Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG)
A. Tenor der Stellungnahme
Ungeachtet der gesellschaftspolitischen Frage, ob und in welchem Umfang der kontrollierte Umgang mit Cannabis unter Aspekten des Gesundheitsschutzes sinnvoll ist, hat der Deutsche Richterbund erhebliche Bedenken gegen den vorgelegten Referentenentwurf zum Cannabisgesetz (CanG).
Schon die dem Entwurf zugrunde liegende Einschätzung, mit ihm gehe eine ganz erhebliche Entlastung der Justiz einher, ist unzutreffend. Denn das Cannabisgesetz stellt auch weiterhin Handlungen wie das Handeltreiben mit Cannabis oder auch dessen unerlaubte Einfuhr unter Strafe und schafft darüber hinaus neue Straftatbestände, die mit erheblichem Ermittlungsaufwand im Einzelfall verbunden sein werden. Zudem liegt der Ermittlungs- und Verfolgungsschwerpunkt der Justizpraxis auch heute schon nicht im Bereich des Eigenbesitzes von Kleinstmengen Cannabis, sondern bei grenzüberschreitenden Ermittlungen im Bereich der Schwerkriminalität. Solche aufwändigen Ermittlungen und Strafverfahren wird es unverändert auch im Falle eines Inkrafttretens des Cannabisgesetzes geben, wobei dessen Regelungen die Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden erheblich einzuschränken drohen.
Dies wiegt umso schwerer, als damit zu rechnen ist, dass das Cannabisgesetz entgegen der gesetzgeberischen Zielsetzung zu einem Missbrauch von Anbauvereinigungen und zu einer ganz erheblichen Stärkung des Schwarzmarktes beitragen wird. Inwieweit hierdurch zu einer Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung beigetragen werden kann, ist mehr als fraglich. Festzustellen ist jedoch bereits jetzt, dass der Kinder- und Jugendschutz durch das Cannabisgesetz nicht verbessert, sondern geschwächt werden wird, weil der künftig herabgesetzte Strafrahmen für eine (gewerbsmäßige) Abgabe von Cannabis an Minderjährige oder Kinder für Dealer weniger abschreckend wirken wird. Zugleich ist zu erwarten, dass fehlende staatliche Sanktionen zu einem stark erhöhten Konsum von Cannabis durch Jugendliche führen werden.
Schließlich sei mit Blick auf das Beteiligungsverfahren darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit, innerhalb einer Frist von weniger als drei Wochen zu einem derart umfangreichen und grundlegenden Gesetzgebungsvorhaben Stellung zu nehmen, dessen umfassende Prüfung kaum erlaubt.
B. Bewertung im Einzelnen
I. Das Cannabisgesetz führt nicht zu einer nennenswerten Entlastung der Justiz. Die in dem Referentenentwurf benannten Verwaltungskosten sind wenig nachvollziehbar und kaum realistisch.
Dem Cannabisgesetz liegt die Erwartung zugrunde, es führe zu ganz erheblichen Einsparungen bei Gerichten sowie Strafverfolgungs- und -vollzugsbehörden in Höhe von über 1 Milliarde Euro (Seiten 2, 78 des Entwurfs). Diese Einschätzung trifft nicht zu.
