber hinaus manifestiert er aber einen Programmsatz, der zu einer in der Realität des Vollzugs nicht erfüllbaren Anspruchshaltung führen kann, weil er - anders als § 3 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz ("soweit als möglich") - die vorhandenen Möglichkeiten der Anstalt nicht berücksichtigt. Es erscheint deshalb geboten, in Absatz 1 folgende Formulierung aufzunehmen:

"... ist den jeweiligen Lebensverhältnissen im Rahmen der Möglichkeiten der Anstalt anzugleichen ..."

 

Zu § 4 GVU-E

Durch die in Absatz 2 vorgesehene Auflockerung des Trennungsgebots wird den Erfordernissen der Praxis noch hinreichend Rechnung getragen.

 

Zu § 7 GVU-E

Das Anhörungsrecht der abweichend vom Vollstreckungsplan für die Aufnahme vorgesehene Anstalt (Abs. 1 Satz 2 2.Halbs.) wird den Gegebenheiten der Praxis nicht gerecht, da Aufnahmen auch zu Zeiten erfolgen müssen, in denen eine Besetzung der Vollzugsgeschäftsstellen nicht gewährleistet ist. Die Vorschrift sollte deshalb als Soll-Vorschrift gefasst werden.

Bedenken begegnet auch die in Absatz 4 getroffene Regelung im Hinblick auf die geübte und bewährte Praxis bei sprachunkundigen Ausländern sprachkundige Gefangene heranzuziehen (vgl. die Begründung zu Abs.3 Satz 1).

 

Zu § 8 GVU-E

In Absatz 3 Satz 2 der Vorschrift ist auch der Staatsanwaltschaft ein Anhörungsrecht einzuräumen, weil nur diese beurteilen kann, ob in komplexen Ermittlungsverfahren, die nicht notwendig verbunden sein müssen, wichtige Zeugen oder "Mitbeschuldigte" in der künftigen Anstalt untergebracht sind. Zudem können Ermittlungshandlungen einer beabsichtigten Verlegung entgegen stehen.

 

Zu § 10 GVU-E

Eine Klarstellung in Absatz 3, dass die Unterrichtungspflicht über den Eintritt der Rechtskraft das Gericht betrifft, erscheint angezeigt. Die Feststellung des Eintritts der Rechtskraft obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts (§ 13 Abs. 4 StrVollstrO), dem gleichzeitig die Unterrichtung der Anstalt übertragen werden könnte.

 

Zu § 15 GVU-E

Mit der Erweiterung der Mindestbesuchszeiten werden die Vollzugsanstalten mit einem nicht unerheblichen Mehraufwand belastet. Dies sollte in der Entwurfsbegründung auch zum Ausdruck gebracht werden.

 

Zu § 17 GVU-E

Eine Notwendigkeit, die akustische Überwachung des Besuchs bei Verdunkelungsgefahr nicht mehr auf die Vollzugsanstalt übertragen zu können, ist nicht einsichtig und wird auch zu praktischen Schwierigkeiten führen. Unzuträglichkeiten hat die bisherige Regelung nicht erkennen lassen, da der Tatvorwurf der Anstalt im Wesentlichen bekannt ist. Zudem ist bei unangemeldeten Besuchen nicht gewährleistet, dass innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens Überwachungspersonal zur Verfügung stünde. Auch bei der Überwachung von Besuchen von Untersuchungsgefangenen, deren Haftbefehl auf den Haftgrund der Flucht- oder Wiederholungsgefahr gestützt ist, muss das Anstaltspersonal sicherstellen, dass es zu Verdunkelungshandlungen nicht kommt.

Angezeigt erscheint deshalb eine Regelung, die klarstellt, dass bei einem Besuch über den Gegenstand der Untersuchung nicht gesprochen werden darf.

 

Zu §§ 18, 19 GVU-E

Abweichend von der Entwurfsbegründung erscheint eine Missbrauchsklausel zur Einschränkung des Rechts auf Schriftwechsel angezeigt, da durchaus denkbar ist, dass Gefangene die Gerichte oder Justizbehörden durch eine Vielzahl von Schreiben in organisatorische Schwierigkeiten zu bringen beabsichtigen. Die Rechte der Gefangenen erscheinen gewahrt, wenn Beschränkungen ausschließlich dem Gericht vorbehalten bleiben.

Im Hinblick auf die Missbrauchsgefahr (Weiterleitung von Schreiben anderer Gefangener) beim generellen Absehen von einer Textkontrolle begegnet § 19 Abs. 2 GVU-E Bedenken. Die Möglichkeit einer Textkontrolle des gesamten Schriftwechsels muss aufrecht erhalten bleiben.

 

Zu § 21 GVU-E

Die zu § 17 GVU-E geäußerten Bedenken gelten entsprechend. Eine Überwachung des Telefonverkehrs durch die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten erscheint in der Praxis nicht durchführbar.

 

gez. BA Rolf Hannich, Mitglied des Präsidiums