#5/2024

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunktepapier des BMJ für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht

 

A. Tenor der Stellungnahme

 

Der DRB begrüßt, dass der Gesetzgeber eine Kindschaftsrechtsreform voranbringt. Es besteht Bedarf, das Wechselmodell im Kindschaftsrecht eindeutig zu verorten, um Klarheit zu schaffen, ob es sorgerechtlich oder umgangsrechtlich angeordnet, geändert oder angegriffen werden kann. Die Stärkung von Privatautonomie bei sorgerechtlichen Regelungen wird die Familiengerichte entlasten. Die Verbesserung des Schutzes vor häuslicher Gewalt führt hingegen zu erheblichem Mehraufwand für die Familiengerichte, denen Ermittlungshelfer fehlen. Die Stärkung der Rechtsposition insbesondere der Jugendlichen bringt die Gefahr einer Verschlimmerung der Loyalitätskonflikte mit sich, zumal wenn die Schwelle für die Abänderbarkeit von Sorge- oder Umgangsregelungen gesenkt werden soll.

Die konkrete Ausgestaltung bleibt abzuwarten.

 

B. Bewertung im Einzelnen

 

Die systematische Neufassung des Titels über die elterliche Sorge soll – auch hier – vorangestellt werden. Es ist sicherlich hilfreich, den Grundsatz des Kindeswohls nicht weiter am Ende der Vorschriften zu verstecken und diesen zentralen Begriff sowie den der Personensorge zu definieren. In diesem Zusammenhang könnte auch die Ersetzung des Begriffs der ‚elterlichen Sorge‘ durch den moderneren der ‚elterlichen Verantwortung‘ erwogen werden, wie es im europarechtlichen Kontext üblich ist.

Die bisher ausgebliebene Regelung zum Wechselmodell hat zu Rechtsunsicherheit geführt. Insoweit ist die Reformbemühung sehr zu begrüßen.

Es wird sich zeigen, ob durch die sinnvolle Anpassung der Regelung über die Ausübung der Alltagssorge Klarheit und Handlungsfähigkeit geschaffen werden, oder neue Konflikte im Hinblick auf die Kompetenzen insbesondere von neuen Lebenspartnern entstehen. Eine Ausweitung des sog. „kleinen Sorgerechts“ über den Bereich des § 1687b BGB hinaus erscheint jedenfalls zeitgemäß.

Positiv ist auch, dass durch die Zulassung von mehr Autonomie in Sorgerechtsfragen die Familiengerichte entlastet werden. Sind sich die Eltern (und künftig auch Jugendlichen) einig oder erreichen sie durch die Beratung oder Vermittlung des Jugendamtes eine einvernehmliche Sorge- oder Umgangsvereinbarung, ist es sinnvoll, eine Änderung des Sorgerechts auch außergerichtlich wirksam und/oder eine Umgangsregelung vollstreckbar werden zu lassen. Die Praxis hat sich bisher mit Sorgerechtsvollmachten beholfen oder schlicht darauf vertraut, dass eine Vollstreckung nicht notwendig sein wird.

Eine Regelung zu Umgangsvereinbarungen mit Dritten, die lediglich in einem etwaig nachfolgenden familiengerichtlichen Verfahren als Beweisregel Bedeutung erlangen soll, erscheint hingegen nicht erforderlich. Die Familiengerichte werden bisherige Vereinbarungen ohnehin bei der Frage berücksichtigen, welche künftige Regelung dem Kindeswohl dienlich ist.

Die Veränderung des Verfahrens, wie in nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine gemeinsame Sorge eingerichtet werden kann, erscheint sinnvoll. Wenn die gemeinsame Sorge nicht wie in anderen europäischen Ländern an die Vaterschafts- oder Elternschaftsanerkennung geknüpft werden soll, ist es jedenfalls zu empfehlen, das bisherige „vereinfachte“ Verfahren zur Etablierung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu reformieren. Denn das „Versäumnisverfahren“ des § 155a FamFG hat sich nicht bewährt und war von jeher ein Fremdkörper im Kindschaftsrecht, zumal vergessen worden war, die Anhörung des Kindes zu regeln. Die Ermöglichung einer einseitigen Erklärung des Vaters, der die Mutter dann widersprechen kann, was dann wiederum zu einem „ordentlichen“ Verfahren gemäß § 1626a BGB führen kann, erscheint ein sinnvoller Schritt hin zu einer Vereinfachung der Frage der gemeinsamen Sorge.