1. Der Umgang mit Cannabis bleibt auch künftig weitgehend strafbar.
§ 36 CanG-E stellt auch künftig Handlungen wie z. B. das Handeltreiben mit oder auch die unerlaubte Einfuhr von Cannabis unter Strafe, die zur Rechtsdurchsetzung ermittelt und geahndet werden müssen. Hinzu kommen neue Straftatbestände, die regelmäßig mit erheblichem Ermittlungsaufwand verbunden sein werden (z. B. § 36 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 10b CanG-E). Einzelne Tatbestände des § 36 Abs. 1 CanG-E lassen zudem erhebliche Nachweisschwierigkeiten erwarten, die mit erheblichem zusätzlichen Ermittlungsaufwand einhergehen werden. Zum Beispiel wird nur schwer nachzuvollziehen sein, ob die von einer Person etwa bei einer Kontrolle mitgeführte Menge von 25 Gramm Cannabis und die von derselben Person bei weiteren Kontrollen mitgeführte Menge von 25 Gramm Cannabis identisch ist, oder ob sich diese Person – gegebenenfalls unter Verstoß gegen Vorschriften des Cannabisgesetzes – weitere Betäubungsmittel verschafft hat. Ebenso wird es bei Wohnungsdurchsuchungen künftig erhebliche Schwierigkeiten bereiten, aufgefundene Cannabispflanzen dem richtigen Anbauer und – bei Anbauverstößen – damit dem richtigen Beschuldigten zuzuordnen. Von einer Erleichterung der Ermittlungspraxis kann daher keine Rede sein. Vielmehr ist mit einem Mehraufwand auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden zu rechnen, sollte das Cannabisgesetz in Kraft treten.
2. Auch nach aktueller Rechtslage werden die Kapazitäten der Justiz nicht durch den Eigenbesitz von Kleinstmengen Cannabis, sondern durch grenzüberschreitende Ermittlungen im Bereich der Schwerkriminalität gebunden.
Ungeachtet der obigen Erwägungen bildet der Referentenentwurf die gegenwärtige Realität sowie die zu erwartenden praktischen Schwierigkeiten für die Strafverfolgungspraxis im Falle des Inkrafttretens des Cannabisgesetzes nicht ab. Die in dem Referentenentwurf angeführte Studie von Haucap (S. 78 f.) berücksichtigt nicht, dass der polizeiliche Ermittlungsaufwand in Fällen des Eigenbesitzes von Kleinstmengen Cannabis – bisher Anwendungsfälle des § 31a BtMG – gegenwärtig auf das absolute Minimum reduziert ist. Dementsprechend werden bei dem Wegfall dieser Fälle Kosten in nur äußerst geringem Umfang eingespart werden. Bei Minderjährigen wird die Polizei zudem auf Grund des verwaltungsrechtlichen Verbots und der Vollstreckung der Einziehung wohl weiterhin Ermittlungsverfahren einzuleiten haben. Die Anzahl von Fällen, die bisher nicht unter § 31a BtMG fielen, nach dem Cannabisgesetz aber gänzlich straffrei sein sollen (bis inklusive 25 Gramm Cannabis), ist nach der Erfahrung der Strafverfolgungspraxis äußerst gering.
Im Bereich der Justiz bilden sich die – bisher ganz überwiegend nach § 31a BtMG eingestellten – Fälle des Besitzes oder Erwerbs von Kleinstmengen Cannabis zum Eigenkonsum zwar zahlenmäßig deutlich im Bereich der Staatsanwaltschaft ab, sie werden jedoch standardmäßig in kürzester Zeit erledigt. Gerichte werden mit diesen Fällen kaum befasst. Ähnliches gilt für die – zahlenmäßig überschaubaren – Fälle, deren Gegenstand bis zu 25 Gramm Cannabis sind und die bisher nicht unter den Anwendungsbereich des § 31a BtMG fielen.
Gebunden und teilweise aufgezehrt werden die Kapazitäten der Strafjustiz vielmehr durch die großen, häufig grenzüberschreitenden Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der Schwerkriminalität. Denn diese Verfahren sind von umfangreichen und langwierigen Ermittlungstätigkeiten geprägt, insbesondere einer Vielzahl zu vollziehender Beschlüsse und Haftbefehle, von Gutachtenaufträgen und teilweise langwierigen grenzüberschreitenden Rechtshilfemaßnahmen. Solche umfangreichen Verfahren aber wird es unverändert auch im Falle des Inkrafttretens des Cannabisgesetzes geben.
3. Der Besitz von Cannabis bildet oftmals nur einen Ausschnitt der Ermittlungen.
Zudem haben heutige Ermittlungsverfahren nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) häufig nicht lediglich Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang mit dem Besitz von Cannabis zum Gegenstand. Vielmehr besitzen Beschuldigte oftmals unterschiedliche Betäubungsmittel – etwa die Kombination von Cannabis als beruhigendes Betäubungsmittel mit einem aufputschenden Betäubungsmittel wie Kokain. Allein die Straflosigkeit des Cannabisbesitzes würde solche Ermittlungen daher nicht nennenswert entlasten.
