Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung der Richtlinie 2011/7/EU zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr)
A. Tenor der Stellungnahme
Der Deutsche Richterbund erkennt an, dass die Europäische Kommission mit ihrem Verordnungsvorschlag die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft stärken will. Zahlungsverzug beruht oft auf Asymmetrien in der Verhandlungsmacht und kann, gerade für kleine und mittlere Unternehmen, existenzbedrohend sein.
Die vorgeschlagene Verordnung, die die Zahlungsverzugsrichtlinie aus dem Jahr 2011 ersetzen soll, enthält allerdings einzelne Regelungsvorschläge, die überflüssig, mit grundlegenden Prinzipien des deutschen Zivilrechts nicht vereinbar oder sogar rechtsstaats- und grundgesetzwidrig sind. So verstoßen die weitreichenden Befugnisse der vorgesehenen „Durchsetzungsbehörden“ gegen Art. 92 GG, wonach Rechtsprechung den Gerichten vorbehalten ist. Das vorgesehene Verbot des Verzichts auf Verzugszinsen verletzt die nach Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 16 der EU-Charta geschützte Vertragsfreiheit. Für eine vorgesehene Regelung, wonach für unbestrittene Forderungen binnen 90 Tagen ein Titel erwirkt werden kann, fehlt es an der Notwendigkeit einer EU-weiten Regelung.
B. Bewertung im Einzelnen
Der Deutsche Richterbund erkennt an, dass die Europäische Kommission mit ihrem Verordnungsvorschlag die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft stärken will. Zahlungsverzug beruht oft auf Asymmetrien in der Verhandlungsmacht und kann, gerade für kleine und mittlere Unternehmen, existenzbedrohend sein. Die vorgeschlagene Verordnung, die die Zahlungsverzugsrichtlinie aus dem Jahr 2011 ersetzen soll, enthält allerdings einzelne Regelungsvorschläge, die überflüssig, mit grundlegenden Prinzipien des deutschen Zivilrechts nicht vereinbar oder sogar rechtsstaats- und grundgesetzwidrig sind. Hierauf beschränkt sich diese Stellungnahme.
1. Befugnisse von Durchsetzungsbehörden
Gemäß Art. 13 des Verordnungsentwurfs sollen sog. „Durchsetzungsbehörden“ geschaffen werden, die für die Durchsetzung der Verordnung verantwortlich sein sollen. Diese Behörden sollen weitreichende Befugnisse erhalten. So ist in Art. 14 Nr. 1 lit. d) des Verordnungsentwurfs vorgesehen, dass die Behörde Entscheidungen erlässt, wonach der Schuldner zur Zahlung von Verzugszinsen oder einer Entschädigung an den Gläubiger verpflichtet werden kann.
Diese Regelung ist mit Art. 92 GG unvereinbar. Nach Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut. Ihre Ausübung ist den Gerichten des Bundes und der Länder vorbehalten. Der Gesetzgeber darf deshalb eine Angelegenheit, die Rechtsprechung im Sinne des Art. 92 GG ist, nicht anderen Stellen als Gerichten zuweisen (BVerfGE 103, 111). Die Entscheidung bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten ist Rechtsprechung im Sinne von Art. 92 GG.
Die Einführung einer „Durchsetzungsbehörde“, die die Befugnis haben soll, an Stelle eines Gerichts einen Schuldner zur Zahlung von Verzugszinsen oder einer Entschädigung an einen Gläubiger zu verpflichten, verstößt gegen Art. 92 GG und ist unvereinbar mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz, wonach die Rechtsprechung Richterinnen und Richtern anvertraut und den Gerichten vorbehalten ist (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Hillgruber, GG, 101. EL Mai 2023, Art. 92 Rn. 56, wonach die Einführung eines Verfahrens, bei dem eine Behörde – etwa durch Verwaltungsakt – eine vollstreckbare Entscheidung über einen bürgerlich-rechtlichen Anspruch trifft, bevor sich der Unterlegene hiergegen an den Richter wenden könnte, gegen Art. 92 GG verstößt).
