#2/2024

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen sowie zur Tatprovokation

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

In der Strafverfolgungspraxis sind Verdeckte Ermittler (VE) und Vertrauenspersonen (VP) von großer Bedeutung. Gerade in abgeschotteten Kriminalitätsfeldern wie z. B. in Bereichen der Organisierten (Clan-) Kriminalität oder des Staatsschutzes sowie angesichts zunehmend kryptierter elektronischer Kommunikation ist ihr Einsatz unverzichtbar, um schwerwiegende Straftaten aufzuklären. Die bisherige Strafverfolgungspraxis hat sich bewährt und ist keineswegs ungeregelt. Sie misst sich an den Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung (Anlage D zur RiStBV) und an den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Tatprovokation.

Will man diese Praxis in Gesetzesbestimmungen auf der Ebene der Strafprozessordnung umsetzen, ist es entscheidend, das Interesse an Transparenz und Überprüfbarkeit einer in der Praxis unverzichtbaren Ermittlungsmaßnahme mit dem Gebot einer effektiven Strafverfolgung und einem damit verbundenen Bedürfnis an Geheimhaltung in einen angemessenen Ausgleich zu bringen, will man nicht die Aufklärung gerade schwerwiegender Deliktsbereiche erschweren oder sogar gänzlich zum Erliegen bringen.

Dieses Verständnis liegt nicht jeder Regelung des Referentenentwurfs zugrunde. Insbesondere stellt er Anforderungen an Vertrauenspersonen, die der Realität nicht entsprechen, und er schafft Risiken, die ihren Einsatz erschweren oder gar gefährden können.

Einer gesetzlichen Regelung zu den zulässigen Formen einer tatmotivierenden und staatlichen Stellen zurechenbaren Einwirkung auf Betroffene sowie einer Definition des Begriffs der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation bedarf es bereits dem Grunde nach nicht. Mit der Annahme eines generellen Verfahrenshindernisses geht der Referentenentwurf zudem über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinaus.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

I. Eine gesetzliche Regelung über den Einsatz von Vertrauenspersonen (§ 110b StPO-E) ist nicht geboten. Gleichwohl kann sie geeignet sein, Vorbehalte gegen ein unverzichtbares Ermittlungsinstrument abzubauen. Voraussetzung ist aber, dass eine solche Regelung das Gleichgewicht zwischen Transparenz und Geheimhaltung wahrt.

§ 110b StPO-E enthält eine vollständig neue gesetzliche Regelung betreffend den Einsatz von Vertrauenspersonen.

Dieser war bislang in der Strafprozessordnung nicht geregelt, sondern maß sich an den Gemeinsamen Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung (Anlage D zur RiStBV), die die in den letzten Jahrzehnten von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten umfangreichen und detaillierten Vorgaben für den Einsatz von Vertrauenspersonen widerspiegeln.

Diese Rechtsprechung verlangt – entgegen Forderungen aus dem Schrifttum (vgl. Kudlich/Göken, JR 2023, S. 451, 455 f.) – keine spezialgesetzliche Grundlage, sondern geht davon aus, dass der Einsatz von Vertrauenspersonen auf die Ermittlungsgeneralklausel der Strafprozessordnung (§§ 161, 163 StPO) gestützt werden kann (vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 15. Februar 2023 – 2 StR 270/22, JR 2023, S. 451 Rn. 19 ff. mwN). Maßgebliche Erwägung ist insofern, dass Vertrauenspersonen im Gegensatz zu Polizeibeamten über keine speziellen Eingriffsbefugnisse verfügen, sondern „lediglich“ gegenüber ihrer Kontaktperson den Umstand, dass sie für eine Strafverfolgungsbehörde tätig sind und ihre gewonnenen Ergebnisse an diese weitergeben, nicht offenbaren.

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Vertrauenspersonen jüngst in zwei Entscheidungen zu Polizei- und Sicherheitsgesetzen auf Landesebene als ähnlich eingriffsintensiv wie denjenigen Verdeckter Ermittler bewertet und gefordert, dass der Gesetzgeber zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die für das Einsatzgewicht und die Dringlichkeit der Maßnahme maßgeblichen Gesichtspunkte selbst regeln und im Regelfall eine Vorabkontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige Stelle vorsehen müsse (BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17, NJW 2022, S. 1583 Rn. 349 ff.); auch sei eine Regelung zum wirksamen Kernbereichsschutz erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2022 – 1 BvR 1345/21, juris Rn. 100 ff.; vgl. auch für das BKA-Gesetz: BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09, NJW 2016, S. 1781 Rn. 119 ff.). Diese Vorgaben lassen sich aber nicht ohne Weiteres auf den Bereich der Strafverfolgung übertragen, zumal im Strafverfahren zum einen der Verdacht einer bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung besteht und zum anderen der Einsatz der Vertrauensperson einer gerichtlichen Kontrolle jedenfalls im Rahmen der Prüfung der Verwertbarkeit von durch diese erlangten Beweisen unterliegt.

Aber auch wenn es somit nicht zwingend geboten ist, eine spezielle gesetzliche Eingriffsgrundlage zu schaffen, kann eine gesetzliche Regelung und eine damit einhergehende Verantwortungsübernahme des Gesetzgebers für etwaige Grundrechtseingriffe Betroffener geeignet sein, Vorbehalte in der Praxis und in der öffentlichen Wahrnehmung gegen dieses Ermittlungsinstrument auszuräumen sowie zugleich die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes einer Vertrauensperson im Einzelfall zu erleichtern. Vor diesem Hintergrund hat sich bereits die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes dafür ausgesprochen, den Einsatz von Vertrauenspersonen und Informanten bereichsspezifisch gesetzlich zu regeln (vgl. Gutachten 2017, S. 62 ff.).

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes bedarf es hierfür jedoch eines gesetzgeberisch vorbehaltlosen Umgangs mit dem unverzichtbaren Ermittlungsinstrument einer Vertrauensperson. Ein solches Verständnis ist jedoch ersichtlich nicht Grundlage des Referentenentwurfs, der vielmehr von einem grundlegenden Misstrauen getragen ist.

 

II.  Zu großes Augenmerk auf Transparenz, zu wenig auf Geheimhaltung und Einsatztaktik

Das Hauptaugenmerk des Referentenentwurfs liegt ersichtlich darauf, in zentralen Bereichen des VE/VP-Einsatzes – der Einsatzplanung, der Auswahl einer VP, der Informationsabschöpfung bis hin zur zwangsweisen Beendigung des Einsatzes – Transparenz zu schaffen. Dies zieht jedoch zwangsläufig das Risiko für V-Personen nach sich, durch gesetzlich verpflichtende Transparenz persönlich enttarnt zu werden. Kernelement des Einsatzes von V-Personen aber ist die staatlich garantierte Vertraulichkeit. Kann diese nicht gewährleistet werden, steigt das persönliche Risiko für Leib und Leben einer Vertrauensperson in gleichem Maße wie ihr Interesse sinken wird, an der Aufklärung von Straftaten mitzuwirken. Dies wiegt angesichts der schwerwiegenden Deliktsbereiche, in denen V-Personen unverzichtbar sind, besonders schwer.

