# 19/03

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes und des Bundes Deutscher Sozialrichter zum Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt

September 2003

I. Gesetzgeberische Zielsetzung

1. In der Regierungserklärung vom 14.03.2003 zur Agenda 2010 hat der Bundeskanzler ausgeführt, der Bund werde die Kommunen von der Zahlung für die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger entlasten. Für bis zu eine Million Sozialhilfe- Empfänger werde künftig die Bundesanstalt für Arbeit materiell zuständig sein. Er hat ferner erklärt: " Wir brauchen Zuständigkeit und Leistungen aus einer Hand. Damit steigern wir die Chancen derer, die arbeiten können und wollen. Deswegen werden wir Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen". Dieses Regelwerk solle verhindern, dass Menschen, die arbeiten wollen und können, zum Sozialamt gehen müssen und andere, die dem Arbeitsmarkt womöglich gar nicht zur Verfügung stehen, Arbeitslosenhilfe beziehen. Sinn und Zweck der beabsichtigten Neuregelung sei es, möglichst viele erwerbsfähige längerfristig arbeitslose Menschen auf möglichst effektive Art und Weise wieder dem ersten Arbeitsmarkt zuzuführen. Als fachlich kompetenten Leistungsträger für Arbeitsvermittlung und Beratung sehe die Bundesregierung weiterhin die Bundesanstalt für Arbeit an, wobei die Neuordnung der Strukturen der Arbeitsvermittlung ebenfalls Gegenstand des Gesamtreformwerkes der Bundesregierung sei. Mit diesem Kernsätzen hat der Bundeskanzler die Leitlinien für das neu zu schaffende Gesetzeswerk in erfreulicher Klarheit vorgegeben.

2. Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf entspricht in wesentlichen Teilen dieser Zielsetzung. Er weist enge Bezüge zum Arbeitsförderungsrecht und zu verschiedenen Bereichen des Sozialversicherungsrechts auf. Die Vorschriften in Kapitel 1 SGB II geben Aufgaben und Ziele des Gesetzes wieder. Die Grundsätze der Eigenverantwortung und der aktivierenden Hilfeleistung (§ 1 Abs. 1 SGB II Entwurf) sind in ähnlicher Form mit dem Ziel, Arbeitslosigkeit zu verhindern oder zu verkürzen, schon in § 1 Abs. 1 und 2 und § 6 SGB III enthalten. Entsprechendes gilt für die Gleichstellungsaspekte (§ 1 Abs. 1 Satz 3 SGB III und § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 SGB II Entwurf). Das Ziel der Erhaltung, Verbesserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen entspricht den zentralen Zielen der aktiven Arbeitsförderung nach §§ 4 - 7 SGB III.

3. Damit entfernt sich das Regelungsmodell deutlich von der Zielsetzung des bisher geltenden Bundessozialhilfegesetzes und des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfes eines Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe. Danach ist es der vorrangige Zweck der Sozialhilfe, eine der Würde des Menschen entsprechende Lebensführung zu ermöglichen, ohne dabei die Integration ins Erwerbsleben in den Vordergrund zu stellen (vgl. § 1 BSHG einerseits und § 1 SGB XII Entwurf).

 

II. Die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit

1. Die im Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt und dort insbesondere im SGB II vorgesehenen Regelungen gehören zum Kernbereich der Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit. Die in Art 22 des Gesetzes vorgesehene Regelung, wonach die Streitigkeiten über die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II von der Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit ausgenommen werden soll, ist offenkundig sachwidrig. Sie wird unnötigerweise dazu führen, dass in einer Vielzahl von Verfahren Sozialgerichte und Verwaltungsgerichte über unabhängig voneinander über ein und denselben Rechtsbegriff judizieren. Die zwangsläufig auftretenden Divergenzen werden erst durch Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes geklärt werden können. Dies wird eine nicht unerhebliche Verlängerung gerichtlicher Verfahren mit sich bringen. Gerade in Streitsachen über die Grundsicherung für Arbeitsuchende sollte dies im Interesse der gesetzgeberischen Intention, die Arbeitsuchenden zügig in den Erwerbsprozess einzugliedern und während der Dauer der Erwerbslosigkeit deren Existenzgrundlage zu sichern, unbedingt vermieden werden.

