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Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sicherstellung und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union COM(2012) 85

August 2012

Der Deutsche Richterbund teilt die Auffassung der Europäischen Kommission, dass eine nachhaltige Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten ein wichtiges Element erfolgreicher Strafverfolgung ist. Der Deutsche Richterbund folgt dabei auch der Europäischen Kommission, dass in der Praxis längst nicht alle Gewinne aus Straftaten abgeschöpft werden und eine höhere Abschöpfungsquote anzustreben ist. Dabei ist unerheblich, ob die von der Kommission zugrunde gelegten statistisch erhobenen Zahlen tatsächlich zutreffen. Die gerichtliche Praxis lässt dagegen erkennen, dass nicht alle Gewinne erfolgreich abgeschöpft werden.

Der Deutsche Richterbund tritt jedoch der Einschätzung der Europäischen Kommission entgegen, der vorliegende Richtlinienvorschlag würde es den Mitgliedstaaten erleichtern, Gewinne aus Straftaten einzuziehen. Die Harmonisierung des Einziehungsrechts durch die Richtlinie in ihrer jetzigen Form wird nach Ansicht des Deutschen Richterbundes zu einer Belastung der bereits jetzt materiell- und prozessrechtlich schwierigen Einziehungsverfahren führen und Gerichte und Staatsanwaltschaften mit weiteren Rechtsfragen unnötig belasten.

Die praktische Erfahrung mit confiscation – Einziehung im Sinne des Richtlinienvorschlags, nicht als Fachterminus des deutschen Rechts – zeigt, dass es sich hierbei um eine schwierige Aufgabe handelt. Die materiellen rechtlichen Vorgaben sind zwangsläufig äußerst komplex, die prozessualen Probleme zahlreich, der Vollzug vielfach schwierig. Die relativ geringe Erfolgsquote in Einziehungsverfahren ergibt sich aus der Kombination dieser Schwierigkeiten. Eine fehlende europäische Rechtsharmonisierung im materiellen Einziehungsrecht stellt hingegen im Regelfall kein Hindernis bei der Einziehung dar.
Eine Hilfe wäre eine solche Harmonisierung nur, wenn über sie die mit der Einziehung verbundenen vielfältigen Rechtsfragen eindeutig und vorlageverfahrensfest geregelt würden. Diesem Anspruch kann der vorliegende Vorschlag leider nicht genügen. Seine Umsetzung würde dazu führen, dass zu den offenen Fragen des deutschen Einziehungsrechts weitere Fragen des europäischen Rechts hinzukämen. Der Deutsche Richterbund bedauert daher, dass vor Verabschiedung des Vorschlags keine allgemeine Anhörung stattgefunden hat, welche es der gerichtlichen Praxis der Mitgliedstaaten ermöglicht hätte, auf diese Probleme hinzuweisen. Die beiden grundsätzlichen Probleme des Richtlinienvorschlags sind:

Durch die Richtlinie wird für das Recht der Einziehung die Möglichkeit einer Vorlage im Vorabentscheidungsverfahren eröffnet, was bisher nicht uneingeschränkt möglich war. Damit werden rechtspolitisch und dogmatisch schwierige Fragen der Einziehung zur Entscheidung dem EuGH vorgelegt, der in der Richtlinie jedoch ein Rechtsinstrument vorfindet, welches diese Fragen nicht beantwortet. Der EuGH wird damit gezwungen werden, aus sich heraus diese Fragen, auf die unten zu Art. 2 und 3 näher eingegangen wird, zu entscheiden. Die damit verbundene erhebliche Rechtsunsicherheit wird zu Lasten der Einziehungsverfahren gehen und die Abschöpfungsquote voraussichtlich sinken lassen.

Das weitere wesentliche Problem wird die Abstimmung des harmonisierten europäischen Einziehungsrechts mit den nationalen Vorschriften werden. Auf Grund der eingeschränkten Kompetenz der EU zur Harmonisierung von „Straftaten und Strafen“ aus Art. 83 AEUV regelt der Richtlinienvorschlag zutreffend die Einziehung von Gewinnen aus solchen Straftaten, die vom Primärrecht als schwere grenzüberschreitende Straftaten angesehen werden. Die Einziehung bei anderen Straftaten wird nicht erfasst. Dies führt dazu, dass entweder die nationalen Einziehungsvorschriften insgesamt der Richtlinie angepasst werden müssen oder es zu einer Rechtszersplitterung im nationalen Einziehungsrecht kommen wird. Beide Lösungen werden nicht zu einer Vereinfachung der Abschöpfungsverfahren führen.