1. Der Kernbereichsschutz für Verdeckte Ermittler (§ 110a StPO-E) und Vertrauenspersonen (§ 110b Abs. 4 StPO-E) ist verfassungsrechtlich geboten, in der konkreten Ausgestaltung jedoch problematisch.

In§ 110a StPO-E werden die Regelungen über den Einsatz der Verdeckten Ermittler, die bisher in §§ 110b und 110c StPO enthalten waren, zusammengeführt. Neu sind insoweit die in § 110 Abs. 5 StPO-E vorgesehenen Regelungen im Zusammenhang mit dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, dessen Schutz bislang mit dem Verweis auf die Geltung von § 100d Abs. 1 und 2 StPO (§ 110a Abs. 1 S. 5 StPO) gewährleistet worden war.

a) § 110a Abs. 5 StPO-E ersetzt den bisherigen Verweis auf § 100d Abs. 1 und 2 StPO durch eine eigene Regelung des Kernbereichsschutzes für VE und – über den Verweis in § 110b Abs. 4 StPO-E – für VP. Diese orientiert sich eng an dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2022 – 1 BvR 1345/21 – zum Gesetz über die öffentliche Sicherung und Ordnung Mecklenburg-Vorpommerns, in dem das Gericht sich ausführlich mit dem Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung beim Einsatz von VE und VP auseinandergesetzt hat (zitiert nach juris Rn. 100 ff.). Anknüpfend an diese Entscheidung erfasst § 110a Abs. 5 S. 3 und 4 StPO-E neben Informationen, die kernbereichsrelevant sind, nunmehr auch bestimmte Konstellationen, in denen die Informationen gewonnen werden. Unzulässig soll danach die gezielte Begründung oder Fortführung einer intimen Beziehung oder vergleichbar engster persönlicher Bindungen zum Zwecke des Aufbaus oder Erhalts einer Vertrauensbeziehung mit der Zielperson sein, um so Informationen abschöpfen zu können. Daneben wird in den Sätzen 1 und 2 der Vorschrift normiert, dass eine etwaige Kernbereichsrelevanz des Einsatzes bereits bei dessen Planung zu berücksichtigen ist, während die Sätze 5 und 6 die Erforderlichkeit eines Abbruchs der Maßnahme bei tatsächlichen Anhaltspunkten für ein Eindringen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung regeln. Auch insoweit vollzieht der Referentenentwurf im Wesentlichen die genannte verfassungsgerichtliche Entscheidung nach (aaO Rn. 109 ff.).

Vor diesem Hintergrund erscheinen die vorgesehenen Anpassungen plausibel. Zwar bezieht sich der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2022 auf den Bereich der Gefahrenabwehr; dennoch ist anzunehmen, dass sich die allgemein gehaltenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Reichweite des Kernbereichs privater Lebensgestaltung und zu Anforderungen an gesetzliche Vorschriften beim Einsatz von VE und VP auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren übertragen lassen und somit auch dort zu beachten sind.

b) Die detaillierte Regelung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Einzelfall gerade die Einordnung bestimmter Informationen oder Beziehungen als kernbereichsrelevant mit Unsicherheiten behaftet bleiben wird (vgl. dazu etwa MK/Rückert, StPO, 2. Aufl., § 100d Rn. 5 ff.).

Problematisch ist darüber hinaus die in § 110a Abs. 5 S. 1 StPO-E vorgesehene Regelung, derzufolge Einsätze von Verdeckten Ermittlern bereits so zu planen sind, dass ein Eindringen in den Kernbereich der Lebensgestaltung der Zielperson oder Dritter insoweit ausgeschlossen wird, als sich dieses mit praktisch zu bewältigendem Aufwand im Vorfeld vermeiden lässt. Diese „Theorielösung“ lässt außer Acht, dass die meisten Einsätze vom VE oder von einer VP den Aufbau einer vertraulichen Beziehung zur Zielperson erfordern. In besonderer Weise gilt dies auch für sexuell motivierte Taten, für Taten aus dem Bereich der Kinderpornographie aber auch bei langwierigen Ermittlungen in den Bereichen der Organisierten Kriminalität oder des Staatsschutzes. Inwieweit sich die Vertrauensbeziehung im Laufe des Einsatzes derart intensiviert, dass sie zu einer „engsten persönlichen Bindung“ im Sinne der Norm wird, ist im Anfangsstadium schwer absehbar und daher kaum planbar, zumal die Interaktion des VE/der VP mit der Zielperson immer einer Eigendynamik unterliegt, die nur bedingt beeinflusst werden kann.

Als praktische Konsequenz zieht dieses Planungserfordernis zudem die Frage nach sich, ob eine solche den Kernbereich schützende Planung dokumentiert werden muss, um die Rechtmäßigkeit der Maßnahme überprüfen zu können. Dies könnte in einer späteren Hauptverhandlung ein Einfallstor dafür sein, dass (Konflikt-) Verteidigung den Nebenkriegsschauplatz eröffnet, die aus ihrer Sicht unzureichende Planung zum Kernbereichsschutz zum Gegenstand der Verhandlung zu machen. Dies kostete nicht nur Zeit, sondern könnte auch die Polizei dazu zwingen, Einsatzdetails und -techniken in der Hauptverhandlung offenzulegen.

Auf das Planungserfordernis sollte daher gänzlich verzichtet werden. Es ist nicht praktikabel und könnte „Nebenkriegsschauplätze“ im Strafprozess eröffnen.

c) Anzumerken ist schließlich, dass der Referentenentwurf im Hinblick auf § 110a Abs. 5 S. 6 StPO-E hinter dem Spielraum zurückbleibt, den das Bundesverfassungsgericht in seinem o. g. Beschluss eingeräumt hat. Während danach von einem Abbruch der Maßnahme abgesehen werden kann (aaO Rn. 113 ff.), wenn der weitere Einsatz oder die künftige Verwendung des VE bzw. der VP gefährdet ist, erfasst zumindest der vorgesehene Gesetzestext nur den weiteren Einsatz. Dies könnte dahin (miss)verstanden werden, dass nur der konkrete Einsatz gemeint ist, obwohl in der Entwurfsbegründung auch von weiteren Verwendungsmöglichkeiten die Rede ist (vgl. Ref-E, S. 22). Da – wie noch auszuführen sein wird – insbesondere die Gewinnung geeigneter VP nicht einfach ist, sollte insoweit eine Klarstellung erfolgen.

d) Als im Einzelfall problematisch könnte sich die in § 110a Abs. 6 StPO-E vorgesehene Dokumentation der Gründe für eine Fortführung des Einsatzes sowie die Löschung von kernbereichsrelevanten Informationen erweisen. Denn jedwede Dokumentation, die eine Überprüfung – der Referentenentwurf sieht eine solche durch den zuständigen Datenschutzbeauftragten vor – erlaubt, steht in einem Spannungsverhältnis zum Gebot der Wahrung der Identität des VE bzw. der VP. Gerade bei Kernbereichssituationen wie dem Eingehen einer intimen Beziehung, dürfte den allermeisten Zielpersonen im Überprüfungsprozess klar werden, wer der VE bzw. die VP ist, womit dessen Legende offengelegt und künftige Einsätze ausgeschlossen wären.

