Justiz wird beim Einkommen abgehängt

Richter und Staatsanwälte verlieren im Gehaltsvergleich mit Juristen in Unternehmen und großen Anwaltskanzleien immer mehr den Anschluss. Die durchschnittlichen Gehälter junger Anwälte in Großkanzleien sind heute weit mehr als doppelt so hoch wie die Jahresbezüge junger Justizjuristen.

Nach einer aktuellen Studie der Kienbaum Consultants International GmbH im Auftrag des Deutschen Richterbundes haben sich die Gehälter von juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Privatwirtschaft und in Kanzleien in den vergangenen fünf Jahren noch weiter von den Einkommen der Berufseinsteiger in der Justiz entfernt als bei der letzten Bestandsaufnahme Kienbaums vom Dezember 2017. Wer heute als ledige Richterin oder als Staatsanwalt in den Beruf einsteigt, erhält im bundesweiten Durchschnitt nach einigen Jahren Berufserfahrung rund 60.000 Euro brutto im Jahr. Vergleichbar qualifizierte Prädikatsjuristen in einem Unternehmen verdienen inzwischen nach den Zahlen Kienbaums im Mittelwert knapp 100.000 Euro jährlich, während Anwälte in einer Großkanzlei auf der ersten Karrierestufe im Schnitt sogar 139.000 Euro pro Jahr erhalten. Der langfristige Vergleich verdeutlicht die ganze Dramatik der Entwicklung: Verdienten junge Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte 1992 noch rund 10.000 Euro weniger im Jahr als vergleichbare Juristinnen und Juristen in Unternehmen, beträgt die Differenz heute rund 40.000 Euro. Hinkten die Einstiegsgehälter der Justizjuristen vor 30 Jahren knapp 30.000 Euro hinter den Einkünften zu Beginn der Laufbahn in Großkanzleien her, ist der Gehaltsvorsprung der Anwälte heute auf rund 80.000 Euro pro Jahr gewachsen.

Gehaltsschere öffnet sich immer weiter

Die Schere öffnet sich im weiteren Berufsleben dann sogar noch weiter, da die Gehälter bei Anwälten und Unternehmensjuristen mit zunehmender Erfahrung und Verantwortung schneller stei­gen als bei Richtern und Staatsanwälten. So verdienen juristi­sche Führungskräfte der ersten Ebene heute in Unternehmen nach den Kienbaum-Zahlen im Mittelwert 201.000 Euro jährlich, 27.000 Euro mehr als 5 Jahre zuvor. Im 15-Jahres-Vergleich haben sich die durchschnittlichen Bezüge dieser Beschäftig­tengruppe um 71.000 Euro erhöht. Ein Seniorpartner in großen Anwaltskanzleien kommt im Mittelwert inzwischen sogar auf 385.000 Euro, ein Plus von 57.000 Euro im Fünf-Jahres-Vergleich und beinahe eine Verdopplung der Bezüge im Vergleich zu 2007.

Das Einkommen einer Richterin oder eines Richters in der Besoldungsgruppe R2, Endstufe, liegt selbst mit Zuschlägen für 2 Kinder weit unter den Vergütungen in Unternehmen und Kanzleien. Der Justizjurist mit langjähri­ger Berufserfahrung verdient etwa die Hälfte einer juris­tischen Führungskraft in Unternehmen und kaum mehr als ein Viertel des mittleren Einkommens eines Seniorpartners in gro­ßen Anwaltskanzleien. Den starken Anstieg der Vergütungen im Anwaltsbereich führt Kienbaum unter anderem darauf zurück, dass weitere anglo-amerikanische Kanzleien auf den deutschen Markt vorgedrungen sind und sich der Wettbewerb um Topjuris­tinnen und -juristen damit nochmals verschärft hat.

