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zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

 

A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund unterstützt das Ziel des Referentenentwurfs, das Strafverfahren praxistauglicher auszugestalten und damit eine Beschleunigung von Strafverfahren zu erreichen. Er begrüßt, dass darauf abzielende Vorschläge der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eingesetzten Expertenkommission aufgegriffen werden. Dazu gehören die Änderungen des Beweisantragsrechts sowie die Verfahrenserleichterungen bei Befangenheitsanträgen.

Andere Regelungen des Referentenentwurfs sieht der Deutsche Richterbund kritisch. Dazu gehört insbesondere die zu weitgehende Verpflichtung, die Vernehmung von Zeugen und Beschuldigten in Bild und Ton aufzuzeichnen, die sich in der Praxis nicht immer wird umsetzen lassen und verfahrensverzögernd wirken kann.

Der Deutsche Richterbund empfiehlt, weitere Anregungen der Expertenkommission im Gesetzgebungsverfahren noch aufzugreifen. Das gilt insbesondere für den von allen getragenen Vorschlag der Expertenkommission, eine Regelung für die sogenannte Quellentelekommunikationsüberwachung zu schaffen. Der Deutsche Richterbund vertritt die Auffassung, dass im Hinblick auf den mit der Quellentelekommunikationsüberwachung verbundenen nicht unerheblichen Grundrechtseingriff eine eindeutige Rechtsgrundlage zu schaffen ist, die die Voraussetzungen, Bedingungen und Grenzen der Maßnahme ausdrücklich regelt.

 
B. Bewertung im Einzelnen

a) Zu Artikel 1 Nummer 1 bis 3

Der Referentenentwurf hält an dem Grundsatz fest, dass Ablehnungsgesuche auch mündlich während der Hauptverhandlung gestellt werden können. Es soll aber dem Gericht ermöglicht werden zu verlangen, dass der Antrag innerhalb einer zu bestimmenden Frist schriftlich begründet wird. Nach Ablauf der Frist kann der Antrag als unzulässig verworfen werden, wenn keine Begründung abgegeben worden ist. Zudem kann das Gericht in diesen Fällen ohne Unterbrechung weiter verhandeln, bis die schriftliche Begründung vorgelegt worden ist oder die gesetzte Frist abgelaufen ist. Hinzu kommt, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Hauptverhandlung bis zum Verlesen der Anklageschrift durchgeführt werden kann, wenn ein Richter vor Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt wird.

Diese Vorschläge werden vom Deutschen Richterbund unterstützt. Sie erscheinen sinnvoll und angemessen, da sie das Recht auf Ablehnung eines Richters praxistauglicher gestalten, ohne es unvertretbar zu beschneiden.

b) Zu Artikel 1 Nummer 4

Der Deutsche Richterbund sieht die Ausweitung des § 58a Absatz 1 StPO sehr kritisch. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Aussageverhalten von Zeugen durch eine Bild- und Tonaufzeichnung beeinflusst wird, was zwar unter bestimmten Voraussetzungen nicht grundsätzlich gegen eine Bild- und Tonaufzeichnung spricht, was aber dagegen spricht, sie verpflichtend vorzuschreiben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Aufwand für eine Bild- und Tonaufzeichnung sehr hoch ist. Es muss eine entsprechende technische und personelle Ausstattung bei den Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten vorhanden und verfügbar sein, außerdem ist die Verschriftlichung von Wortprotokollen, erst Recht von einem Video, äußerst zeitintensiv und umfangreich. Bei Eil- und Haftsachen kann dies daher insbesondere bei Aufnahme der Ermittlungen in der Regel nicht geleistet werden. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes sollte es deshalb bei der geltenden Rechtslage bleiben. Allenfalls sollte eine „Soll-Regelung“ ins Auge gefasst werden.

