In dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung
2 BvL 3/23
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Amtsgericht Buchen vom 1. Februar 2023 - 1 Ls 1 Js 6298/21 -
bedankt sich der Deutsche Richterbund für die Beteiligung und nimmt gemäß § 27a BVerfGG wie folgt Stellung:
Der Deutsche Richterbund hat erhebliche Zweifel, ob sich die rechtliche Ausgestaltung des Besitzes (§ 184b Abs. 1 StGB), aber auch der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte als Verbrechen (§ 184b Abs. 3 StGB), welche ungeachtet zusätzlicher Kriterien wie etwa der Anzahl der Dateien, der Art der abgebildeten Inhalte, dem Anlass oder der Form der Verbreitung erfolgte, noch in den Grenzen des Übermaßverbots bewegt.
Der in dem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Buchen festgestellte Sachverhalt steht exemplarisch für eine Vielzahl von in der Praxis vorkommenden Fällen, in denen es nicht mehr möglich erscheint, dem verfassungsrechtlichen Grundsatz schuldangemessenen Strafens angemessen Rechnung zu tragen und tat- und schuldangemessen zu bestrafen.
Eine in diesem Zusammenhang relevante Fallgruppe betrifft Personen, die aus vollkommen legitimen Gründen kinderpornographische Inhalte als Beweismittel sichern, wie an den zwei folgenden Beispielen illustriert werden soll.
Ein Betroffener entdeckt auf einem Datenträger seiner Eltern Videoaufnahmen, die einen schweren sexuellen Missbrauch seiner eigenen Schwester zum Gegenstand haben. Der Betroffene speichert diese Inhalte auf einem externen Datenträger, um sie für eine etwaige spätere Anzeigeerstattung – die aufgrund des Näheverhältnisses zu den eigenen Eltern und des bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts zunächst noch überdacht werden soll – zu sichern.
Das zweite Beispiel betrifft eine nunmehr erwachsene Person, die als Kind Opfer sexuellen Missbrauchs wurde und bei der Anzeigeerstattung Chatverläufe vorlegt, welche kinderpornographische Inhalte zum Gegenstand haben. Mittels dieser Missbrauchsabbildungen hatte der Täter das kindliche Opfer zuvor zur Vornahme sexueller Handlungen animiert und zur Nachahmung aufgefordert. Das Opfer hatte diese Inhalte nie gelöscht.
Eine weitere relevante Fallgruppe betrifft Personen, die lediglich zur Aufklärung beitragen und potentielle Betroffene warnen wollen.
Dazu gehört beispielsweise der Fall, in dem Erziehungsberechtigte auf dem Mobiltelefon ihres Kindes ein mit einem anderen Kind gemeinsam selbst hergestelltes Video mit Nacktaufnahmen bemerken und dieses an die Eltern des anderen Kindes weiterleiten, um diese auf den Sachverhalt aufmerksam zu machen. In anderen Konstellationen sind es Lehrer, die Screenshots kinderpornographischer Inhalte in einem Klassenchat an die Eltern der Klasse schicken, um diese vor den Aktivitäten der Kinder zu warnen. Hier kommt besonders erschwerend die zwingende Entlassung aus dem Beamtenverhältnis hinzu.
Weiterhin gehören in diese Kategorie Fälle, in denen ein Social Media-Account von unbekannten Dritten übernommen und darüber kinderpornographisches Material geteilt wird, woraufhin ein Verwandter des Account-Inhabers dies bemerkt, auf seinem Smartphone einen Screenshot fertigt und diesen an den Account-Inhaber schickt, um ihn auf die missbräuchliche Verwendung seines Accounts hinzuweisen.
Nicht zuletzt sind in der Praxis Fälle anzutreffen, in denen politische Aktivisten lediglich auf Missstände hinsichtlich des Schutzes der sexuellen Integrität von Kindern im Ausland hinweisen wollen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang der Fall eines Bürgerrechtlers, der von Deutschland aus für Reformen in seinem Herkunftsland kämpft und das Video einer dortigen Nachrichtensendung auf seinem Account bei einer Social Media-Plattform veröffentlichte, um zu dokumentieren, wie schwerwiegend das Problem der Kinderpornographie dort ist. Dieses Video hatte allerdings auch kinderpornographische Aufnahmen zum Gegenstand.
Die Liste solcher Fälle ist naturgemäß unvollständig und ließe sich beliebig fortsetzen. Sie veranschaulicht gleichwohl, dass eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe dem Unrechtsgehalt der jeweiligen Tat nicht mehr gerecht werden dürfte.
Die derzeit geltende Fassung des § 184b Abs. 1, Abs. 3 StGB führt überdies zu erheblichen Problemen in der Praxis der Strafverfolgung sowie zu einer im Vergleich zu der vor dem 01.07.2021 geltenden Rechtslage massiven Mehrbelastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten, die mit der gegenwärtigen Personalausstattung nicht ansatzweise zu bewältigen ist.
Einstellungen aus Gründen der Opportunität (§§ 153, 153a StPO) sind nicht mehr möglich. Erledigungen im Strafbefehlsverfahren sind ausgeschlossen. Liegt ein hinreichender Tatverdacht vor, sind Anklagen in jedem Falle mindestens zum Schöffengericht zu erheben. Der damit verbundene Aufwand sowie der Aufwand für die Durchführung der Hauptverhandlungen hat massiv zugenommen.
