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In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 675/14

 

nimmt der Deutsche Richterbund gemäß § 27a BVerfGG wie folgt Stellung:

Die mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfene Frage der Einrichtung und Ausgestaltung eines richterlichen Bereitschaftsdienstes ist für den Deutschen Richterbund von großer Bedeutung; er bedankt sich deshalb ausdrücklich für die Möglichkeit, zu der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 675/14 Stellung zu nehmen.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, außerhalb der in § 104 Abs. 3 StPO definierten Nachtzeiten generell einen richterlichen Bereitschaftsdienst zu installieren.

Zur Begründung:

Nach Artikel 13 GG ist die Privatheit der Wohnung als „elementarer Lebensraum“ besonders geschützt (vgl. etwa BVerfGE 103, 142, 150). Eingriffe in dieses Grundrecht unterliegen deshalb besonderen, in Artikel 13 GG genannten Voraussetzungen. Artikel 13 Abs. 2 GG bestimmt insoweit, dass Durchsuchungen nur durch den Richter und nur bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgegebenen anderen Organe angeordnet werden dürfen. Diese anderen Organe, die eine Durchsuchung der Wohnung von Beschuldigten bei Gefahr im Verzug anordnen dürfen, sind nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen. Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (BVerfGE 103, 142, 151). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss diese vorbeugende Kontrolle die Regel und die nichtrichterliche Anordnung der Durchsuchung die Ausnahme sein. Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben im Rahmen des Möglichen die tatsächlichen und rechtlichen Vorkehrungen zu treffen, damit die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters auch in der Masse der Alltagsfälle gewahrt bleibt. Daher haben die für die Organisation der Gerichte und die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes für eine sachliche und perso¬nelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, die eine wirksame präventive richterliche Kontrolle von Wohnungsdurchsuchungen sicherstellt (vgl. BVerfGE 103, 142, 152; 139, 245, 267). Defi¬ziten, die zu Beeinträchtigungen der Gewährung präventiven Grundrechtsschutzes führen kön¬nen, müssen sowohl die Gerichte   die einzelnen Ermittlungsrichter ebenso wie die für die Be-stellung der Ermittlungsrichter und die Geschäftsverteilung zuständigen Präsidien (§ 21e Abs. 1 Satz 1 GVG)   als auch die Strafverfolgungsbehörden und die für die Ausstattung der Justiz verantwortlichen Organe entgegenwirken (vgl. BVerfGE 139, 245, 267).

In einem Beschluss vom 8. März 2006 hat sich die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit einer Wohnungsdurchsuchung befasst, die durch den Staatsanwalt um 18.00 Uhr angeordnet und zwischen 19.30 Uhr und 20.30 Uhr vollzogen wurde (2 BvR 1114/05). Der anordnende Staatsanwalt hatte nicht vorab versucht, einen Ermittlungsrichter zu erreichen. Er hat dies damit begründet, dass zum damaligen Zeitpunkt kein durchgehender richterlicher Bereitschaftsdienst im Bereich des zuständigen Landgerichts eingerichtet war. Das Amts- und Landgericht haben die Durchsuchung für rechtmäßig erklärt. Die Staatsanwaltschaft habe nicht versuchen müssen, den zuständigen Bereitschaftsrichter zu erreichen, weil bekannt gewesen sei, dass ein durchgehender richterlicher Bereitschaftsdienst nicht vorhanden gewesen sei. Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat der gegen die Beschlüsse gerichteten Verfassungsbeschwerde stattgegeben. Die Beschlüsse verletzten das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 13 Abs. 2 und Abs. 3 GG und aus Artikel 19 Abs. 4 GG. Die Landesjustiz- und die Gerichtsverwaltungen sowie die Ermittlungsrichter hätten sicherzustellen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam werde. Dazu gehöre die uneingeschränkte Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) auch außerhalb der üblichen Dienststunden.

Damit stellt sich die Frage, in welchen Zeiten ein richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet werden muss, um Artikel 13 Abs. 2 GG gerecht zu werden und ob § 104 Abs. 3 StPO dazu zwingende Vorgaben enthält.

