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zum Eckpunktepapier zur Reform der Unterbringung nach § 63 StGB

 

Der Deutsche Richterbund bedankt sich für die Gelegenheit, bereits frühzeitig zum Eckpunktepapier des BMJ für eine Neuregelung der §§ 63 ff. StGB Stellung nehmen zu können.

Angesichts der großen medialen Wahrnehmung des Falles Mollath und den in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfen ist in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt worden, die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB könne willkürlich selbst bei geringfügigsten Straftaten erfolgen und habe nahezu automatisch lebenslangen Freiheitsentzug zur Folge. Nach dem Tenor der Berichterstattung könne jeder rechtschaffene Bürger in die Fänge der geschlossenen Psychiatrie gelangen, wo er unter Umständen sein Leben lang untergebracht bleibe. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit strafrechtlicher Unterbringungen gem. § 63 StGB wurde, z.T. gezielt lanciert durch die mediale Berichterstattung, auch für die justizielle Praxis wahrnehmbar beeinträchtigt. Der DRB begrüßt daher die Bestrebungen des Bundesjustizministeriums zu einer teilweisen Reform der §§ 63 ff. StGB; der Ansatz, die Verhältnismäßigkeit der Anordnung von Unterbringungen stärker in den Mittelpunkt der strafrichterlichen Entscheidung zu rücken und einmal angeordnete Unterbringungen in noch stärkerem Maße als bisher nach Ablauf bestimmter Fristen zu überprüfen, ist - auch unter Beachtung der Entscheidung des BVerfGs vom 11. Juli 2013 zum Therapieunterbringungsgesetz - aus hiesiger Sicht richtig.

Gleichwohl besteht zu den vorgelegten Eckpunkten in einigen Punkten grundsätzlicher Diskussionsbedarf:

1. Änderung des § 63 StGB

Soweit angedacht ist, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus noch mehr als nach geltendem Recht auf gravierende Fälle zu beschränken, ist dies im Grundsatz zu begrüßen. Bedenken bestehen gleichwohl gegen die vorgeschlagene Eingrenzung der geforderten erheblichen rechtswidrigen Taten auf „namentlich solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird“. Zum einen sind die Begriffe der „schweren Schädigung“, „erheblichen Gefährdung“ und des „schweren wirtschaftlichen Schadens“ aus hiesiger Sicht zu unbestimmt, um für das Maß an Rechtssicherheit zu sorgen, das mit der Änderung eigentlich erreicht werden soll. Zur Ausfüllung dieser Begriffe müsste sich – wie in vergleichbaren Fällen gesetzlicher Regelungen – eine umfangreiche Kasuistik entwickeln, ohne dass dadurch die Fälle, in denen eine Unterbringung im Raum steht, verlässlich eingrenzbar würden. Dies gilt umso mehr angesichts der angewandten Regelbeispieltechnik („namentlich“), die zur Folge hätte, dass außerhalb dieser Fallgruppen noch weitere Fälle denkbar wären, in denen die Unterbringung gem. § 63 StGB in Betracht käme, sofern diese Fälle in ihrer Intensität den namentlich angeführten Fallgruppen entsprechen.

Nicht unproblematisch ist aus hiesiger Sicht auch, dass durch die vorgeschlagene Regelung ein Spannungsverhältnis zwischen der konkreten Auswirkung der Tat einerseits (schwere Schädigung/Gefährdung) und der – gleichwohl zugleich erforderlichen – Allgemeingefährlichkeit andererseits geschaffen wird. Die konkreten Auswirkungen einer Tat sind häufig vom Zufall abhängig. Mit der geplanten Regelung würde künftig in schwerwiegenden Fällen, in denen der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist, die Auswirkungen auf das Opfer aber, sei es auch lediglich aufgrund eines glücklichen Zufalls, nicht erheblich waren, die Anordnung der Unterbringung faktisch nahezu unmöglich gemacht. Besonders deutlich wird dies an dem im Eckpunktepapier ausdrücklich genannten Straftatbestand der Brandstiftung. Aus hiesiger Sicht scheint es in hohem Maße problematisch, dieses Delikt per se als nicht gravierende Straftat von nur abstrakter und allgemeiner Gefährlichkeit einzustufen, welche eine Unterbringung grundsätzlich nicht rechtfertigen könne. Denn gerade in Fällen von Brandstiftung durch schuldunfähige Täter besteht oftmals akute Wiederholungsgefahr mit erheblichem Gefährdungspotential auch dann, wenn beim Anlassfall zufällig die eingetretenen oder drohenden Personenschäden nicht erheblich sind. Es wäre daher aus hiesiger Sicht zu bevorzugen, statt der Eingrenzung des § 63 StGB auf Fälle mit den genannten „erheblichen“ Auswirkungen einen Katalog von Straftaten vorzusehen, deren Vorliegen die Eingangsvoraussetzung für die Prüfung einer Unterbringung gem. § 63 StGB darstellen soll. Auf diese Weise könnte sichergestellt werden, dass nur bei hinreichend schwerwiegenden Straftaten (und gleichzeitiger Allgemeingefährlichkeit) die Anordnung der Unterbringung in Betracht kommt, ohne dass auf unbestimmte Rechtsbegriffe besonders „schwerer“ Tatauswirkungen, deren Eintritt noch dazu häufig zufallsabhängig ist, zu-rückgegriffen werden müsste.