Sehr zu begrüßen ist die Ermöglichung der Umgangspflegschaft auch für die Fälle, in denen keine Verletzung der Wohlverhaltenspflicht festgestellt werden kann oder soll und sich die Beteiligten vielmehr einig sind, dass dieses in der Praxis sehr hilfreiche und effektive Mittel eingesetzt werden soll, um den Umgang der Kinder mit einem Elternteil zu ermöglich, obwohl ganz erhebliche Differenzen zwischen den Eltern bestehen, vor denen die Kinder zu schützen sind. Für die Umgangspflegschaft entstehen allerdings Kosten, die bei Verfahrenskostenhilfe dann künftig im Gegensatz zur Umgangsbegleitung aus kommunalen Mitteln vermehrt aus dem Justizhaushalt getragen werden müssen. Tragen die Eltern die Kosten selbst, ist die angedachte gesonderte Kostenreglung sinnvoll und richtig.

Die Verbesserung des Schutzes vor häuslicher Gewalt bringt hingegen erheblichen Mehraufwand für die Familiengerichte mit sich, denen Ermittlungshelfer fehlen. Das Jugendamt steht den Familiengerichten nicht etwa weisungsgebunden zur Verfügung, aus dem Strafrecht bekannte Eingriffsmöglichkeiten fehlen, Kinder sollen nicht als Zeugen aussagen müssen. Für die geforderte Risikoanalyse wäre es sinnvoll, wenn die polizeilichen Gefährdungseinschätzungen im familiengerichtlichen Verfahren Verwendung finden könnten. Insbesondere die Umgangspflegschaft zum Schutz eines Elternteils erscheint gerade in diesem Zusammenhang ebenfalls als sehr hilfreich, setzt aber voraus, dass ausreichend viele und qualifizierte Personen vorhanden sind, die diese Aufgaben – wertschätzend entlohnt – übernehmen. Daran scheint es manchenorts zu fehlen. In diesem Zusammenhang scheint auch überlegenswert eine Möglichkeit zu schaffen, Elternteile zur Teilnahme an einem Anti-Aggressions-Training oder zur Abgabe von Proben für Alkohol- oder Drogentests verpflichten zu können, die zugleich eine Anordnung über die Kostentragung enthalten kann.

Wenn insbesondere Jugendliche in Sorge- und Umgangsverfahren mehr Mitentscheidungsbefugnisse bekommen sollen, wird das zwar ihre Rechte stärken, bringt aber die Gefahr mit sich, dass sie noch tiefer in den meist ohnehin sehr belastenden Loyalitätskonflikt geraten. Wenn für eine Umgangsregelung die Zustimmung eines Kindes ab 14 Jahren Voraussetzung wird, werden die Elternteile wahrscheinlich um diese Zustimmung für ihre Vorstellungen nicht nur mit kindeswohldienlichen Mitteln werben. In diesem Zusammenhang ist auch die geplante Absenkung der Schwelle in § 1696 BGB abzulehnen, wonach eine Abänderung einer getroffenen Sorge- oder Umgangsvereinbarung leichter erfolgen können soll. Denn das bringt die Gefahr womöglich niemals endender Konflikte mit sich, durch die insbesondere die Kinder zermürbt werden.

Die Anpassung der Adoptionsmöglichkeiten erscheint wiederum stimmig: § 1766a BGB erlaubt bereits die Annahme von Kindern des Partners in einer verfestigten Lebensgemeinschaft. Künftig sollen auch unverheiratete Paare gemeinsam und verheiratete Personen allein Kinder adoptieren dürfen. Letzteres beseitigt eine Diskriminierung von Ehepaaren. Die Klarstellung, dass Jugendlichen ab 16 Jahren alleine zur Zustimmung zur Offenbarung der Tatsachen über die Adoption berechtigt sein sollen, beseitigt eine derzeit bestehende Unsicherheit (§ 1758 BGB).

Zusammenfassung

Der DRB begrüßt die Anpassung kindschaftsrechtlicher Regelungen. Es besteht Bedarf, das Wechselmodell im Kindschaftsrecht eindeutig zu verorten, um Klarheit zu schaffen, ob es sorgerechtlich oder umgangsrechtlich angeordnet, geändert oder angegriffen werden kann.

Die Stärkung der elterlichen Autonomie kann die Familiengerichte entlasten. Umgekehrt werden durch die Anpassung der Regelungen über die Alltagssorge neue Konfliktfelder eröffnet. Vor allem wird aber die verstärkte Aufklärungspflicht in Fällen häuslicher Gewalt zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung der Familiengerichte führen, die weder über Ermittlungshelfer noch über aus dem Strafverfahren bekannte Zwangsmaßnahmen verfügen. Problematisch erscheint die geplante Absenkung der Schwelle, nach der Umgangs- oder Sorgereglungen abgeändert werden können. Die Schwächung der Rechtssicherheit in diesem Bereich kann zu einer erheblichen Belastung der Kinder im Loyalitätskonflikt führen, zumal wenn deren Zustimmung ab einem Alter von 14 Jahren Voraussetzung für Vereinbarungen werden soll. Hier besteht die Gefahr von bis zur Volljährigkeit andauernden kindschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen.