# 2/04

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz und der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen für eine Reform des Strafverfahrens vom 18.2.2004

April 2004

I. Allgemeines

 

Der von den Regierungsfraktionen und dem BMJ vorgelegte Entwurf für eine strukturelle Reform des Strafverfahrens ist eine geeignete Grundlage für eine konkrete und systematische Fachdiskussion, an der sich der DRB ergebnisoffen beteiligen wird.

Der DRB befürwortet Regelungen, die einem effektiven Opferschutz und der Transparenz des Strafverfahrens dienen. Alle Gesetzesvorschläge müssen sich jedoch daran messen lassen, ob sie geeignet sind, die konsequente und zeitnahe Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches zu sichern und bereits hierdurch die Durchsetzung berechtigter Opferinteressen zu gewährleisten und ob sie mit den vorhandenen Ressourcen der am Strafverfahren Beteiligten umgesetzt werden können. Dies gilt insbesondere für die Einführung partizipatorischer Elemente in das Ermittlungsverfahren.

Die mit dem Entwurf angestoßene weiterführende Diskussion darf nicht dazu führen, dass die derzeit mit dem Justizmodernisierungsgesetz und dem Justizbeschleunigungsgesetz sowie dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren verfolgten, schon seit Jahren als notwendig erkannten Änderungen der Strafprozessordnung erneut zurückgestellt werden.

 

  1. Zielsetzung

 

 

Mit der im Entwurf geforderten Stärkung der Rechte aller am Strafverfahren Beteiligten bei zugleich verstärkter Nutzung kommunikativer Elemente kann nicht sowohl eine Beschleunigung  als auch eine Erhöhung der Transparenz des Verfahrens erreicht werden. Zusätzliche Beteiligungs- und Informationspflichten werden einen erheblichen Mehraufwand, insbesondere bei Staatsanwaltschaft und Polizei, aber auch bei Verteidigern zur Folge haben, dem ein gleichwertiger Nutzen in der Hauptverhandlung wegen der fortgeltenden umfassenden Amtsaufklärungspflicht des erkennenden Gerichts nicht gegenüberstehen wird. Die grundsätzlich wünschenswerte Transparenz des Verfahrens kann nur gefordert werden, soweit der uneingeschränkt vorrangige Ermittlungsauftrag zur Durchsetzung des verfassungsrechtlich gesicherten Anspruchs der Bürger auf effektive Strafverfolgung nicht gefährdet wird.

Vorbehaltlos zu unterstützen ist die Absicht, durch gute Überschaubarkeit und Lesbarkeit der Normen die Transparenz des Strafprozesses zu erhöhen. Zweifel sind anzumelden, ob dies bei Aufsplitterung der einzelnen Reformansätze in mehreren Gesetzen gelingen kann.

 

  1. Grundzüge der Reformvorschläge

 

a)  Einbindung des Verteidigers in das Ermittlungsverfahren:

Die Annahme, eine Ausweitung der Mitwirkungsbefugnis der Verteidigung bei Vernehmungen würde dazu führen, dass die Verteidigung bereits im Ermittlungsverfahren durch Beweisanträge aktiv an der Aufklärung mitwirken wird, wird durch die Erfahrungen der Praxis nicht bestätigt. Es entspricht vielmehr in aller Regel dem berechtigten Interesse des Beschuldigten, zunächst die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden und deren Bewertung des Tatsachenstoffes, der Rechtsfragen und der Rechtsfolgenerwartung abzuwarten. Nur in den wenigen Fällen der Verteidigung mit dem Ziel des frühestmöglichen Nachweises der Unschuld des Beschuldigten wird die Verteidigung – wie bisher – schon im Ermittlungsverfahren aktiv um eine uneingeschränkte Sachaufklärung bemüht sein.