4. Es wird kaum Einsparungen im Bereich der Kriminaltechnik geben.
Soweit der Entwurf davon ausgeht, durch die Legalisierung des Besitzes und Erwerbs von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenverbrauch würden „aufwendige und unverhältnismäßige labortechnische Untersuchungen“ vermieden (S. 128), verkennt er die Realität. Denn Mengen von bis zu 25 Gramm Cannabis werden auch gegenwärtig regelmäßig keiner labortechnischen Untersuchung unterzogen, soweit nicht der Verdacht der Beifügung eines anderen Stoffes besteht. Durch die Neuregelungen des Cannabisgesetzes wird es daher erwartbar keinerlei Einsparungen im Bereich der Kriminaltechnik geben.
5. Der Aufwand der Tilgungsfähigkeit von Eintragungen im Bundeszentral- oder Erziehungsregister sowie die zu erwartende Zunahme von Verfahren außerhalb des Strafrechts wird die zu erwartende Entlastung übersteigen.
Einen ganz erheblichen Mehraufwand für die Staatsanwaltschaften werden dagegen die geplanten Vorschriften zur Tilgung der Eintragungen aus dem Bundeszentral- und Erziehungsregister (§§ 45 ff. CanG-E) verursachen. Der Referentenentwurf geht selbst von einer großen Anzahl entsprechender Anträge aus (S. 135), gelangt jedoch zugleich zu der praxisfernen Einschätzung, dass hierdurch kein erheblicher Mehraufwand auf die Staatsanwaltschaften zukommen werde (S. 136).
Im Gegenteil ist jedoch absehbar, dass der durch die Prüfung der Tilgungsfähigkeit einer Eintragung verursachte Mehraufwand die zu erwartende Entlastung durch den Wegfall der Verfahren des Eigenbesitzes bis inklusive 25 Gramm Cannabis bei Weitem übersteigen wird. Zudem blendet der Referentenentwurf den zu erwartenden Mehraufwand im Bereich der Rechtsmittelinstanz gegen eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft gänzlich aus. Insoweit soll der Rechtsweg des § 23 EGGVG zum Oberlandesgericht gegeben sein (S. 138). Es werden also zusätzliche Aufgaben bei den Generalstaatsanwaltschaften und den Oberlandesgerichten anfallen, die der Referentenentwurf an keiner Stelle berücksichtigt. Im Übrigen ist hier nicht nachvollziehbar, wie allein der erstrebte Zweck der Resozialisierung dazu führen kann, dass ohne zeitliche Begrenzung Eintragungen im Bundeszentral- und Erziehungsregister zu löschen sein sollen, die zur Tatzeit ja zweifellos strafbare Handlungen zum Gegenstand hatten. Es erscheint zudem lebensfremd, sich in den Fällen, in denen keine Akten mehr vorhanden sind, auf eine eidesstattliche Versicherung des Verurteilten zu verlassen (§ 46 Abs. 2 CanG-E, S. 137).
Bei der Berechnung einer etwaigen Kostenersparnis ist ferner die Gesamtjustiz in den Blick zu nehmen. Aufgrund der sehr kleinteiligen Vorgaben im Zusammenhang mit dem Betrieb von Anbauvereinigungen ist mit einer spürbaren Zunahme von verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu rechnen. Die Zunahme von bei den Zivilgerichten angesiedelten nachbarschaftlich- oder mietrechtlichen Streitigkeiten (vgl. § 10 Abs. 2 CanG-E) liegt ebenfalls auf der Hand.
