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zu Gesetzentwürfen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch

 

Der Deutsche Richterbund bedankt sich für die Gelegenheit, zum Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs Stellung nehmen zu können, mit dem die von der Bundesrepublik Deutschland bereits im Oktober 2007 unterzeichnete Lanzarote-Konvention des Europarats sowie die Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie umgesetzt werden sollen.

Die Ahndung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in allen Ausprägungen ist eines der zentralen Anliegen des deutschen Strafrechts. In Umsetzung dieses Ziels wurde in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche Änderungen, Ergänzungen und Erweiterungen der §§ 174 ff. StGB ein Schutzniveau geschaffen, das auch nach hiesiger Einschätzung die Vorgaben der Lanzarote-Konvention und der Richtlinie 2011/93/EU weitestgehend erfüllt bzw. in Teilen sogar übertrifft. Soweit dies in Randbereichen noch nicht der Fall sein sollte, ist die Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber zwingend, wobei gleichwohl die Systematik des deutschen Strafrechts ebenso wie die praktischen Umsetzungsmöglichkeiten allfälliger Änderungen nicht aus dem Blick verloren werden dürfen. 

1. Änderung des § 5 Nr. 8 StGB

Soweit der Bundesgesetzgeber durch völkerrechtliche Verpflichtungen gehalten ist, die Anwendung des deutschen Strafrechts auf weitere Auslandsstraftaten deutscher Täter unabhängig von der Tatortstrafbarkeit zu erstrecken, ist die Änderung des § 5 Nr. 8 StGB alternativlos. Zwar ist zu erwarten, dass sich mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs des deutschen Strafrechts auch die Zahl der Fälle erhöhen wird, in denen - zumal bei fehlender Strafbarkeit am ausländischen Tatort - Ermittlungen wegen nicht oder nicht vollständig geleisteter Rechtshilfe nicht erfolgreich abgeschlossen werden können; dies ist jedoch angesichts der bindenden völkerrechtlichen Vorgaben hinzunehmen.

Die weitere Entscheidung, jenseits völkerrechtlicher Verpflichtungen weitere Tatbestände in den Katalog des § 5 Nr. 8 StGB aufzunehmen (§ 179 Abs. 2 StGB) bzw. nicht aufzunehmen (§ 180 StGB einschließlich § 180 Abs. 4 StGB-E, § 182 Abs. 5 StGB-E), erscheint vertretbar. Das in der Begründung des Entwurfs aufgeführte Argument für den Ausschluss von § 182 Abs. 5 StGB-E aus der Neufassung des § 5 Nr. 8 StGB ist allerdings nur bedingt stichhaltig: Nach der Begründung wiesen Taten, bei denen der Täter sexuelle Handlungen lediglich ohne Körperkontakt vor sich vornehmen lasse, geringeren Unrechtsgehalt auf, sodass ihre Einbeziehung in die Änderung des § 5 Nr. 8 StGB nicht erforderlich sei. Dieses Argument ist freilich gleichermaßen für § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB-E anwendbar, demzufolge künftig ebenfalls strafbar sein soll, wenn der Täter (lediglich) sexuelle Handlungen durch ein Kind vor sich vornehmen lässt. Gleichwohl stellt die Überlegung, die genannten Vorschriften nicht in den erweiterten Anwendungsbereich des § 5 Nr. 8 StGB-E aufzunehmen, auch nach hiesiger Auffassung keine unangemessene Einschränkung des Schutzes von Jugendlichen im Vergleich zu Kindern dar. Für eine Einbeziehung des § 176 Abs. 4 Ziff. 1, 2. Alternative StGB-E (im Unterschied zu § 182 Abs. 5 StGB-E) spricht vielmehr bereits der Umstand, dass auch nach der geltenden Rechtslage für alle Tatbestandsalternativen des § 176 StGB deutsches Strafrecht gem. § 5 Nr. 8 StGB ohne Einschränkung durch die Staatsangehörigkeit des Opfers anwendbar ist, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat Deutscher war. Eine Einschränkung im Zusammenhang mit der Gesetzesänderung ist nicht sinnvoll.