2. Anders als die Bezieher von Sozialhilfe bzw. die Leistungsberechtigten nach dem SGB XII sind die Bezieher von Alg II aufgrund des Leistungsbezugs kraft gesetzlicher Anordnung sozialversichert (§§ 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V Entwurf, 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI Entwurf). Wenn damit Fragen der Mitgliedschaft und der Beitragshöhe aufgrund des Leistungsbezugs vom Sozialgericht zu entscheiden sind, ist nicht einzusehen, wieso die Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug den Verwaltungsgerichten zugeordnet wird.

3. Zahlreiche Vorschriften des SGB III zur Aufhebung von Verwaltungsakten, zur vorläufigen Zahlungseinstellung, zur Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie zur Meldepflicht der Leistungsempfänger sind gemäß §§ 40, 59 SGB II Entwurf entsprechend anzuwenden.

4. Der für den Leistungsbezug nach dem SGB II zentrale Begriff der Erwerbsfähigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB II Entwurf) entspricht spiegelbildlich dem Begriff der Erwerbsminderung in § 43 SGB VI.

a) Zu diesem Begriff existiert eine umfassende und ausgefeilte höchstrichterliche sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Wichtiger ist aber noch, dass die Sozialgerichte in der Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen eine langjährige Praxis und Erfahrung besitzen. Hierdurch wird gerade in der Übergangsphase nach Einführung des SGB II Rechtssicherheit durch ein zügiges gerichtliches Verfahren gewährleistet.

b) Würde die Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit (ggf. auch nach § 45 SGB II Entwurf) im Verwaltungsrechtsweg getroffen, so träten zahlreiche schwierige Verfahrensfragen auf, die in dieser Form bei einer Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten nicht entstünden, weil das Sozialgerichtsgesetz die Beiladung eines als leistungspflichtig in Betracht kommenden anderen Leistungsträgers nach § 75 Abs. 5 SGG zulässt.

(1) Unklar ist zunächst, wie verfahren werden soll, wenn zeitgleich ein Verfahren betreffend eine Entscheidung zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit nach § 8 SGB II beim Verwaltungsgericht und ein Verfahren auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente beim Sozialgericht anhängig ist. Da das SGB II anders als § 125 SGB III keine Nahtlosigkeitsregelung für die Fälle vorsieht, in denen die Erwerbsfähigkeit leistungsgeminderter Arbeitsuchender bisher ungeklärt ist, wird in einer größeren Zahl von Streitsachen parallel über Leistungen nach dem SGB II und um Rente wegen Erwerbsminderung gestritten werden. Der Leistungsgeminderte Arbeitsuchende, der selbst nicht beurteilen kann, ob seine Leistungseinschränkungen die Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 oder 2 SGB VI begründet, oder ob er trotz dieser Leistungseinschränkungen erwerbsfähig ist, wird zur Absicherung seiner Existenzgrundlage Leistungen nach dem SGB II beantragen, gleichzeitig aber - sicherheitshalber - Rentenantrag stellen. Da § 45 SGB II ein gestuftes Verwaltungsverfahren zur Feststellung der Erwerbsfähigkeit vorsieht, welches erhebliche Zeit in Anspruch nimmt, wird häufig der Fall auftreten, dass im gerichtlichen Verfahren parallel über Leistungen nach dem SGB II und über Rente wegen Erwerbsminderung gestritten wird. Im Sozialrechtsweg könnte dieser Streit ohne Weiteres in einem Verfahren durch Beiladung und ggf. Verurteilung des beigeladenen Trägers gelöst werden. Bei der vorgesehenen Rechtswegaufspaltung wäre dies nicht möglich. Die Verwaltungsrechtsweg sieht dazu keine vergleichbaren Regelungen vor.