Das Recht und die Pflicht der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen zu strukturieren, insbesondere zu konzentrieren (§§ 154, 154 a StPO) dürfen durch das Mitwirkungskonzept des Entwurfs nicht eingeschränkt werden. Eine Verlängerung des Ermittlungsverfahrens durch eine Einbindung der Verfahrensbeteiligten kann nur hingenommen werden, wenn dem ein Aufklärungsnutzen und ein Nutzen für die Dauer der Hauptverhandlung entspricht. Dies erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil die Beteiligungsrechte für ein Verfahrensstadium erweitert werden sollen, in dem noch nicht abzusehen ist, ob überhaupt eine Hauptverhandlung durchzuführen ist. Berücksichtigt man, dass ca. 2/3 aller bei der StA eingehenden Verfahren eingestellt werden und von den verbleibenden Verfahren wiederum ca. 2/3  im Strafbefehlswege, zumeist ohne Hauptverhandlung zur Schuldfrage, erledigt werden, steht der zu erwartende hohe Mehraufwand im Ermittlungsverfahren selbst dann in keinem Verhältnis zu einem möglichen Nutzen im weiteren gerichtlichen Verfahren, wenn die neuen Transfermöglichkeiten genutzt werden.

 

Die vorgesehene Mitwirkungsbefugnis des Verteidigers bei allen Beschuldigtenvernehmungen entspricht bereits der bisherigen Praxis und wird kaum eine Änderung des Einlassungsverhaltens der Beschuldigten bewirken.

Begrüßt wird, dass die noch im Eckpunktepapier erwogene Mitwirkungsbefugnis des Verteidigers bei polizeilichen Vernehmungen von Mitbeschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen zugunsten einer zügigen und effektiven Strafverfolgung aufgegeben wurde. Gleiches sollte für die Befugnis der Teilnahme an staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen gelten. Die Personalausstattung der Staatsanwaltschaft erlaubt eigene Vernehmungen regelmäßig nur, wenn der Aussage entscheidendes Gewicht für den Fortgang der weiteren Ermittlungen zukommt oder wenn Zeugen – etwa Opfer von Sexualdelikten – ausdrücklich um eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung nachsuchen. In diesen Fällen wird der Ermittlungserfolg durch eine Teilnahme des Verteidigers mit einer Information des Beschuldigten über den Ermittlungsstand regelmäßig gefährdet sein.

Zur Teilnahme an richterlichen Vernehmungen hat sich die bisherige Rechtslage bewährt.  Die Rechtsprechung, wonach dem von der Vernehmung ausgeschlossenen Beschuldigten zur Teilnahme an der richterlichen Zeugenvernehmung ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist, führt allerdings zunehmend dazu, dass richterliche Vernehmungen nicht oder erst zu einem späten Zeitpunkt  beantragt werden, um den Untersuchungserfolg durch eine Information des Beschuldigten nicht zu gefährden.

 

Sachgerecht ist es dagegen, dem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht bei der Vernehmung von Zeugen einzuräumen, die auf seiner Benennung beruhen. Durch die Regelung darf jedoch keinerlei Druck auf den Beschuldigten entstehen, bereits im Ermittlungsverfahren Beweisangebote zu machen. Es muss dem Beschuldigten unbenommen bleiben, einen Zeugen erst für die Hauptverhandlung zu benennen um die Bewertung der Aussage des Zeugen erstmalig dem erkennenden Gericht vorzubehalten.

Es kann nicht die Aufgabe einer Strafprozessordnung sein, den Beschuldigten „aus der Reserve zu locken“, um ihn zu einer aktiven Mitwirkung an der Sachaufklärung zu zwingen.

Begrüßt wird, dass auch künftig kein förmliches Beweisantragsrecht des Verteidigers im Ermittlungsverfahren eingeführt werden soll.

 

Die Beteiligung des Verteidigers bei der Auswahl des Sachverständigen entspricht der durch Nr. 70 RiStBV vorgegebenen Praxis, die sich bewährt hat.