2. Änderung des § 67d Abs. 6 StGB

Die grundsätzliche Überlegung, die bislang generell unbefristete Unterbringung in mehreren Stufen zu befristen, wobei die Anforderungen zur Aufrechterhaltung der Unterbringung von Stufe zu Stufe steigen, ist bedenkenswert. Dabei wird über die Länge der Fristen, wie in dem Eckpunktepapier zutreffend dargestellt wird, nicht zuletzt unter Einbeziehung psychiatrischer Expertise zu diskutieren sein. Auch in diesem Zusammenhang bestehen jedoch Bedenken gegen die Verknüpfung der Prognoseentscheidung mit den unbestimmten Rechtsbegriffen der „erheblichen“ Schädigung von Opfern oder des „schweren“ wirtschaftlichen Schadens. Die bereits oben unter 1. dargestellten Einwände gelten hier erst recht. Auch in diesem Zusammenhang wäre daher aus Sicht des DRB die Bezugnahme auf einen Straftatenkatalog der Rechtssicherheit dienlicher. Denkbar wäre beispielsweise, bei Ablauf der ersten (nach dem bisherigen Vorschlag vierjährigen) Frist an den in der Neufassung des § 63 StGB vorgesehenen Straftatenkatalog anzuknüpfen, und diesen Katalog für die Prüfung bei Ablauf der zweiten (achtjährigen) Frist auf bestimmte Straftaten gegen Leib, Leben und die körperliche Unversehrtheit zu begrenzen.

Unklar bleibt nach dem Entwurf, ob die Allgemeingefährlichkeit, die ja immerhin Voraussetzung für die Anordnung der Unterbringung gem. § 63 StGB ist, für die Entscheidung über die Erledigterklärung keine Rolle spielen soll. In diesem Fall würden an die Aufrechterhaltung der Unterbringung jedenfalls partiell geringere Voraussetzungen als an deren Anordnung gestellt.


3. Änderung des § 67e Abs. 2 StGB

Die Verkürzung der Überprüfungsfristen gem. § 67e Abs. 2 StGB von bisher einem Jahr auf vier Monate bei der erstmaligen Überprüfung und acht Monate bei der zweiten Überprüfung sollte aus hiesiger Sicht überdacht werden. Gerade die erste Überprüfungsfrist scheint zu kurz nach dem Beginn der Vollstreckung zu liegen. Unter Einbeziehung der geplanten Neuregelung des § 463 Abs. 4 StPO – zwingende Einholung eines Sachverständigengutachtens vor Entscheidung nach § 67e Abs. 2 StGB – ist eine derartige Fristverkürzung praktisch kaum handhabbar. Die Begutachtung durch einen externen Sachverständigen müsste in diesem Fall bereits unmittelbar zu Beginn der Unterbringung erfolgen, um dem bislang mit der Sache nicht vertrauten Sachverständigen eine sorgfältige Prüfung des gesamten Falls sowie der Persönlichkeit des Probanden zu ermöglichen, das Gutachten erstellen zu lassen und dem zuständigen Gericht dann noch genug Zeit für die Entscheidung auf der Grundlage des psychiatrischen Gutachtens zu lassen. Angesichts der Vorlaufzeiten bei Beauftragung eines erfahrenen und ausreichend sachkundigen Sachverständigen wäre eine Frist von nur vier Monaten nach Beginn der Unterbringung schwerlich einzuhalten. Begutachtet hingegen derselbe Sachverständige den Probanden, der bereits im Vollzug der Unterbringung tätig wurde (was nach der Neuregelung des § 463 Abs. 4 StPO für die Begutachtungen vor Ablauf von zwei Jahren möglich sein soll), ist dieser zwar bereits mit dem Sachverhalt sowie mit der Persönlichkeit des Probanden vertraut, es ist jedoch schwerlich zu erwarten, dass dieser Sachverständige nunmehr zu einem anderen Ergebnis kommen wird als in dem wenige Monate zuvor im Rahmen des Strafverfahrens erstatteten Gutachten. Der erstrebte Zweck der Neuregelung – Korrektur von Fehleinschätzungen und schnelle Berücksichtigung von Therapieerfolgen – könnte also nicht erzielt werden.