6. Laufende Strafvollstreckungen bleiben ungeregelt.
Im Übrigen fehlen in dem Referentenentwurf Regelungen dazu, wie mit laufenden Vollstreckungen von Strafen umgegangen werden soll, die wegen einer zur Tatzeit strafbaren, aber nach Erlass des Cannabisgesetzes straffreien Tat verhängt worden sind. Praktisch bedeutsam können auch Fälle sein, in denen eine Verurteilung neben anderen Straftaten auch einen nach dem Cannabisgesetz künftig straffreien Betäubungsmittelverstoß umfasst. In diesem Zusammenhang bleiben zahlreiche Fragen offen: Sollen solche Verurteilungen unangetastet bleiben und vollstreckt werden? Sollen verhängte Gesamtstrafen durch eine Art gerichtliches Nachtragsverfahren aufgelöst werden? Sollen mithilfe nachträglicher Gnadenentscheidungen die neuen Wertungen des Cannabisgesetzes berücksichtigt werden?
In Ansehung all dessen ist die Einschätzung des Referentenentwurfs, wonach Einsparungen von mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr in Justiz und Polizei zu erwarten sind, überhaupt nicht nachvollziehbar. Etwaige, allenfalls minimale Entlastungen dürften überdies durch den ordnungsbehördlichen Arbeitsaufwand im Zusammenhang mit Genehmigung und Kontrolle von Anbauvereinigungen mehr als aufgezehrt werden.
II. Das Cannabisgesetz führt nicht zu einer Einschränkung des Schwarzmarktes; ganz im Gegenteil ist mit einer Zunahme des Schwarzmarkes zu rechnen
1. Die fehlende Sanktionsdrohung lässt eine zunehmende Nachfrage – gerade durch Jugendliche – auch auf dem Schwarzmarkt erwarten.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Regelungen des Cannabisgesetzes den Schwarzmarkt eindämmen. Vielmehr ist mit einer ganz erheblichen Zunahme des Schwarzmarktes zu rechnen.
Dem Cannabisgesetz zufolge wäre es nunmehr für jeden Bürger über 18 Jahren legal – und für jeden jüngeren sanktionslos –, 25 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum zu erwerben und zu besitzen. Dies gilt unabhängig von der Herkunft des Cannabis. Legal wäre auch der Erwerb auf dem Schwarzmarkt (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 CanG-E, S. 128). Der Anreiz, bis zu 25 Gramm Cannabis trotz legaler Beschaffungsmöglichkeit auf dem Schwarzmarkt zu beziehen, ist für Konsumenten enorm hoch. Denn ein Erwerb in einer Anbauvereinigung setzt eine Mitgliedschaft voraus und damit eine aktive Mitwirkung am Cannabis-Anbau (§ 17 Abs. 2 CanG-E). Beim Erwerb auf dem Schwarzmarkt hingegen vermeidet der Käufer eine Registrierung und muss keinerlei Mitwirkungsleistungen erbringen. Der Erwerb von Cannabis bleibt daher auch im Falle einer legalen Bezugsmöglichkeit „attraktiv“. Zusätzlich wird die Nachfrage durch Jugendliche auf Grund der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten stark ansteigen.
2. Zugleich beschränkt das Cannabisgesetz die Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden.
Zugleich schränkt das Cannabisgesetz die Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden in ganz erheblichem Umfang ein. Durch die Herausnahme von Cannabis aus dem BtMG sind die Vorschriften des BtMG bei Delikten, die mit Cannabis im Zusammenhang stehen, nicht mehr anwendbar. Da die Vorschriften der StPO dem Referentenentwurf zufolge nicht geändert oder ergänzt werden sollen, entfielen die Ermittlungsmöglichkeiten der §§ 100a, 100b, 100c, 100f, 100g, 100i StPO – die maßgeblichen Ermittlungsmaßnahmen im Bereich der Rauschgiftkriminalität – zur Aufklärung solcher Straftaten ersatzlos. Zufallsfunde – und damit beispielsweise auch Erkenntnisse aus entschlüsselter Krypto-Telefonie (Stichwort „Encrochat“) – wären nicht mehr verwertbar. Dies würde für alle Fälle im Zusammenhang mit Cannabis-Delikten gelten, egal wie groß die verfahrensgegenständliche Rauschgiftmenge ist. Diese Einschränkungen für die Ermittlungsbehörden sind nicht hinnehmbar. Nicht übersehbar sind zudem Auswirkungen auf laufende Ermittlungen und Strafverfahren.