Ausschlaggebend ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Gerichte in der Lage sind, Durchsuchungsanordnungen in der Regel zu erlassen. Die nichtrichterliche Anordnung der Durchsuchung darf nur die Ausnahme sein. In Zeiten, in denen es nur sehr selten zu Durchsuchungsanordnungen kommt, wird im Sinne dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses auf einen richterlichen Bereitschaftsdienst verzichtet werden können. § 104 Abs. 3 StPO gibt dazu eine erste Orientierung. § 104 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 StPO bestimmt, dass Wohnungen zur Nachtzeit nur bei Verfolgung auf frischer Tat oder bei Gefahr im Verzug oder dann durchsucht werden dürfen, wenn es sich um die Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen handelt. Dabei umfasst die Nachtzeit in dem Zeitraum vom 1. April bis zum 30. September die Stunden von 9.00 Uhr abends bis 4.00 Uhr morgens und in dem Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. März die Stunden von 9.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens. Damit wird die Zulässigkeit von Wohnungsdurchsuchungen in den in § 104 Abs. 3 StPO genannten Zeiträumen sehr stark eingeschränkt. Daraus folgt, dass Durchsuchungen in den genannten Zeiträumen regelmäßig selten sind. Es spricht also eine Vermutung dafür, dass das Regel- Ausnahme-Verhältnis gewahrt bleibt, wenn innerhalb dieser Zeiträume kein richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet wird. Fraglich ist, ob die Regelung des § 104 Abs. 3 StPO dann im Umkehrschluss auch bedeutet, dass ein Bereitschaftsdienst außerhalb dieser Zeiten immer eingerichtet werden muss. Dies ist nicht der Fall. § 104 StPO verfolgt einen anderen Zweck als die Vorschriften, die die Anordnungskompetenz betreffen. § 104 Abs. 3 StPO regelt die Durchführung der Durchsuchung und berücksichtigt den Umstand, dass die Wohnung ein Rückzugsort ist, in der sich der Bewohner sicher fühlen soll. Dazu gehört, dass er grundsätzlich nicht zur Nachtzeit aus dem Schlaf gerissen wird. Es besteht kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Richtervorbehalt. Aus § 104 Abs. 3 StPO lässt sich allenfalls schließen, dass eine Vermutung dafür besteht, dass ein richterlicher Eildienst außerhalb der in der Norm definierten Nachtzeiten eingerichtet werden muss. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden.

Aus Sicht des Deutschen Richterbundes lässt sich nicht abstrakt und generell bestimmen, ob außerhalb der in § 104 Abs. 3 StPO genannten Zeiten so häufig Durchsuchungen angeordnet werden, dass nicht mehr von einer Ausnahme gesprochen werden kann. In großstädtischen Gerichtsbezirken oder in grenznahen Bereichen wird es eher zu nächtlichen Durchsuchungsanordnungen kommen als in ländlichen Gerichtsbezirken. Zudem wird es zwischen 4.00 Uhr und 6.00 Uhr auch in der Sommerzeit weniger Durchsuchungsanordnungen geben als nach 6.00 Uhr. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist es deshalb Aufgabe der Präsidien der einzelnen Gerichte festzustellen, wie viele Durchsuchungsanordnungen zu welcher Tages- und Nachtzeit im Durchschnitt angeordnet werden, und seine Regelungen zum Bereitschaftsdienst danach entsprechend auszurichten, solange es keine klare gesetzliche Regelung zur Einrichtung eines richterlichen Eildienstes gibt.

Ob die Regelungen zum richterlichen Bereitschaftsdienst im vorliegenden Fall den Vorgaben des Artikels 13 Abs. 1 und Abs. 2 genügt haben, lässt sich deshalb nicht ohne Weiteres beurteilen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung kurz nach 4.00 Uhr morgens die Ausnahme war oder ob entsprechende Anordnungen um diese frühe Uhrzeit so häufig vorkommen, dass von einer Ausnahme nicht mehr gesprochen werden kann.