 

b)   Transfer von Vernehmungsprotokollen:

Die Erweiterung der Möglichkeit, Ermittlungsergebnisse durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen, wird zu einem erhöhten Aufwand im Ermittlungsverfahren führen. Dieser Aufwand wird in einem Großteil der Verfahren geleistet werden müssen, obwohl nur ein geringer Teil der Ermittlungsverfahren in einer – streitigen – Hauptverhandlung endet. Der Verteidiger wird gegenüber dem Beschuldigten verpflichtet sein, bei allen Beweiserhebungen mitzuwirken, deren Ergebnis in eine mögliche Hauptverhandlung transferiert werden kann. Im Übrigen werden die erweiterten Verlesungsmöglichkeiten in der Mehrzahl der Verfahren schon deshalb nicht greifen, weil zum Zeitpunkt der Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren ein Verteidiger – häufig mangels Kenntnis des Beschuldigten von dem gegen ihn geführten Verfahren – noch nicht bestellt ist.

Ziel einer durchgreifenden Strafprozessrechtsreform sollte jedoch gerade sein, die massenhaft vorkommenden Verfahren dadurch zu beschleunigen, dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz in der Hauptverhandlung nur dann zu beachten ist, wenn dies zur Überzeugungsbildung des Gerichts geboten ist.

Dagegen wird die Aufklärungspflicht in bedeutenden Verfahren wegen schwerer Tatvorwürfe, insbesondere bei Sexual- und Gewaltdelikten, die persönliche Wahrnehmung der Beweismittel in der Hauptverhandlung, auch durch die Schöffen gebieten. Bei nicht geständigen Angeklagten wird in solchen Verfahren regelmäßig auch nicht auf technisch aufgezeichnete Vernehmungen im Ermittlungsverfahren zurückgegriffen werden können.

Schließlich wird ein Beweisantrag auf unmittelbare Beweiserhebung in der Hauptverhandlung aus den Gründen des § 244 Abs. 3 StPO kaum zurückgewiesen werden können.

 

  1. Förderung eines transparenten Verfahrensstils:

Gesprächsmöglichkeiten werden in Verfahren mit verteidigten Beschuldigten bereits heute in allen Abschnitten genutzt, um die Verfahren zu beschleunigen und um einen sachgerechten Ausgleich zwischen Täter und Opfer herzustellen, wo dies möglich oder geboten ist. Mit den vorgesehenen gesetzlichen Regelungen für eine Eingangsstellungnahme der Verteidigung sowie für Erklärungen des Gerichts als Grundlage von Gesprächen zwischen den Beteiligten wird zutreffend klargestellt, dass mit dem Ziel einer Verständigung erteilte Hinweise des Gerichts grundsätzlich keine Befangenheit auslösen können. Vermieden werden muss aber auch jeglicher Druck auf das Gericht, sich zu einzelnen Verfahrensabschnitten zu äußern, bevor die Überzeugungsbildung insoweit abgeschlossen ist. Selbstverständlich dürfen auch die Verfahrensbeteiligten nicht verpflichtet werden, sich auf eine Erörterung nach gerichtlichen Hinweisen einzulassen.

 

  1. Optimierung des Rechtsmittelverfahrens:

Die vorgesehenen Begründungspflichten können lediglich Appellfunktion haben und sind deshalb kaum geeignet, das Berufungs- und Revisionsverfahren zu erleichtern.

Die Abschaffung der Annahmeberufung, die eine wesentliche Entlastung der Berufungsgerichte nicht gebracht hat, ist sachgerecht.

 

  1. Stärkung der Opferrechte:

Die Erweiterung der Anwesenheitsrechte von Zeugen, Beiständen und Rechtsanwälten des Verletzten auch auf polizeiliche Vernehmungen verstärkt den Opferschutz erheblich. Nicht übersehen werden darf jedoch, dass es wegen des Erfordernisses weiterer Terminabsprachen zu Verzögerungen im Ermittlungsverfahren kommen kann.

Ob die Erweiterung der Transfermöglichkeiten von Zeugenvernehmungen aus dem Ermittlungsverfahren in das Hauptverfahren zu einer Reduzierung der Belastung des Zeugen führen wird, erscheint fraglich (s. o.).