Cannabishändler, die den – wachsenden – illegalen Markt bedienen, hätten keine ernsthaften polizeilichen Ermittlungen und damit auch keine Strafverfolgung mehr zu befürchten, was einen erheblichen Anreiz für entsprechende Täter darstellen würde, ihr kriminelles Handeln nach Deutschland zu verlegen. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass dies Kriminalitätsphänomene mit sich bringen wird, die üblicherweise im Zusammenhang mit der organisierten Rauschgiftkriminalität einhergehen (Konkurrenzkämpfe, Revierkämpfe, gewaltsame Auseinandersetzungen), wodurch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung ganz erheblich beeinträchtigt wird.
3. Deutschland würde sich aus dem Geflecht internationaler Rechtshilfebeziehungen zurückziehen.
Die angestrebte Gesetzesänderung würde ferner dazu führen, dass Rechtshilfeersuchen auswärtiger Strafverfolgungsbehörden zur Durchführung entsprechender, in Deutschland dann nicht mehr zulässiger Ermittlungsmaßnahmen nicht mehr nachgekommen werden kann. Insoweit bestehen Zweifel, ob Deutschland „als verlässlicher Partner bei der internationalen Zusammenarbeit weiterhin seinen internationalen Verpflichtungen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“ nachkommen wird (S. 74). Im Gegenteil müsste die Überwachung und Verfolgung der grenzüberschreitend und international agierenden Tätergruppierungen mit den genannten Ermittlungsmaßnahmen an der Staatsgrenze beendet werden.
4. Es droht ein Missbrauch von Anbauvereinigungen.
Davon abgesehen steht zu befürchten, dass die vorgesehenen Anbauvereinigungen durch Personen der organisierten Rauschgiftkriminalität zu ihren Zwecken missbraucht werden. Das Cannabisgesetz sieht insoweit in § 11 Absatz 4 Nr. 5 CanG-E vor, dass jedes Vorstandsmitglied sowie jede sonstige vertretungsberechtigte Person der Anbauvereinigung bei Antragstellung eine aktuelle Auskunft aus dem Führungsregister vorlegen muss. Sinn und Zweck dieser Regelung soll sein, dass die zuständige Behörde den Missbrauch des Vereins durch die organisierte Kriminalität erkennen kann (S. 95). Es ist jedoch fernliegend, dass Personen aus dem kriminellen Milieu selbst Vorstandsmitglied oder vertretungsberechtigte Person einer Anbauvereinigung sein werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass hier über „Strohleute“ agiert werden wird. Durch welche Maßnahmen dies verhindert werden soll, lässt der Referentenentwurf nicht erkennen.
III. Eine Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung dürfte mit dem Cannabisgesetz nicht erreicht werden.
Eines der erklärten Ziele des Cannabisgesetzes ist die Verbesserung des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung (S. 1, 69). Diesem Ziel wird der Referentenentwurf nicht gerecht.
1. Die Freigrenze des Cannabisgesetzes übersteigt den „nur gelegentlichen Konsum“ von Cannabis.
Zutreffend stellt der Referentenentwurf (S. 69) fest, dass der Konsum von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken, besonders psychischer Art, verbunden ist. Ein risikoreduzierter Umgang sei gekennzeichnet durch „nur gelegentlichen Konsum“ von „Produkten mit geringem THC-Gehalt“. Gleichwohl sollen durch das Cannabisgesetz der Besitz und Erwerb von 25 Gramm Cannabis zum Eigenverbrauch erlaubt sein. Diese Menge ist ein Vielfaches der täglich auch nur möglichen Konsummenge. Wenn lediglich der „gelegentliche Konsum“ ermöglicht werden soll, ist die Größenordnung der straffreien Menge nicht nachvollziehbar. Zusätzlich dürfen darüber hinaus gleichzeitig bis zu drei Cannabispflanzen angebaut werden (§ 9 CanG-E, S. 127 f.), wobei jede ausgewachsene Cannabispflanze bekanntlich mehr als 25 Gramm Ertrag erbringen kann.