2. Eine grundsätzliche Protokollierungsverpflichtung der Angaben einer Vertrauensperson (§ 110b Abs. 5 StPO-E) ist praxisfern und geeignet, ihren Einsatz zu gefährden.

Als potenziell problematisch ist auch die in § 110b Abs. 5 StPO-E vorgesehene Verpflichtung anzusehen, Aussagen von Vertrauenspersonen grundsätzlich wörtlich zu protokollieren. Denn dies stellt eine Erhöhung des Risikos für die VP-Führer sowie für die Vertrauenspersonen selbst dar, enttarnt zu werden. Von besonderer Bedeutung ist daher die vorgesehene Einschränkung, dass eine Protokollierung nur erfolgen soll, soweit hierdurch keine Rückschlüsse auf die Identität der Vertrauensperson oder auf geheimhaltungsbedürftige Methoden beim Einsatz von Vertrauenspersonen gezogen werden können.

Gleichwohl steht daher zu befürchten, dass die Informationsabschöpfung von Vertrauenspersonen durch das Gebot einer praxisfernen Protokollierungsverpflichtung letztlich erschwert wird.

Dies gilt schon deshalb, weil die Abschöpfung einer VP vielfach unter Umständen geschieht, die in keiner Weise vernehmungsähnlich sind. So treffen sich Vertrauenspersonen mit den VP-Führern in der Regel nicht in einer klassischen Vernehmungsumgebung, sondern an öffentlichen Orten, die natürlich auch der Beobachtung durch Dritte zugänglich sind. Je länger
VP-Führer und VP dort gemeinsam verweilen, um gesetzeskonform Informationen abzuschöpfen und zu protokollieren, desto erklärungsbedürftiger können entsprechende Zusammentreffen werden. Es ist deshalb fraglich, ob Wortprotokolle als Regelfall erstellt werden können. Der gesetzgeberische Verweis auf die §§ 168a und b StPO und die darin vorgesehenen Förmlichkeiten (u. a. „Das Protokoll muss Ort und Tag der Verhandlung […] enthalten“ § 168a Abs. 1 S: 1 StPO) lässt erahnen, dass der Referentenentwurf die Realitäten im Umgang mit VPs nicht ausreichend im Blick hat und dem Gesichtspunkt der Transparenz zu viel Gewicht beimisst.

Systematisch wenig überzeugend ist zudem, warum nur bei Vertrauenspersonen – nicht jedoch auch bei einem VE – ein entsprechendes Wortprotokoll zu fertigen sein soll. Die Entwurfsbegründung, wonach durch das Wortprotokoll sichergestellt werden soll, dass keine wichtigen Details der Aussage verloren gehen sollen, trägt diese Unterscheidung nicht.

3. Zusätzliche Dokumentations- und Begründungserfordernisse erschweren den VP-Einsatz.

Darüber hinaus enthält der Referentenentwurf weitere „Transparenzmaßnahmen“, die geeignet sind, das Vertrauen der VP in die Geheimhaltung ihrer Identität zu erschüttern und ihren Einsatz zu erschweren.

a) So erlaubt § 100b Abs. 5 StPO-E zwar, von dem Gebot eines Wortprotokolls abzuweichen, damit keine Rückschlüsse auf geheimhaltungsbedürftige Methoden beim Einsatz von V-Personen gezogen werden. Ein solches Abweichen aber, so ausdrücklich die Entwurfsbegründung (Ref-E, S. 29), sollte in der Akte begründet werden. Es liegt nahe, dass im Einzelfall auch die Schilderung der Umstände, die Anlass gegeben haben, auf eine förmliche Abschöpfung der VP zu verzichten, ein Puzzlestück auf dem Weg zur späteren Enttarnung der VP sein kann.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Umstände, die Rückschlüsse auf die VP erlauben könnten, im Einzelfall sehr unterschiedlich sein können. Lediglich beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass es Menschen gibt, die eine für sie charakteristische Wortwahl nutzen, was das Enttarnungsrisiko im Einzelfall erhöhen wird. Es steht daher zu befürchten, dass die geforderte Begründung, soll sie nicht nur floskelhaft erfolgen, ihrerseits genauso zur Enttarnung führen kann wie das Wortprotokoll selbst. Daher ist auch ein erhebliches Konfliktpotential dieser Regelung absehbar. Denn das Interesse der Verteidigung, Vertrauenspersonen zu identifizieren und zu konfrontieren, steht dem Interesse der VP-Führung, die VP zu schützen, diametral gegenüber. Die – Einzelumstände vermeidende und gleichwohl nicht nur floskelhafte – Begründung wird daher erwartbar auch in der Hauptverhandlung problematisiert werden.

b) Eine Begründungspflicht kann zudem die Entscheidung über die Auswahl einer Vertrauensperson auslösen. So stellt § 110b Abs. 7 StPO-E ausdrücklich die Verpflichtung auf, die Auswahl der Vertrauensperson gesondert begründen zu müssen, wenn sie eine aktive Einsatzzeit von mehr als fünf Jahren überschreitet, wenn Verurteilungen oder polizeiliche Erkenntnisse zu ihr bekannt sind oder auch bei Mehrfacheinsätzen.

Auch insoweit gilt: Soll diese gesonderte Begründung nicht lediglich floskelhaft erfolgen, muss sie Umstände des Einzelfalls berücksichtigen, die unter Umständen auch erst zu einem späteren Zeitpunkt geeignet sein können, eine VP zu enttarnen.

c) Auch das Gebot, vor Einsatz einer Person als Vertrauensperson eine Prüfung ihrer Zuverlässigkeit und ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlage vorzunehmen (§ 110b Abs. 7 StPO-E), wird in der Praxis dazu führen, potenziell identifizierende Umstände zur Vertrauensperson zu dokumentieren. Denn eine gesetzlich vorgeschriebene Prüfung ohne eine entsprechende Dokumentation ist sinnwidrig. Werden aber einzelne Umstände, z. B. zu Beschäftigung und Verdienst dokumentiert, um spiegelbildlich zu § 110b Abs. 6 Nr. 1 c) StPO-E zu dokumentieren, dass Geld- oder Sachzuwendungen für den Einsatz auf Dauer nicht ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage darstellen, gewährt auch dies Einblicke, die gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Identifizierung der Vertrauensperson führen können.

