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zum Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft

hier: Konsolidierte Fassung  vom 2.12.2016, Ratsdok. 15200/16

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund steht der Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) als unabhängige Ermittlungsbehörde für die Verfolgung von Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union weiterhin positiv gegenüber. Er hat jedoch Zweifel, ob die Vorstellungen des Rates zum internen Aufbau und zu den grenzüberschreitenden Ermittlungskompetenzen den EPPO zu einer erfolgreichen Behörde machen werden.

B. Bewertung im Einzelnen

I. Allgemein

Der EPPO hat neben Eurojust, Europol und OLAF eine wichtige Funktion zur Sicherung gleichmäßiger Strafverfolgung innerhalb der Union zu erfüllen. Die Durchsetzung europäischen Rechts auch mit Mitteln des Strafrechts erweist sich bei steigendem finanziellen Engagement der Union in den Mitgliedstaaten, bei der hohen Bedeutung von Korruptionsbekämpfung und der zunehmenden Komplexität grenzüberschreitender Fälle als wesentlich für die Existenz des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Der Deutsche Richterbund sieht daher die Errichtung des EPPO als unverzichtbar.

Der Deutsche Richterbund bedauert jedoch, dass die im Rat (vgl. konsolidierte Fassung der Verordnung vom 2.12.2016 – Ratsdok. 15200/16 - (zit. VO-E)) gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom 17.7.2013 (KOM(2013) 534) erfolgte „Renationalisierung“ der Behörde und die damit verbundenen Unklarheiten der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten innerhalb der Behörde dem EPPO zu einem schwerfälligen Start verhelfen wird.

Weiteren Beratungsbedarf sieht der Deutsche Richterbund auch bei den Befugnissen des EPPO gegenüber nationalen Ermittlungsbehörden, bei grenzüberschreitenden Ermittlungen, zur Sicherung von Beschuldigtenrechten und bei den Befugnissen des Europäischen Staatsanwalts gegenüber Drittländern. Auch hier haben die Beratungen im Rat aus Sicht der Rechtspraxis gegenüber dem ursprünglichen Text der Kommission wenige Fortschritte erbracht. Wesentliche Fragen sind noch ungelöst.

Der Deutsche Richterbund hofft, dass insbesondere das Europäische Parlament seinen Einfluss geltend machen wird, um eine Überarbeitung des vom Rat zuletzt vorgeschlagenen Textes zu erreichen.

Der Erfolg des EPPO wird sich an zwei Kriterien messen lassen: Werden Ermittlungsverfahren wegen Straftaten zum Nachteil der europäischen finanziellen Interessen auch in denjenigen Mitgliedstaaten, in welchen solche Ermittlungen bisher notleidend waren, erfolgreich durchgeführt werden? Und werden grenzüberschreitende Ermittlungen, die bisher unter der Schwerfälligkeit der Rechtshilfe oder der Maßnahmen der gegenseitigen Anerkennung litten und an fehlender Koordination der Ermittlungsbehörden scheiterten, einfacher zu führen sein?

Für beide Ziele ist der Aufbau einer zentralen Behörde, welche nach einheitlichen Grundsätzen zügig und effektiv Ermittlungen durchführen kann (so zutreffend Erwägungsgründe 15,16 VO-E), unabdingbar. Um das erste Ziel zu erreichen, muss der EPPO darüber hinaus unabhängig und gegen politischen Druck der Mitgliedstaaten ermitteln und anklagen können. Das zweite Ziel bedingt grenzüberschreitende Ermittlungskompetenzen, die den europäischen Charakter der Behörde nutzen, insbesondere aber hinter den Möglichkeiten der Instrumente der gegenseitigen Anerkennung nicht zurückstehen.

Die vorliegende Stellungnahme des Deutschen Richterbundes konzentriert sich daher auf diese Aspekte. Nicht angesprochen werden insbesondere Fragen der Zuständigkeit der Behörde, welche eng mit dem immer noch offenen Regelungsumfang der PIF-Richtlinie (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichteten Betrugs) geknüpft sind und nicht selbstständig beantwortet werden können. 