2. Änderung der §§ 176 ff. StGB

Auch auf den sehr weitgehenden Schutz von Kindern und Jugendlichen durch Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/93/EU muss der Bundesgesetzgeber reagieren, selbst wenn nach hiesiger Einschätzung ein praktisches Bedürfnis für einen über §§ 176 Abs. 4 Ziff. 2, 180 StGB hinausgehenden strafrechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Missbrauch durch Betrachtetwerden bei der Vornahme sexueller Handlungen nur in seltenen Fallkonstellationen bestehen wird.

a) Nach den Vorgaben der Richtlinie 2011/93/EU hat sich der strafrechtliche Schutz von Kindern unter 14 Jahren auch auf Fälle zu erstrecken, in denen diese an pornographischen Darbietungen teilnehmen. Dies soll dadurch erreicht werden, dass künftig auch derjenige bestraft werden kann, der an pornographischen Darbietungen unter Beteiligung eines Kindes (lediglich) als Zuschauer teilnimmt, ohne selbst auf die Durchführung der Veranstaltung und/oder die Beteiligung des Kindes Einfluss genommen zu haben. In Bezug auf Kinder im Sinne von § 176 StGB soll dies durch die Erweiterung von § 176 Abs. 4 Ziff. 1 StGB geschehen, wonach auch derjenige bestraft werden soll, der ein Kind „sexuelle Handlungen vor sich vornehmen lässt“. Um hierdurch den beabsichtigten weitgehenden Schutz zu erreichen, muss § 176 Abs. 4 Ziff. 1 StGB als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet sein, das jeden Besucher einer Darbietung verpflichtet, diese zu verlassen oder zu beenden, sobald ein Kind sich sexualbezogen darbietet. Ob die Vorschrift von der Rechtsprechung letztlich aufgrund des erkennbaren gesetzgeberischen Willens so ausgelegt würde oder weitergehend eine wie auch immer geartete Beeinflussung des Kindes durch den Täter verlangt würde, ist fraglich. Es wäre daher aus hiesiger Sicht sinnvoll, durch eine entsprechend deutliche Formulierung des § 176 Abs. 4 Ziff. 1 StGB-E klarzustellen, dass bereits die bloße Zuschauereigenschaft für die Strafbarkeit ausreicht, selbst wenn der Täter keinerlei Einfluss auf die Durchführung der Darbietung bzw. auf das daran beteiligte Kind genommen hat.

b) Nach dem Entwurf soll der von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/93/EU verlangte Schutz von Jugendlichen im Sinne des deutschen Strafrechts durch die neuen §§ 180 Abs. 4 und 182 Abs. 5 StGB-E erreicht werden. Der gegen die Änderung in § 176 Abs. 4 Nr. 1 erhobene Einwand gilt auch hinsichtlich dieser Vorschriften, die gleichermaßen unter Strafe stellen, wenn der Täter sexuelle Handlungen ohne jegliche Einflussnahme auf die jugendlichen Darsteller vor sich vornehmen lässt. Im Übrigen schützt der Entwurf Jugendliche nicht, wie von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/93/EU nach seinem Wortlaut vorgesehen, umfassend vor den Betrachtern von Darbietungen, in denen sie sexualbezogen auftreten, sondern nur dann, wenn sie gegen Entgelt auftreten oder zur Darbietung unter Missbrauch eines Erziehungs- oder vergleichbaren Verhältnisses, unter Ausnutzung einer Zwangslage oder ihrer fehlenden Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung veranlasst wurden. Der Entwurf geht davon aus, dass auch dieser nur teilweise Schutz von Jugendlichen der völkerrechtlichen Vorgabe genügt (Begründung Teil A I des Referentenentwurfs). Diese Bewertung ist aus dem Kontext der Richtlinie und der Lanzarote-Konvention nachvollziehbar. Jedenfalls ist auch aus Sicht der Praxis vor dem Hintergrund der Systematik der §§ 174 ff. StGB eine Differenzierung zwischen Kindern und Jugendlichen i.S. des deutschen StGB angezeigt. Das StGB geht durchgehend von der Prämisse aus, dass Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren grundsätzlich sexualbezogen autonome Entscheidungen treffen können, sodass sexuelle Handlungen an, mit und vor ihnen nur unter Strafe gestellt sind, wenn besondere Umstände (im Einzelfall fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung, Ausnutzung eines Schutzverhältnisses oder einer Zwangslage) dazukommen. Diese Systematik sollte durch die geplante Gesetzesänderung nicht durchbrochen werden; angesichts dieser Umstände ist die einschränkende Formulierung der § 180 Abs. 4 und § 182 Abs. 5 StGB-E sachgerecht.