 

III. Ein Mehr an Kontrolle ohne Zuwachs an Rechtsstaatlichkeit

Darüber hinaus beinhaltet der Entwurf an verschiedenen Stellen ein Mehr an Kontrolle, ohne dass jedoch ein entsprechender Zuwachs an Rechtsstaatlichkeit erzielt würde.

1. Ein Richtervorbehalt (§ 110b Abs. 3 StPO-E) für den Einsatz einer Vertrauensperson ist nicht geboten und bringt kein Mehr an Rechtsstaatlichkeit.

a) Der in § 110b Abs. 3 StPO-E vorgesehene Richtervorbehalt für den Einsatz einer VP ist aus Sicht des Deutschen Richterbundes und auch der Großen Strafrechtskommission (vgl. Ergebnisse der Sitzung vom 20. bis 25. November 2017, S. 82) weder verfassungsrechtlich, noch europarechtlich, noch aus sonstigen Rechtsgründen geboten. Zwar genießt die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage der geltenden, vom Deutschen Richterbund vielfach kritisierten Rechtslage nicht die formelle Unabhängigkeit wie ein Ermittlungsrichter. Jedoch übt sie im Rahmen ihrer Sachleitungsbefugnis sowie durch die für den Einzelfall erteilte Geheimhaltungs-/Vertraulichkeitszusage und Einsatzgenehmigung bereits jetzt eine adäquate rechtsstaatliche Kontrolle aus und stellt damit die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von V-Personen sicher.

Dies zeigt sich deutlich in dem besonderen Verfahrensablauf, den die RiStBV im Umgang mit V-Personen verlangt: Danach entscheidet im Bereich der Staatsanwaltschaft im Regelfall der Behördenleiter oder ein von ihm besonders bezeichneter Staatsanwalt über die Vertraulichkeit. Diese auf besondere Sachkunde angelegte, organisatorisch und personell von der Polizei getrennte Kontrolle im Bereich der Strafverfolgung unterscheidet sich grundlegend vom präventiv-polizeilichen Bereich. Die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über das Bayerische Verfassungsschutzgesetz aufgestellt hat, lassen sich daher keineswegs Eins-zu-Eins übertragen (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. April 2022 – 1 BvR 1619/17, NJW 2022, S. 1583 Rn. 354).

Durch den vorgesehenen Richtervorbehalt wird daher in der Praxis kein Mehr an Rechtsstaatlichkeit gewährleistet. Denn aus Gründen des Schutzes der VP würde auch ein mit der Entscheidung beauftragter Ermittlungsrichter keine weiteren entscheidungserheblichen Informationen erhalten als die Staatsanwaltschaft.

b) Zudem ist zu berücksichtigen, dass die geltenden Regelungen der RiStBV der Staatsanwaltschaft auch hinsichtlich der Aktenführung besonders strenge Vorgaben machen. Denn eine Entscheidung über die Zusicherung der Vertraulichkeit/Geheimhaltung muss zu den Generalakten 4110 genommen werden, die nicht der Akteneinsicht unterliegen. Vergleichbare Regelungen, die in gleicher Weise den Schutz der VP in den Blick nehmen, enthält der Referentenentwurf nicht. Es steht daher zu besorgen, dass ein Richtervorbehalt nicht nur keinen Mehrwert in der juristischen Kontrolle mit sich bringt, sondern sich der Kreis derjenigen, die Einblick in die Geheimhaltungszusage nehmen können, vergrößert. Es liegt nahe, dass auch dies Einfluss auf die Entscheidung haben kann, sich als VP zur Verfügung zu stellen.

c) Schließlich ist systematisch nicht nachvollziehbar und auch nicht näher begründet, weshalb der Einsatz einer VP generell einem Richtervorbehalt unterliegt, § 110b Abs. 3 StPO-E, während dies im Fall des Einsatzes eines VE nur erforderlich ist, sofern sich der Einsatz gegen einen bestimmten Beschuldigten richtet oder der VE eine Wohnung betritt, die nicht allgemein zugänglich ist, § 110 Abs. 4 StPO-E. Zwar handelt es sich bei der VP im Unterschied zum VE nicht um einen Polizeibeamten. Weshalb dieser Unterschied jedoch die Entscheidung eines Richters erforderlich macht oder aber die Zustimmung der Staatsanwaltschaft ausreichen lässt, erschließt sich nicht.

Die Begründung des Referentenentwurfs zu § 110b Abs. 3 StPO-E, wonach der Richtervorbehalt dem Umstand Rechnung tragen solle, dass es sich bei dem Einsatz von Vertrauenspersonen um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handeln kann (Ref-E, S. 27 f.), trägt diese unterschiedliche Sachbehandlung gegenüber dem VE jedenfalls nicht. Denn die Eingriffsintensität im Falle eines VE, der die Zielpersonen durch eine Legende erst kennenlernen und das Vertrauensverhältnis zu ihnen schaffen muss, wiegt regelmäßig schwerer als im Falle einer VP, die die Zielpersonen häufig schon kennt und gegenüber der oft auch schon ein gewisses Vertrauensverhältnis besteht. Auch nach dem o. g. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 gelten für beide Ermittlungsmaßnahmen die gleichen verfassungsrechtlichen Anforderungen (aaO Rn. 352).

2. Benachrichtigungspflichten (§ 101 StPO-E) und statistische Erfassungen (§ 101b Abs. 1 S. 1, S. 4 StPO-E) binden Kapazitäten der Gerichte und Staatsanwaltschaften.

§ 101 StPO sieht bislang vor, dass die Zielperson, erheblich mitbetroffene Personen sowie Personen, deren nicht allgemein zugängliche Wohnung der VE betreten hat, zu benachrichtigen sind (§ 101 Abs. 4 Nr. 9 StPO). Diese Regelung soll künftig auf Fälle des Einsatzes einer VP erweitert werden. Entsprechend werden auch die Ausnahmen erweitert, in denen – zumindest zeitweise – von einer Benachrichtigung abgesehen werden kann. Wie bislang bei dem VE, muss künftig auch bei der VP eine Benachrichtigung erst dann erfolgen, sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten oder der Möglichkeit der weiteren Verwendung des VE bzw. der VP möglich ist. Dadurch soll verhindert werden, dass die Strafverfolgungsbehörden in einem anderen Verfahren auf den Einsatz dieser VP verzichten müssen und ihnen keine Alternative zur Verfügung steht, weil Vertrauenspersonen nicht beliebig austauschbar sind bzw. oftmals auch nicht genügend in Frage kommen, um in einer bestimmten Szene als VP eingesetzt zu werden (Ref-E, S. 18).