II. Im Besonderen

1. Struktur der Behörde

a) Voraussetzungen für verantwortliches, rechtsgebundenes Ermitteln

aa) Wesentliches Merkmal einer rechtsgebundenen Ermittlungstätigkeit ist die persönliche Verantwortung des Staatsanwalts für seine Entscheidungen. Der ermittelnde Staatsanwalt muss die Verantwortung für seine Handlungen übernehmen und für diese auch nach außen einstehen können. In einer hierarchisch aufgebauten Behörde muss eine Entscheidung jederzeit einem Staatsanwalt zuzuordnen sein. Es darf kein Zweifel bestehen, wer eine Entscheidung getroffen hat.    

bb) Grundlage der Entscheidung eines Staatsanwalts ist dabei die umfassende Kenntnis der Rechts- und Sachlage des Ermittlungsverfahrens. Diese setzt, zumindest nach deutschem Verständnis, umfassende Aktenkenntnis voraus. Nur wer die vollständigen Akten kennt, kann verantwortlich entscheiden. Diese auf der Basis der Aktenkenntnis beruhende Sachkenntnis kann durch Zusammenfassungen von Ermittlungsergebnissen nicht ersetzt werden. Dies greift die Verordnung zutreffend in Art. 29 Absatz 2 VO-E auf, wenn sie von der Ständigen Kammer bei Abschlussverfügungen, die vom Vorschlag des Delegierten Europäischen Staatsanwalts abweichen sollen, die Prüfung anhand der Verfahrensakte fordert.

Es wäre zu begrüßen, wenn sie diese Aktenkenntnis ausdrücklich für alle Entscheidungen des Europäischen Staatsanwalts und der Ständigen Kammer  zur Grundlage machen würde.

b) Aufbau des EPPO

aa) Der im konsolidierten Ratsdokument vom Dezember vorgeschlagene zumindest dreistufige Aufbau des EPPO mit einer dezentralen Arbeitsebene der Delegierten Europäischen Staatsanwälte und zwei Aufsichtsebenen für Ermittlungsverfahren des Europäischen Staatsanwalts und der Ständigen Kammer sowie den weiteren Ebenen des Kollegiums und des Europäischen Generalstaatsanwalts werden zu einem aufgeblähten, unübersichtlichen Aufbau der Behörde führen, dessen Vielschichtigkeit kaum zu durchschauen ist.

Der Deutsche Richterbund teilt hier die Feststellungen der Studie des LIBE- Ausschusses des Europäischen Parlamentes von 2016 („Towards a European Public Prosecutor’s Office“ von Prof. Anne Weyembergh und Chloé Brière (zit. EP-Study)), welche in der Renationalisierung der Behörde durch die Mitgliedstaaten die Ursache für die große Komplexität des EPPO sieht (EP-Study, S. 15) und hinsichtlich der Kompetenzzuweisung feststellt, dass der Grad der Unklarheit („level oft ambiguity“) hoch sei.

Der Deutsche Richterbund bedauert, dass mögliche politische Notwendigkeiten dem EPPO eine Struktur verschaffen werden, welche aus fachlicher Sicht problematisch ist. Er sieht die Gefahr, dass in dieser Struktur Ermittlungserfolge versanden und damit die Idee einer europäischen Ermittlungsbehörde insgesamt in Misskredit gerät. Er hofft, dass in den weiteren Beratungen noch Änderungen am Aufbau des EPPO möglich sind und insbesondere das Europäische Parlament nach Einrichtung des EPPO dessen Entwicklung sehr kritisch verfolgt, um notwendige Reformen unverzüglich einzufordern. Die strukturellen Probleme in der Gründungsphase sollten jedoch aus Sicht des Deutschen Richterbundes kein Grund sein, die Europäische Staatsanwaltschaft jetzt nicht zu errichten.

bb) Der im Verordnungsentwurf vorgesehene Aufbau des EPPO mit drei Ebenen sieht wie folgt aus:

Die Ermittlungen werden von den Delegierten Europäischen Staatsanwälten geführt, welche die dezentrale Ebene des EPPO darstellen. Sie besitzen für Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Anklageerhebung die Rechte eines nationalen Staatsanwalts, Art. 12 Absatz 1 VO-E. Sie sind für die Ermittlungen zuständig (wobei der englische Text von „responsible“ spricht, Art. 12 Absatz 1 VO-E) und sollen die Anklage erheben.