Der Deutsche Richterbund hat auch Zweifel an der Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinie. Auch wenn durch die Rahmenbeschlüsse 2001/500/JI und 2005/212/JI bereits Maßnahmen zur Harmonisierung der Einziehung getroffen wurden, regt der Deutsche Richterbund an, noch einmal zu prüfen, ob hierfür eine Rechtsgrundlage vorliegt. Zumindest aus deutscher Sicht handelt es sich bei der Einziehung um keine Strafe im eigentlichen Sinn, sondern um eine Maßnahme eigener Art. Dies wird auch von der Richtlinie aufgegriffen, welche in Art. 2 (2) die Einziehung als Strafe oder Maßnahme definiert. Eine Harmonisierung von „Maßnahmen“ im Bereich des Strafrechts wird jedoch von Art. 83 Abs. 1 AEUV nicht erwähnt, dort wird nur von „Strafen“ gesprochen. Diese Einschränkung erscheint sinnvoll, da bei „Strafen“ eine gemeinsame Basis dessen, was eine Strafe ausmacht und unter welchen Voraussetzungen sie verhängt werden kann, in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorzuliegen scheint, welche Harmonisierung ohne tiefgreifende Eingriffe in gewachsene Strukturen zulässt. Bei „Maßnahmen“, die oftmals auf Grund eigener, vom Schuldprinzip unabhängiger Voraussetzungen verhängt werden können, gibt es diese gemeinsame Basis nicht. Harmonisierungen in diesem Bereich sind daher nur möglich, nachdem die gemeinsame Basis für „Maßnahmen“ in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten herausgearbeitet und sichergestellt wurde, dass sie eine Harmonisierung trägt. Hierzu wären zumindest umfangreiche rechtsvergleichende Vorarbeiten erforderlich, die bisher nicht vorliegen. Daher hat der Lissabonner Vertrag zutreffend davon Abstand genommen, Maßnahmen im Strafrecht als harmonisierungsfähig in Art. 83 Abs. 1 AEUV aufzunehmen.

Zu kritisieren ist auch, dass die Verordnung keine Bagatelluntergrenzen vorsieht, wie diese im Rahmenbeschluss 2001/500/JI Artikel 3 für die „Wertersatzstrafe“ geschaffen wurden.

Zu begrüßen wäre es, wenn der Richtlinienentwurf eine Öffnungsklausel für Härtefälle vorsehen würde, welche in der täglichen Anwendungspraxis des Abschöpfungsverfahrens in Deutschland eine nicht unwesentliche Rolle spielen.

Zur Rechtsklarheit würde es beitragen, wenn – dem Rahmenbeschluss 2005/212/JI Artikel 5 folgend – auch im Richtlinientext zur Klarstellung ein Hin-weis auf Artikel 6 EUV aufgenommen würde.  

Zum Text des Richtlinienvorschlags:

Begründung:

Zunächst irritiert, dass bei der Begründung des Vorschlags unter 1.1. festgestellt wird, dass der Vorschlag es „Behörden“ erleichtern soll, Gewinne einzuziehen. Entscheidungen über Einziehung obliegen als erheblicher Grundrechtseingriff ausschließlich den Gerichten. Dies sollte auch in der Wortwahl der Richtlinie zum Ausdruck kommen.

Zur Frage der Subsidiarität:

Aus dem Bericht zur Folgenabschätzung ergeben sich keine Anhaltspunkte, in welchem Umfang grenzüberschreitende Abschöpfungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden konnten, weil eine harmonisierte Rechtsgrundlage fehlt. Der Deutsche Richterbund sieht daher unter Berücksichtigung des oben Gesagten den Nachweis eines Regelungsbedürfnisses auf europäischer Ebene als nicht erbracht.

Artikel 2 (1) Begriffsbestimmung von „Ertrag“:

Eine der ungeklärten und heftig umstrittenen Fragen des deutschen Abschöpfungsrechts ist es, den Umfang der Einziehung festzustellen. Die Feststellung der Höhe dessen, was der Täter „aus der Tat erlangt hat“ ist umstritten und bei Weitem nicht endgültig geklärt. Es ist davon auszugehen, dass in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ähnliche Rechtsprobleme vorliegen. Die Richtlinie greift sowohl in den Erwägungsgründen wie auch im Regelungstext selbst diese Frage nicht auf. Der Begriff des „Vorteils“, der in Art. 2 (1) verwendet wird, um den Ertrag zu umschreiben, lässt offen, wie das „aus der Tat erlangte“ europarechtlich definiert wird. Auch die Anwendung des Bruttoprinzips, d.h. die Frage, inwieweit die Anrechnung von Aufwendungen dem Betroffenen zu Gute kommen kann, wird im Text nicht angesprochen. Damit klärt der Richtlinienentwurf diese für die konkrete gerichtliche Einziehungsentscheidung wesentlichen Fragen nicht. Ohne eine eindeutige Definition des Erlangten, wie dies konkret zu berechnen ist und welche Abzüge vorgenommen werden müssen bzw. dürfen, geht der Harmonisierungsversuch fehl und führt zu Verunsicherung.