Es ist anzuerkennen, dass der Referentenentwurf die bislang für den VE bestehenden Möglichkeiten, von der Benachrichtigung im Einzelfall – sogar endgültig (§ 101 Abs. 6 S. 3 StPO) – abzusehen, vollständig auf die VP übertragen will und sich so um Praktikabilität bemüht. Andererseits sollten Benachrichtigungspflichten, die bereits jetzt nicht unerhebliche Ressourcen, insbesondere bei der Staatsanwaltschaft aber auch bei den Gerichten, binden, nicht ohne Not und ohne verfassungsrechtliches Gebot erweitert werden.

Die darüber hinaus vorgesehene Einführung einer statistischen Erhebung erscheint im Vergleich zu weiteren Maßnahmen, die bereits statistisch zu erfassen sind, konsequent. Anzumerken ist jedoch, dass die Anzahl der zu führenden Statistiken kontinuierlich zunimmt und immer mehr Kapazitäten bindet.

 

IV. Ein gesetzgeberisch verklärtes Bild von Vertrauenspersonen zieht einen überregulierten Einsatz nach sich.

Der Referentenentwurf beruht auf einem gesetzgeberisch verklärten Bild von Vertrauenspersonen und legt dies seinen Anforderungen an Auswahl, Einsatzdauer und Beendigung des Einsatzes zugrunde.

1. Die Regelungen zu Ausschlussgründen einer VP bei finanzieller Abhängigkeit (§ 110b Abs. 6 StPO-E) sind praxisfern.

Als problematisch und wenig praxisnah erweisen sich die in 110b Abs. 6 StPO-E vorgesehenen Ausschlussgründe, bei deren Vorliegen eine Person nicht als VP eingesetzt werden darf. So darf nach § 110b Abs. 6 Nr. 1 c) StPO-E eine Person dann nicht als VP eingesetzt werden, wenn die Geld- und Sachzuwendungen für den Einsatz auf Dauer ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage darstellen. Diese Regelung, die den finanziellen Anreiz zur Beschaffung von Informationen mindern soll, zeigt ein gesetzgeberisch verklärtes Bild, das an der Strafverfolgungspraxis vorbeigeht und die Anforderungen an eine VP überspannt.

Will man zur Aufklärung von Straftaten Regelungen über den Einsatz von Vertrauenspersonen – und nicht über ihren Nicht-Einsatz – treffen, bedarf es zunächst eines ehrlichen und unverstellten Blicks auf die Praxis.

Realistisch betrachtet sind Vertrauenspersonen keine polizeilich und/oder strafrechtlich noch nie in Erscheinung getretenen voll berufstätigen Bürger, die aus rein idealistischen Motiven handeln. Vielmehr handelt es sich bei ihnen in der Regel um ehemals aktive Kriminelle, die sich ihre exklusiven Zugänge zum kriminellen Milieu bewusst zu eigen machen und sich dazu entschlossen haben, mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen zu arbeiten, weil sie sich dadurch Vorteile – auch wirtschaftlicher Art – erhoffen. Denn Vertrauenspersonen sind keine Polizisten, d. h. sie geben den Strafverfahrensbehörden keine Informationen, weil sie dazu verpflichtet sind oder aus Idealismus, sondern weil es sich bei einer Abwägung zwischen den für sie bestehenden Risiken und der staatlichen Entlohnung für ihre Tätigkeit für sie lohnt. Vertrauenspersonen haben oftmals keine gute Bildung, sie sind üblicherweise auch nicht voll berufstätig und gehen in der Regel keiner, erst recht keiner gut bezahlten Tätigkeit nach, die sie in die Lage versetzen würde, sich selbst und ihren Familien ein – finanziell gesehen – gutes Leben zu finanzieren.

Die Kooperation des Rechtsstaats mit Personen, die in der Vergangenheit mit ihm in Konflikt geraten sind und nicht aus rein altruistischen Motiven heraus an der Aufklärung von Straftaten mitwirken, mag man aus einer theoretischen Perspektive heraus bedauern. Realistisch aber muss man auch folgende Kontrollüberlegung in den Blick nehmen: Hätten Vertrauenspersonen keine kriminelle Vita und wären sie nicht bereits mit der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden in Kontakt geraten, wären sie diesen weder bekannt noch als Informationsquellen von Nutzen. Hätten sie eine gute Bildung, wären sie voll berufstätig, könnten sich aber tagsüber nicht in einschlägigen Cafés oder Bistros und nachts an anderen Kontaktplätzen von Kriminellen bewegen und dort für Strafverfolgungsbehörden Informationen „aufschnappen“ oder aber jederzeit als Ansprechperson für andere Kriminelle fungieren und hierbei Informationen für die Strafverfahrensbehörden abschöpfen.

Bei ehrlicher Betrachtung wird die Entlohnung für die Tätigkeit als Vertrauensperson deshalb immer einen wichtigen Anreiz darstellen, was bedeutet, dass sie einen nicht unwichtigen Anteil der Lebensfinanzierung ausmachen wird.

2. Die Regelungen zur Höchsteinsatzdauer einer VP sind praxisfern und bergen Enttarnungsrisiken.

Als im Einzelfall problematisch kann sich auch die in § 110b Abs. 6 Nr. 2 a) StPO-E vorgesehene Regelung erweisen, wonach eine VP nicht eingesetzt werden soll, deren „kumulative aktive Einsatzzeit“ zusammengezählt insgesamt zehn Jahre übersteigt. Soweit die Entwurfsbegründung unter anderem darauf verweist, dass der Einsatz einer VP in einem bestimmten Milieu nicht zu seiner Daueraufgabe werden solle, weil es Ziel ihres Einsatzes sei, die Strafverfolgungsbehörden dabei zu unterstützen, konkrete Straftaten möglichst effektiv aufzuklären, greift dies zu kurz.

Denn im Bereich der Organisierten Kriminalität oder auch des Staatsschutzes bedarf es zwingend der langfristigen Zusammenarbeit mit bewährten und erfahrenen Vertrauenspersonen, was nicht zuletzt auch erlaubt, ihre Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit überprüfen und beurteilen zu können. Darüber hinaus bedarf es gerade in abgeschotteten Kriminalitätsbereichen Vertrauenspersonen mit einem spezifischen Anforderungsprofil. Solche Personen sind nicht ohne weiteres ersetzbar. Besonders deutlich wird dies in Fällen einer sogenannten Nahbereichs-VP, die regelmäßig aus ihrem kriminellen Umfeld berichtet.