Diese Verantwortung für ihre Ermittlungen können sie jedoch nicht eigenverantwortlich wahrnehmen, da sie sowohl den Weisungen und Anweisungen der Ständigen Kammer und den Anweisungen des Europäischen Staatsanwalts folgen müssen.

Dabei handelt die Ständige Kammer nicht direkt, sondern durch den Europäischen Staatsanwalt. Dieser überwacht „im Namen der Ständigen Kammer“ die Ermittlungen der Delegierten Europäischen Staatsanwälte und „unterbreitet“ dieser  „Zusammenfassungen“ über die von ihm überwachten Verfahren und Entscheidungsvorschläge „auf der Grundlage von Entscheidungsentwürfen der Delegierten Europäischen Staatsanwälte (Art 11 Absatz 1 VO-E).

Bereits die Wortwahl der deutschen Fassung macht deutlich, wie unklar Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in den Artikeln 9-12 des Verordnungsentwurfs, in welcher die Kompetenzen der drei Ermittlungsebenen aufgeführt sind, gefasst wurden. Es bleibt offen, was hinter Zuständigkeit („responsibility“) des Delegierten Europäischen Staatsanwalts, der Aufsicht im Namen der Ständigen Kammer („supervision on behalf of the permanent chamber “) des Europäischen Staatsanwalts und der Überwachung und Leitung („monitor and direct“) der Ständigen Kammer steht. Es ist unklar, wie der Abgeordnete Europäische Staatsanwalt, welcher für die Ermittlungen verantwortlich ist, diese Verantwortung übernehmen kann, wenn er den Weisungen und Anweisungen (wobei der Unterschied zwischen diesen beiden offen bleibt) der Ständigen Kammer und den Anweisungen  des Europäischen Staatsanwalts unterworfen wird  (Art 12 Absatz 1VO-E). Unklar ist auch, durch was sich die Kompetenz des Abgeordneten Europäischen Staatsanwalts für „Anklageerhebung“ (Art. 12 Absatz 1 VO-E) von der Kompetenz der Ständigen Kammer zur „Anklageerhebung“ (Art. 9 Absatz 3a VO-E) unterscheidet.

Dabei ist die originäre Zuständigkeit der Ständigen Kammer auf die Entscheidung über Einstellung oder Anklageerhebung sowie die Verweisung des Verfahrens an eine nationale Behörde beschränkt, Art. 9 Absatz 3 VO-E. Erst über die allgemeine Aufsicht des Art 9 Absatz 4 VO-E zur „effizienten Durchführung der Ermittlungen“, im „Interesse der Rechtspflege“ oder zur „Gewährleistung der kohärenten Funktionsweise“ des EPPO werden ihr die Aufsicht über Entscheidungen zugewiesen, welche im laufenden Ermittlungsverfahren zu treffen sind. Diese Weisungen kann die Ständige Kammer ohne Aktenkenntnis erteilen (vgl. Art. 29 Absatz 2 VO-E). Auch hier bleibt im Ungewissen, was unter „Interesse der Rechtspflege“ zu verstehen ist und damit, wie weit das Recht der Ständigen Kammer auf Weisung reicht.

Dabei ist aus Sicht der Praxis festzuhalten, dass die Ständige Kammer nur dann in der Lage sein wird Ermittlungen, welche der Delegierte Europäische  Staatsanwalt nicht führen will, eigenständig anzuregen und zu erzwingen,  wenn sie umfassende Aktenkenntnis besitzt und die Mitglieder der Kammer bereit sind, gegen Zusammenfassung des Ermittlungsergebnisses und den Rat der Staatsanwälte, in deren Mitgliedstaat die Ermittlungen geführt werden, diese zu Ermittlungen anzuweisen und deren Ermittlungen eng zu führen. Eine mögliche Aufsicht über den Delegierten Europäischen Staatsanwalt kann daher - sofern sie nicht politisch verstanden werden soll - nur über vollständige Aktenkenntnis durch den Europäischen Staatsanwalt und die Ständige Kammer erfolgen. 

Dabei könnte durch Streichen der Zuständigkeit für die Ständige Kammer aus Art. 9 Absatz 4 VO-E eine klare Zuweisung der Kompetenzen sichergestellt werden. Die Aufsicht über die Ermittlungshandlungen der Delegierten Europäischen Staatsanwälte sollte sich, auch aus den gerade genannten Gründen, auf die Abschlussverfügungen beschränken.