 

  1. Auswirkungen auf die Ressourcen der Justiz:

Eine Stärkung der Beteiligtenrechte, insbesondere erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten der Verteidigung werden zu einer spürbaren Mehrbelastung im Ermittlungsverfahren bei Polizei und Staatsanwaltschaft, aber auch bei den Verteidigern führen. Demgegenüber sind allenfalls geringe Einsparungen im Bereich der Gerichte zu erwarten. Insgesamt ist mit einer deutlichen Mehrbelastung der Strafjustiz zu rechnen. Personalumsetzungen zu den Staatsanwaltschaften sind wegen des besonderen Status der Richter nur mit erheblicher Zeitverzögerung möglich. Für diese Übergangsphase wäre das Funktionieren der Strafrechtspflege stark gefährdet.

 

II. Zu den einzelnen Vorschriften

 

Zu Nr. 1 (§ 35 StPO):

Die Berufung hat sich als angemessen genutztes und effektives Rechtsmittel erwiesen. Durch einen Hinweis auf Kostenfolgen in der Belehrung ist eine weitere Reduzierung der ohnehin geringen Rechtsmittelquote kaum zu erwarten.

 

Zu Nr. 2 (§ 57 StPO):

Die Hinweispflicht auf die Möglichkeit einer Aufzeichnung der Zeugenvernehmung erleichtert die Vorbereitung des Zeugen. Es sollte erwogen werden, dem Zeugen zu gestatten, auf eine Videovernehmung zu Gunsten einer unmittelbaren Vernehmung in der Hauptverhandlung verzichten zu können. Videovernehmungen werden zunehmend auch als Belastung empfunden, da der Zeuge die Reaktionen der Verfahrensbeteiligten nicht unmittelbar erlebt und so in seinen Möglichkeiten, spontan zu reagieren und aus seiner Sicht wichtige Ergänzungen der Aussage vorzunehmen, eingeschränkt ist.

 

Zu Nr. 3 (§ 73 Abs. 3 StPO):

Der Vorschlag greift die bewährte Regelung des Nr. 70 Abs. 1 RiStBV auf. Routinegutachten aus der Konsultationspflicht auszunehmen, ist sachgerecht.

 

Zu Nr. 5 (§ 117 Abs. 4 Satz 1 StPO):

Die Eingriffstiefe der Maßnahme der Untersuchungshaft rechtfertigt die Erweiterung der Pflicht zur Bestellung eines Pflichtverteidigers. Sie schreibt eine bereits jetzt im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 d EMRK geübte Praxis fest.

 

Zu Nr. 6 (§ 131 c Abs. 1 und Abs. 2 StPO):

Die Streichung der Eilkompetenz der Polizei ist sachgerecht und stärkt die Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft. Ein Zusammenhang mit den weiteren Regelungen des Gesetzentwurfs ist jedoch nicht zu erkennen.

 

Zu Nr. 8 (§ 138 Abs. 2 StPO):

Die Ausschlussregelung des § 138 Abs. 1 StPO ist nach den Erfahrungen der Praxis ausreichend.

 

Zu Nr. 9 (§ 141 Abs. 3 StPO):

Die Erweiterung der Möglichkeit der Pflicht zur möglichst frühzeitigen Bestellung eines Pflichtverteidigers ist sachgerecht. Die Mitwirkung eines Verteidigers in den dort bezeichneten sachlich und rechtlich schwierigeren Verfahren fördert regelmäßig bereits das Ermittlungsverfahren und ist geeignet, die Untersuchungshaftzeiten zu verkürzen.

Die Möglichkeit, im Einvernehmen mit dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger unmittelbar durch die Staatsanwaltschaft zu bestellen, wird ausdrücklich begrüßt. Sie vermeidet das bisher notwendige fachlich nicht begründete aufwändige Bestellungsverfahren durch das Gericht.

