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Stellungnahme gegenüber dem Bundesverfassungsgericht zur Verfassungsbeschwerde gegen § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB, der eine ambulante ärztliche Zwangsmaßnahme nicht zulässt

 

Der Deutsche Richterbund hält die gesetzgeberische Zulassung einer ambulanten ärztlichen Zwangsmaßnahme nicht für verfassungsrechtlich geboten.

Nach § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB dürfen ärztliche Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus durchgeführt werden. In dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sieht die Verfassungsbeschwerde die Grundrechte des Betroffenen darin verletzt, dass eine ambulante Zwangsmedikation (in einer Pflegeeinrichtung) gesetzlich nicht zugelassen ist.

Dem Verfassungsbeschwerdeverfahren liegt dabei die Fallkonstellation zugrunde, dass der unter fortgeschrittener Demenz leidende Betroffene bei Krankenhausaufenthalten immer wieder in ausgeprägter Form Delirzustände entwickelt. Vor diesem Hintergrund erscheint nach Auffassung der Verfassungsbeschwerde eine ambulante ärztliche Zwangsmaßnahme in einer Pflegeeinrichtung als mildere Maßnahme gegenüber einer ärztlichen Zwangsmaßnahme in einem Krankenhaus.

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Verfassungsbeschwerdeverfahren einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Außervollzugsetzung von § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB durch Beschluss vom 07.08.2018 abgelehnt.

Der Deutsche Richterbund hält die gesetzgeberische Zulassung einer ambulanten Zwangsmaßnahme nicht für verfassungsrechtlich geboten. Der Lebenssachverhalt, welcher der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegt, betrifft ein beklagenswertes menschliches Schicksal. Der Betroffene des gerichtlichen Verfahrens ist in mehrfacher und zudem sehr ausgeprägter Form als Folge seiner Erkrankung Leid und Zwängen ausgesetzt. Krankenhausaufenthalte bringen für ihn zudem erhebliche Belastungen mit sich.

Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass die – bei einer ärztlichen Zwangsmaßnahme stets erforderliche – ärztliche Begleitung vor und nach einer ärztlichen Zwangsmaßnahme gleichermaßen unabdingbar erscheint wie während der Maßnahme selbst. Dieses Grundverständnis stellt § 1906a Abs. 1 S. 1 Nr. 7 BGB dadurch sicher, dass die Maßnahme nur im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts durchgeführt werden kann. Der Gesetzgeber hat mit dieser Beschränkung der ärztlichen Zwangsmaßnahme die verfassungsrechtlichen Grenzen seines Gestaltungsspielraums nicht überschritten.

Bei einer abstrakten Betrachtungsweise stellt der konstitutive Krankenhausaufenthalt keineswegs eine negative Komponente der Maßnahme dar. Denn infolge der psychiatrisch relevanten Grunderkrankungen sowie etwaiger weiterer somatischer Beschwerden können in der Folge der Zwangsbehandlung erhebliche und multiple Komplikationen eintreten, welchen im Krankenhaus aufgrund des permanenten Vorhandenseins von Ärzten und ausgebildetem Fachpersonal grundsätzlich besser begegnet werden kann als in anderen heimstationären oder ambulanten Formen. Gerade weil entsprechende negative Entwicklungen keineswegs sicher vorhersehbar sind, stellt der Krankenhausaufenthalt durchaus einen aus dem Gesichtspunkt der Sicherung der Gesundheitsinteressen des Betroffenen positiv zu bewertenden Aspekt der bisherigen Regelungskonstellation dar. Zwar könnte man daran denken, eine Zwangsbehandlung zu ermöglichen, wenn eine Pflegeeinrichtung einen krankenhausähnlichen Standard bieten könnte, so wie dies in der Verfassungsbeschwerde anklingt. Die Bildung eines entsprechenden Tatbestandsmerkmales, das notwendig ausfüllungsbedürftig sein müsste, würde allerdings mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit einhergehen. In jedem Fall müssten Gerichte als Voraussetzung einer Genehmigungserteilung tatsächliche Möglichkeiten der Versorgung im ärztlichen Dienst und in der Pflege untersuchen; eine derartige Prüfungsaufgabe im Betreuungsrecht wäre indes systemfremd. Und letzten Endes wäre – anders als im Krankenhaus, wo Vertretungsregelungen in den ärztlichen Diensten als systemimmanent vorauszusetzen sind – die Gewissheit einer permanenten ärztlichen Versorgung bei plötzlich auftretenden Komplikationen der Zwangsbehandlung etc. immer herabgesetzt.