Im Referentenentwurf heißt es ausdrücklich: „Anreize zur Ausweitung des Cannabiskonsums sollen nicht geschaffen werden“ (S. 70). Die Straffreiheit des legalen Erwerbs und Besitzes von 25 Gramm Marihuana – egal ob auf dem legalen oder dem illegalen Markt erworben, beides soll nunmehr straflos gestellt sein – nebst weiterer selbst angebauter Cannabispflanzen stellt aber zweifellos einen neuen zusätzlichen Anreiz zum Cannabiskonsum dar. Personen, die sich bisher vom Erwerb und damit vom Konsum durch die Strafbarkeit ihres Handelns und die Furcht vor Strafverfolgung haben abschrecken lassen, werden die Gelegenheit des Cannabiskonsums nunmehr nutzen. Durch die Legalisierung einer derart erheblichen Menge an Cannabis und das damit ausgesendete rechtspolitische Signal wird die Hemmschwelle zum Konsum namentlich bei Jugendlichen beträchtlich sinken.
2. Eine Mitgliedschaft in mehreren Anbauvereinigungen kann nicht ausgeschlossen werden.
Ein weiterer durch den Referentenentwurf geschaffener Anreiz für erhöhten Cannabis-Konsum ist die einfache Möglichkeit für Mitglieder von Anbauvereinigungen, durch einfache falsche Angabe in mehreren Vereinigungen Mitglied zu werden und sich so ein Vielfaches der im Gesetz vorgesehenen Maximalmengen von täglich 25 Gramm bzw. monatlich 50 Gramm (§ 19 Abs. 3 CanG-E) zu verschaffen. Man darf zwar nicht in mehreren Anbauvereinigungen Mitglied sein (§ 16 Abs. 2 S. 2 CanG-E), eine dahingehende falsche Angabe birgt allerdings für das Mitglied keinerlei Risiko. Sie ist weder straf- noch bußgeldbewehrt. Auch die Vereinigung selbst kann insoweit keine Kontrolle durchführen. Sie kann lediglich eine „Selbstauskunft“ verlangen (S. 106). Dass insoweit stets wahrheitsgemäße Angaben der Mitglieder erfolgen werden, ist nicht zu erwarten.
3. Der Wirkstoffgehalt von Cannabis wird steigen.
Hinsichtlich der Gefährlichkeit des nach einem etwaigen Inkrafttreten des Cannabisgesetzes in den Verkehr gelangten Cannabis-Materials ist zu berücksichtigen, dass von Anbauvereinigungen erlangtes Cannabis zwar wahrscheinlicher freier von Verunreinigungen sein wird als illegal erworbenes. Es wird jedoch hochwahrscheinlich einen höheren THC-Gehalt aufweisen als illegal erworbenes Cannabis und aus diesem Grund gefährlicher sein. Die Entwurfsbegründung geht selbst davon aus, dass Produkte mit geringerem THC-Gehalt weniger gefährlich sind (S. 69). Im professionalisierten legalen Anbau von Cannabis können in der Regel höhere THC-Gehalte erreicht werden als auf dem Schwarzmarkt. Medizinisches Cannabis hat regelmäßig einen Wirkstoffgehalt von mehr als 20 %. Diese Werte werden bei Schwarzmarkt-Marihuana selten erreicht; es sei denn bei Importen aus Staaten, in denen der Anbau legal ist und damit professionell betrieben wird. Der THC-Gehalt von legal verbreiteten Cannabis-Produkten wird im Cannabisgesetz nicht beschränkt.
4. Konsumverbote sind unzureichend geregelt.
Ferner würde dem Cannabisgesetz zufolge der Konsum von Cannabis nahezu an allen Orten erlaubt sein. Verbote sind insoweit nur zum Zwecke des Jugendschutzes in § 5 Abs. 2 Nr. 1 und 2 CanG-E in örtlicher Nähe zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Sportstätten und Kinderspielplätzen sowie in Fußgängerzonen zu den üblichen Geschäftszeiten vorgesehen. Weitere Einschränkungen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sollen nicht bestehen. Damit ist der Konsum von Cannabis überall dort erlaubt, wo das Hausrecht dies nicht verbietet, und damit etwa in Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr, in unmittelbarer Umgebung von Entzugseinrichtungen, Krankenhäusern, Bahnhöfen, staatlichen Einrichtungen (mit Ausnahmen von Schulen) etc. Dies ist bezogen auf die betroffene Personenanzahl und die Vulnerabilität betroffener Gruppen kaum hinnehmbar.