Dabei teilt der Deutsche Richterbund die Ansicht der LIBE - Study nicht (S.15), wonach gerade die Ständige Kammer und der Europäische Generalstaatsanwalt diejenigen Ebenen wären, welche innerhalb des EPPO am europafreundlichsten wären.  Diese Ansicht dürfte auf die vom Rat herbeigeführte, aber nicht notwendige Aufteilung in zentrale und dezentrale Ebene zurückzuführen sein. Würden die Delegierten Europäischen Staatsanwälte vollwertig in die Entscheidungen des EPPO auf zentraler Ebene eingebunden, wäre diese Trennung der Ebenen überflüssig. Es könnte eine - hierarchisch gegliederte, aber einheitlich arbeitende und denkende - Behörde  mit gemeinsamer Ethik europäischer Strafverfolgungspraxis entstehen. Das Entstehen einer solchen einheitlich denkenden Behörde wird durch das Einziehen der Ebenen der Ständigen Kammern, die von den Europäischen Staatsanwälten besetzt werden, erschwert und nicht gefördert.

Hinzu kommen die mit dem hohen Grad an Unklarheit der Kompetenzzuweisung (EP-Study S. 51) verbundene fehlende Verantwortung für einzelne Ermittlungsschritte. Es ist ungewöhnlich, dass sich vier Personen - die Mitglieder der Ständigen Kammer und der Europäische Staatsanwalt - die Verantwortung für eine Anklageerhebung oder Einstellung teilen, darüber mit Mehrheitsentscheidung abstimmen und diese im Zweifel gemeinsam rechtfertigen müssen. Dieses System ist für gerichtliche Kammerentscheidungen richtig; es ist für staatsanwaltschaftliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren ungeeignet.

Diese Zuständigkeitszuweisung führt auch dazu, dass der Europäische Generalstaatsanwalt, der als einziges Mitglied des EPPO vom Europäischen Parlament miternannt wird, kaum Verantwortung für die Tätigkeiten seiner Behörde trägt. In Ermittlungsentscheidungen ist er nur über seine Leitung von Ständigen Kammern mit eingebunden. Grundentscheidungen der Strafverfolgungspraxis werden vom Kollegium getroffen, Art. 8 VO-E, die Verwaltungsaufgaben werden einem Verwaltungsdirektor übertragen, dessen Position sehr stark ausgestaltet ist, Art. 15b, 15c  VO-E. Der Europäische Generalstaatsanwalt wird daher für mögliche Fehlentwicklungen nur schwer zur Verantwortung zu ziehen sein.

Angesichts dieser Aufgabenverteilung besteht die Gefahr einer organisierten Verantwortungsverschiebung, die es im Zweifel erlaubt, zu verschleiern, wer für welche Entscheidung einzustehen hat. Der Deutsche Richterbund sieht dies mit erheblicher Sorge. Die Europäische Staatsanwaltschaft kann nur dann ein Erfolg werden, wenn Verantwortungen von Anfang an klar geregelt sind und alle Beteiligten darum wissen.

c) Externe Kompetenzzuweisung

Zumindest aus deutscher Sicht ist weiterhin unklar, wie die konkrete Ermittlungsarbeit durchgeführt werden soll. Zentrale Vorschrift ist Art. 12 VO-E, welcher sicherstellt, dass die Delegierten Europäischen Staatsanwälte ihre nationale Kompetenz in den EPPO einbringen. Hinzu kommt Erwägungsrund 59, in welchem die zuständigen nationalen Behörden aufgefordert werden, den EPPO aktiv zu unterstützen.