Massenverfahren gegen Teilnehmer von WhatsApp-Gruppen, bei denen diese Teilnehmer unerwünscht und ohne vorherige Ankündigung durch einen anderen Teilnehmer kinderpornographische Inhalte übersandt bekommen, bringen einen enormen Ermittlungsaufwand auf Seiten der Staatsanwaltschaften wie auch der Polizei mit sich. Um die enormen Fallzahlen und umfangreichen Massenverfahren bewältigen zu können, sind die Staatsanwaltschaften aber darauf angewiesen, bereits im Ermittlungsverfahren schwerwiegende Fälle von weniger schwerwiegenden Fällen zu unterscheiden.
Im Einzelfall kann es dabei geboten sein, Verfahren nach Erfüllung geeigneter Auflagen (Sexualtherapie, Geldauflagen zugunsten von Opferschutzeinrichtungen etc.) einzustellen oder im Strafbefehlswege zu verfahren. Der Wegfall dieser Optionen lässt sich mangels eines deutlich spürbaren Stellenzuwachses nicht einmal näherungsweise ausgleichen. Auch die Amtsgerichte sind überlastet.
Darüber hinaus zeigt die Praxis, dass die Kooperationsbereitschaft seitens der Tatverdächtigen sowie der Verteidigung reduziert ist, da nach der Neufassung des § 184b StGB durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder mit Wirkung vom 01.07.2021 nicht lediglich ein Vergehen, sondern nunmehr ein Verbrechen Gegenstand des Tatvorwurfs ist. Auch dadurch wird die Strafverfolgung in der Praxis erheblich erschwert und die Verfahren dauern länger; etwa, weil Tatverdächtige nicht mehr dazu bereit sind, Passwörter für sichergestellte Datenträger zur Verfügung zu stellen und dadurch die Auswertung verzögert wird.
Die derzeit geltende Fassung des § 184b StGB hat ferner zur Folge, dass zwischen der Strafandrohung für die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornographischer Inhalte (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf bzw. bis zu zehn Jahren) sowie derjenigen für die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz jugendpornographischer Inhalte (Freiheitsstrafe bis zu zwei bzw. bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) eine immense Differenz besteht.
Die Abgrenzung zwischen Kinder- und Jugendpornographie ist in der Praxis jedoch äußerst schwierig. Da die Strafandrohung, insbesondere im Mindestmaß, derart stark auseinanderklafft, wird in der Praxis regelmäßig intensiv um die rechtliche Qualifizierung inkriminierter Inhalte gerungen. Die Folge sind Altersbegutachtungen, was wiederum zu Verfahrensverzögerungen und zu einer Steigerung der Verfahrenskosten führt.
Ungeachtet der beschriebenen Schwierigkeiten bei der Anwendung von § 184b Abs. 1, Abs. 3 StGB weist die bestehende Gesetzeslage Wertungswidersprüche auf.
Die Bandbreite kinderpornographischer Inhalte ist groß. Sie reicht von heimlich hergestellten Bildern der Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes von Kindern sowie dem Posieren sogar bekleideter Kinder bis hin zu Darstellungen schwerster sexualisierter Gewalt gegen Kinder.
§ 184b StGB sieht in seiner derzeit geltenden Fassung für die massenhafte Zurverfügungstellung von Bildern (also Verbreitung) kinderpornographischer Inhalte an eine unbeschränkte Personenanzahl (ggf. einer Abbildung des schweren sexuellen Missbrauchs an einem Kleinkind) trotz evident divergierenden Unrechts indes dieselbe Mindeststrafandrohung wie für den Besitz eines einzelnen Bildes, auf dem ein Kind (von zum Beispiel 13 Jahren) beispielsweise „lediglich“ in unnatürlich geschlechtsbezogener Körperhaltung posiert, vor.
Auch ein nicht rechtzeitiges Löschen eines für den Empfänger ungewollt übersandten kinderpornographischen Bildes (etwa in einer WhatsApp-Gruppe) lässt sich nicht mit der gezielten Suche und dem bewussten Download kinderpornographischer Bilder im Internet vergleichen.
Wertungswidersprüche werden auch deutlich, wenn man das Verhaltens- und Erfolgsunrecht mit anderen Tatbeständen des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuches sowie ganz grundsätzlich mit Verbrechenstatbeständen vergleicht.
Die undifferenzierte Einstufung von Tathandlungen nach § 184b StGB als Verbrechen hat zur Folge, dass für den Besitz eines einzelnen kinderpornographischen Bildes, welches das Posieren eines bekleideten Kindes zum Gegenstand hat, dieselbe Mindeststrafe gilt wie im Falle des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Körperkontakt (§ 176 StGB). Die Mindeststrafen für sexuellen Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind (§ 176a Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von sechs Monaten) und für die Vorbereitung des sexuellen Missbrauch von Kindern (§ 176b Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von drei Monaten) liegen im Grundtatbestand deutlich unter der Mindeststrafandrohung für den Besitz eines einzelnen kinderpornographischen Bildes, obwohl die Täter bei diesen zum Vergleich herangezogenen Straftatbeständen mit den Betroffenen bereits in Interaktion getreten und die Tatfolgen regelmäßig deutlich schwerwiegender sind. Auch im Hinblick auf Straftatbestände wie etwa die gefährliche Körperverletzung (Mindeststrafe: sechs Monate Freiheitsstrafe), die Misshandlung von Schutzbefohlenen (ebenfalls Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe) werden Wertungswidersprüche deutlich.
Aus Sicht des Deutschen Richterbundes wäre es – ungeachtet der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvL 3/23 – aus den vorbezeichneten Gründen wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB wieder zu einem Vergehen herabstufen und die Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 StGB unter Berücksichtigung der breiten Palette möglichen Handlungsunrechts auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe festlegen würde.