Dies gilt aber auch bei Einschaltung eines externen Sachverständigen. Ein nennenswerter therapeutischer Erfolg kann innerhalb weniger Tage oder Wochen, die bis zur ersten Begutachtung maximal vergehen könnten, noch nicht erzielt worden sein, sodass das erste Gutachten fast zwangsläufig die Voraussetzungen für die Fortdauer der Unterbringung bejahen wird. Wenn das Eckpunktepapier an anderer Stelle grundsätzlich die Gefahr benennt, dass Diagnosen in einem Folgegutachten lediglich aus den vorangegangenen Gutachten übernommen werden,  so ist diese Gefahr natürlich umso größer, je schneller das erste Gutachten erstattet werden muss und je zwangsläufiger dieses Erstgutachten eine negative Prognose enthalten wird.


4. Änderung des § 463 Abs. 4 StPO

Die zwingende Erholung eines Sachverständigengutachtens vor der Entscheidung gem. § 67e StGB ist im Grundsatz zu begrüßen. Zwar ist dies auch bislang der Regelfall in der Praxis, die ausdrückliche Normierung für jede, auch bereits die erste, Entscheidung gem. § 67e StGB dient gleichwohl der Rechtssicherheit. Auch die zwingende Einschaltung externer Sachverständiger spätestens für die Überprüfung nach zweijähriger Unterbringung ist vor diesem Hintergrund sachgerecht. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass diese Regelung Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung aufgrund eines Mangels an entsprechend befähigten psychiatrischen Sachverständigen mit sich bringen könnte. Der Kreis der erfahrenen und zuverlässigen psychiatrischen Sachverständigen ist beschränkt, entsprechend groß sind die Vorlaufzeiten dieser Sachverständigen für die Erstattung von Gutachten; werden aus dieser Gruppe der potentiell in Frage kommenden Sachverständigen alle diejenigen ausgeschlossen, die im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung befasst waren, bzw. die auch nur in dem Krankenhaus arbeiten, in dem der Proband untergebracht ist, verschärft sich das zeitliche Problem für das Gericht noch erheblich. Nur am Rande sei angemerkt, dass hier entgegen der im Eckpunktepapier geäußerten Auffassung nicht nur die Länder in der Pflicht stehen, für eine ausreichende Zahl gut ausgebildeter Sachverständiger zu sorgen; vielmehr könnte der Bundesgesetzgeber durch eine Erhöhung der Entschädigungssätze im ZSEG die Bereitschaft erfahrener Ärzte, sich als Sachverständige zur Verfügung zu stellen, fördern.
Der Entwurf bedürfte im Übrigen aus hiesiger Sicht in diesem Zusammenhang der Klarstellung, ob die während des Laufs der Unterbringung erforderlichen Begutachtungen durch jeweils denselben externen Sachverständigen erfolgen können, oder ob es sich dabei um jeweils unterschiedliche Sachverständige handeln muss. Letzteres würde der Gefahr der bloßen Fortschreibung von Gutachten noch effektiver begegnen, würde aber das bereits dargestellte personelle Problem weiter verschärfen.
Aus diesem Grund sollte auch die zwingende Erholung von zwei Sachverständigengutachten ab sechsjähriger Unterbringung, wie sie das Eckpunktepapier vorsieht, entfallen. Ein hinreichender Regelungsbedarf besteht nicht, wenn vorgesehen wird, dass eine Begutachtung vor jeder Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung erfolgen muss und diese jeweils durch externe Sachverständige erfolgen soll.

Wie bereits im Eckpunktepapier angesprochen wurde, bedarf die konkrete Ausgestaltung der angesprochenen sowie weiterer möglicher Änderungen der §§ 63 ff. StGB der intensiven fachlichen Diskussion. Die weitere Teilnahme an diesem Meinungsfindungsprozess ist dem DRB ein großes Anliegen.

gez. Andrea Titz, stellv. Vorsitzende des DRB