 

Zu Nr. 10 (§ 144 StPO):

Ein Mitwirkungsrecht des Verteidigers an von ihm angeregten Vernehmungen ist sachgerecht. Vorgezeichnet ist jedoch ein Streit über die das Mitwirkungsrecht auslösende Kausalität der Benennung der betreffenden Personen für die Vernehmung. Der Verteidiger hat zum Zeitpunkt der Benennung u. U. noch kein – umfassendes – Akteneinsichtsrecht. Er kann deshalb nicht wissen, ob die von ihm benannte Person den Ermittlungsbehörden bereits aktenkundig bekannt ist. Eine Überprüfung noch nicht aktenkundig gemachter Vorkenntnisse der Ermittlungsbehörden ist überhaupt nicht möglich. Die Entscheidung, dass durch eine Mitwirkung des Verteidigers eine dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl den Zeugen zu besorgen ist, wird abschließend von der Staatsanwaltschaft zu treffen sein. Der Verteidiger wird sich diesem zusätzlichen Risiko, von einer Mitwirkung ausgeschlossen zu werden, daher regelmäßig nicht aussetzen. Die Bestimmung dürfte deshalb kaum praktische Bedeutung erlangen. Schließlich enthält der Entwurf keine Regelung, ob und von wem Fragen des Verteidigers in diesen Vernehmungen beanstandet werden könnten.

 

Zu Nr. 11 (§ 147 Abs. 1 und Abs. 3 StPO):

Die zur Sicherung der Mitwirkungsrechte des Verteidigers konsequente Bestimmung wird in der Praxis zu Schwierigkeiten führen. Eine mitwirkungspflichtige Vernehmung wird nur dann durchgeführt werden, wenn  Akteneinsicht ohne Gefährdung des Ermittlungserfolgs gewährt werden kann. Solche Vernehmungen werden also zur Sicherung des Ermittlungserfolges erst möglichst zeitnah vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens durchgeführt werden. Eine Erweiterung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Verteidigung wird dann nicht erreicht.

Die Erweiterung des Akteneinsichtsrechts in § 147 Abs. 3 Ziff. 1 und 2 des Entwurfs ist sachgerecht. Dagegen muss die Einsicht in Sachverständigengutachten unter den Vorbehalt der Gefährdung des Ermittlungserfolges gestellt werden. Etwa bei Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens vor Stellung eines Haftbefehlsantrages darf dem Verteidiger zur Sicherung des weiteren Verfahrens Akteneinsicht nicht gewährt werden müssen.

 

Zu Nr. 13 (§ 160 StPO):

Die Pflicht, den Beschuldigten zeitnah über gegen ihn laufende Ermittlungen zu unterrichten, kann nur Appellfunktion haben. Rechtliches Gehör durch eine förmliche Beschuldigtenvernehmung wird ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks regelmäßig erst nach Abschluss der sonstigen Ermittlungen  gewährt werden können. Wegen des unscharfen Begriffes „alsbald“ wird sich an der Praxis nichts ändern, dass zahlreiche Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden, ohne dass der Beschuldigte vom Ermittlungsverfahren Kenntnis erlangt hat.

 

Zu Nr. 14 (§ 161 a StPO):

Die Regelung  führt  zu einem organisatorischen und zeitlichen Mehraufwand bei der Staatsanwaltschaft, der insbesondere bei Großverfahren mit zahlreichen Beschuldigten nicht geleistet werden kann.

 

Zu Nr. 15 (§ 161 b StPO):

Die klarstellenden Verweisungen sind sachgerecht.

 

Zu Nr. 16 (§ 163 a StPO):

Die Regelung in Abs. 1, bei der polizeilichen Vernehmung auf den Hinweis auf die in Betracht kommenden Strafvorschriften zu verzichten, trägt zutreffend dem Umstand Rechnung, dass bei schwierigeren Sachverhalten die rechtliche Vorsubsumtion durch die Polizeibeamten fehlerhaft sein kann. Rechte des Beschuldigten werden nicht verkürzt, da ihm die vorgeworfenen Tatsachen vorzuhalten sind. Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei allen Beschuldigtenvernehmungen entspricht der bisherigen Praxis und ist sachgerecht.