Nicht nur vor diesem Hintergrund gibt der Referentenentwurf lediglich vor, dass „nichtkonsumierende Bürgerinnen und Bürger vor den direkten und indirekten Folgen des Cannabiskonsums geschützt werden“ (S. 70), beschränkt sich jedoch auf einen Appell an den Konsumierenden, keine unzumutbaren Belästigungen und Störungen für die Nachbarschaft zu verursachen (in § 10 Abs. 2 CanG-E). Durchsetzbar soll dies nach dem Referentenentwurf lediglich über den Zivilrechtsweg sein (S. 92). Diese Regelung dürfte für den Nichtkonsumierenden vollkommen unzureichend sein.
IV. Der Kinder- und Jugendschutz wird durch das Cannabisgesetz nicht verbessert.
Der Referentenentwurf zielt darauf ab, den Kinder- und Jugendschutz zu stärken (S. 1, 69). Diesem Anspruch wird der Entwurf indes nicht gerecht.
1. Strafrahmen – auch für die (gewerbsmäßige) Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige – werden herabgesetzt.
Das Strafmaß für die bisher im Betäubungsmittelgesetz geregelten und nunmehr in den § 36 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 4 Nr. 1 und 2 CanG-E angesiedelten Vorschriften ist in Bezug auf Minderjährige deutlich geringer als dies gegenwärtig im BtMG der Fall ist. Bei der neuen – bisher in § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG geregelten – Abgabe von Cannabis an Minderjährige oder Kinder handelt es sich künftig nicht einmal mehr um einen Verbrechenstatbestand. Gründe für diese Herabsetzung nennt der Referentenentwurf nicht. Darüber hinaus ist nach dem Wortlaut des § 36 Abs. 3 Nr. 3 CanG-E Voraussetzung für die Strafbarkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige der Besitz von mehr als 25 Gramm Cannabis (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 CanG-E). Daraus folgt, dass eine Person, die bis zu 25 Gramm Cannabis mit sich führt und dieses oder einen Teil davon an einen Minderjährigen abgibt, nur nach dem Grundtatbestand des § 36 Abs. 1 Nr. 6 CanG-E mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bestraft werden könnte. Da die gewerbsmäßige Begehung (§ 36 Abs. 4 Nr. 1 CanG-E) auf dem Grundtatbestand des § 36 Abs. 3 Nr. 3 CanG-E aufbaut, kann diese bei einem gleichzeitigen Eigenbesitz von nicht mehr als 25 Gramm Cannabis auch nicht erfüllt sein. Die (gewerbsmäßige) Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige wird damit deutlich geringer bestraft als bisher. Der Kinder- und Jugendschutz wird auf diese Weise offenkundig nicht gestärkt.
2. Ein straffreies Verbot des Konsums und Besitzes von Cannabis für Kinder und Jugendliche bleibt wirkungslos.
Darüber hinaus soll Kindern und Jugendlichen der Konsum und der Besitz von Cannabis zwar verboten sein (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 CanG-E), der Konsum und der Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis würde für Jugendliche jedoch nicht sanktioniert. Vielmehr „soll“ gemäß § 7 CanG-E „das Jugendamt oder eine andere zuständige Behörde“ den Kindern/Jugendlichen über die Erziehungsberechtigten „die Teilnahme an geeigneten Frühinterventionsprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen anbieten“. Weitere Reaktionen oder gar Sanktionen von staatlicher Seite sind nicht vorgesehen. Die Kinder und Jugendlichen sollen „zu mehr Selbstverantwortung hingeführt und auf eine Verhaltensänderung hingewirkt“ werden (S. 89 „Zu § 7“; siehe auch S. 127 des Entwurfs: „Das CanG verfolgt im Sinne des Jugendschutzes die Intention, dass der Umgang mit Cannabis für Minderjährige verwaltungsrechtlich verboten bleibt.“). Die Wirksamkeit solcher Appelle an die Selbstverantwortung ist zweifelhaft. Wenn Jugendliche für ihr Verhalten keinerlei Sanktion zu befürchten haben, ist auch ein sehr stark erhöhter Konsum zu befürchten.