Auf jeden Fall erscheint es erforderlich, die in § 58a Absatz 1 Nummer 1 E enthaltenen Ausnahmeregelungen auch auf § 58a Absatz 1 Nummer 2 E auszuweiten. Andernfalls könnte eine Vernehmung nicht zeitgerecht stattfinden, wenn zwar anzunehmen ist, dass die schutzwürdigen Interessen eines Zeugen durch eine Aufzeichnung besser gewahrt werden können, eine Ton-Bild-Aufzeichnung aber aufgrund der Umstände und der Eilbedürftigkeit einer Vernehmung nicht stattfinden kann. Hier muss den vernehmenden Personen ein Abwägungsspielraum verbleiben.

c) Zu Artikel 1 Nummer 5

Der Deutsche Richterbund unterstützt die vorgesehene Klarstellung der Rechte des Beschuldigten vor der Auswahl eines Sachverständigen aus den in der Entwurfsbegründung genannten Gründen.

d) Zu Artikel 1 Nummern 6 und 7

Die vorgeschlagene Novellierung der Regelungen zu molekulargenetischen Untersuchungen erscheinen zwar nicht gänzlich unproblematisch. So können sogenannte Beinahe-Treffer viele Personen betreffen und in die Ermittlungen hineinziehen. Dennoch überwiegen aus Sicht des Deutschen Richterbundes die Vorteile der geplanten Regelungen ihre Nachteile.

e) Zu Artikel 1 Nummer 8

Der Deutsche Richterbund begrüßt die mit der Änderung der jährlichen Berichtspflichten verbundene Vereinfachung und Zeitersparnis.
Aufgrund der technischen Entwicklung macht es keinen Sinn mehr, zwischen Festnetz-, Mobilfunk- und Internettelekommunikation zu unterscheiden.

f) Zu Artikel 1 Nummer 9 und Nummer 15

Auf die Stellungnahme zu Artikel 1 Nummer 4 wird verwiesen. Das für die Zeugenvernehmung Ausgeführte gilt für Beschuldigtenvernehmungen entsprechend.

g) Zu Artikel 1 Nummer 10

Der Deutsche Richterbund sieht den in § 141 Absatz 3 Sätze 4 und 5 E enthaltenen Vorschlag hinsichtlich des Rechts des Beschuldigten, die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu beantragen, kritisch. Die Neuregelung kann zu erheblichen Verfahrensverzögerungen führen. Sie dürfte zur Folge haben, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 StPO nach Anzeigeerstattung bei entsprechendem Antrag des Beschuldigten stets ein Verteidiger zu bestellen ist – unabhängig vom absehbaren Verfahrensverlauf, etwa einer vorhersehbaren Verfahrenseinstellung.

h) Zu Artikel 1 Nummern 11 und 12

Der Deutsche Richterbund weist darauf hin, dass mit dem in § 148 Absatz 2 E vorgesehenen grundsätzlichen Verbot der Überwachung von sogenannten Anbahnungsgesprächen zwischen Verteidigern und inhaftierten Beschuldigten erhebliche Missbrauchsgefahren verbunden sind, insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität. Es wird zu entsprechenden Absprachen/Einschüchterungen etc. kommen, die ganz klar § 146 StPO zuwiderlaufen. Im Hinblick darauf, dass Richter bereits heute unüberwachte Anbahnungsgespräche zulassen können, erscheint die Notwendigkeit der Einführung einer solchen risikobelasteten Vorschrift fraglich.

i) Zu Artikel 1 Nummer 13

Die in § 153a Absatz 2 Satz 1 E vorgesehene Möglichkeit der vorläufigen Einstellung gegen Auflagen oder Weisungen auch in der Revisionsinstanz ist aus Sicht des Deutschen Richterbundes nicht sinnvoll und systemwidrig. Zudem erscheint ihre Praxisrelevanz fraglich.

j) Zu Artikel 1 Nummer 14

Die in § 163 E vorgesehene Einführung der Verpflichtung von Zeugen, vor der Polizei zu erscheinen und auszusagen, wird begrüßt. Sie stärkt die Stellung der Polizei gegenüber Zeugen und kann zu erheblichen Verfahrensbeschleunigungen führen. Dass wesentliche Entscheidungen von der Staatsanwaltschaft zu treffen sind, von der auch die Entscheidung zur Ladung ausgehen muss, verdeutlicht zudem die Stellung der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“ gegenüber der Polizei.