Die gesetzgeberische Vorstellung, ein VP-Einsatz erfolge allein im Zusammenhang mit der Aufklärung einer konkreten Einzeltat und sei daher zeitlich überschaubar, geht daher in Teilen an der Wirklichkeit und damit auch an den Anforderungen an eine VP vorbei. Die in § 110b StPO-E vorgesehenen Höchstgrenzen für den Einsatz (Abs. 2 Nr. 2 lit. a) und für die maximale Einsatzdauer (Abs. 8 Nr. 3) einer VP sind daher abzulehnen.

Darüber hinaus birgt § 110b Abs. 6 Nr. 2 a) StPO-E ein Enttarnungsrisiko. Um die „kumulativ aktive Einsatzzeit“ von maximal zehn Jahren valide nachvollziehen zu können, werden diese Zeiten seitens der Polizei wahrscheinlich einzeln ausgewiesen werden müssen. Auf diesem Wege würden Informationen aktenkundig, die erneut als eine Art Puzzlestück zu der Enttarnung der Vertrauenspersonen beitragen können. Denn nicht selten bewegen sich Vertrauenspersonen in derselben Szene. Im Wege einer Prüfung im Sinne von § 110b Abs. 6 Nr. 2 a) StPO-E könnte dann bekannt werden, wann eine Vertrauensperson jeweils eingesetzt war, und Beschuldigte könnten Parallelen zu früheren Festnahmen ziehen, um die VP so zu enttarnen.

Redaktionell ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass der Auswahl einer VP eine kumulative aktive Einsatzzeit von mehr als zehn Jahren entgegensteht (§ 110b Abs. 6 Nr. 2 lit. a StPO-E), ihrem weiteren Einsatz hingegen eine aktive (mithin nicht kumulative?) Einsatzdauer derselben Länge (§ 110b Abs. 8 Nr. 3 StPO-E). Ein Grund für diese Unterscheidung ist, sofern der Entwurf an einer solchen zeitlichen Beschränkung festhalten sollte, nicht ersichtlich.

3. Die Regelungen zur Zuverlässigkeitsprüfung sind von einem grundsätzlichen Misstrauen geprägt.

Auch Teile der in § 110b Abs. 7 StPO-E vorgesehenen Zuverlässigkeitsprüfung begegnen Bedenken. Soweit dort in § 110b Abs. 7 Satz 4 Nr. 2 StPO-E vorgesehen ist, dass die Auswahl der VP gesondert begründet werden muss, wenn im Bundeszentralregister eingetragene Verurteilungen zu Freiheitsstrafen sowie polizeiliche Erkenntnisse vorliegen, liegt auch hier ein gesetzgeberisch-idealisiertes Bild einer VP zugrunde, dem die Praxis regelmäßig nicht entspricht. Denn es sind gerade die exklusiven Zugänge einer VP zum kriminellen Milieu, die eine Informationsgewinnung vielfach überhaupt erst erlauben.

Ungeachtet dessen ist der Wortlaut von Nr. 2 – „Verurteilungen der einzusetzenden Person zu Freiheitsstrafen sowie polizeiliche Erkenntnisse“ – unklar. Denn es bleibt offen, ob jedwede polizeilichen Erkenntnisse zu einer Person eine gesonderte Begründung des Einsatzes als VP erforderlich machen oder ob dies nur für den Fall gelten soll, dass polizeiliche Erkenntnisse zu bestimmten Deliktsbereichen oder aber zu Straftaten von einem bestimmten Gewicht vorliegen. Hierfür spricht insbesondere, dass nur bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in der Vergangenheit eine gesonderte Begründung erfolgen muss.

 

V.  Keine klare Abgrenzung zwischen Vertrauenspersonen und Informanten

Dass der Referentenentwurf in § 110b Abs. 1 StPO-E eine gesetzliche Definition des Begriffes der Vertrauensperson vorsieht, ist aus Gründen der Klarstellung zu begrüßen und trifft auch inhaltlich nicht auf Bedenken; die vorgesehene Definition entspricht im Wesentlichen derjenigen, die auch die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes vorgeschlagen hat (vgl. dazu Gutachten 2017, S. 65 f.). Problematisch erscheint jedoch die in der Entwurfsbegründung vorgenommene Charakterisierung von Informanten in Abgrenzung zu Vertrauenspersonen. Dass diese nur „geringfügige Beiträge“ leisten bzw. in der Form der Gewährspersonen nicht dabei helfen, neue Ermittlungsansätze zu gewinnen (Ref-E, S. 24), wird der in der Praxis anzutreffenden Bandbreite von Informanten nicht gerecht. Vertrauliche Angaben von Informanten sind für Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität, aber auch im Bereich des Staatsschutzes, von zentraler Bedeutung. Viele Verfahren generieren aus solchen Angaben erst den Anfangsverdacht einer Straftat, der sodann als Grundlage für weitere Ermittlungen dient.

Da ein VP-Einsatz mangels Anfangsverdacht in diesem Verfahrensstadium gerade noch nicht möglich ist, empfiehlt sich eine Klarstellung in der Gesetzesbegründung, um einerseits weiterhin auf diese wertvollen Ermittlungsansätze zurückgreifen zu können und andererseits in einem späteren Strafverfahren Streitigkeiten über die Abgrenzung zwischen Vertrauenspersonen und Informanten zu vermeiden. Dabei sollte die bewährte Begriffsbestimmung in der Anlage D zur RiStBV aufgegriffen werden, derzufolge ein Informant eine Person ist, die im Einzelfall bereit ist, gegen Zusicherung der Vertraulichkeit der Strafverfolgungsbehörden Informationen zu geben (entsprechend auch der Vorschlag der Großen Strafrechtskommission, vgl. Gutachten 2017, S. 65); auf die Bedeutung des jeweiligen Beitrages kommt es danach gerade nicht an.

 

VI. Zu den Regelungen über das Verleiten zu einer Straftat und die rechtsstaatswidrige Tatprovokation, § 110c StPO-E

§ 110c StPO-E enthält eine vollständig neue gesetzliche Regelung dazu, unter welchen Voraussetzungen VE und VP Beschuldigte im Zusammenhang mit der Verfolgung einer Straftat zu strafbarem Verhalten verleiten dürfen. Sie regelt darüber hinaus Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation durch VE und VP.