Indem der Referentenentwurf die Verantwortung für die Abwendung der durch das neue Gesetz geschaffenen Gefahren auf die Erziehungsberechtigten abwälzt und insoweit mit „Maßnahmen nach § 1666 BGB“ und der „Entziehung der elterlichen Sorge“ droht (S. 90), schätzt er die geltende Rechtslage nicht adäquat ein. Die angedrohten familienrechtlichen Maßnahmen unterliegen sehr hohen Hürden. Allein die – ggf. auch wiederholte – Nicht-Teilnahme eines Minderjährigen an vermittelten Frühinterventionsmaßnahmen wird für eine entsprechende familiengerichtliche Anordnung sicherlich nicht ausreichen.
Auch die Ausführungen zu den in § 10 Abs. 1 CanG-E geforderten Schutzmaßnahmen für selbst angebaute Cannabispflanzen vor dem Zugriff von Kindern und Jugendlichen verdeutlicht, dass der Entwurf nicht von realistischen Gefahren ausgeht. Die Entwurfsbegründung führt aus (S. 75), Bürgerinnen und Bürger hätten bei privatem Eigenanbau von Konsumcannabis beispielsweise ein „Tür- oder Schrankschloss“ anzubringen. Die Annahme, dass solche Maßnahmen gegen den Zugriff Unbefugter ausreichend sind, ist wenig realitätsnah. Solche Maßnahmen sind erkennbar nicht ausreichend und auch mit wenig krimineller Energie sehr leicht zu überwinden.
Für Heranwachsende werden noch größere Konsumanreize geschaffen als für Jugendliche, obwohl der Referentenentwurf selbst feststellt, dass erhebliche Gesundheitsschäden zu erwarten sind, wenn die Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist (S. 69), was frühestens im Alter von 25 Jahren der Fall ist. Trotzdem wird Heranwachsenden der Anbau und Erwerb von Marihuana – zum Teil in geringerem Maße und mit einem reduzierten Wirkstoffgehalt – ermöglicht (§§ 9, 19 Abs. 3 CanG-E), wodurch zusätzliche Konsumanreize geschaffen werden. Soweit der Referentenentwurf davon ausgeht, dass diese Beschränkungen und die beim legalen Erwerb erhaltenen Hinweise (§ 21 Abs. 3 CanG-E) „ein deutliches Signal an konsumierende Heranwachsende“ dafür sind, „dass ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis für sie besonders wichtig ist“ (S. 110), und damit eine Gefahr für Heranwachsende ausgeräumt ist, ist diese Annahme wenig lebensnah. Nicht umsonst kennt das Jugendgerichtsgesetz das Prinzip der Eigenverantwortung nicht, weder für Jugendliche noch für Heranwachsende. Weswegen dies nun insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit Suchtstoffen, die ein erhebliches Abhängigkeitspotential beinhalten, eingeführt werden soll, erschließt sich nicht. Eigenverantwortlicher Umgang ist im Gegenteil beim Umgang mit Suchtstoffen in besonders eingeschränktem Maß zu erwarten.
Im Übrigen führt der Entwurf keine steigenden Kosten für Kommunen und Länder im Bereich der Jugendämter für die Wahrnehmung der zusätzlichen Aufgaben des § 7 CanG-E an (S. 74 f.) bzw. äußert dazu, die Kosten seien noch nicht zu beziffern (S. 79). Der Referentenentwurf verkennt insoweit, dass sehr wohl bereits klar absehbar steigende Kosten anfallen werden, allein für die in § 7 CanG-E aufgeführten Frühinterventionsmaßnahmen, die bisher nicht von den Jugendämtern, sondern – wenn überhaupt – von der Polizei wahrgenommen wurden.