#28/2023

Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz
 

Der Referentenentwurf betrifft mit der „weiteren Digitalisierung der Justiz“ ein wichtiges und aktuelles Anliegen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält hier einige Einzelregelungen. Der Erfolg der Digitalisierung der Justiz wird neben der fortlaufenden Anpassung gesetzlicher Vorschriften an in der Praxis auftretende Probleme vor allem von einer angemessenen personellen und sächlichen Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften abhängen. Hier liegt vor einer flächendeckenden Umstellung der Justiz auf elektronische Arbeitsgrundlagen und der effizienten Ausschöpfung des in der IT für die Justiz liegenden Potentials noch ein weiter Weg. Gerade im Bereich des Strafrechts haben fortlaufende Neuregelungen und dadurch geschaffene neue Aufgaben die Justiz an ihre Belastungsgrenze geführt.

 

Bewertung im Einzelnen

Gegen die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgten Regelungsvorhaben bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

1. Insbesondere unterstützt der Deutsche Richterbund das Anliegen des Gesetzentwurfs, Friktionen zu begegnen, die sich mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs offenbart haben. So sind Rechtsanwälte gemäß § 130d ZPO seit Anfang 2022 verpflichtet, Schriftsätze per beA als elektronisches Dokument zu übermitteln. Auf diesem Weg können allerdings Formerfordernisse für eine in einem Schriftsatz enthaltene Gestaltungserklärung – etwa die nach § 568 BGB für eine Kündigung eines Mietverhältnisses erforderliche Schriftform – nicht gewahrt werden. Dem begegnet der Gesetzentwurf mit einer Formfiktion in § 130e ZPO-E (und entsprechend in weiteren Verfahrensordnungen), wonach eine Willenserklärung, die der schriftlichen oder der elektronischen Form bedarf, als in schriftlicher oder elektronischer Form zugegangen gilt, wenn sie in einem als elektronisches Dokument bei Gericht eingereichten und dem Empfänger übermittelten Schriftsatz enthalten ist.

2. Auch die Regelung in § 130a Abs 3 Satz 3 ZPO-E (und den entsprechenden Vorschriften der anderen Prozessordnungen) entspricht einem Bedürfnis der Praxis: In welcher Form Erklärungen des Mandanten durch seinen Rechtsanwalt im elektronischen Rechtsverkehr übermittelt werden können, war bislang normativ nicht geklärt. Dies betrifft insbesondere Erklärungen über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse bei der Beantragung von PKH und die Prozessvollmacht.

Wir regen in diesem Zusammenhang aber an, die Übersendung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen getrennt vom sonstigen Vorbringen anzuordnen (in der ZPO oder zumindest in der ERVV). Denn die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse darf dem Prozessgegner nur mit Zustimmung der Partei zur Kenntnis gebracht werden (§ 117 Abs. 2 S. 2 ZPO). Da die Abtrennung von Teilen eines elektronischen Dokuments technisch nicht immer möglich und im Fall einer elektronischen Signatur sogar ausgeschlossen ist, wird in der Praxis deshalb oftmals die Bitte um eine nochmalige - getrennte - Einreichung an die Partei herangetragen, was mit erheblichem Aufwand für die Gerichte und die Beteiligten verbunden ist. Dieser kann vermieden werden, wenn die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen von vornherein in einer gesonderten Datei übermittelt wird. Außerdem regen wir an, jedenfalls im Rahmen einer Erprobungsmöglichkeit, Regelungen über digitale bzw. maschinenlesbare PKH-Vordrucke und eine digitale Eingabe zu erwägen.

3. Hinsichtlich der vorgesehenen Änderungen der Strafprozessordnung weisen wir auf Folgendes hin:

a) Der Gesetzentwurf beabsichtigt die Ergänzung von § 350 StPO um folgende Regelung: „Dem Angeklagten, dem Verteidiger und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft kann auf ihren jeweiligen Antrag die Anwesenheit an einem anderen Ort gestattet werden, wenn die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Sieht das Gericht in den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 von einer Vorführung des Angeklagten ab, so ist diesem auf seinen Antrag die Teilnahme an der Hauptverhandlung im Wege der Bild-Ton-Übertragung zu gestatten.“

Bislang besteht allein ein Anwesenheitsrecht des auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten (§ 350 Abs. 2 Satz 1 StPO) und die Möglichkeit des Revisionsgerichts, nach seinem Ermessen über die Vorführung des inhaftierten Angeklagten zu entscheiden. In der Praxis ist die Vorführung inhaftierter Angeklagter die absolute Ausnahme. Denn bei dem Revisionsverfahren handelt es sich um ein Rechtsprüfungsverfahren, das allein das erstinstanzliche Urteil und das ihm zugrundeliegende Verfahren zum Gegenstand hat, nicht aber die Tat oder etwa die Beweggründe des Täters in Person.

Dies aber darf nicht über die Bedeutung der Revisionshauptverhandlung hinwegtäuschen. Denn das Revisionsverfahren bildet die fachgerichtlich letztentscheidende Instanz. Eine „Digitalisierung der Revisionshauptverhandlung“ mit der Möglichkeit, an ihr per elektronischer Zuschaltung teilzunehmen, droht sie letztlich zu entwerten. Dabei steht es außer Frage, dass das Ringen ums Recht auch in der letzten durch Rechtsgespräche geprägten Fachinstanz im Interesse des Angeklagten am besten durch die persönliche Anwesenheit der Verteidigung und der Vertreter der Staatsanwaltschaft gewährleistet werden kann.

Die Neuregelung wird daher zu einer ganz erheblichen Ausweitung der (virtuellen) Anwesenheit von Angeklagten führen, ohne dass dies einen wirklichen Mehrwert für sie erwarten lässt. Zugleich droht die Revisionshauptverhandlung geschwächt zu werden, indem ein „virtuelles Rechtsgespräch“ in der letzten Fachinstanz als ausreichend angesehen wird.

b) Bedenken begegnet auch, dass ein Strafantrag gemäß § 158 StPO künftig auch elektronisch (insbesondere per E-Mail) gestellt werden können soll. Es ist insbesondere zu besorgen, dass Antragsteller sich der Tragweite ihrer Entscheidung, einen Strafantrag zu stellen, nicht hinreichend bewusst werden und leichtfertig Ermittlungen anstrengen. Dies kann (z. B. vor dem Hintergrund von sogenanntem Cyber-Mobbing) zu erheblichen Konsequenzen sowohl für Beschuldigte als auch für Strafantragssteller (vgl. § 470 StPO) führen.