Artikel 3:

Artikel 3 lässt offen, welche Rolle Schadensersatzansprüche von Geschädigten für Einziehungsentscheidungen spielen. Dies erstaunt, da in der zeitgleich verhandelten Richtlinie über Mindestrechte beim Schutz von Opfern (Rats- Dok. Nr. 11702/12) in den Art. 14 und 15 das Recht auf Rückgabe von Eigentum und auf Entschädigung festgeschrieben werden soll. Es muss daher im Richtlinientext geregelt werden, ob und unter welchen Bedingungen Ansprüche von Geschädigten oder Dritten, die allgemeine zivilrechtliche Ansprüche gegen den Betroffenen besitzen, einer Einziehungsentscheidung entgegenstehen.

Artikel 4:

Es ist fraglich, ob eine Entscheidung über die erweiterte Einziehung auf der Basis des Abs. 1 den Anforderungen an die Eigentumsgarantie des Art. 17 der EU-Grundrechte-Charta entspricht. Der Entscheidungsmaßstab „wesentlich wahrscheinlicher“ erscheint nicht geeignet, einen für eine Harmonisierungsnorm notwendigen eindeutigen Entscheidungsrahmen für die Gerichte der Mitgliedstaaten, die Art. 17 der EU-Grundrechte-Charta beachten müssen, vorzugeben. Auch hierzu fordert der Deutsche Richterbund den europäischen Gesetzgeber auf, klare und grundrechtskonforme Regelungen in den Richtlinientext aufzunehmen.

Artikel 5:

Hier zeigt sich die fehlende dogmatische Grundlage des Richtlinienentwurfes deutlich. Die Einziehung nach dem Tode des Verdächtigen führt zu einem Vermögensverlust bei seinem Rechtsnachfolger, der begründet werden muss. Eine solche Begründung erscheint möglich, sie muss sich jedoch aus der Richtlinie heraus ergeben. Der Hinweis in der Begründung, es werde den Mitgliedstaaten freigestellt, ob die Einziehung durch Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichte (mit jeweils völlig unterschiedlichen Verfahrensordnungen und Beweisregeln) erfolgen solle, macht deutlich, dass diese Regelung wesentlich klarer strukturiert und begründet werden muss.

Artikel 6:

Der Deutsche Richterbund begrüßt die vom Richtlinienvorschlag geforderte Dritteinziehung. Er hat jedoch Bedenken hinsichtlich der Reichweite dieser Vorschrift, die gegenüber dem nicht tatbeteiligten Dritten Strafcharakter zeigt und in dessen Eigentumsgarantie eingreift. Eine solche Einziehung erscheint daher nur dann möglich, wenn dem Dritten ein quasi schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden kann, welches die Maßnahme rechtfertigt. Allein der Hinweis in Erwägungsgrund 13, dass der üblichen Praxis der Übertragung von Vermögensgegenständen auf Dritte, um die Einziehung zu vermeiden, Einhalt zu gebieten ist, reicht hierfür nicht aus. Daher ist zweifelhaft, ob die in Art. 6 Abs. 2 b i und ii aufgenommenen Einziehungsmöglichkeiten bei Leichtgläubigkeit verfassungs- und chartakonform in nationales Recht umgesetzt werden kann.

Artikel 7:

Hierbei handelt es sich um strafprozessuale Maßnahmen, die in einem gesonderten Rechtsinstrument besser aufgehoben wären.

Artikel 8:

Das zu Artikel 7 Gesagte greift hier auch.

Ergänzend ist anzuführen, dass Artikel 8 im Wesentlichen Regelungen enthält, die sich bereits aus dem Fair-Trial-Grundsatz ergeben. Darüber hinausgehende Rechte werden nicht konkretisiert. Sofern in der Richtlinie die überaus schwierigen Fragen des Entscheidungs- und Rechtsmittelweges bei der Einziehung geregelt werden sollen, sind diese seriös anzugehen. Allein der Hinweis auf wirksame Rechtsbehelfe reicht hierzu nicht aus. Dabei ist insbesondere festzulegen, wie in Fällen grenzüberschreitender Einziehungen die Beteiligung aller Betroffener und deren Rechtsmittelweg auszugestalten ist. So müsste konkret festgeschrieben werden, welche Rechte und Pflichten z.B. einem Einziehungsbeteiligten in einem grenzüberschreitenden Verfahren zustehen und welche Rechtsmittel er gegen eine Einziehungsentscheidung im Ausstellungs- und im Vollstreckungsmitgliedstaat besitzt.

Artikel 11:

Auch wenn der Deutsche Richterbund sieht, dass kaum statistisches Material zur Einziehung vorliegt, lehnt er die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur ausführlichen Statistik strikt ab. Die Erhebung der hierfür erforderlichen Daten würde zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften und dort zu einem personellen Mehrbedarf führen. Der diesem Aufwand entgegenstehende Erkenntnisgewinn, der wegen der Unsicherheit der Erhebungsqualität bei der Vielzahl von betroffenen Verfahren in 27 Mitgliedstaaten gering sein wird, rechtfertigt diesen Mehraufwand nicht.


gez. Dr. Peter Schneiderhan, Mitglied des DRB-Präsidiums