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zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes – Erhöhung der Sicherheit in öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen und im öffentlichen Personenverkehr durch optisch elektronische Einrichtungen (Videoüberwachungsverbesserungsgesetz)

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Entwurf für ein Videoüberwachungsverbesserungsgesetz begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erscheint fraglich, ob § 6b Abs. 1 Satz 2 BDSG-E einer Überprüfung am Maßstab des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung der jeweiligen Betroffenen standhält. Mit der geplanten Maßnahme werden ganz überwiegend Personen überwacht, die selbst keinen Anlass dafür geben. Das Vorhandensein einer Vielzahl von Videoüberwachungsanlagen führt zu einem diffusen Gefühl des permanenten Überwachtwerdens, was bereits einen Eingriff in grundrechtliche Belange der Betroffenen darstellt.

Regelungen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung gehören systematisch nicht in das Bundesdatenschutzgesetz.

Für die Gewährung der öffentlichen Sicherheit und zur Gefahrenabwehr sollten keine privaten Stellen in die Pflicht genommen werden, es handelt sich um Kernaufgaben des Staates, die er zum Beispiel durch eine höhere Polizeipräsenz an Kriminalitätsschwerpunkten wahrzunehmen hat. 

B. Bewertung im Einzelnen

Der Gesetzentwurf begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar ist es (so auch das BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.02.2007 – 1 BvR 2368/06 –, juris) nicht ausgeschlossen, dass eine Videoüberwachung öffentlicher Einrichtungen mit Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials auf der Grundlage einer hinreichend bestimmten und normenklaren Ermächtigungsgrundlage materiell verfassungsgemäß sein kann, wenn für sie ein hinreichender Anlass besteht und Überwachung sowie Aufzeichnung insbesondere in räumlicher und zeitlicher Hinsicht und im Hinblick auf die Möglichkeit der Auswertung der Daten das Übermaßverbot wahren. Das setzt jedoch eine hinreichend bestimmte und normenklare Ermächtigungsgrundlage für die geplante Videoüberwachung voraus, wobei die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine derartige Überwachung im Einzelnen zu bestimmen sind. Es erscheint zumindest fraglich, ob diese Anforderungen mit der Einführung von § 6b Abs. 1 Satz 2 BDSG erreicht werden.


Im Einzelnen:

1.    Es bestehen Zweifel an der Geeignetheit der gewählten Maßnahme zur Gefahrenabwehr. Es ist umstritten, ob Videoüberwachung die Begehung von Straftaten im erheblichen Umfang verhindern kann. Der Abschreckungseffekt von sichtbaren Videokameras bzw. der notwendigen Hinweisschilder (§ 6b Abs. 2 BDSG) dürfte einen planmäßig vorgehenden Delinquenten in vielen Fällen nicht von der geplanten Straftat abhalten können, sondern lediglich Maßnahmen zum Schutz vor Entdeckung bzw. Erkennen provozieren. Aus einem spontanen Impuls heraus begangene Straftaten lassen sich durch Videoüberwachung ohnehin nicht bzw. allenfalls in sehr geringem Umfang verhindern. Inwieweit die öffentliche Sicherheit durch den Einsatz von optisch-elektronischer Sicherheitstechnologie (Videoüberwachung) effektiv erhöht werden kann, sollte daher zunächst empirisch untersucht werden.

2.    Es erscheint zudem fraglich, ob eine Ausweitung der anlasslosen Videoüberwachung, so sie denn als geeignet zur Gefahrenabwehr betrachtet wird, angesichts des damit verbundenen erheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig ist.
 
Das hier beeinträchtigte Grundrecht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1, 42 f. 67, 100, 143). Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Videoüberwachung grundsätzlich mit einem intensiven Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen verbunden ist. Sie beeinträchtigt alle, die den überwachten Bereich betreten. Sie dient nach dem Gesetzentwurf aber insbesondere dazu, belastende hoheitliche Maßnahmen vorzubereiten und das Verhalten der den überwachten Bereich nutzenden Personen zu lenken. Das Gewicht dieser Maßnahme würde dadurch erhöht, dass infolge Aufzeichnung das gewonnene Bildmaterial in vielfältiger Weise ausgewertet, bearbeitet und mit anderen Informationen verknüpft werden kann, insbesondere leicht mit Hilfe von z. B. Gesichtserkennungssoftware Bewegungsprofile erstellt werden könnten. Von den Personen, die die jeweils überwachten Bereiche betreten, dürfte aber nur eine Minderheit gegen Gesetze oder sonstige Regeln verstoßen. Die Videoüberwachung und die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials erfassen daher – wie bei solchen Maßnahmen stets – ganz überwiegend Personen, die selbst keinen Anlass schaffen, dessentwegen die Überwachung vorgenommen wird.

3.    Systematisch erscheint der Standort der Regelung verfehlt, da damit offenbar zusätzliche Eingriffsbefugnisse des Staates – wenngleich auch mittelbar – geregelt werden sollen. Vorrangig gelten im Bereich der Ton- und Bildaufnahmen die Regelungen zur Gefahrenabwehr bei Versammlungen in geschlossenen Räumen (§ 12a VersG) oder unter freiem Himmel (§ 19a VersG), zu strafprozessualen Abhörmaßnahmen (§ 100c Abs. 1 StPO) und zur heimlichen Videoobservation außerhalb von Wohnungen (§ 100h Abs. 1 Nr. StPO), zur automatisierten Videoüberwachung von Staatsgrenzen oder besonderer Objekte (§§ 27, 23 Abs. 1 Nr. 4 BPolG) und – heimlichen – Observation (§ 28 BPolG) durch die Bundespolizei, zu langfristigen Observationen und der Abwehr akuter Gefahren durch die Bundeskriminalpolizei (§§ 20g, 20h, 23 BKAG) und zur Informationsbeschaffung und Gefahrenabwehr durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (§§ 8 Abs. 2, 9 BVerfSchG). Im Verhältnis zu diesen begründet § 6b BDSG in seiner bisherigen Fassung keine zusätzlichen Eingriffsbefugnisse. An dieser Systematik sollte festgehalten werden.

4.    Verfehlt erscheint es zudem, wenn zukünftig private Stellen zur Gewährung der öffentlichen Sicherheit und zur Gefahrenabwehr ebenso wie zur Erleichterung der Strafverfolgung in die Pflicht genommen werden sollen. Diese Kernaufgaben des Staates dürfen nicht auf private Stellen verlagert werden. Hier wären andere Maßnahmen, wie z. B. eine höhere Polizeipräsenz an Kriminalitätsschwerpunkten, vorzugswürdig.