k) Zu Artikel 1 Nummer 16

Der Deutsche Richterbund lehnt eine Regelung ab, mit der der Vorsitzende verpflichtet wird, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung vor der Terminsbestimmung mit dem Verteidiger, der Staatsanwaltschaft und dem Nebenklägervertreter zu erörtern, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als drei Tage dauern wird. Da mehr als drei Verhandlungstage bei erstinstanzlichen Verfahren nicht untypisch sind, würden die zwingenden „Erörterungstermine“, bei denen die Gefahr einer Vermischung mit Verständigungsgesprächen nicht auszuschließen ist, eher die Regel als die Ausnahme. Zudem würde die Verfahrensleitung des Gerichts aus Sicht des Deutschen Richterbundes ohne Not beschränkt. Denn entsprechende Erörterungen mit den Beteiligten sind bereits nach geltendem Recht möglich und finden in geeigneten Fällen auch statt.

l) Zu Artikel 1 Nummer 17

Der Deutsche Richterbund lehnt die in § 243 Absatz 5 E vorgesehene Regelung, dass der Verteidiger auf Antrag Gelegenheit erhält, vor der Vernehmung des Angeklagten eine Erklärung abzugeben, ab. Eine Erklärung des Verteidigers zu Beginn der Hauptverhandlung wird in der Regel nicht zu einer effizienteren Verhandlungsführung beitragen; vielmehr kann sie zu Verfahrensverzögerungen führen und damit gerade das Ziel des Gesetzentwurfs konterkarieren.

m) Zu Artikel 1 Nummer 18

Die geplante Novellierung des Beweisantragsrechts wird begrüßt. Die Möglichkeit, nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme, eine angemessene Frist zur Stellung von Beweisanträgen zu setzen, ist – mit den im Entwurf vorgesehenen Folgen bei Fristversäumung – einerseits moderat und die Rechte der Angeklagten wahrend, andererseits in der Lage, zur Verfahrensbeschleunigung beizutragen. Beweisanträgen, die zum Zweck der Verfahrensverzögerung gestellt werden, kann angemessen begegnet werden.

n) Zu Artikel 1 Nummer 19

Die in § 251 Absatz 1 E vorgesehene moderate Erweiterung der Möglichkeit des Verlesens von Protokollen wird ebenfalls begrüßt. Die Regelung ist geeignet, verfahrensbeschleunigend zu wirken, ohne die Rechte der Angeklagten zu beschneiden.

o) Zu Artikel 1 Nummer 20

Es wird angeregt, die Gelegenheit der Änderung des § 254 StPO zu nutzen und die Einschränkung „über ein Geständnis“ zu streichen. Macht der Beschuldigte bei verschiedenen Vernehmungen unterschiedliche Angaben, ohne dass es sich um ein Geständnis handelt, wäre es hilfreich, wenn die entsprechenden Protokolle oder Aufzeichnungen ebenfalls in das Verfahren eingeführt werden könnten.

p) Zu Artikel 1 Nummer 21

Die Erweiterung der Möglichkeit, ärztliche Atteste zu verlesen, wird vom Deutschen Richterbund begrüßt.

q) Zu Artikel 1 Nummer 22

Auch wenn die in § 165 E vorgesehene Erweiterung der Hinweispflichten dem Gericht mehr Pflichten auferlegt als bislang, erscheint sie unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens sinnvoll und wird unterstützt.

r) Zu Artikel 1 Nummer 23

Der Deutsche Richterbund begrüßt die in § 347 Absatz 1 E enthaltene Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, in Revisionsverfahren eine Gegenerklärung abzugeben, wenn das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten wird und wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird. Die Regelung entspricht insofern der geltenden Nr. 162 Absatz 2 Satz 1 RiStBV.