Hinzu kommt, dass es auch an einem praktischen Bedürfnis für die Schaffung einer „Durchsetzungsbehörde“ fehlt. Bei unbestrittenen Forderungen gelangt der Gläubiger schon jetzt im Wege des Mahnverfahrens oder durch Versäumnisurteil auf einfachem Weg zu einem Titel (dazu auch unter III.). Sofern die Forderung streitig ist, wird ohnehin ein gerichtliches Verfahren zu führen sein. Die Ermöglichung eines zusätzlichen parallelen oder vorgeschalteten behördlichen Verfahrens würde – auch jenseits davon, dass ein solches Verfahren wie dargelegt schlicht rechtsstaatswidrig wäre – den Rechtsstreit allenfalls verlängern und verkomplizieren.
2. Verzicht auf Verzugszinsen
Problematisch erscheinen auch die vorgesehenen Regelungen in Art. 5 Nr. 3 und Art. 8 Nr. 3 des Verordnungsentwurfs. Danach soll der Gläubiger nicht auf sein Recht verzichten dürfen, Verzugszinsen oder eine pauschalierte Entschädigung zu verlangen. Hintergrund dieser Regelung soll eine „doppelte Funktion“ von Verzugszinsen sein: Ausweislich des Erwägungsgrundes 17 des Entwurfs sollen Verzugszinsen zum einen den durch den Verzug entstandenen Schaden ausgleichen, zum anderen sollen sie den Schuldner für den Vertragsbruch sanktionieren.
Der Deutsche Richterbund hat bereits in seiner Stellungnahme zur vorausgegangenen Zahlungsverzugs-Richtlinie die Einführung einer pauschalierten Entschädigung als systemwidrigen Strafschadensersatz kritisiert (DRB-Stellungnahme 9/09). Der Gedanke eines Strafschadensersatzes ist dem deutschen Haftungsrecht, das auf die Kompensation tatsächlich entstandener Schäden gerichtet ist, fremd.
Die nunmehr über die bisherige Reichweite der Richtlinie noch hinausreichende Regelung, wonach einem Gläubiger untersagt sein soll, auf Zinsen zu verzichten, verstößt gegen den das Zivilrecht beherrschenden Grundsatz der Privatautonomie in Gestalt der in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Vertragsfreiheit und gegen die in Art. 16 der EU-Charta geschützte unternehmerische Freiheit, die ebenfalls die Vertragsfreiheit umfasst.
Die Rechtsordnung lässt einen Verzicht auch hinsichtlich sehr gewichtiger Rechtspositionen zu. So kann eine Erbschaft ausgeschlagen, Eigentum aufgegeben oder auf die Einrede der Verjährung verzichtet werden. Einen Verzicht auf Zinsforderungen jedoch unterbinden zu wollen, stellt demgegenüber einen Wertungswiderspruch dar. Darüber hinaus dürfte es auch praktisch undurchführbar sein, einen Verzicht auf Zinsen unterbinden zu wollen, ohne dabei in Frage zu stellen, dass der Gläubiger eine Forderung auch in Gänze erlassen kann, § 397 BGB.
3. Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen
Art. 12 des Verordnungsentwurfs sieht vor, dass Gläubiger einen vollstreckbaren Titel binnen 90 Kalendertagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags erhalten, sofern die Geldforderung und das Verfahren nicht bestritten werden. Diese Regelung geht über Art. 10 der Zahlungsverzugsrichtlinie insofern hinaus, als in der Richtlinie lediglich geregelt ist, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass ein vollstreckbarer Titel „in der Regel“ binnen 90 Kalendertagen erwirkt werden kann.
Auf der Grundlage des geltenden deutschen Zivilprozessrechts fehlt es insoweit an der Notwendigkeit für eine Verordnung. Nach deutschem Recht können Gläubiger auf verschiedenen Wegen zügig einen vollstreckbaren Titel erlangen. Im Wege des Mahnverfahrens kann ein Gläubiger gegen einen untätigen Schuldner einen Vollstreckungsbescheid erwirken. Verteidigt sich ein Schuldner nicht gegen eine Zahlungsklage, wird auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil erlassen.
Empirische Feststellungen dazu, dass insoweit ein Bedarf für eine EU-weite Regelung besteht, weil Gläubiger nicht binnen 90 Tagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags einen vollstreckbaren Titel erhielten, sind nicht ersichtlich. Ein Bedürfnis für eine verbindliche EU-weite Regelung ist jedenfalls für den Geltungsbereich des deutschen Rechts nicht erkennbar.