(2) Die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle in weiteren sozialrechtlichen Bereichen. Dazu gehören die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen zur Wiedereingliederung in den Erwerbsprozess, die von der Bundesagentur für Arbeit oder auch vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung zu treffen sind. In allen solchen Verfahren besteht künftig die Gefahr, dass entweder divergierende Entscheidungen getroffen werden, oder aber auf dem Umweg über die Beiladung letztlich die Verwaltungsgerichte maßgeblich über sozialversicherungsrechtliche Fragen entscheiden. Eine einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung wäre auch dann nur durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu gewährleisten.

5. Soweit § 11 SGB II Entwurf das zu berücksichtigende Einkommen regelt, entspricht dies in weiten Teilen der für die Arbeitslosenhilfe bestehenden Regelung nach § 194 SGB III. Die Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens ist in § 193 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 6 ArbeitslosenhilfeVO in ähnlicher Weise vorgesehen und durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung ausgeformt. Daher wären Verwerfungen nicht zu befürchten, wenn künftig Sozialgerichte in diesem Bereich judizieren.

6. Das Leistungsrecht des SGB II enthält ferner weitgehende Bezugnahmen auf das Leistungsrecht des SGB III, sodass sich auch aus diesem Grund eine möglichst einheitliche Beurteilung im Verwaltungsverfahren durch den gleichen Verwaltungsträger und im ggf. nachfolgenden gerichtlichen Verfahren durch Gerichte der gleichen Gerichtsbarkeit anbietet:

a) In § 16 Abs. 1 SGB II Entwurf werden zahlreiche Leistungen zur Eingliederung nach dem SGB III ausdrücklich in Bezug genommen.

b) Soweit nach § 16 Abs. 1 SGB II Entwurf i.V.m. den entsprechenden Vorschriften des SGB III Leistungen erbracht werden, die auf die Teilnahme an bestimmten Maßnahmen abstellen (vgl. z.B. §§ 48 ff. SGB III), sind zahlreiche Voraussetzungen zu prüfen, die maßnahmebezogen sind. Dabei ist naheliegend, dass an derartigen Maßnahmen sowohl Arbeitslosengeldbezieher als auch Bezieher von Alg II Teil nehmen. Infolge dessen wäre es wenig zweckmäßig, die Beurteilung über die Eignung einer Maßnahme in unterschiedlichen Gerichtszweigen vorzunehmen. Erst recht gilt dies für Klagen von Maßnahmeträgern.

c) Nicht anders verhält es sich bei Arbeitgebern, die Förderungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit beziehen. Beispielhaft ist insoweit der Eingliederungszuschuss zu nennen, der nach §§ 217 ff. SGB III für die Eingliederung förderungswürdiger Arbeitnehmer gezahlt wird und auf den § 16 Abs. 1 SGB II ebenfalls verweist. Je nachdem, ob es sich dabei um einen ehemaligen Arbeitslosengeldbezieher oder einen ehemals erwerbsfähigen Hilfebedürftigen handelt, werden künftig unterschiedliche Gerichtszweige über identische gesetzliche Vorschriften entscheiden, im Fall der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen allerdings ohne die sachkundige Beteiligung ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Arbeitgeber. Diese unnötige Rechtswegspaltung würde vermieden, wenn die in Art 22 vorgesehene Ausnahmeregelung entfiele.

d) § 25 SGB II knüpft für die Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit ausdrücklich an die Regelungen der §§ 44 ff. SGB V an. Die missverständliche Formulierung, die allein auf die "Erkrankung" abhebt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass § 25 SGB II auf den Fall der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zugeschnitten ist. Mithin würde auch über Arbeitsunfähigkeit in unterschiedlichen Gerichtszweigen judiziert.

e) Die Absenkung und der Wegfall des Alg II nach § 31 SGB II ist den Sperrzeittatbeständen in § 144 SGB III nachgebildet. Insbesondere zur Zumutbarkeit der angebotenen Arbeit (z.B. im Hinblick auf Kindererziehung, Pflege etc.) oder zum Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Ablehnung durch den Arbeitsuchenden werden die gleichen Rechtsfragen sowohl bei den Sperrzeittatbeständen des § 144 Abs. 1 SGB III als auch bei den Sanktionen nach § 31 SGB II auftreten und daher eine einheitliche Beurteilung sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Rechtsweg erfordern.

f) Nicht selten wird im sozialgerichtlichen Verfahren über die Höhe des Arbeitslosengeldes gestritten. Dies hat gemäß § 24 SGB II (befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld) Folgewirkungen auf die Höhe des Alg II. Gerade deshalb, weil sich die Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld künftig verkürzen, erscheint es nicht angemessen, diese voneinander abhängigen Fragen in unterschiedlichen Rechtswegen zu judizieren.