1. Einer gesetzlichen Definition der zulässigen und/oder rechtsstaatswidrigen Tatprovokation bedarf es nicht.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes und auch der Großen Strafrechtskommission (vgl. Gutachten 2017, S. 99 ff.) bedarf es weder einer gesetzlichen Regelung zu den zulässigen Formen einer tatmotivierenden und staatlichen Stellen zurechenbaren Einwirkung auf Betroffene (§ 110c Abs. 1 StPO-E) noch einer Definition des Begriffs der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation (§ 110b Abs. 3 S. 2 StPO-E). Denn es existiert eine gefestigte und einheitliche Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofs als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Abgrenzung zwischen rechtsstaatswidriger Tatprovokation und erlaubter Tatmotivierung durch die Ermittlungsbehörden oder in deren Auftrag tätigen Vertrauenspersonen. Die Rechtsprechung erwartet anhand einer Gesamtwürdigung der im konkreten Einzelfall vorliegenden Indizien eine Prüfung, ob ein Tatverdacht bestanden hat und der Beschuldigte auch ohne das Verhalten der Vertrauensperson zu der Begehung entsprechender Taten bereit gewesen ist. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtslage durch die Rechtsprechung so eindeutig geklärt, dass es einer gesetzlichen Klarstellung nicht bedarf.

Soweit in § 110c Abs. 1 StPO-E das Verleiten zu Straftaten geregelt wird, ist im Übrigen sehr fraglich, ob hierdurch das Ziel – einen angemessenen Ausgleich zwischen effektiver Strafverfolgung und rechtsstaatlich gebotener Transparenz und Kontrolle zu schaffen – besser erreicht werden kann als durch die Beibehaltung der jetzigen Rechtslage und Ausgestaltung durch richterliche Rechtsfortbildung. Die im Referentenentwurf vorgesehene gesetzliche Definition hat statischen Charakter und birgt daher das Risko, Einzelfälle nicht mehr so abbilden zu können, dass die Rechtsprechung – wie bisher – differenziert entscheiden kann.

Die Vorschrift des § 110c Abs. 1 StPO-E enthält darüber hinaus mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe, wie etwa die Termini „Verleiten ohne erhebliche Einwirkung“ sowie „angemessenes Verhältnis zwischen den Taten“, die ausfüllungsbedürftig sind und daher durch die Rechtsprechung weiter ausgeformt werden müssen. Ein Fortschritt ginge mit einer gesetzlichen Regelung daher nicht einher.

Lässt man diesen ganz grundsätzlichen Einwand außer Acht, greift der Referentenentwurf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in § 110c Abs. 1 S. 1 StPO-E sowie in § 110b Abs. 3 S. 2 StPO-E auf. Zumindest insoweit bestehen aus Sicht der Praxis keine Bedenken.

Klarstellungsbedürftig ist allerdings eine Abweichung des in § 110c Abs. 1 S. 2 StPO-E vorgeschlagenen Gesetzestextes einerseits und der Entwurfsbegründung andererseits. Während § 110c Abs. 1 S. 2 StPO-E vorsieht, dass die Tat, zu der der Beschuldigte verleitet werden soll, „Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit einer Person nicht gefährden“ darf, heißt es in der Entwurfsbegründung zusätzlich, dass VE und VP nicht zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verleiten dürfen (Ref-E, S. 40). Es böte sich tatsächlich an, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in den Normtext aufzunehmen, da die in der Begründung des Referentenentwurfs enthaltenen Erwägungen auch hinsichtlich dieser Deliktsgruppe überzeugend sind.

2. Eine Klarstellung hinsichtlich des nicht offen ermittelnden Beamten ist wünschenswert.

Wünschenswert wäre zudem eine Klarstellung hinsichtlich des Einsatzes von nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (noeP). Denn gerade im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität erfolgen Scheinkäufe vielfach durch Polizeibeamte, die jedoch anders als der VE lediglich kurzfristig verdeckt mit dem Beschuldigten in Kontakt treten. Eine dem Referentenentwurf entsprechende gesetzliche Regelung könnte den – für die Praxis fatalen und angesichts der geringeren Eingriffsintensität des noeP kaum nachvollziehbaren – Eindruck vermitteln, dass ein Verleiten zu einer Straftat zukünftig nur noch durch VE oder VP zulässig ist.

3. Ein Richtervorbehalt für das Verleiten zu einer Straftat ist nicht geboten.

Der Deutsche Richterbund hält es auch nicht für erforderlich, das Verleiten zu einer Straftat unter einen Richtervorbehalt zu stellen (§ 110c Abs. 2 Satz 2 StPO-E). Eine solche gerichtliche Anordnung ist weder europarechtlich noch verfassungsrechtlich geboten.

Die Entwurfsbegründung führt zutreffend aus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine justizielle Aufsicht für die angemessenste Kontrollform erachtet (Ref-E, S. 41). Eine Aussage darüber, in welcher Form diese Aufsicht zu gewährleisten ist, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte indes nicht getroffen. Ein Richtervorbehalt ist damit aus Rechtsgründen nicht geboten und er bietet auch keine Gewähr für einen Zuwachs an Rechtsstaatlichkeit. Staatsanwälte stehen Richtern mit Blick auf ihre fachliche Qualifikation, der gesetzlich gebotenen Pflicht zur Objektivität gemäß § 160 Abs. 1 und 2 StPO und ihrer Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG gleich. Die Staatsanwaltschaft fungiert als unabhängige Instanz im Ermittlungsverfahren. Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt da das Bundesverfassungsgericht der Staatsanwaltschaft die Rolle als „Wächter des Gesetzes“ zuschreibt (BVerfG, NJW 2013, S. 1058 Rn. 93), ist ein Richtervorbehalt, wie ihn § 110c Abs. 2 Satz 2 StPO-E vorsieht, nicht erforderlich. Anderenfalls würde sogar implizit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Staatsanwaltschaft entweder nicht willens oder nicht in der Lage sei, über die Rechtsstaatlichkeit des Einsatzverlaufs zu wachen. Anders als bei der Frage, ob ein verdeckter Ermittler oder eine Vertrauensperson der Polizei im konkreten Fall grundsätzlich eingesetzt werden, handelt es sich nämlich bei § 110c Abs. 1 StPO-E um eine Facette der Ausgestaltung bzw. Durchführung des Einsatzes und damit nicht mehr um die Grundentscheidung, ob eine strafprozessuale Maßnahme angeordnet wird oder nicht. Die Vollstreckung strafprozessualer Maßnahmen und die mit der Durchführung verbundenen Ausgestaltungsentscheidungen, wie z. B. der Termin, also ob ggfs. aus ermittlungstaktischen Gründen noch etwas zugewartet wird, obliegen jedoch der Staatsanwaltschaft, § 36 Abs. 2 S. 1 StPO. Insofern ist der Richtervorbehalt an dieser Stelle systemwidrig.