s) Zu Artikel 1 Nummer 24

Der Deutsche Richterbund begrüßt die mit der vorgeschlagenen Änderung des § 374 StPO vorgesehene moderate Erweiterung der Privatklagemöglichkeit.

t) Zu Artikel 1 Nummer 25

Der Vorschlag einer Vereinheitlichung der Fristen für Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse erscheint sinnvoll und wird befürwortet.

u) Zu Artikel 2

Die vorgeschlagene Änderung des § 78 b Gerichtsverfassungsgesetz vermeidet eine parallele Befassung der großen und kleinen Strafvollstreckungskammer. Der Vorschlag erscheint sehr sinnvoll, verfahrensökonomisch und wird begrüßt.


Zu nicht aufgenommenen Vorschlägen der Expertenkommission:

a) Quellentelekommunikationsüberwachung

Die Aufklärung schwerer Straftaten wird zunehmend durch ein Leerlaufen der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO erschwert. Die Kommunikation findet verschlüsselt statt, sodass ihre Überwachung die Installation einer Software voraussetzt, um abgehende und eingehende Kommunikationsdaten noch vor ihrer Verschlüsselung auf dem Absendersystem oder nach ihrer Entschlüsselung auf dem Empfängersystem abzugreifen. Eine erfolgreiche Straftatenaufklärung setzt nach Auffassung des Deutschen Richterbundes voraus, dass sowohl die technischen als auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Software zu instal¬lieren, die die laufende Kommunikation vor oder nach ihrer Entschlüsselung abgreift.

In seinem Urteil vom 20. April 2016, das verschiedene Vorschriften des BKA-Gesetzes betrifft (1 BvR 966/09; 1 BvR 1140/09), hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zu der in § 20 l Absatz 2 BKAG geregelten Telekommunikationsüberwachung ausgeführt, dass sie an sich zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zulässig ist. Allerdings müssen die Eingriffsgrundlagen im Einzelnen verhältnismäßig begrenzt sein. Dies werde durch § 20 l Absatz 2 BKAG nur teilweise sichergestellt.

Die Ausführungen dieser BVerfG-Entscheidung legen nahe, dass eine Quellentelekommunikationsüberwachung auch im Ermittlungsverfahren zulässig ist, wenn die Maßnahme auf die Aufklärung schwerwiegender Straftaten beschränkt wird und Regelungen zum Schutz der Betroffenen geschaffen werden. Der Gesetzgeber ist dabei verpflichtet, die wesentlichen Fragen durch ein formelles Gesetz zu regeln und ihre Beantwortung nicht allein der Rechtsprechung zu überlassen. Zu den zu regelnden wesentlichen Punkten gehört die Frage der Sicherstellung – auch durch technische Maßnahmen –, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird.

§ 100a StPO ist eine allgemeine Regelung zur Telekommunikationsüberwachung, die die Installation von Software jedenfalls nicht ausdrücklich erlaubt. Infolgedessen enthält sie auch keinerlei auf die Quellentelekommunikationsüberwachung ausgerichtete Einschränkungen oder verfahrenssichernde Regelungen. Aus Sicht des Deutschen Richterbundes ist der Gesetzgeber gehalten, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob, und wenn ja unter welchen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen eine Quellentelekommunikationsüberwachung zulässig ist.

b) Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft

Die Expertenkommission hat in ihrem Bericht unter 3.1 die ausdrückliche Normierung der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis gefordert. Sie begründet dies damit, dass angesichts der herrschenden Praxis gerade im Bereich der kleinen und mittleren Kriminalität Zweifel bestehen, ob die Sachleitungsbefugnis noch mit der Lebenswirklichkeit im Einklang steht. Der Deutsche Richterbund teilt diese Bedenken und hält deshalb eine ausdrückliche Regelung der Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft für dringend erforderlich. Eine gesetzliche Klarstellung der Rolle und Verantwortlichkeit der Staatsanwaltschaft ist seit Langem überfällig.