Allerdings kann die gesetzliche Regelungstechnik wenig überzeugen: Den von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/93/EU intendierten Schutz Jugendlicher in verschiedenen Vorschriften (§§ 180 Abs. 4, 182 Abs. 5 StGB-E), dazu jeweils mit Verweisungen auf andere Vorschriften, umzusetzen, trägt nicht zur Rechtsklarheit bei.

Unabhängig von der Verpflichtung zur Umsetzung von Richtlinie und Konvention sollen die praktischen Bedenken gegen eine Ausweitung der Strafbarkeit in dem genannten Sinne nicht verschwiegen werden: So dürfte der Nachweis vorsätzlicher Tatbegehung regelmäßig mit erheblichen Problemen verbunden sein, da bewiesen werden müsste, dass der Täter, der ja lediglich Zuschauer einer entsprechenden Darbietung ist, beim Betrachten wusste oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass eine der gesetzlich geregelten Zwangslagen oder einer der sonstigen besonderen Umstände vorlag, unter denen schon das Betrachten sexualbezogenen Auftretens Jugendlicher verboten ist. Dieser Nachweis dürfte beim Zuschauer, der in keiner Form an der Durchführung der Darbietung beteiligt ist, im Einzelfall schwierig zu führen sein.

Dieses Problem relativiert sich freilich angesichts der mutmaßlich geringen praktischen Relevanz der geplanten Regelung. Verfahren, in denen es zur Verurteilung des Täters Vorschriften wie der nun vorgesehenen (§§ 180 Abs. 4, 182 Abs. 5 StGB, jeweils in der Fassung des Entwurfs) bedarf, dürften aus Sicht der Praxis äußerst selten sein. Regelmäßig erschöpft sich das Verhalten des potentiellen Täters bei Live-Darbietungen nämlich nicht in der bloßen Betrachtung der sexuellen Handlungen. Das Betrachten von einschlägigen Darbietungen auf Bildern oder in Filmen ist jedoch schon nach geltendem Recht unter Strafe gestellt.

c) Nicht gänzlich unproblematisch erscheint die vorgeschlagene Erweiterung hinsichtlich der Kommunikationsmittel in § 176 Abs. 4 Ziff. 3 StGB. Die Begründung des Entwurfs weist zutreffend darauf hin, dass schon bisher die meisten Möglichkeiten der Einwirkung mittels Kommunikationstechnologie angesichts des umfassenden Schriftenbegriffs in § 11 Abs. 3 StGB erfasst sind. Wird künftig die Einwirkung mittels Schriften alternativ neben die Einwirkung mittels Kommunikationstechnologie gestellt, werden sich Stimmen finden, die angesichts dieser gesetzlichen Alternativität die Reichweite des Schriftenbegriffs reduzieren wollen. Es sollte daher erwogen werden, ob statt der geplanten Regelung in § 176 Abs. 4 Ziff. 3 StGB-E eine entsprechende ausdrückliche Erweiterung des Schriftenbegriffs in § 11 Abs. 3 StGB in Betracht kommt.

Weiter erwogen werden sollte hiesigen Erachtens außerdem, ob, wie in der Vorlage für die Justizministerkonferenz zum Cyber-Grooming erörtert, nicht de lege ferenda die Einwirkung auf Kinder unabhängig von der Form der Kommunikation strafbar sein sollte, wie es etwa die erwähnte Bestimmung des österreichischen Strafgesetzbuches vorsieht.

In dem Gesetzentwurf ist die Versuchsstrafbarkeit lediglich für die Neuregelung des § 176 Abs. 4 Ziff. 1 StGB thematisiert und im Hinblick auf die derzeit geltende Rechtslage für § 176 Abs. 4 Ziff. 1 StGB bejaht. Es sollte jedoch erwogen werden, ob – wie in der Vorlage für die Justizministerkonferenz erörtert – die Versuchsstrafbarkeit auch auf den Tatbestand des § 176 Abs. 4 Ziff. 3 StGB auszudehnen ist. Eine solche Regelung würde jedenfalls nicht ins Leere gehen; in der Praxis sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen der Täter irrig davon ausgeht, mit einem Kind zu kommunizieren. Die Ausdehnung der Versuchsstrafbarkeit schaffte die Möglichkeit, potentiell gefährliche Täter, die ansonsten nicht bestraft werden könnten, zu erfassen und dabei auch strafprozessualen Maßnahmen, beispielsweise solchen nach § 81g StPO, zu unterwerfen.

gez. Andrea Titz, stellv. Vorsitzende des DRB