# 12/02

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Unterhaltsrecht

hier: Prüfung der praktischen Auswirkungen der Änderung der unterhaltsrechtlichen Kindergeldanrechnung (§ 1612 b Abs. 5 BGB) zum Schreiben des BMJ vom 16.08.2002; Gz.: I A 3 - 3473/6 - 2 - 3 -

Dezember 2002

Die Änderung der unterhaltsrechtlichen Kindergeldanrechnung (§ 1612 b Abs. 5 BGB) hat die Rechtsprechung hauptsächlich unter zwei Aspekten thematisiert, nämlich Mindestunterhaltsbedarf für minderjährige Kinder und dynamisierte Tenorierung der Kindergeldanrechnung.

 

1. Mindestunterhaltsbedarf von minderjährigen unverheirateten Kindern

Die Regelung des § 1612 b Abs. 5 BGB, wonach Kindergeld auf den Unterhaltsanspruch nur noch insoweit voll anzurechnen ist, als der Kindesunterhalt den Betrag von 135 % des Regelbetrages erreicht, hat in der gerichtlichen Praxis zu einer Unsicherheit bezüglich der Höhe des Unterhaltsbedarfes von minderjährigen unverheirateten Kindern geführt.

Teilweise hat die Rechtsprechung aus § 1612 b Abs. 5 BGB einen Mindestbedarf für das minderjährige unverheiratete Kind in Höhe von 135 % des Regelbetrages abgeleitet (vgl. Düsseldorfer Tabelle, Abschnitt C; OLG Stuttgart in unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland, Abschnitt IV, Nr. 21; Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden III, 16.1; unterhaltsrechtliche Grundsätze der Familiensenate des OLG Hamburgs Nr. 1).

Diese Ansicht begünstigt minderjährige unverheiratete Kinder nicht nur bei der Höhe des Unterhalts. Sie hat auch Auswirkungen auf das prozessuale Verhalten, auf die Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners und auf die Höhe des Ehegattenunterhalts.

Verlangen minderjährige unverheiratete Kinder eine Unterhalt in Höhe von 135 % des Regelbetrages sind sie nach dieser Auffassung von der Darlegungs- und Beweislast für ihren Unterhaltsbedarf in dieser Höhe (§ 1610 Abs. 1 BGB) befreit. Der Unterhaltsschuldner ist zu verstärkter Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB verpflichtet, solange er nicht 135 % des Regelbetrages zahlen kann. Schließlich kann der auf 135 % des Regelbetrages erhöhte Mindestkindesunterhalt zur Schmälerung des eheangemessenen Unterhalts nach §§ 1361 Abs. 1 Satz 1, 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB führen, da dieser i.d.R. als Quote des für Unterhaltszwecke zur Verfügung stehenden um den Kindesunterhalt bereinigten Einkommen und Vermögen der Eheleute bestimmt wird (vgl. unterhaltsrechtliche Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland, Abschnitt III, Nr. 16).

Der Bundesgerichtshof hat jetzt zwar entschieden, dass das Gesetz keinen Mindestbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes kennt (FamRZ 2002, 536 ff.). Ob dies die Diskussion beendet, darf bezweifelt werden.

Es ist schwer verständlich, dass der Gesetzgeber mit der Anrechnungsvorschrift des § 1612 b Abs. 5 BGB den Barunterhalt des Kindes möglichst i. H. des Existenzminimums sicherstellen wollte, andererseits der angemessene Unterhaltsbedarf nach § 1610 Abs. 1 BGB auch einen Betrag ausmachen kann, der unterhalb des Existenzminimums liegt.

Dieses Ergebnis wird im wesentlichen mit praktischen Überlegungen erklärt (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/ 7338, S. 60). Zum einen wird angeführt, die Mehrheit der Barunterhaltspflichtigen verfüge nicht über das nach der Düsseldorfer Tabelle für einen Unterhalt i. H. v. 135 % des Regelbetrages erforderliche Nettoeinkommen. Ein Barunterhalt i. H. d. Existenzminimums würde daher zu einer erheblichen Mehrbelastung der Justiz führen, da die Leistungsfähigkeit des Schuldners in jedem Einzelfall geklärt werden müsste. Außerdem entstünden Mehrkosten für die öffentlichen Kassen wegen gesteigerter Leistungen nach dem UVG, was angesichts der leeren Kassen auf Schwierigkeiten stößt.

Ob diese Begründung einen Bedarfssatz der Kinder unterhalb des Existenzminimums rechtfertigt, erscheint zumindest zweifelhaft.

 

2. Kindergeldabzugstabellen der unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen der Oberlandesgerichte

Die nach § 1612 b Abs. 5 BGB geänderte Kindergeldverrechnung bis zu einem Vomhundertsatz von 135 % des Regelbetrages zu Gunsten der Kinder hat in der Rechtsprechung zu einem Streit darüber geführt, ob eine Dynamisierung der Kindergeldanrechnung in Unterhaltstiteln zulässig ist.

Die Tenorierung z.B. "auf den jeweiligen Unterhalt ist das hälftige Kindergeld für ein erstes, zweites usw. Kind anzurechnen, soweit dieses zusammen mit dem Unterhalt 135 % des jeweiligen Regelbetrages übersteigt", ist von einem Teil der Rechtsprechung als unzulässig angesehen worden (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2002, 1215 m.w.N.).

Zur Begründung wird im wesentlichen angeführt, der Gesetzgeber habe eine Dynamisierung des Kindergeldes nicht vorgesehen. Eine dynamisierte Tenorierung der Kindergeldverrechnung verstoße auch gegen das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Nach der Änderung des § 647 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 c ZPO durch das Gesetz zur Einführung des Euro in Rechtspflegegesetzen usw. vom 18.12.2001 ist das Argument der fehlenden gesetzlichen Grundlage wohl nicht mehr haltbar. In der Neufassung der Bestimmung wurde die Formulierung, dass das Kindergeld " mit dem anzurechnenden Betrag anzugeben ist" gestrichen und allgemein formuliert: "die nach §§ 1612 b, 1612 c BGB anzurechnenden Leistungen". Damit dürfte das Argument, das Wort "Betrag" in § 647 Abs. 1 ZPO spreche dafür, dass der Gesetzgeber keine variable Anrechnung des Kindergeldanteils wollte, erledigt sein. Dass vergessen wurde, das Wort "Betrag" in § 655 Abs. 1 ZPO auch zu streichen, dürfte dem nicht entgegenstehen.

Das Problem ist daher nur noch die Bestimmtheit des Titels. Auf den ersten Blick ist eine dynamisierte Tenorierung der Kindergeldverrechnung schwer verständlich. Der Schuldner/ Drittschuldner bzw. das Vollstreckungsorgan muss nicht nur die RegelbetragVO und § 66 EStG (Kindergeldhöhe) kennen, sondern auch die Berechnungsformel.

Dass sich die dynamisierte Tenorierung der Kindergeldanrechnung in der Praxis vielfach doch durchgesetzt hat, ist den Kindergeldverrechnungstabellen der unterhaltsrechtlichen Leitlinien und Tabellen der Oberlandesgerichte zu verdanken. Mit Hilfe dieser Tabellen lässt sich die Höhe des zu leistenden Unterhalts verhältnismäßig einfach feststellen.

Für die variable Tenorierung der Kindergeldanrechnung sprechen eindeutige Gründe der Praktikabilität. Kinder müssen nicht bei jeder Änderung der Kindergeldhöhe ein Kindergeldanpassungsverfahren betreiben. Damit wird auch die Justiz entlastet.

 

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