 

Zu Nr. 18 (§ 168 c StPO):

Die Erweiterung des Rechts auf Teilnahme an Vernehmungen von Mitbeschuldigten kann den Ermittlungserfolg gefährden, da die Aussagebereitschaft bei widerstreitenden Interessen mehrerer Beschuldigter beeinträchtigt sein kann. Klargestellt werden sollte im Übrigen, ob das Gesetz von einem formellen oder materiellen Mitbeschuldigtenbegriff ausgeht. Zugunsten einer praktikablen Handhabung sollte allein an die formelle Mitbeschuldigteneigenschaft zum Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung angeknüpft werden.

 

Zu Nr. 22 (§ 170 a StPO):

Die aufwändige Erweiterung der Mitteilungspflicht in Verfahren gegen Beschuldigte, denen lediglich bekannt gegeben worden ist, dass Ermittlungen gegen sie geführt werden, ist konsequent. Die Bestimmung wird jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen zur Anwendung kommen (vgl. Nr. 16 zu § 163 a StPO).

 

Zu Nr. 23 (§ 224 StPO):

Es handelt sich um eine konsequente Folgeregelung.

 

Zu Nr. 24 (§ 229 Abs. 3 StPO):

Die Flexibilisierung der Unterbrechungsfristen mit der nunmehr vorgesehenen Erstreckung der Hemmungsregelung auf Erkrankungen des Verteidigers und der Mitglieder des Spruchkörpers wird weiterhin befürwortet. Zu bedenken ist allerdings, dass keine Möglichkeit für das Gericht besteht, eine Erkrankung des Verteidigers bei Missbrauchsverdacht amtsärztlich überprüfen zu lassen.

 

Zu Nr. 25 (§ 243 Abs. 3 StPO):

Die Möglichkeit für eine „Eingangsstellungnahme“ der Verteidigung, die nicht als Einlassung zur Sache i.S.d. § 243 Abs. 4 gewertet werden muss, wird ausdrücklich begrüßt. Sie entspricht einer bereits verbreiteten Praxis. Ein Erwiderungsrecht der Staatsanwaltschaft sollte jedoch ausdrücklich normiert werden. Eingangsstellungnahmen der Verteidigung enthalten häufig neue tatsächliche und rechtliche Bewertungen, die in der Anklageschrift noch nicht gewürdigt werden konnten. Hierzu muss sich die Staatsanwaltschaft äußern können, ohne auf eine Ermessensentscheidung des Vorsitzenden angewiesen zu sein.

 

Zu Nr. 26 (§ 249 StPO):

Die Einschränkung des ohnehin problematischen Selbstleseverfahrens ist im Hinblick auf die erweiterten Verlesungsmöglichkeiten nach § 251 StPO des Entwurfs sachgerecht.

 

Zu Nr. 27 (§ 251 Abs. 1 und 2 StPO):

Die Erweiterung der Verlesungsmöglichkeiten wird ausdrücklich begrüßt. Nur durch eine konsequente Transferregelung können überhaupt Entlastungseffekte in der Hauptverhandlung eintreten.

Eine besondere Erleichterung wird durch die Möglichkeit geschaffen, Urkunden zur Feststellung der Höhe eines Vermögensschadens verlesen zu können.

 

Zu Nr. 28 (§ 254 Abs. 1 StPO):

Die Regelung wird aus den zu § 251 StPO genannten Gründen ebenfalls begrüßt.

 

Zu Nr. 29 (§ 255 a Abs. 1 StPO):

Die Gleichstellung von Bild- und Tonaufzeichnungen mit schriftlichen Vernehmungsprotokollen ist sachgerecht.

 

Zu Nr. 30 (§ 257 b StPO):

Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu Absprachen im Strafprozess bieten einen ausreichenden, aber auch flexiblen Rahmen für die Praxis. Eine gesetzliche Regelung wird daher nicht für erforderlich gehalten. Sie müsste im übrigen vorsehen, dass das Gericht nicht nur eine Strafobergrenze sondern zur Wahrung der Interessen der Staatsanwaltschaft eine Untergrenze der in Aussicht genommenen schuldangemessenen Strafe angeben können sollte. Begrüßt wird , dass klargestellt werden soll, dass Verfahrensbeteiligte keinen Anspruch darauf haben, dass das Gericht die Sach- und Rechtslage erörtert.