Die grundsätzliche Befassung mit einer Ermöglichung von ambulanter Zwangsbehandlung erfordert schließlich eine übergreifende Betrachtung und damit die Beantwortung einer Reihe von schwierigen Fragen.

Einerseits zeigt ein Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung der 2000er Jahre (BGH NJW 2001, 888; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 1114; OLG Bremen NJW-RR 2006, 75; OLG Karlsruhe FamRZ 2008, 1211), dass die Diskussion keinesfalls verengend nur in Bezug auf die Diagnose der (fortgeschrittenen) senilen Demenz geführt werden kann. Auch bei gänzlich divergierenden Krankheitsbildern ergäben sich gegenüber einer stationären Zwangsbehandlung aus Verhältnismäßigkeitsgründen zuweilen Vorteile für den Betroffenen, wenn die Medikation ambulant erfolgen könnte.

Andererseits wäre abseits des der Verfassungsbeschwerde zu Grunde liegenden Falles unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten weiter zu prüfen, ob die Zwangsbehandlung wirklich nur, wie im Jahre 2017 durch den Bundesrat angeregt (BT-Drucksache 18/11617, S. 3), in Pflegeheimen oder auch in sonstigen Einrichtungen oder möglicherweise auch zu Hause stattfinden können soll. Jedenfalls Letzteres wäre rechtlich schwerlich möglich, da das Bundesverfassungsgericht richterliche Anhörungen und Begutachtungen durch den Sachverständigen im häuslichen Umfeld für nicht zulässig erachtet, wenn sich der Betroffene dagegen ausspricht (BVerfG NJW 2018, 2185).

Zudem wäre es erforderlich, dass die gebotene medizinische Versorgung einschließlich der erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist. Diese Voraussetzung allerdings wäre in einen Genehmigungstatbestand sehr schwer zu integrieren. Da sich diese Maßgabe aber unmittelbar auf die Frage des Ortes zur Zwangsbehandlung auswirkt, handelt es sich nicht um eine bloße Vollzugsfolge einer erteilten betreuungsgerichtlichen Genehmigung, sondern wäre bereits auf der Tatbestandsebene zu prüfen. Das zwingend einzuholende fachärztliche Gutachten im Sinne des § 321 FamFG würde sich auch auf diesen Bereich zu erstrecken haben, wobei sich die ärztliche Untersuchung dann anders als bei den bisher zur Begutachtung anstehenden Fragen nicht allein auf die Exploration des Betroffenen beschränken könnte. Vielmehr hätte der Gutachter auch die Möglichkeiten der sachgerechten Nachsorge zu hinterfragen und zu bewerten. Denn anders als bei der Unterbringung und der Zwangsbehandlung in einem Krankenhaus ist bei den nunmehr anstehenden Szenarien die Einhaltung der gebotenen ärztlichen Standards keineswegs gesichert.

Schließlich müsste auch klargestellt werden, dass die sogenannte verdeckte Gabe von Medikamenten, die der Betroffene auf der Grundlage seines natürlichen Willens nicht einnehmen möchte, verboten ist. Auch hierbei handelt es sich grundsätzlich um eine Zwangsbehandlung (grundlegend AG Ratzeburg v. 10.12.2013 – 2 XVII W 1876, BtPrax 2014, 93; Weber/Leeb, Die verdeckte Gabe von Medikamenten als ärztliche Zwangsmaßnahme, BtPrax 2014, 119). Gegen eine solche Handhabung dürften insbesondere ethische Gründe sprechen.