#15/2023

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Bundesbesoldung und -versorgung für 2023/2024 und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (BBVAnpÄndG 2023/2024)

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der Deutsche Richterbund begrüßt, dass die Bundesregierung die – verfassungsrechtlich grundsätzlich als Mindestmaß der Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung erforderliche – Übernahme des Tarifabschlusses für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen auf die Beamten, Richter, Soldaten und Versorgungsempfänger des Bundes zeitnah einleitet.

Sachgerecht wäre es, auf Sockelbetragserhöhungen zu verzichten und stattdessen alle Grundgehälter mindestens um 11,3 % anzuheben. Das ist umso wichtiger, als der Bruttoverdienst von Richtern und Staatsanwälten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen strukturell zu niedrig ist, was auch die Europäische Kommission in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht kritisiert hat.

Die Höhe der Besoldungsanpassung sowie ihre Ausgestaltung sind zudem unzureichend, weil die Einkommen der Richter und Staatsanwälte dadurch real sinken. Nominal steigt ihr Verdienst weniger stark als diejenigen des Durchschnitts der Gesamtbevölkerung und der Juristen außerhalb des öffentlichen Dienstes. Zudem verstößt die Besoldungserhöhung aufgrund der Sockelbeträge gegen das besoldungsrechtliche Leistungsprinzip. Das lässt sich nur durch eine signifikante und lineare Anhebung der Grundgehälter insgesamt vermeiden.
 

B. Bewertung im Einzelnen

 

I.    Mit der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens kommt die Bundesregierung einer verfassungsrechtlichen Pflicht nach. Der Besoldungsgesetzgeber ist grundsätzlich zur Anpassung der Beamtenbesoldung an die Entgeltentwicklung im öffentlichen Dienst verpflichtet, denn verfassungsrechtlich darf er die Tarifergebnisse bei der Festsetzung der Beamtenbesoldung nicht in einer über die Unterschiedlichkeit der Entlohnungssysteme hinausgehenden Weise außer Betracht lassen (BVerfGE 155, 1 <Rn. 35>).


II.    Mit dem Tarifabschluss bleibt die Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst allerdings mittelfristig für einige Bedienstetengruppen hinter der Inflation zurück. Während die Verbraucherpreise zwischen 2020 und 2024 nach derzeitiger Schätzung um mehr als 16 % steigen werden, wird der Verdienst der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Bundes im selben Zeitraum nur um etwa 11 % steigen. Die Verdienstentwicklung bleibt sowohl hinter derjenigen der Gesamtbevölkerung zurück als auch hinter der der Juristen in der Privatwirtschaft und der Rechtsanwaltschaft, die nach den Erkenntnissen der neuesten Kienbaum-Studie  von 2017 bis 2022, also noch vor dem erheblichen Anstieg der Inflation, um 12 % bis 17 % gestiegen sind, die Richterbesoldung in diesem Zeitraum dagegen nur um etwa 10 %. 

Die Abkoppelung der Richtereinkommen von der Einkommensentwicklung der Gesamtbevölkerung und der Juristen außerhalb des öffentlichen Dienstes schreitet so weiter voran und hat inzwischen ein bedenkliches Ausmaß erreicht. Im Jahr 2021 betrug das R 1-Grundgehalt nach dem Bundesbesoldungsgesetz  im gewichteten Durchschnitt über eine Lebensarbeitszeit von 37 Jahren 6.415 € und im Jahr 2022 6.520 €. Bei Verabschiedung dieses Gesetzes wird es durch die Sonderzahlung im Jahr 2023 auf 6.763 € steigen und im Jahr 2024 auf 7.088 €. 

Nach der o. g. Kienbaum-Studie beträgt hierzu im Vergleich der Einkommensmedian 2023 von juristischen Fachkräften ohne Führungsverantwortung in der Privatwirtschaft 8.170 € und von angestellten Rechtsanwälten größerer Kanzleien, sog. Associate-Anwälte, 11.850 €. Beim Vergleich der Verdienste von Richtern mit Unternehmensjuristen und Rechtsanwälten öffnet sich die Schere mit Blick auf die im Laufe des Berufslebens zu erreichenden Beförderungspositionen weiter. So erhält ein Bundesrichter etwa das 1,6-fache Verdienst eines R 1-Richters, ein Unternehmensjurist der ersten Führungsebene etwa das 2,5-fache und der Seniorpartner einer Kanzlei etwa das Fünffache – mehr als das Dreifache eines Bundesrichters.

Im Vergleich mit anderen Ländern ist der Verdienst von Richtern und Staatsanwälten in Deutschland im Verhältnis zum jeweiligen Durchschnittsverdienst der Gesamtbevölkerung der geringste in der gesamten Europäischen Union. In den meisten Ländern ist sogar der Verdienst von Berufsanfängern höher als in Deutschland der Verdienst von Bundesrichtern.

Dieses Niveau wird ihrer Verantwortung und der Rolle und Bedeutung der richterlichen und staatsanwaltlichen Tätigkeit für das Funktionieren des Gemeinwesens nicht gerecht. Dies hat auch die EU-Kommission im Rechtsstaatlichkeitsbericht kritisiert und die Bundesrepublik zur Abhilfe aufgefordert .

Es bedarf daher einer signifikanten Erhöhung der Grundgehälter der Besoldungsordnung R.