Unklar ist, ob die Kompetenz der Delegierten Europäischen Staatsanwälte sich auf die Stellung bezieht, welche diese persönlich besitzen oder ob alle Kompetenzen, die ein beliebiger deutscher Staatsanwalt innehaben kann, sich in ihm vereinen. Bedeutsam ist dies für die Frage, ob ein deutscher Delegierter Europäischer Staatsanwalt, der aus einer Staatsanwaltschaft bei einem Landgericht kommt, als Delegierter Europäischer Staatsanwalt Revisionen bei  einem Oberlandesgericht und dem Bundesgerichtshof durchführen kann und, wenn nicht, ob Erwägungsgrund 59 eine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Anweisung eines Delegierten Europäischen Staatsanwalts an einen Generalstaatsanwalt oder den Generalbundesanwalt darstellt, eine solche durchzuführen.  Unklar ist auch, inwieweit sich aus Art. 12 eine örtliche Zuständigkeit eines Delegierten Europäischen Staatsanwalts über die Landesgrenzen des Bundeslandes hinaus, aus welchem er kommt, ergibt.

d) Unabhängigkeit

Der Deutsche Richterbrund begrüßt uneingeschränkt die Unabhängigkeit des EPPO. Die Einführung eines weisungsfreien Staatsanwalts auf europäischer Ebene hat Modellcharakter auch für die Mitgliedstaaten. Die hierfür getroffene Regelung in Art. 6 VO-E, welche die Mitglieder der Europäischen Staatsanwaltschaft an die Interessen der Union, wie sie rechtlich definiert werden („as defined by law“), bindet, ist der angemessene Rahmen für die Unabhängigkeit.

Problematisch für die Unabhängigkeit der europäischen Staatsanwälte und der Delegierten Europäischen Staatsanwälte ist ihre Ernennung auf Zeit. Die Rückkehr der Europäischen Staatsanwälte in angemessene Leitungsfunktionen und der Delegierten Europäischen Staatsanwälte in eine Tätigkeit mit Aufstiegspotenzial ist zumindest in Deutschland von Entscheidungen der Justizverwaltungen abhängig. In Verbindung mit dem Vorschlagsrecht der Mitgliedstaaten, welches durch die Wahl der Europäischen Staatsanwälte aus einem Vorschlag von drei Kandidaten im Rat nur wenig gebrochen wird, ergeben sich für die Justizverwaltungen Möglichkeiten der Karriereplanung, welche für die Unabhängigkeit - auch und insbesondere der europäischen Staatsanwälte - eine erhebliche Gefahr darstellt.  Es kann daher nicht vermieden werden, dass von den Mitgliedstaaten Personen als Europäischer Staatsanwalt vorgeschlagen werden, welche fest in die (Karriere-)Strukturen der nationalen Justizverwaltung eingebunden sind und deren Interessen beim EPPO vertreten.

2. Weitere Fragen

a) Ermittlungskompetenz

Der Verzicht auf eine eigene Prozessordnung mit der Einrichtung eines Europäischen Ermittlungsrichters bedingt den Rückfall auf die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen.

Die Ermittlungen des EPPO hängen damit ausschließlich an den Kompetenzen der Delegierten Europäischen Staatsanwälte, welche diese in die Behörde mitbringen, Art. 12 Absatz 1, 23 Absatz 1 VO-E. Die Kompetenz deutscher Staatsanwälte ist für die Sachleitung von Ermittlungsverfahren ausreichend; ob dies für alle Mitgliedstaaten zutrifft, kann der Deutsche Richterbund nicht überblicken.

In der Praxis wird die Ermittlungsarbeit in Deutschland unter der Sachleitung der Staatsanwaltschaft von Beamten der Polizei bzw. des Zolls oder der Steuerfahndung durchgeführt. Die Staatsanwaltschaften sind bereits personell nicht in der Lage, das für  größere Ermittlungsverfahren notwendige Personal aufzubieten. Der personelle Aufbau des EPPO, der zwei Delegierte Europäische Staatsanwälte für jeden Mitgliedstaat vorsieht, lässt erkennen, dass auch für diese der in Art. 23 Absatz 1 VO-E vorgesehene Rückgriff auf die „zuständigen Behörden“ der Regelfall werden wird. Selbst wenn Deutschland mehr als zwei Delegierte Europäische Staatsanwälte stellen wird, können die notwendigen Ermittlungen nur durch „Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft“ (§ 152 GVG) erledigt werden. Dies dürfte in den anderen Mitgliedstaaten ähnlich sein.