7. Nach § 6a BKGG Entwurf wird künftig ein Kinderzuschlag gewährt. § 15 BKGG ordnet hierfür die Zuständigkeit der Sozialgerichte an. Die Berechnung der Kinderzuschlages richtet sich nach den Bestimmungen der §§ 11, 12, 19, 28 SGB II. Daraus folgt, dass die Sozialgerichte diese Berechnungsvorschriften, auf deren Nähe zum Sozialhilferecht die geplante Rechtswegzuweisung zu den Verwaltungsgerichten maßgeblich gestützt wird, ohnehin im Rahmen der Kindergeldstreitigkeiten werden anwenden müssen. Aus welchem Grund sie hierzu im Übrigen nicht in der Lage sein sollen, ist nicht nachvollziehbar.

 

III. Bezüge der Regelungen des SGB II zum Sozialhilferecht

1. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 - 23 SGB II) sind bedarfsorientiert, während die Arbeitslosenhilfe unabhängig vom Bedarf des Arbeitslosen an die Höhe des Bemessungsentgelts und damit an die Höhe des zuletzt erzielten Arbeitsentgelts anknüpft. Ebenso wie das Alg II ist die Arbeitslosenhilfe eine dem Subsidiaritätsprinzip unterworfene bedürftigkeitsorientierte Leistung. Insofern bestehen Bezüge sowohl zum Arbeitsförderungsrecht als auch zum Sozialhilferecht.

2. Da nach § 7 Abs. 2 SGB II sowohl die erwerbsfähigen Arbeitsuchenden als auch die nicht erwerbsfähigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Anspruch auf Leistungen nach diesem Buch haben (entweder als Alg II oder als Sozialgeld), ist die Gefahr eines Auseinanderfallens der Rechtswegzuständigkeit auch dann nicht gegeben, wenn die Ausnahmeregelung in Art 22 entfällt und alle Streitsachen im Sozialrechtsweg judiziert werden. Vielmehr werden die Ansprüche der Bedarfsgemeinschaft von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen realisiert (§ 38 SGB II Entwurf). Soweit ausnahmsweise Ansprüche einzelner Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach § 21 SGB XII Entwurf verbleiben, ergibt sich kein Unterschied zum bisherigen Recht, wonach Ansprüche der Angehörigen von Arbeitslosenhilfebeziehern nach Vorschriften des BSHG vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen sind. Nach bisherigem Recht bestanden sogar nicht selten Ansprüche eines Hilfebedürftigen auf Arbeitslosenhilfe und auf ergänzende Sozialhilfe nebeneinander. Dieses Nebeneinander wird durch die Neuregelungen des SGB II beseitigt.

3. Die Zumutbarkeitskriterien in § 10 SGB II und § 11 Abs. 4 SGB XII (bisher: § 18 Abs. 3 BSHG) entsprechen sich zwar. Es ist aber nicht ersichtlich, dass daraus dogmatische Probleme erwachsen werden, die über den Einzelfall hinausweisen und schwerwiegender als die ansonsten im Zusammenhang mit den Zumutbarkeitskriterien des SGB III auftretenden Probleme wären.

4. Die Leistungen nach SGB II und SGB XII werden im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach Regelsätzen erbracht. Diese sind voneinander unabhängig in ihrer Höhe pauschaliert.

