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zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund gibt zu bedenken, dass ein Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Schäden Hinterbliebener zu einer nicht wünschenswerten Kommerzialisierung persönlicher Schicksalsschläge beiträgt, für die die Rechtsordnung letztlich keinen „angemessenen“ Ausgleich schaffen kann. Zudem ist zu befürchten, dass die Einführung des Anspruchs alsbald die Forderung nach Ausweitung auf weitere Gruppen ähnlich Betroffener nach sich ziehen wird.

Sieht man von diesen Bedenken ab, erscheint die Umsetzung der gesetzgeberischen Absicht mit dem Gesetzentwurf weitgehend gut gelungen.
 
B. Bewertung im Einzelnen

Das Vorhaben, einen Anspruch auf Entschädigung für immaterielle Schäden Hinterbliebener einzuführen, entspricht einer populären Forderung, die insbesondere nach besonders schwerwiegenden Unglücks- oder Verbrechensfällen immer wieder erhoben wird. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes sollte der Gesetzgeber sich jedenfalls nicht vorschnell zur Einführung des Anspruchs entschließen. Es bestehen gewichtige Gründe, die gegen eine solche Regelung sprechen. Die Einführung des Anspruchs auf „Hinterbliebenengeld“ wäre ein weiterer Schritt zur Kommerzialisierung persönlicher Schicksalsschläge. Es wird suggeriert, hinter jedem Schicksalsschlag stehe ein „Schuldiger“, der dafür haften müsse, und das Recht könne für solche Fälle einen „angemessenen“ Ausgleich – in Geld – schaffen. Das gilt insbesondere dann, wenn man, wie der Entwurf es vorsieht, den Anspruch verschuldensunabhängig, also auch im Fall bloßer Gefährdungshaftung, gewähren will. Letztlich wird das persönliche Schicksal zu einer Rechengröße umgeformt, die sich in Geld ausdrücken lässt. Hinzu tritt, dass absehbar ist, dass die jetzt vorgesehene Regelung die öffentliche Diskussion nicht beenden wird. Es wird, abhängig von spektakulären Einzelfällen, über kurz oder lang als nächster Schritt das jetzt noch ausgeschlossene Schmerzensgeld für Angehörige Verletzter gefordert werden, etwa bei Unfallopfern, die lebenslang an einer Behinderung leiden und von ihren Angehörigen gepflegt werden: Auch dort lässt sich plausibel begründen, dass nahestehende Personen angesichts der sie treffenden besonderen Belastung einen Ausgleich erhalten sollten, der über bloß materiellen Schadensersatz hinausgeht. Der Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in ein Regelungsgebiet, das sich jedenfalls in der rechtspolitischen Diskussion kaum eingrenzen lassen wird.
Letztlich ist hier allerdings eine rechtspolitische Entscheidung zu treffen, die allein dem Gesetzgeber obliegt.

Entschließt man sich für die Einführung des Anspruchs, bestehen hinsichtlich der vorgesehenen Ausgestaltung keine wesentlichen Bedenken:

Richtig ist es, dass die Anspruchsberechtigung nicht an ein starres Kriterium wie einen bestimmten Verwandtschaftsgrad, sondern an ein „persönliches Näheverhältnis“ anknüpft. Damit wird ein Begriff geschaffen, der als unbestimmter Rechtsbegriff zwar Abgrenzungsprobleme aufwirft und im Einzelfall zu Entscheidungen führen kann, die von Betroffenen als ungerecht empfunden werden. Gegenüber klarer definierten Personengruppen hat diese Eingrenzung des Berechtigtenkreises aber den Vorzug, die Vielfalt der Lebensverhältnisse besser zu erfassen. Sprachlich könnte die Vorschrift noch etwas schlanker gefasst werden, indem man auf den Begriff „Hinterbliebener“, der zur Abgrenzung des Berechtigtenkreises nach dem jetzigen Entwurf nichts beiträgt, verzichtet. Man könnte etwa, ohne dass sich an der Norm inhaltlich etwas änderte, in § 844 Abs. 3 Satz 1 E-BGB formulieren:

„Der Ersatzpflichtige hat demjenigen, der …, für das ihm zugefügte Leid …“

Warum das Näheverhältnis bei nahen Verwandten allerdings (widerleglich) nach § 844 Abs. 3 Satz 2 E-BGB vermutet werden soll, erschließt sich nicht. Diese Regelung privilegiert eine bestimmte Personengruppe – nahe Verwandte, die zum Getöteten in keinem persönlichen Näheverhältnis (mehr) stehen –, ohne dass dafür eine Rechtfertigung erkennbar wäre. Wer tatsächlich in einem persönlichen Näheverhältnis zum Getöteten stand, wird selten Schwierigkeiten haben, dies zu beweisen. Die Vermutung zu widerlegen, wird dagegen dem Schädiger kaum je gelingen, weil ihm jeder Einblick in die entsprechenden Verhältnisse fehlt.

Der Gesetzentwurf sieht den Anspruch auch für zahlreiche Gefährdungshaftungstatbestände außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs vor. Dies ist konsequent. Andernfalls würde künftig in Gefährdungshaftungsfällen (insbesondere Unfälle im Straßenverkehr, Flugzeugunfälle) nur wegen des Hinterbliebenengeldes um die Frage des Verschuldens des Schädigers gestritten werden müssen.

Zu begrüßen ist auch die offene Formulierung der Rechtsfolge, nämlich eine „angemessene Entschädigung in Geld“. Diese Regelung ist dem allgemeinen Schmerzensgeldanspruch nach § 253 Abs. 2 BGB nachgebildet. Ober- und Untergrenzen oder gar feste Tarife sind zu Recht nicht vorgesehen, denn sie würden vielfach als unbillig empfunden und damit dem Anliegen des Gesetzesvorhabens nicht gerecht werden. Es bedarf auch keiner ausdrücklichen Maßgaben für die Ermessensausübung. Die Rechtsprechung ist, wie die Entwicklung der Schmerzensgeldrechtsprechung zeigt, ohne weiteres in der Lage, im Lauf der Zeit selbst angemessene und weithin akzeptierte Bemessungskriterien zu entwickeln, die – jedenfalls auf längere Sicht – auch die erforderliche Rechtssicherheit schaffen werden.