 

Zu Nrn. 31, 32 (§§ 273 Abs. 1, 274 Satz 1 StPO):

Die sprachlichen Anpassungen sind sinnvoll.

 

Zu Nr. 33 (§ 302 Abs. 1 StPO):

Der Angeklagte ist durch das vorgesehene ausdrückliche Verbot in § 257 b StPO, seinen Rechtsmittelverzicht zum Gegenstand einer Verständigung zu machen, ausreichend geschützt. Für einen in freier Willensentscheidung getroffenen Rechtsmittelverzicht nach Kenntnis des auf einer Verständigung beruhenden Urteils besteht ein erhebliches praktisches Bedürfnis. Dem Gericht wird so die Möglichkeit gegeben, zeitnah nach der Hauptverhandlung ein abgekürztes Urteil absetzen zu können.

 

Zu Nr. 34 (§ 313 StPO):

Die Abschaffung der Annahmeberufung, die zu einer wesentlichen Entlastung nicht geführt hat, wird begrüßt.

 

Zu Nrn. 35-37 (§§ 317-319 StPO):

Die Entlastungseffekte durch eine Pflicht des Angeklagten, seine Berufung zu begründen, werden weiterhin kritisch gesehen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind mit der schlichten Angabe des Berufungsziels so niedrig gehalten, dass die erstrebte Verfahrensförderung zumindest nicht erzwungen werden kann.

 

Zu Nr. 41 (§ 344 Abs. 2 StPO):

Eine wesentliche Erleichterung der von Amts wegen vorzunehmenden umfassenden Sachprüfung durch die Revisionsgerichte ist gegenüber dem bisherigen Rechtszustand nicht zu erwarten. Der Prüfungsumfang auf die Sachrüge ist unverändert. Bereits jetzt werden Sachrügen regelmäßig ausgeführt.

 

Zu Nr. 42 (§ 345 Abs. 1 StPO):

Bereits jetzt ist die Beachtung der Formalien des Revisionsverfahrens sehr zeitaufwendig. Erfahrungsgemäß werden Fristen unabhängig von ihrer Dauer ausgeschöpft. Von der Möglichkeit, Fristverlängerung zu beantragen, dürfte regelmäßig Gebrauch gemacht werden, so dass sich das Verfahren insgesamt verzögern würde. Dies wäre insbesondere in Haftsachen nicht hinnehmbar.

Vorgeschlagen wird, eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist entsprechend der Verlängerung der Frist für die Niederlegung des schriftlichen Urteils in § 275 Abs. 1 StPO vorzusehen. Damit würde dem besonderen Umfang des Verfahrens sowohl auf Seiten des Gerichts als auch auf Seiten der Verfahrensbeteiligten sachgerecht Rechnung getragen.

 

Zu Nr. 46 (§ 406 f Abs. 2 StPO):

Die Regelung dienst konsequent dem Opferschutz, kann jedoch zu Verzögerungen im Ermittlungsverfahren wegen zusätzlicher Terminabsprachen führen.

 

Zu Art. 2 Nr. 2 (§ 76 GVG):

Gegen die Regelung, die Zweierbesetzung der Großen Strafkammern als Regelfall vorzusehen, bestehen wegen der in Abs. 2 eröffneten Möglichkeit, bei umfangreichen oder schwierigen Sachen mit drei Berufsrichtern zu verhandeln, keine Bedenken. Ausdrücklich wird begrüßt, dass Berufungen gegen Schöffengerichtsurteile künftig wieder vor einer Großen Strafkammer verhandelt werden. Insgesamt dürfte allerdings ein erhöhter Personalbedarf entstehen.

 

gez. Christoph Frank, stellv. Vorsitzender des DRB