5. Perspektivisch werden sich die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII ohnehin weiter auseinander entwickeln. Auch ohne die praktischen Auswirkungen der Gesetze abzuwarten, lässt sich dies bereits dem gesetzgeberischen Konzept entnehmen:

a) Die Regelleistung zur Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes (§ 20 SGB II Entwurf) wird nach § 20 Abs. 4 SGB II Entwurf automatisch entsprechend der Veränderung des aktuellen Rentenwertes in der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst. Abgesehen davon, dass auch hierin die Nähe zur Sozialversicherung deutlich wird, gilt für die Sozialhilfe gänzlich Anderes: Hier werden die Regelsätze jährlich durch Rechtsverordnungen der Landesregierungen festgesetzt (also nicht einmal kraft Bundesrechts), wobei die einzelnen Sozialhilfeträger zu abweichenden Regelungen ermächtigt werden können (§ 29 Abs. 2 SGB XII). Sie haben dem Bedarfsdeckungsprinzip zu entsprechen (§ 29 Abs. 1 und 3 SGB XII Entwurf), während die Höhe der Regelleistung nach dem SGB II der allgemeinen Rentenentwicklung folgt.

b) Ähnliche Unterschiede werden bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung deutlich. Diese werden für die Bedarfsgemeinschaften in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 22 Abs. 1 SGB II). Diese Bestimmung muss aber in Zusammenhang mit § 27 SGB II gelesen werden, wonach das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ermächtigt wird, die Angemessenheit der Aufwendungen ebenso wie die Möglichkeit ihrer Pauschalierung durch Rechtsverordnung zu regeln. Für Sozialhilfeempfänger erfolgt die Pauschalierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung durch den Sozialhilfeträger nach den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes (§ 30 Abs. 2 SGB XII). Auch hier sind mithin die Kompetenzen von Bund, Ländern und örtlichen Sozialhilfeträgern im SGB II anders geregelt als im SGB XII.

6. Was das Sozialhilferecht des SGB XII betrifft, ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die Neuregelung der früheren Krankenhilfe (jetzt: Hilfen zur Gesundheit, §§ 42 ff. SGB XII Entwurf) sich derart stark den Regelungen des SGB V annähert, dass für Leistungen nach dem SGB XII zur Herstellung einer einheitlichen Rechtsprechung eher die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte gegeben sein müsste, als dass die Übertragung der Rechtswegzuständigkeit für Streitsachen nach dem SGB II an die Verwaltungsgerichte gerechtfertigt wäre. Bis auf wenige Abweichungen entsprechen die Hilfen nach §§ 42 - 46 SGB XII den Leistungen bei Krankheit nach dem SGB V. Dem entsprechend nimmt § 43 SGB XII die §§ 27 - 43b SGB V pauschal in Bezug. Nach § 47 Abs. 4 SGB XII werden die Vorschriften der §§ 69 - 140h SGB V (Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern) gleichermaßen pauschal in Bezug genommen. Dazu zählt insbesondere das vertragsärztliche Abrechnungssystem. Hier droht eine weitere Rechtswegaufspaltung. Das gilt erst recht im Hinblick auf die zu erwartenden Leistungserbringerklagen (vgl. § 47 Abs. 4 SGB XII Entwurf). Soll hier allen Ernstes eine Nebenzuständigkeit der Verwaltungsgerichte für das Vertragsarztrecht geschaffen werden?

 

IV. Weitere prozessuale Probleme im Falle einer Rechtswegzuweisung an die Verwaltungsgerichte

1. Da die Vorschriften des SGB II (anders als das BSHG) vornehmlich auf die Eingliederung ins Erwerbsleben abstellen, ist hier in besonderem Maße die Sachkunde der ehrenamtlichen Richter(innen) aus dem Kreis der Arbeitgeber und der Versicherten gefragt. Im Sozialgerichtlichen Verfahren wird diese Sachkunde grundsätzlich einbezogen (vgl. zur Arbeitsförderung § 12 Abs. 2 SGG), während dies im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht der Fall ist. Hinzu kommt, dass dort solche Streitigkeiten in der Regel ohne die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch den Einzelrichter entschieden werden § 6 VwGO). Infolge dessen kann die besondere Sachkunde der im Wirtschaftsleben Tätigen nicht in die Entscheidungen einfließen. Die Verfahrensweise nach § 6 Abs. 1 VwGO unterliegt im übrigen erheblichen verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Bedenken (dazu: Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Auflage München 2000, § 6 Rz. 1 mit weiteren Nachweisen).