Mehr Pensionäre, aber weniger Nachwuchs

Angesichts der zunehmenden Entkopplung der Besoldung in der Justiz von der Bezahlung in Unternehmen und Kanzleien dürfte es in den kommenden Jahren nicht leichter werden, Prä­dikatsjuristen für eine Laufbahn im Staatsdienst zu gewinnen. Dabei braucht die Justiz gerade jetzt verstärkt Nachwuchs, weil bis 2030 eine große Pensionierungswelle auf Gerichte und Staatsanwaltschaften zurollt. Nach einer Studie des Rich­terbundes zur Zukunftsfähigkeit der Justiz gilt es, in dieser Dekade in den fünf ostdeutschen Ländern mehr als die Hälfte aller Juristinnen und Juristen in Gerichten und Staatsanwalt­schaften zu ersetzen. Hilfe aus den westdeutschen Bundeslän­dern ist indes kaum zu erwarten, denn auch dort steigt die Zahl der Pensionäre, die zu ersetzen sind. Die steigende Zahl der Ruheständler fällt in eine Zeit, in der weniger Volljuristen als noch vor 10 oder 15 Jahren auf den Arbeitsmarkt drängen. Leg­ten nach den Statistiken des Bundesamtes für Justiz im Jahr 2005 etwa 9400 Absolventen erfolgreich das zweite Staatsexa­men ab, fiel die Zahl im Jahr 2010 auf rund 8350 und lag 2020 nur noch bei etwa 7800. Der Kreis der Volljuristen, aus dem die Justiz möglichst die besten Kandidaten für sich gewinnen will, hat sich im 15-Jahres-Vergleich also um 17 Prozent verengt. Immerhin zeichnet sich inzwischen eine Trendwende ab, nach­dem die Absolventenzahlen im Jahr 2015 mit weniger als 7500 bestandenen Examen ihren Tiefststand erreicht hatten.

Die aktuelle Studie zu den Juristeneinkommen belegt in aller Deutlichkeit, dass der Staat mit seinen Einstiegsgehältern immer weniger konkurrenzfähig ist. Zumal auch zwischen den Ländern eine tiefe Kluft aufgerissen ist. So erhält ein junger unverheirateter Richter oder eine junge ledige Staatsanwältin in Bayern zum Start der beruflichen Laufbahn monatlich 5029 Euro brutto, das sind 634 Euro oder fast 15 Prozent mehr als ein Berufsanfänger im Saarland bekommt (4395 Euro). Das Saarland bildet damit unverändert das Schlusslicht. Knapp davor stehen Sachsen auf dem vorletzten und Rheinland-Pfalz auf dem drittletzten Platz. Im weiteren Berufsleben werden die Gehaltsunterschiede zwischen den Ländern noch größer. Während die R1-Besoldung im Saarland auch nach zehn Jahren Berufserfahrung für einen verheirateten Richter mit zwei Kindern bei lediglich 5658 Euro brutto pro Monat liegt, sind es in Sachsen-Anhalt 1351 Euro mehr, während Berlin 1228 Euro vor dem Saarland liegt.

Handlungsbedarf bei Besoldungspolitik der Länder

Trotz dieser alarmierenden Befunde ist kaum zu erwarten, dass die Länder ihre Besoldungspolitik aus freien Stücken grundlegend korrigieren werden. Ohne die klaren Ansagen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Grundsatzurteil zur Besoldung sähe die Einkommenssituation für Richte­rinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte heute noch deutlich schlechter aus. Es wird wohl weiterer Urteile aus Karlsruhe bedürfen, um den zu zaghaften Auf­wärtstrend der vergangenen Jahre bei der Besoldung in den nächsten Jahren deutlich zu beschleunigen. DRB-Besoldungsexperte Andreas Stadler stellt in seinem Beitrag für die Märzausgabe der Deutschen Richterzeitung (2024, Seite 100) dar, warum sich die Besoldungsgesetzgebung in den vergangenen Jahren auf einen Irrweg begeben hat, der einer verfassungsrechtlichen Prüfung kaum standhalten dürfte. Auch der Berliner Verfassungsrechtler Ulrich Battis hat in der DRiZ (2023, Seite 104) mit deutlichen Worten dargelegt, dass und warum die Besoldung „seit über einem Jahrzehnt nicht mehr amtsangemessen und eklatant zu niedrig“ sei. „Trotz wiederholter, eindeutiger Interventionen des Bun­desverfassungsgerichts“ hielten Bund und Länder „an einer rein fiskalischen Ausrichtung ihrer Besoldungspolitik fest“, so seine Kritik. Immerhin hat inzwischen auch die Europäi­sche Kommission den Druck auf Bund und Länder erhöht. In ihrem jüngsten Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in der EU mahnt sie, die Bezüge der Richterinnen und Staatsanwälte in Deutschland angemessen und den europäischen Standards gemäß auszugestalten. Die Besoldung sei hierzulande im Vergleich zum Durchschnittseinkommen eine der niedrigs­ten in Europa. Die aktuelle Kienbaum-Studie unterstreicht den Handlungsbedarf eindrucksvoll.

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Bild von Matthias Schröter Matthias Schröter Pressesprecher
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