4. Die Annahme eines generellen Verfahrenshindernisses bei rechtsstaatswidriger Tatprovokation ist nicht geboten.

Maßgeblicher Kern von § 110c Abs. 3 StPO-E ist weniger die Definition der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation, die durch die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung ohnehin klar konturiert ist, sondern vielmehr die Regelung der Konsequenz einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation als Verfahrenshindernis, das im Ermittlungsverfahren zu einer Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO führen würde. Damit geht der Referentenentwurf über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinaus, der es den Vertragsstaaten selbst überlassen hat, auf welche Weise sie das Ergebnis, nämlich die Verwirkung des staatlichen Strafanspruchs erreichen. Der EGMR schlägt – worauf die Entwurfsbegründung auch ausdrücklich hinweist (Ref-E, S. 41 f.) – vor, Fälle rechtsstaatswidriger Tatprovokation im Rahmen eines umfassenden Beweisverwertungsverbots zu lösen (EGMR, Akbay u. a./Deutschland, NJW 2021, S. 3535). Einer solchen Lösung gegenüber vorzugswürdig soll nach der im Referentenentwurf vertretenen Auffassung jedoch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sein, nach der eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zu einem Verfahrenshindernis führt (BGH, Urt. v. 16. Dezember 2021 − 1 StR 197/21, NStZ 2023, S. 243).

Gerade diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs weist jedoch Aspekte auf, die klar für eine Lösung der Rechtsfolgeproblematik über ein Bestrafungs- und nicht über ein Befassungsverbot sprechen.

Befassungsverbote untersagen dem Gericht sachlich über den erhobenen Vorwurf zu befinden. Sie bestehen unter anderem bei Fehlen von Prozessvoraussetzungen wie einer wirksamen Anklage, einem wirksamen Eröffnungsbeschluss, der Strafmündigkeit oder einer entgegenstehenden Rechtskraft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, Einl. Rn. 143). Bestrafungsverbote liegen indes vor bei einem fehlenden oder zurückgenommenen Strafantrag, Verjährung, Amnestie oder Verhandlungsunfähigkeit (Meyer-Goßner/Schmitt aaO). Nach bisheriger Rechtsprechung würde hierunter auch die rechtsstaatswidrige Tatprovokation fallen.

Bei einem Vergleich des Charakters der vorgenannten Prozessvoraussetzungen wird deutlich, dass Befassungsverbote im Wesentlichen bei formalen Prozessvoraussetzungen bestehen, während Bestrafungsverbote in Konstellationen angenommen werden, bei denen eine Beweisaufnahme erforderlich sein kann, um die erforderlichen Feststellungen treffen zu können.

Die Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegt oder nicht, ist systematisch eindeutig den Konstellationen zuzuordnen, bei denen eine Beweisaufnahme erforderlich sein dürfte, um die zur Entscheidung erforderlichen Feststellungen treffen zu können (vgl. auch Moldenhauer, Anmerkung zu BGH 1 StR 197/21 in NStZ-RR 2023, S. 111).

Dies wird nach hiesigem Dafürhalten auch schon in der vorzitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2021 deutlich, in der der Senat ausdrücklich festgestellt hat, dass das Revisionsgericht zwar grundsätzlich selbst aufgrund der getroffenen oder von ihm noch zu treffenden Feststellungen und aufgrund des Akteninhalts entscheiden könnte, die Beurteilung, ob eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorgelegen habe, dem Senat aber nicht einmal aufgrund der Vermerke des verdeckten Ermittlers möglich gewesen wäre. Deshalb sei eine erneute Hauptverhandlung erforderlich. Die Schwierigkeit, eine solch weitreichende Entscheidung ohne persönliche Eindrücke von den Verfahrensbeteiligten, deren jeweilige Angaben sich häufig gegenüberstehen dürften, nämlich dem Beschuldigten und dem verdeckten Ermittler, allein anhand der Aktenlage treffen zu müssen, wird dadurch mehr als offenkundig.

Es wird nicht verkannt, dass bei Zweifeln hinsichtlich des Vorliegens von Prozessvoraussetzungen eine Aufklärung in einer Hauptverhandlung grundsätzlich immer möglich ist. Vorliegend handelt es sich jedoch um eine Konstellation, für die zu erwarten steht, dass aufgrund der anhand der Aktenlage schwerlich zu treffenden erforderlichen Feststellungen nahezu immer eine Hauptverhandlung notwendig sein dürfte, um das Vorliegen eines möglichen Verfahrenshindernisses feststellen zu können. Dann aber drängt sich geradezu die Frage auf, weswegen die Lösung nicht von vorneherein über ein Bestrafungsverbot erfolgen soll. Die im Referentenentwurf favorisierte Lösung ist deshalb aus den genannten Gründen nicht geeignet, den Beschuldigten bzw. den Gerichten Hauptverhandlungen zu ersparen.

Die Ausgestaltung als Bestrafungsverbot stünde auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR. Zwar haben zwei Senate des Bundesgerichtshofes zwischenzeitlich für ein Verfahrenshindernis votiert. Eine Entscheidung des Großen Senats in Strafsachen ist bisher nicht ergangen. Insofern erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, die Rechtsfolge als Bestrafungsverbot auszugestalten.

Hierfür würde auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sprechen, nach der derartig apodiktische Lösungen, wie sie der Referentenentwurf jetzt vorsieht, kaum geeignet sind, die verschiedenen Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips, die hier zum Tragen kommen, in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Das Rechtsstaatsprinzip ist nämlich in der Konstellation der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation nicht nur mit der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, sondern auch hinsichtlich des Erfordernisses einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege berührt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausdrücklich ausgeführt, dass der Rechtsstaat sich nur verwirklichen kann, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2014 – 2 BvR 209/14, 2 BvR 240/14 und 2 BvR 262/14, NJW 2015, S. 1083). Daraus folgt, dass ein Verbot der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs nur in extremen Ausnahmefällen aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden kann, weil das Rechtsstaatsprinzip nicht nur Belange des Beschuldigten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung schützt (BVerfG aaO). Materielle Gerechtigkeit bedeutet in der konkreten Konstellation die Feststellung, dass eine Straftat begangen worden ist. Das dann bei einem Bestrafungsverbot jedoch erforderliche Urteil, wonach wegen des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation keine Bestrafung erfolgt, dient nicht nur der Durchsetzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens in Bezug auf den jeweiligen Angeklagten, sondern wird dem Rechtsstaatsprinzip auch insoweit gerecht, als es zum Ausdruck bringt, dass Straftäter einer gerechten Bestrafung eben nur im Rahmen der geltenden Gesetze zugeführt werden können und eben dieser Rahmen hier – mit der Konsequenz des Bestrafungsverbotes – verletzt wurde.

Daher wäre es folgerichtig, die Rechtsfolge einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation als Bestrafungsverbot im Sinne eines Absehens von Strafe, und nicht als Befassungsverbot, auszugestalten.