Das Verhältnis der Delegierten Europäischen Staatsanwälte zu ihren nationalen Ermittlungsbehörden ist daher für den Ermittlungserfolg von erheblicher Bedeutung. Diese „Ermittlungspersonen“ bleiben, auch wenn sie einen Ermittlungsauftrag des EPPO bearbeiten, nationale Beamte und bleiben vollständig ausschließlich in die Hierarchie ihrer nationalen Behörde eingebunden. Sie sind an die Weisungen ihrer Vorgesetzten gebunden und diesen gegenüber berichtspflichtig.

Es stellt sich daher die Frage, ob die Regelung des Art. 23 Absatz1 S. 2 VO-E, wonach die zuständigen Ermittlungsbehörden „sicherstellen, dass alle Anweisungen befolgt werden“ in Verbindung mit Erwägungsgrund 59 eine ausreichende Rechtsgrundlage für erfolgreiches Ermitteln des EPPO in Mitgliedstaaten darstellt, welche diese Ermittlungen nicht fördern wollen; ob der EPPO nicht den Rückgriff auf europäische Ermittlungsbeamte benötigt, mit denen er solche Ermittlungen durchführen kann. Und ob OLAF nicht diese Ermittlungspersonen stellen kann, dem EPPO also nicht die Möglichkeit eröffnet werden muss, Mitarbeitern von OLAF Ermittlungsaufträge zu erteilen. Dies müsste, auch im Hinblick auf die sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen, geprüft werden.
Hinzu kommt die Frage, welche eigenständige Ermittlungskompetenz die nationalen Ermittlungsbehörden besitzen, wenn sie für den EPPO tätig werden. Durch Art. 12 Absatz 1, 23 Absatz 1 VO-E dürfte die im deutschen Recht verankerte eigene Zuständigkeit der Polizei für die Ermittlung von Straftaten, § 163 StPO, entfallen. Diese kann bei Straftaten, die in den Zuständigkeitsbereich des EPPO fallen, nur auf einzelne Ermittlungsersuchen des Delegierten Europäischen Staatsanwalts hin tätig werden und besitzt in Verfahren, die vom EPPO geführt werden, keine eigenen Rechte. Dies erscheint jedoch nicht vollständig geklärt. Ungeregelt ist dabei auch, inwieweit die Polizei in eigener Zuständigkeit die europäischen und internationalen Mechanismen grenzüberschreitender Zusammenarbeit nutzen und beispielsweise Europol oder Interpol einschalten kann.

Der Delegierte Europäische Staatsanwalt muss, auch hier in Rückgriff auf seine nationalen Kompetenzen, die notwendigen richterlichen Beschlüsse beantragen. Offen ist, ob sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts dabei aus dem nationalen Sitz des Delegierten Europäischen Staatsanwalts ableitet. Die Regelung des Art. 12 Absatz 2, wonach die örtliche Zuständigkeit der Delegierten Europäischen Staatsanwälte vom Europäischen Generalstaatsanwalts  genehmigt wird, spricht dagegen. Auch hierzu bedarf es einer eindeutigen Regelung in der Verordnung.

b) Grenzüberschreitende Ermittlungen

Einen nicht nachvollziehbaren Systembruch findet die Kompetenzordnung des EPPO im Bereich grenzüberschreitender Ermittlungen. Dies lässt sich durch die Tatsache, dass mit dem EPPO eine europäische Behörde ermittelt, nicht rechtfertigen. Während der Delegierte Europäische Staatsanwalt innerstaatlich auf die ihm national zustehenden Befugnisse zurückgreifen kann - und muss -, werden ihm die Instrumente der Rechtshilfe und der Maßnahmen der gegenseitigen Anerkennung, die er als nationaler Staatsanwalt nutzen kann, als Delegierter Europäischer Staatsanwalt weitgehend verwehrt. Einen angemessenen Ersatz über eigenständige Rechtsinstrumente aus der Verordnung erhält er nicht. Er ist bei grenzüberschreitenden Ermittlungen, welche einer richterlichen Anordnung bedürfen, auf eine Entscheidung des für die Maßnahme örtlich zuständigen Gerichts angewiesen.

Unverständlich ist auch, warum der die Ermittlungen führende Delegierte Europäische Staatsanwalt als Mitglied einer europäischen Behörde den Antrag nicht selbst stellen kann, sondern über den für das Gericht örtlich zuständigen Kollegen aus einem anderen Mitgliedstaat gehen muss, Art. 26 Absatz 2,3 VO-E.

