Schwerpunkte des Ampel-Koalitionsvertrags auf einen Blick

Berlin. SPD, Grüne und FDP haben ihrem Koalitionsvertrag den Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ gegeben. Viele der rechtspolitischen Schwerpunkte, insbesondere das Versprechen eines Bund-Länder-Rechtsstaatspakts, hat die Ampel zur Halbzeit aber noch immer nicht umgesetzt.  

Auf 177 beschreibt die Ampel-Regierung ihr Arbeitsprogramm bis 2025. So bekennen sich die drei Parteien dazu, den Bund-Länder-Rechtsstaatspakt zu verstetigen und um einen Digitalpakt für die Justiz zu erweitern. Das hatte der Deutsche Richterbund (DRB) in den vergangenen Jahren immer wieder gefordert. Zwar sind von 2017 bis 2021 mehr als die seinerzeit mit dem ersten Rechtsstaatspakt zugesagten 2000 neuen Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen worden, doch arbeitet vor allem die Strafjustiz aufgrund zahlreicher neuer gesetzlicher Aufgaben „weiter am Limit“. Auch Massenverfahren anlässlich des Dieselskandals oder die Vielzahl der Verfahren anlässlich neuer Flüchtlingsbewegungen fordern die Gerichte. Der DRB begrüßt deshalb die Pläne zur Stärkung der Justiz. Der Koalitionsvertrag sende das wichtige Signal, dass die personellen und auch technischen Probleme in Gerichten und Staatsanwaltschaften angegangen werden sollen. Die Ampel müsse nur endlich liefern.

„Es ist unerlässlich, dass die Ampel-Koalition eine Personal- und Digitaloffensive für die Justiz auf den Weg bringt“, betonen die DRB-Vorsitzenden Andrea Titz und Joachim Lüblinghoff.

 

Ministerielles Weisungsrecht

Auch Änderungen beim ministeriellen Einzelfallweisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften will die Ampel-Koalition laut Koalitionsvertrag in Angriff nehmen und es nach den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) reformieren. Der DRB hatte erst kürzlich nochmals auf grundlegende Reformen beim ministeriellen Weisungsrecht gedrungen. Allein der böse Anschein, dass ein Minister konkrete Ermittlungen gegen bestimmte Beschuldigte in die eine oder die andere Richtung lenken könnte, untergrabe das Vertrauen der Menschen in den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Strafjustiz. Es sei höchste Zeit, das Gerichtsverfassungsgesetz so zu ändern, dass jegliche Einflussnahme der Politik auf konkrete Ermittlungsverfahren sicher ausgeschlossen wird. Bereits vor zweieinhalb Jahren hatte der EuGH entschieden, dass deutsche Staatsanwälte wegen des Weisungsrechts der Ministerien nicht unabhängig sind und keine Europäischen Haftbefehle mehr ausstellen dürfen. Auch die EU-Kommission hat Deutschland in ihren Rechtsstaatlichkeitsberichten für Europa inzwischen wiederholt dazu aufgefordert, das politische Weisungsrecht abzuschaffen.  

 

Beförderung von Bundesrichtern

Den Plänen der Koalitionspartner zufolge sollen auch die Wahl und die Beförderungsentscheidungen für Richterinnen und Richter an den obersten Bundesgerichten „unter den Kriterien Qualitätssicherung, Transparenz und Vielfalt“ reformiert werden. Zudem ist festgehalten, dass Gerichtsverfahren schneller und effizienter werden sollen: Verhandlungen müssten online durchführbar sein, Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper, etwa im Handels- und im Wirtschaftsrecht, eingesetzt werden. Letztere sollen auch englischsprachig verhandeln können. Zudem sollen Kleinforderungen in bürgerfreundlichen digitalen Verfahren einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können und Gerichtsentscheidungen grundsätzlich in anonymisierter Form in einer Datenbank öffentlich und maschinenlesbar verfügbar sein.

 

Strafrecht

An anderer Stelle im Koalitionsvertrag heißt es: „Das Strafrecht ist immer nur Ultima Ratio.“ Es soll systematisch auf seine Handhabbarkeit, Berechtigung und Wertungswidersprüche überprüft werden, wobei der Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz gelegt wird. Strafprozesse will die Ampel-Koalition „effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher“ gestalten, ohne die Rechte der Beschuldigten und deren Verteidigung zu beschneiden. Dabei sollen die Vernehmungen und Hauptverhandlungen in Bild und Ton aufgezeichnet werden können. Zudem sollen Verständigungen und andere mögliche Gespräche über die Verfahrensgestaltung besser geregelt werden. Zur geplanten Modernisierung zählt die Ampel ferner die Überarbeitung des Sanktionssystems einschließlich der Ersatzfreiheitsstrafen, des Maßregelvollzugs und der Bewährungsauflagen.

 

Quellen-TKÜ

Auch zum Einsatz von Überwachungssoftware positionieren sich die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag eindeutig: Sie wollen die Eingriffsschwellen hoch setzen und geltendes Recht so anpassen, dass der Einsatz nur nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für die Online-Durchsuchung zulässig ist. Dabei soll das Bundespolizeigesetz ohne die Befugnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung novelliert werden. „Solange der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht sichergestellt ist, muss ihr Einsatz unterbleiben“, heißt es im Koalitionsvertrag. Eine Verkehrsdatenspeicherung soll künftig nur noch anlassbezogen und nach richterlichem Beschluss möglich sein. Hier hat der EuGH inzwischen entschieden, dass die Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten im Bereich der elektronischen Kommunikation nur in engen Grenzen mit EU-Recht vereinbar ist, aber insbesondere für die Speicherung von IP-Adressen in Fällen schwerer Kriminalität hat der EUGH Spielräume eröffnet.

 

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Die grenzüberschreitende polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit planen die Koalitionäre ebenfalls zu intensivieren, wollen dabei aber hohe Datenschutzstandards sichern und den grenzüberschreitenden Rechtsschutz verbessern. Sie streben die Weiterentwicklung von Europol zu einem Europäischen Kriminalamt mit eigenen operativen Möglichkeiten an und planen, die Europäische Staatsanwaltschaft finanziell und personell auszubauen.

 

Rechtsstaatlichkeit

Auch das Thema Rechtsstaatlichkeit spielt eine zentrale Rolle im Koalitionsvertrag. So wird die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge aufgefordert, die bestehenden Rechtsstaatsinstrumente „konsequenter und zeitnah“ zu nutzen beziehungsweise sie durchzusetzen. Das soll auch für Urteile des EuGH gelten. Verfahren wegen systemischer Vertragsverletzungen könnten vorangetrieben werden, indem die Kommission einzelne Verfahren bei Rechtsstaatsverstößen gegen einen Mitgliedstaat bündelt, schreiben die Parteien im Europa-Teil. Sie halten zudem fest, dass sie der Freigabe von Fördergeldern etwa aus dem Corona-Hilfsfonds in Brüssel erst zustimmen wollen, wenn im Empfängerland „eine unabhängige Justiz gesichert“ ist. Das dürfte unter anderem auf Polen gemünzt sein. Die Rechte aus der EU-Grundrechtecharta sollen nach dem Willen der Ampel-Koalition vor dem EuGH künftig auch dann eingeklagt werden können, wenn ein Mitgliedstaat im Anwendungsbereich seines nationalen Rechts handelt. Zudem will sie den EuGH stärken und die Richterwahlzeit auf einmalig zwölf Jahre verlängern.

 

Ansprechpartner

Bild von Matthias Schröter Matthias Schröter Pressesprecher
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