2. Das SGG kennt in §§ 181 bis 183 SGG besondere Konfliktlösungsmechanismen, die divergierende Entscheidungen im Schnittfeld der Zuständigkeitsbereiche mehrerer Sozialleistungsträger zuverlässig vermeiden. Solche Mechanismen sind in der VwGO nicht erkennbar und schon gar nicht rechtswegübergreifend angelegt.

3. Schließlich ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren weit weniger als das sozialgerichtliche Verfahren klägerfreundlich ausgestaltet und auf die Inanspruchnahme durch sozial schwache Personen zugeschnitten. So hat der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht die Möglichkeit, die Begutachtung durch einen Arzt seines Vertrauens zu verlangen, wie § 109 SGG es vorsieht. Die Überprüfung erstinstanzlicher Entscheidungen ist durch die Zulassungsberufung wesentlich erschwert. Der bei den Oberverwaltungsgerichten anders als bei den Landessozialgerichten eingeführte Anwaltszwang stellt ein weiteres Hemmnis für die Inanspruchnahme des Rechtschutzes dar. Hinzu kommt, dass § 67 Abs. 1 VwGO anders als § 73 Abs. 6 SGG die Vertretung der Prozessbeteiligten durch Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften oder von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung oder von Vereinigungen der Arbeitgeber nicht zulässt.

 

V. Kritikpunkte unabhängig von der Frage der Rechtswegzuweisung

1. Bei der Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit nach §§ 8, 45 SGB II enthält der Entwurf eine schwerwiegende Lücke. Er enthält keine der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 SGB III entsprechende oder ähnliche Regelung. Erbringt die Agentur für Arbeit in Übereinstimmung mit dem Sozialhilfeträger Leistungen wegen bestehender Erwerbsfähigkeit, so gibt es keinen zufrieden stellenden Konfliktlösungsmechanismus für den Fall, dass der Hilfebedürftige mit der Feststellung der Erwerbsfähigkeit nicht einverstanden ist, weil er z.B. eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hat. Die Beteiligung der Rentenversicherungsträger im Verfahren vor der Einigungsstelle (§ 45 SGB II) und auch die Leistungspflicht der Agentur für Arbeit nach § 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II reicht dazu nicht aus.

2. Unklar ist ferner, wer zur Anfechtung von Entscheidungen der Einigungsstelle nach § 45 SGB II berechtigt sein soll (auch die Agentur für Arbeit? - auch der Sozialhilfeträger oder der Rentenversicherungsträger?). Nicht geregelt ist auch, ob die Anfechtung einer solchen Entscheidung gegebenenfalls aufschiebende Wirkung hat (§ 39 SGB II Entwurf bezieht sich der amtlichen Begründung nach nur auf Entscheidungen der Bundesagentur).

3. Nicht nachvollziehbar ist, wieso im Zusammenhang mit § 8 SGB II keine dem § 125 SGB III entsprechende Regelung (mit der Möglichkeit, zur Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen bei gefährdeter Erwerbsfähigkeit aufzufordern) geschaffen worden ist. Ebenso wenig ist nachvollziehbar, warum die im Entwurf vorgesehenen Verschärfungen des § 125 SGB III nicht auf die von der Interessenlage her vergleichbare Situation des § 51 SGB V übertragen worden sind.

4. In prozessualer Hinsicht offenbaren sich ebenfalls noch erhebliche Lücken. Trotz der Rechtswegzuweisung an die Verwaltungsgerichte ist nach den bisherigen Vorgaben das Prinzip der Gerichtskostenfreiheit für die Sozialhilfe (§ 188 VwGO) nicht auf Leistungen nach dem SGB II übertragen worden. Auf die nach § 67 Abs. 1 VwGO im Vergleich zu § 73 Abs. 6 SGG stark eingeschränkte Vertretungsregelung wurde bereits hingewiesen.