Diese Abkehr vom Mechanismus der Rechtshilfe und der gegenseitigen Anerkennung und insbesondere vom Verfahren der Europäischen Ermittlungsanordnung (Richtlinie 2014/41/EU) wird aus Sicht des Deutschen Richterbundes dazu führen, dass grenzüberschreitende Ermittlungen durch den EPPO kaum zu führen sein werden. Wie die Ratspräsidentschaft in ihrem Papier vom 20. September 2016 - Dok-Nr. 12344/16 - zutreffend festgestellt hat, birgt der Antrag vor einem auswärtigen Gericht die Gefahr, dass umfangreiche Ermittlungsakten zunächst über Monate hinweg vollständig übersetzt werden müssen (dort S. 5; vgl. auch EP- Study S. 32).

Die im Papier der Ratspräsidentschaft angedachte Lösung, über einen Erwägungsgrund die Akteneinsicht des Gerichts auf einen übersetzten Sachstandsbericht des EPPO zu begrenzen, kann keine Lösung sein und wurde deshalb auch nicht weiter verfolgt. Eine richterliche Entscheidung bedingt die vollständige Aktenkenntnis und damit auch das Vorliegen der entscheidenden Aktenteile in einer Sprache, welche der Richter lesen kann. Es ist keinem Richter zuzumuten, originär über Grundrechtseingriffe auf der Basis eines Berichts zu entscheiden.

Für den Fall einer Durchsuchung bedeutet dies, dass sämtliche Entscheidungen vom Durchsuchungsbeschluss bis hin zur Auswertung von Datenträgern nach Sicherstellung und anschließender Beschlagnahme, nach dem jeweils geltenden Ortsrecht getroffen werden müssen. Auch die Akteneinsicht in diejenigen (Teil)Akten, welche Grundlage der örtlichen Gerichtsentscheidung waren, wird durch das Recht dieses Gerichts geregelt. Gegen sämtliche Entscheidungen werden die national zulässigen Rechtsmittel eröffnet, Art. 36 Absatz 3 VO-E. Dies führt, insbesondere wenn an mehreren Orten gleichzeitig durchsucht werden muss, zu unerträglichen Verfahrensverzögerungen.

Dies wird grenzüberschreitende Ermittlungen des EPPO weitgehend lähmen. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes bietet sich als Ausweg nur die Öffnung aller Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung für den EPPO an. Dies erscheint mit der Stellung des EPPO als europäischer Ermittlungsbehörde vereinbar, wie der Rückgriff auf den Europäischen Haftbefehl als Rechtsinstrument zur grenzüberschreitenden Festnahme in Art. 28 Absatz 2 VO-E zeigt. Die in der Verordnung angelegte unterschiedliche Behandlung grenzüberschreitender Beweiserhebung unter einem eigenen Regime und der Inhaftierung unter dem Regime der gegenseitigen Anerkennung ist nicht nachvollziehbar („.. it is curious to see...“, EP-Study  S. 32).

c) Zulässigkeit von Beweismitteln

Die Regelung des Art. 31 VO-E, welche nur die alleinige Verwertbarkeit von Beweisen durch den EPPO vor allen Gerichten der Mitgliedstaaten sicherstellt, erscheint praxisgerecht. Es wird Aufgabe der nationalen Gerichte in Anwendung ihres jeweiligen Beweisrechts sein, über die Zulässigkeit und die Bedeutung einzelner Beweise zu entscheiden.

d) Beschuldigtenrechte

Der in Art. 35 VO-E vorgegebene Rückgriff auf nationales Recht zur Sicherung der Beschuldigtenrechte überzeugt nicht. Es bedarf, auch zur Klarstellung gegenüber der Europäischen Staatsanwaltschaft hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten, einer klare Aussage des europäischen Gesetzgebers, welche Rechte Beschuldigte und Dritte im Strafverfahren, welche vom EPPO geführt werden, besitzen. Ein Verweis auf Richtlinien, welche von ihrer Funktion aus in nationales Recht umgesetzt werden müssen und entsprechend unpräzise sind, reicht nicht aus. Eindeutige Regelungen für das Ermittlungsverfahren über Akteneinsicht, zum Recht auf Beweisanträge durch Beschuldigte, auf Teilnahme an Ermittlungshandlungen, auf Einbindung in Sachverständigengutachten u.a. sind zwingend notwendig.