Davon unabhängig widerspricht der Deutsche Richterbund der in der Verfassungsbeschwerde ausgeführten These, dass ein auch nachts eingerichteter richterlicher Eildienst heute keine besondere Belastung mehr darstelle, weil es ausreiche, wenn der jeweilige Richter, die jeweilige Richterin, die Bereitschaftsdienst haben, ein Handy bei sich tragen, auf dem sie erreichbar sind. Denn richterliche – wie im Übrigen auch staatsanwaltschaftliche – Entscheidungen bedürfen stets einer eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage und gegebenenfalls Beratung vor Ort mit den Ermittlungsbehörden oder Einsichtnahme in vorliegende, schriftliche Unterlagen. Insofern bedeutet richterlicher Eildienst, unabhängig von mobiler Erreichbarkeit, in jedem Fall eine zusätzliche Belastung neben der regulären Arbeitszeit gerade zur Nachtzeit. Es kann deshalb nicht erwartet werden, dass die Richter und Richterinnen Eildienst ohne Ausgleich wahrnehmen. Im Übrigen ist auch im Arbeitsrecht allgemein anerkannt, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist. Dieser Gedanke muss wirkungsgleich auf die Richterschaft übertragen werden, auch wenn sie nicht im formellen Sinn an eine Arbeitszeit gebunden ist. Jede Ausweitung des richterlichen Eildienstes hat folglich einen Personalmehrbedarf an den Gerichten zur Folge. Beispielhaft sei hier auf das Amtsgericht Bielefeld verwiesen, an dem im Jahr 2009 ein Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst eingeführt worden ist. Der Bereitschaftsdienst wird vom Amtsgericht Bielefeld für den gesamten Gerichtsbezirk des Landgerichts Bielefeld mit einem Einzugsbereich von 1,2 Millionen Einwohnern wahrgenommen. Im Jahr 2016 wurden vom Amtsgericht Bielefeld in der Zeit von 21.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens insgesamt sieben Beschlüsse zur Wohnungsdurchsuchung erlassen. Hinzu kamen allerdings noch Anordnungen von Blutprobenentnahmen, sonstige gerichtliche Durchsuchungsmaßnahmen und Maßnahmen nach dem PolG und OBG Nordrhein-Westfalens. Dafür hat das Amtsgericht Bielefeld eine Verstärkung von zwei Richterstellen erhalten. Diese Verstärkung hat sich in der Folgezeit als erforderlich und angemessen erwiesen. Bei 115 Landgerichten in Deutschland bedeutet das – die Erfahrungen dieses Modells in Bielefeld zu Grunde gelegt – einen Personalmehrbedarf von insgesamt 230 Richterstellen bundesweit. Dies gilt allerdings nur dann, wenn man den richterlichen Eildienst in allen Landgerichtsbezirken wie in Bielefeld auf ein Amtsgericht konzentriert. Ansonsten wäre der Personalmehrbedarf bei über 600 Amtsgerichten in Deutschland noch höher. Dieser Personalmehrbedarf betrifft nur den Eildienst von 21.00 Uhr abends bis 6.00 Uhr morgens. Ein Bereitschaftsdienst am Tage außerhalb dieser genannten Zeiten und außerhalb der üblichen Dienstzeiten führt zu einem weiteren Personalmehrbedarf. Nicht zu vernachlässigen ist, dass ein richterlicher Eildienst einen Bereitschaftsdienst der Geschäftsstellen und der Kanzlei nach sich zieht. Auch hier ergibt sich ein entsprechender Personalmehrbedarf.

Bei der Entscheidung, ob und wann ein richterlicher Eildienst einzurichten ist, kann der Aufwand, den die Einrichtung eines solchen richterlichen Eildienstes zur Folge hat, aus Sicht des Deutschen Richterbundes nicht außer Betracht gelassen werden. Jedenfalls müssen die Landesjustizverwaltungen sicherstellen, dass das nötige Personal zur Verfügung steht, wenn der richterliche Eildienst ausgeweitet werden soll.