III.    Die von dem Gesetzentwurf vorgesehene „streng inhaltsgleiche“ Übertragung begegnet daneben erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Übernahme des Tarifabschlusses muss die strukturellen Unterschiede zwischen den Regelungsbereichen des Tarifvertragsrechts und des Besoldungsrechts beachten. Tarifvertragliche Vereinbarungen können ein Abrücken von den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Strukturprinzipien der Beamten- und Richterbesoldung nicht rechtfertigen (BVerfGE 145, 304 <Rn. 110>). Gerade dies sieht der Entwurf aber vor, weil er mit den vorgesehenen Sockelbeträgen erhebliche Komponenten enthält, die nicht dem Leistungsprinzip (vgl. BVerfGE 155, 1 <Rn. 43>) entsprechen und zu einem Abschmelzen der relativen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen führen, was außerhalb der zulässigen gesetzgeberischen Neubewertung und Neustrukturierung unzulässig ist (vgl. BVerfGE 145, 304 <Rn. 78>). Der Entwurf versucht das mit den Besonderheiten der aktuellen Inflation zu legitimieren. Das überzeugt jedoch nicht. Die Verbraucherpreise erhöhen sich für alle Einkommensgruppen gleichermaßen. Die Begründung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine strukturelle Veränderung im Besoldungsgefüge handelt. Dies bedarf aber einer dokumentierten Neueinschätzung der Wertigkeit der Ämter in ihrem Verhältnis zueinander (vgl. BVerfGE 145, 304 <Rn. 79>), die die Entwurfsbegründung nicht erwähnt und die auch sonst nicht erkennbar ist.

Tatsächlich ist dieses neuerliche Abschmelzen der relativen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen im Langzeitvergleich deutlich erkennbar und vor allem in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erheblich gewesen. Während bei Einführung des Bundesbesoldungsgesetzes 1979 das Grundgehalt eines Beamten in der ersten Dienstalters- oder Erfahrungsstufe des Eingangsamts der Laufbahn des einfachen Dienstes etwa 30 % des Grundgehalts eines Richters in der ersten Dienstalters- oder Erfahrungsstufe des Eingangsamts betrug, waren es 2020 schon 51,6 %. Mit diesem Gesetz wird der Wert weiter auf 53,6 % steigen. Selbst im höheren Dienst ist dieses Abschmelzen noch zu erkennen, denn das Grundgehalt in der Eingangsstufe von A 13 betrug 1979 noch weniger als 80 % des Grundgehalts der Eingangsstufe von R 1; 2020 waren es 100 %.
 
Dieser Trend ist auch bei den Grundgehältern am Ende der jeweiligen Laufbahnen zu erkennen, allerdings weniger stark ausgeprägt. So betrug das Endgrundgehalt des einfachen Dienstes (A6) 1979 32 % des Endgrundgehalts von R 1. 2020 waren es 41 %; mit diesem Gesetz werden es 42,5 % sein. Im gehobenen Dienst (A 13) wuchs das Endgrundgehalt zwischen 1979 und 2020 von 74 % auf 79 % des Endgrundgehalts von R 1. Lediglich das Verhältnis der Endgrundgehälter des höheren Dienstes (A 15) und von R 1 ist fast unverändert geblieben.

Das ist umso bedenklicher, weil bereits im Zuge der Änderung des Besoldungsrechts zur Einhaltung des Mindestabstandsgebots zwischen Besoldung und Grundsicherung die Abstände der Besoldungsgruppen durch das Bundesbesoldungs- und -ver¬sor¬gungs-angemessenheitsgesetzes (BBVAngG)  bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen (vgl. BVerfGE 155, 1 <Rn. 45>) abgeschmolzen werden sollen. Im Zuge der Tarifübernahme wird diese Grenze – entgegen der Entwurfsbegründung – nun wahrscheinlich überschritten.
Daher spricht sich der Deutsche Richterbund für eine volumengleiche Tarifübernahme aus: Bei der Erhöhung der Grundgehälter ist ausschließlich eine lineare Erhöhung der Grundgehälter um mindestens 11,3 % vorzusehen statt einer Verbindung aus Sockelbetrag und linearer Erhöhung.

Dieses Vorgehen würde der Handhabung bei den Familien- und Amtszuschlägen entsprechen, ist allein mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Besoldung unzweifelhaft vereinbar und würde ein weiteres Abhängen der Richter und Staatsanwälte von der Einkommensentwicklung der Gesamtbevölkerung und der Juristen in der Privatwirtschaft vermeiden. 

IV.    Der Deutsche Richterbund begrüßt, dass auch die Versorgungsempfänger eine Inflationsausgleichszahlung erhalten sollen. Der Gesetzentwurf vermeidet damit eine Wiederholung jener Ungerechtigkeiten, die bei der Corona-Sonderzahlung aufgetreten sind. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, dass diese nur nach Maßgabe des jeweiligen Ruhegehaltssatzes gezahlt wird. Da die Höhe der Ausgleichszahlung für die aktiven Beamten, Richter und Soldaten einheitlich und damit unabhängig von der jeweiligen Besoldungshöhe erfolgt, weil dem die Erwägung zugrunde liegt, dass von der Preiserhöhung vor allem für Nahrungsmittel, Energie und ähnliche grundlegende Bedürfnisse alle gleichermaßen betroffen sind, erscheint es nicht systemgerecht, diesen Nachteil bei Versorgungsempfängern nur nach Maßgabe des Ruhegehaltssatzes auszugleichen.