Inwieweit die Regelungen des Art. 36 VO-E über die Zuständigkeit des EuGH mit europäischem Primärrecht in Einklang zu bringen sind, bedarf einer gesonderten Überprüfung. Es erscheint insbesondere offen, inwieweit Art. 36 Absatz 1 VO-E im Hinblick auf die Rechtsweggarantie zum EuGH gegen Handlungen von Einrichtungen der Union aus Art. 263 Absatz 1 AEUV einen eigenen Regelungsinhalt besitzt. 

Weiter zu beleuchten sein wird auch die Frage, auf welcher rechtlichen Basis der EuGH über Einstellungsverfügungen des EPPO gemäß Art. 33 Absatz 1, 36 3 VO-E entscheidet, wenn z.B. wegen „fehlender sachdienlicher Beweise“ eingestellt wird. Dies kann sich nur auf das Beweisrecht des Gerichts beziehen, vor dem Anklage hätte erhoben werden müssen. Es erscheint fraglich, ob der EuGH eine Zuständigkeit für die Auslegung nationalen Beweisrechts besitzt.

e) Beziehungen zu Drittorganisationen, Rechtshilfe

aa) OLAF
Geregelt werden muss, wie oben bereits erwähnt, das Verhältnis des EPPO zu OLAF. Weder genügt Art. 57a VO-E den Anforderungen an eine Klarstellung des Verhältnisses von strafrechtlichen zu administrativen Ermittlungen auf europäischer Ebene noch ist geregelt, inwieweit OLAF für den EPPO Ermittlungen durchführen kann bzw. muss.
 
Die Notwendigkeit für den EPPO, Beamte von OLAF als Ermittlungspersonen einzusetzen, wurde oben dargelegt. Die in Art. 3 des Ratsbeschlusses zur Errichtung von OLAF vom 28.04.1999 festgeschriebene Unabhängigkeit von OLAF ist daher im Interesse einer erfolgreichen, gleichmäßigen Strafverfolgung auch gegen Widerstände der Mitgliedstaaten teilweise aufzuheben und der EPPO mit einer - genau definierten - Weisungsbefugnis gegen OLAF auszustatten. Darüber hinaus muss OLAF dem EPPO uneingeschränkt Akteneinsicht gewähren.

Es wäre unerträglich und würde dem Ansehen des EPPO erheblich schaden, wenn er Ermittlungen führen müsste, ohne auf Erkenntnisse und Beweismittel bei OLAF zurückgreifen zu können oder OLAF mit Ermittlungsmaßnahmen betrauen zu können. Dabei sollte, um die europäische Ebene zu wahren, die Weisungsbefugnis gegenüber OLAF bei der zentralen Ebene des EPPO festgemacht und auf Europäische Staatsanwälte übertragen werden.

bb) Rechtshilfe
Es ist zu erwarten, dass die Ermittlungen des EPPO in größerem Umfang Rechtshilfemaßnahmen in Staaten erforderlich machen, welche nicht - oder nicht mehr - Mitglied der Europäischen Union sind. Die Delegierten Europäischen Staatsanwälte dürften solche Rechtshilfemaßnahmen für Ermittlungsverfahren des EPPO auf der Basis ihrer nationalen Kompetenzen nicht durchführen können. Es bedarf daher klarer Vorgaben des europäischen Gesetzgebers, wie und von wem diese Rechtshilfemaßnahmen durchzuführen sind.

Bis zum Abschluss von Rechtshilfeabkommen der Union mit Drittstaaten wird es aus Sicht des Deutschen Richterbundes unausweichlich sein, nationale Staatsanwaltschaften mit den weiteren Ermittlungen zu betrauen, sofern wesentliche Rechtshilfemaßnahmen erforderlich werden. Ansonsten würde eine Strafverfolgungslücke entstehen, da der EPPO die notwendigen Ermittlungen im Drittland nicht durchführen kann, die nationale Staatsanwaltschaft für das Verfahren nicht zuständig ist. Eine solche (Rück)Übertragung der Zuständigkeit ist in Art. 28a VO-E aufzunehmen.